Urteil des SozG Köln vom 02.12.2008

SozG Köln: darlehen, bedürftigkeit, rückzahlung, verwaltungsakt, auflage, arbeitslosenhilfe, einkünfte, motiv, begriff, schenkungsweise

Sozialgericht Köln, S 32 (30) AS 116/08
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
32. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 32 (30) AS 116/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 30.05.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom
22.06.2007 und vom 09.01.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 21.04.2008 wird insoweit aufgehoben, als
die Leistungsbewilligung für Mai 2007 in Höhe von 625,49 Euro für den
Kläger und in Höhe von 174, 51 Euro für die Klägerin aufgehoben
worden sind. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen
Kosten der Kläger.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und
Erstattungsbescheides.
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Der 1956 geborene Kläger wohnt mit der 1995 geborenen Klägerin - seiner Tochter- in
einer Bedarfsgemeinschaft. Mit Bescheid vom 21.03.2007 gewährte die Beklagte den
Klägern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den
Zeitraum vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von 892,25 Euro.
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Bei Antragstellung im Dezember 2006 hatte der Kläger angegeben, im November und
Dezember von geliehenem Geld gelebt zu haben. Nach Aufforderung durch die
Beklagte legte der Kläger im April 2007 eine Bescheinigung des B vor, worin dieser
bestätigte, dem Kläger im November 2006 2000,00 Euro zur Bestreitung seines
Lebensunterhalts geliehen zu haben, in den Monaten Dezember bis April 2007 je
1000,00 Euro. Der Kläger könne das Geld zurückzahlen, sobald es ihm finanziell wieder
besser gehe. Am 29.05.2007 teilte der B der Beklagten mit, er habe dem Kläger
letztmalig im Mai 2007 800,00 Euro gegeben.
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Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 30.05.2007 den Bewilligungsbescheid
vom 21.03.2007 gem. § 48 SGB X rückwirkend zum 01.05.2007 auf. Zur Begründung
führte sie an, unter Berücksichtigung des von Hr. B bezogenen Einkommens errechne
sich kein Leistungsanspruch mehr. Hiergegen legte der Kläger am 11.06.2007
Widerspruch ein, weil ihm das Geld seines Freundes nur als Darlehen überlassen
worden sei.
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Mit Bescheid v. 09.01.2008 half die Beklagte dem Widerspruch der Kläger teilweise ab
und gewährte für den Monat Mai 2007 eine Zahlung in Höhe von 92,25 Euro. Hierbei
wurden die als angemessen angesehenen Unterkunftskosten berücksichtigt und die von
dem Zeugen B erhaltene Zahlung von 800,00 Euro als Einkommen angerechnet.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2008, abgesandt am 25.04.2008, wies die
Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Wegen der Darlehensleistungen sei eine
Veränderung der Verhältnisse eingetreten und der Kläger habe diese grob fahrlässig
nicht mitgeteilt. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X sei die Entscheidung mit
Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die
Rückzahlungsverpflichtung ändere nichts an der Anrechenbarkeit des Betrages als
Einkommen im Sinne des SGB II.
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Die Kläger haben am 26.05.2008 Klage erhoben. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus
dem Widerspruchsverfahren.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid vom 30.05.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 22.06.2007
und vom 09.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2008
insoweit aufzuheben, als die Leistungsbewilligung für Mai 2007 in Höhe von 625,49
Euro für den Kläger und in Höhe von 174, 51 Euro für die Klägerin aufgehoben worden
sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B. Auf den Inhalt der
Sitzungsniederschrift vom 02.12.2008 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der angefochtene Bescheid war aufzuheben da dieser rechtswidrig ist und die Kläger in
ihren Rechten gem. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG verletzt. Die Beklagte hat zu Unrecht die
geleisteten Zahlungen von den Klägern zurückgefordert.
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Gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit
Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben,
eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt
der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene der Pflicht zur
Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich
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oder grob fahrlässig nicht nachkommt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder wenn nach
Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum
Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr.
3 SGB X) Wesentlich ist die Änderung, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr
eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, so wie er ergangen ist, nicht
mehr erlassen werden dürfte (BSG, Urteil v. 19.02.1986, Az.: 7 Rar 55/84; Schütze in:
von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 8). Die Änderung muss sich also nach
dem zu Grunde liegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des
Verwaltungsaktes auswirken und so erheblich sein, dass sie rechtlich zu einer anderen
Bewertung führt (Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 48 Rdnr. 12).
Die von der Beklagten als wesentliche Änderung angesehene Zahlung führt nicht zur
Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 21.03.2007, denn sie ist nicht als
Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen. Den Klägern stehen die für
den Monate Mai 2007 bewilligten Leistungen nach den maßgeblichen Vorschriften des
SGB II zu, denn sie waren in diesem Zeitraum bedürftig im Sinne der §§ 7, 9 SGB II. Sie
konnten sich nicht durch eigenes Einkommen oder Vermögen unterhalten. Der Kläger
hat die Zahlung in Höhe von 800,00 Euro von dem Zeugen (B.) nur darlehensweise
erhalten. Das steht zur Überzeugung der Kammer nach der Zeugenaussage des B. in
der mündlichen Verhandlung fest. Als Motiv für die zwischen November 2006 und Mai
2007 geleisteten Geldzahlungen an den Kläger hat der Zeuge glaubhaft dargelegt, dass
der Kläger ihm in früheren Jahren häufiger geholfen hat z. B. Jobs vermittelte, als er
lediglich einen geduldeten Aufenthalt besaß. Aus diesem Grund habe er, der nun eine
feste Anstellung besitze, dem Kläger ebenfalls geholfen, als dieser in Schwierigkeiten
geraten sei. Der Kläger habe immer wieder betont, dass er nach der Trennung von der
Ehefrau das Geld benötige um das Einfamilienhaus zu halten, in dem er mit seiner
Tochter lebe. Er habe dem Kläger das Geld zunächst für etwa zwei Monate geliehen.
Dann sei der Kläger immer wieder zu ihm gekommen, da er weiteres Geld gebraucht
habe, um das Haus behalten zu können. Für die Kammer ist nachvollziehbar, dass der
Zeuge dem Kläger aufgrund der geschilderten Probleme monatlich weitere Beträge zur
Verfügung gestellt hat, bis ihm dies nach einigen Monaten zu unsicher wurde und er die
Zahlung eingestellt hat. Für das Gericht besteht kein Zweifel daran, dass der Zeuge dem
Kläger das Geld nur geliehen hat. Er hat glaubhaft dargelegt, das Geld vom Kläger
zurückzufordern, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme gerichtlichen Rechtsschutzes.
Gegen eine schenkungsweise Überlassung der Geldbeträge spricht, dass der Zeuge zu
dem Kläger nicht in einer besonders nahen Beziehung steht, wie dies beispielsweise
bei Familienmitgliedern der Fall ist. Die wirtschaftliche Lage des Zeugen, der als Koch
in einem Restaurant arbeitet und zur Miete wohnt, spricht ebenfalls dafür, dass er dem
Kläger die Geldbeträge nur darlehensweise überlassen hat. Die Beklagte hat die
Darstellung des Zeugen ebenfalls als glaubhaft angesehen und diesen Punkt unstreitig
gestellt.
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Das Darlehen ist nicht als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II anzusehen.
Danach sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu
berücksichtigen, mit Ausnahme sodann genannter Einkunftsarten, die hier nicht
einschlägig sind. Einnahmen in diesem Sinne sind nach Auffassung der Kammer nur
solche Geldbeträge, die eine Veränderung der Vermögenssituation des Hilfebedürftigen
bewirken. Mittel aus Darlehen verändern aufgrund der mit ihnen verbundenen
Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Darlehensempfängers nicht, es
sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt. Die Kammer schließt sich damit der
herrschenden, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtenden Auslegung des
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Einkommensbegriffes in § 11 Abs. 1 SGB II an (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II,
Zweite Auflage, § 11 Rdnr. 29; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Std. Juni 2008, §
11 Rdnr. 38; Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg v. 27.06.2008,
Az.: L 14 B 648/08 AS ER). Diese Auffassung gründet sich im Wesentlichen auf das zur
Arbeitslosenhilfe ergangene Urteil des Bundessozialgerichts v. 13.06.1985, Az. 7 RAr
27/84. Das Bundessozialgericht führt aus, es folge insbesondere aus dem begrifflichen
Inhalt des Anspruchsmerkmals der Bedürftigkeit sowie aus dem Sinn des Wortes
"Einkommen", dass Einnahmen in Geld nur solche Einnahmen seien, die eine
Veränderung des Vermögensstandes bewirkten. Dem Tatbestandsmerkmal der
Bedürftigkeit liege die Erwägung zugrunde, dass derjenige, der seinen Lebensunterhalt
aus eigener Kraft bestreiten kann, nicht der Unterstützung aus Steuermitteln bedürfe.
Ihm werde zugemutet, für Unterhaltszwecke vorrangig seine Mittel und im gewissen
Umfang ihm zugängliche Mittel naher Angehöriger einzusetzen. Darin sei aber zugleich
die Begrenzung dafür zu sehen, was unter eigenen Mitteln im Sinne des
berücksichtigungsfähigen Einkommens zu verstehen sei. Es müsse sich um Einkünfte
handeln, die ihm endgültig zur Verwertung zur Verfügung stehen. Ein Darlehen, das an
den Darlehensgeber zurückzuzahlen sei, stelle jedoch nur eine vorübergehend zur
Verfügung gestellte Leistung dar. Auch wenn diese tatsächlich in die Verfügungsgewalt
des Darlehensnehmers gelange, werde sie nicht Mittel des eigenen Vermögens, weil
sie von vornherein mit der Pflicht zur Rückzahlung belastet sei. Darlehenszahlungen
seien als einkommensneutral anzusehen. Demgegenüber wird nun vom
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 14.07.2008, Az.: L 13 AS
97/08 ER vertreten, dass auch der darlehensweise gewährte Zufluss von Geld als
Einkommen anzusehen sei. Aus dem Gesetzeswortlaut werde deutlich, dass der
Gesetzgeber den reinen Zufluss von Geld im Auge habe, das zur Steuerung der
eigenen Notlage verwendet werden könne. Dabei stehe die tatsächliche Verfügbarkeit
der Gelder im Vordergrund. Auf den Rechtsgrund des Zuflusses oder den Umstand,
dass der Hilfesuchende rechtlich zur Herausgabe des betreffenden Zuflusses oder der
Rückzahlung anderer Geldleistungen verpflichtet sei, komme es grundsätzlich nicht an.
(So auch zu § 82 SGB XII OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 12.12.06, Az.: 6 N
51.05; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, Zweite Auflage, § 82 Rdnr. 27; Offen
gelassen: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.12.2006, L 20 B
270/06 AS ER).
Der unter der Arbeitslosenhilfe entstandenen, wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist
Vorrang zu geben. Richtigerweise spielt es für den Begriff des Einkommens keine Rolle,
mit welchem Motiv, aus welchem Rechtsgrund oder Quelle das Geld geflossen ist. Dem
Begriff des Einkommens ist es jedoch immanent, dass dieses einen vermögenswerten
Vorteil für den Empfänger darstellt. Ein geldwerter Zufluss, der keinen Vermögenswert
besitzt, stellt auch kein Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 dar. Von dem
Hilfebedürftigen kann nur der Einsatz solcher Einkünfte verlangt werden die ihm
wirtschaftlich letztendlich gehören. Käme es allein auf die tatsächliche Verfügbarkeit der
zufließenden Einnahmen ohne Rücksicht auf eine Rückzahlungsverpflichtung an,
würde sich der Hilfebedürftige, dem ein Darlehen zur Verfügung steht, während des
Bezuges von Arbeitslosengeld II verschulden. Da Leistungsempfänger nicht zur
Inanspruchnahme eines Darlehens verpflichtet sind ist davon auszugehen, dass auf das
Darlehens verzichtet wird, sobald der Hilfebedürftige von der Anrechnung des
Darlehens als Einkommen Kenntnis erlangt. Etwas anderes wird weder vom
Darlehensgeber, der das Rückzahlungsrisiko trägt, noch vom Darlehensnehmer, der
Leistungen nach dem SGB II beantragt hat, gewollt sein. Die Gefahr des Missbrauchs
der Gestalt, dass schenkungsweise zugeflossene Gelder als Darlehen deklariert
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werden, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Soweit dem Hilfebedürftigen
während des Leistungsbezuges Gelder zugeflossen sind, bestehen zunächst Zweifel an
der Bedürftigkeit, die der Empfänger zu widerlegen hat. Denn die Beweislast für das
Tatbestandsmerkmal der Bedürftigkeit trifft den Antragsteller (Vgl. Urteil des LSG
Nordrhein-Westfalen v. 12.03.2008, L 12 AS 70/06). Ist nachgewiesen, dass die
geldwerte Einnahme tatsächlich mit einer Rückzahlungsverpflichtung belegt ist, besteht
Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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