Urteil des SozG Köln vom 03.12.2009

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Sozialgericht Köln, S 31 SB 163/08
Datum:
03.12.2009
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
31. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 31 SB 163/08
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2008 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2008 verurteilt, bei dem
Kläger ab Antragstellung einen Grad der Behinderung von 40
festzustellen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt
die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 3/5.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von
mindestens 50.
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Der 1946 geborene Kläger stellte im Juli 2008 bei dem Beklagten erstmals einen Antrag
auf Feststellung einer Schwerbehinderung. Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger
und verfügt über keine Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland. Er lebt
seit 1997 mit seiner Familie in Deutschland. Der Kläger legte einen Entlassungsbericht
des Herzzentrums der Universätskliniken Köln vor. Der Beklagte lehnte mit Bescheid
vom 21.07.2008 die Feststellung eines GdB ab. Zur Begründung führte der Beklagte
aus, die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 9. Buch - Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) lägen im Falle des Klägers nicht vor, da
dieser in der Bundesrepublik Deutschland lediglich geduldet sei und somit hier nicht
rechtmäßig seinen Wohnsitz habe.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit
Widerspruchsbescheid vom 27.10.2008 als sachlich unbegründet zurückwies.
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Hiergegen richtet sich die Klage.
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Der Kläger trägt vor, er leide unter einer arteriosklerotischen Herzkrankheit, Diabetes
mellitus, Adipositas und Hypertonie und sei hierdurch in seiner Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft erheblich beeinträchtigt.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.10.2008 zu verurteilen, bei ihm ab An- tragstellung
einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Auffassung, dass unabhängig vom gesundheitlichen Zustand des
Klägers die Feststellung eines GdB nicht in Betracht komme, da der Kläger in
Deutschland nur geduldet sei und sich somit nicht rechtmäßig im Sinne des § 2 Abs. 2
SGB IX in Deutschland aufhalte. Der Beklagte verweist insoweit auf eine Verfügung der
Bezirksregierung Münster aus dem Jahre 2007, nach welcher ein rechtmäßiger
gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht angenommen werden
könne, wenn die betroffene Person in Deutschland lediglich geduldet sei. Der Beklagte
verweist im übrigen darauf, dass er in seiner Funktion als Ausländerbehörde mit
Ordnungsverfügung vom 26.10.2009 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat.
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Das Gericht hat die Ausländerakte des Klägers sowie einen Befundbericht des
behandelnden Internisten Dr. L. beigezogen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben
durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. T. sowie eines internistischen
Gutachtens bei Dr. K ... Auf die schriftlichen Sachverständigengutachten vom
14.05.2009 und 24.05.2009 wird verwiesen. Wegen des weiteren Sach- und
Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden
Verwaltungsakte, welche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat,
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und sachlich teilweise begründet.
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Der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 21.07.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 27.10.2008 beschwert im
Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), soweit der Beklagte es abgelehnt
hat, bei dem Kläger einen GdB von 40 festzustellen. Einen Anspruch auf Feststellung
eines höheren GdB hat der Kläger demgegenüber nicht.
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Zunächst gehört der Kläger zu dem nach dem SGB IX geschützten und berechtigten
Personenkreis. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des
Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung
und den Grad der Behinderung fest, wenn der behinderte Mensch insoweit einen Antrag
stellt. Der Kläger ist ein behinderter Mensch im vorgenannten Sinne. Der Feststellung
eines GdB bei dem Kläger steht insbesondere nicht die Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB IX
entgegen, wonach Menschen im Sinne des Teils 2 schwerbehindert sind, wenn bei
ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz,
ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne
des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Der Kläger hat
seinen ständigen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX. Zwar verfügt
der Kläger nicht über eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des Aufenthaltsgesetzes. Für
die Annahme eines rechtmäßigen Aufenthaltes gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX ist es jedoch
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nach Auffassung der Kammer ausreichend, wenn die betreffende Person in der
Bundesrepublik geduldet ist, sich bereits seit mindestens drei Jahren in der
Bundesrepublik aufhält und auf absehbare Zeit nicht mit ihrer Abschiebung zu rechnen
ist.
Ob ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX voraussetzt, dass dem
Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, ist in der Rechtsprechung
umstritten. So hat das Sozialgericht Stuttgart die hier von dem Beklagten vertretene
Auffassung bestätigt, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX
bei einem Ausländer nur dann anzunehmen sei, wenn dieser über eine
Aufenthaltserlaubnis verfügt (Urteil vom 20.05.2009, Aktenzeichen S 13 SB 7860/07).
Das Bundessozialgericht hat demgegenüber zu der Rechtslage unter dem bis zum
31.12.2004 geltenden Ausländergesetz die Auffassung vertreten, dass das
Schwerbehindertenrecht behinderte Ausländer auch dann schütze, wenn sie sich nur
geduldet seit Jahren in Deutschland aufhalten, ein Ende dieses Aufenthaltes
unabsehbar ist und die Ausländerbehörde gleichwohl keine Aufenthaltsbefugnis erteilt
(Bundessozialgericht, Urteil vom 01.09.1999, Az.: B 9 SB 1/99 R). Das
Bundessozialgericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass auch ein in
der Bundesrepublik lediglich geduldeter Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt,
wie er in § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch 1. Buch - Allgemeiner Teil (SGB I)
gesetzlich definiert ist, in der Bundesrepublik hat, wenn der Ausländer auf absehbare
Zeit nicht mit seiner Abschiebung zu rechnen braucht. Dir Rechtmäßigkeit des
Aufenthalts nimmt das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung auch dann
an, wenn dem Ausländer keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde, er sich jedoch
jahrelang geduldet in der Bundesrepublik aufgehalten hat, eine Abschiebung nicht
abzusehen ist und bei ihm die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach dem damals geltenden § 30 Abs. 3 Ausländergesetz
vorlägen. Nach dieser Vorschrift konnte einem Ausländer, der unanfechtbar
ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, wenn die
Voraussetzungen des damaligen § 55 Abs. 2 Ausländergesetz für eine Duldung
vorlagen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse
entgegenstünden, die er nicht zu vertreten hatte. Das Bundessozialgericht begründete
seine Auffassung mit dem Gesetzeszweck des seinerzeit geltenden
Schwerbehindertengesetzes, an dessen Stelle nunmehr das SGB IX getreten ist,
körperlich oder geistig behinderte Menschen soweit wie möglich in die Gesellschaft
einzugliedern. Aus dem Kreis der danach Berechtigten dürften - so das
Bundessozialgericht seinerzeit - Ausländer weder generell noch bestimmte Gruppe von
Ausländern für einen unvertretbar langen Zeitraum ausgeschlossen werden. Dieses
widerspräche der Zielvorstellung sozialer Gerechtigkeit als einem leitenden Prinzip aller
staatlichen Maßnahmen. Der dauerhafte Ausschluß auf unabsehbarer Zeit in
Deutschland lebender ausländischer Behinderter von den Vergünstigungen des
Schwerbehindertenrechts wäre vor diesem Hintergrund sachwidrig. In Anlehnung an
diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben die Sozialgerichte auch nach
Ablösung des Ausländergesetzes durch das Aufenthaltsgesetz vom 01.01.2005
überwiegend den Begriff des rechtmäßigen Aufenthaltes in § 2 Abs. 2 SGB IX nicht mit
dem Vorhandensein eines Aufenthaltstitels im Sinne des Aufenthaltsgesetzes
gleichgesetzt, sondern einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 2
Abs. 2 SGB IX bereits dann angenommen, wenn sich der Ausländer geduldet seit
Jahren in Deutschland aufhält, ein Ende des Aufenthaltes unabsehbar ist und die
Ausländerbehörde gleichwohl keinen Aufenthaltstitel erteilt (vgl. Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.06.2009, Az.: L 11 SB 88/09 B PKH;
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Sozialgericht Bremen, Gerichtsbescheid vom 13.08.2009, Az.: S 19 SB 3/09;
Sozialgericht Duisburg, Urteil vom 15.06.2007, Az.: S 30 SB 140/04).
Die Kammer schließt sich dieser auch unter Geltung des Aufenthaltsgesetzes
vorherrschenden Auffassung der Rechtsprechung an. Eine enge Auslegung des § 2
Abs. 2 SGB IX dahingehend, dass ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt bei einem
Ausländer nur dann vorliege, wenn ihm von der zuständigen Ausländerbehörde eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, ist zur Überzeugung der Kammer nicht mit dem
Zweck der Bestimmungen des SGB IX und dem Sozialstaatsprinzip der Artikel 20 Abs.
1, 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz vereinbar. Denn aus diesen folgt das Gebot, körperlich
oder geistig behinderte Menschen soweit wie möglich in die Gesellschaft einzugliedern.
Dieses Gebot gilt bei Ausländern zwar dann nicht, wenn diese sich erst seit kurzem oder
nur für einen vorübergehenden Zeitraum in der Bundesrepublik aufhalten. Denn in
diesem Fall ist mit einer nachhaltigen Teilnahme am Leben in der Gesellschaft in der
Bundesrepublik auch bei Gewährung der Vorteile des Schwerbehindertenrechts nicht
zu rechnen. Soweit sich ein Ausländer jedoch seit geraumer Zeit in der Bundesrepublik
aufhält und eine Beendigung seines Aufenthaltes auch in absehbarer Zeit nicht zu
erwarten ist, sind zur Überzeugung der Kammer keine sachlichen Gründe dafür
ersichtlich, ihn von den Eingliederungsleistungen des SGB IX auszuschließen. Bei der
Frage, ab wann von einem ein Integrationserfordernis auslösenden bisherigen
Aufenthalt ausgegangen werden kann, ist nach Auffassung der Kammer von einem
bisherigen Aufenthalt in der Bundesrepublik von drei Jahren auszugehen. So wird auch
in den insoweit vergleichbaren Normen des § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz
und § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Opferentschädigungsgesetz ab diesem Zeitraum von einem
verstärktem Integrationsbedürfnis des Ausländers ausgegangen. Vorliegend ist der
Kläger bereits im Jahre 1997 in die Bundesrepublik eingereist und lebt demnach bereits
seit mehr als drei Jahren in Deutschland. Auch ist eine Beendigung seines Aufenthaltes
in der Bundesrepublik aus Gründen, die der Kläger nicht zu vertreten hat, auf absehbare
Zeit nicht zu erwarten. Zwar hat der Beklagte in seiner Funktion als Ausländerbehörde
mit Ordnungsverfügung vom 26.10.2009 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Der Kläger hat hiergegen am 20.11.2009 Klage zum
Verwaltungsgericht Köln erhoben. Eine Abschiebung des Klägers ist jedoch gleichwohl
nach Auskunft der Beklagten bis auf weiteres nicht zu erwarten. So ist zur Zeit eine
Duldung für einen Zeitraum von weiteren 6 Monaten ausgesprochen worden. Im übrigen
hat die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2009
darauf hingewiesen, dass nach der gegenwärtigen Erlasslage allein Straftäter in das
Heimatland des Klägers, den Irak, abgeschoben würden. Auf absehbare Zeit sei nicht
mit einer Änderung dieser Erlasslage zu rechnen. Vor diesem Hintergrund ist es zur
Überzeugung der Kammer nicht gerechtfertigt, den Kläger von der Integrationsleistung
nach dem SGB IX auszuschließen. Auf seinen Antrag hatte der Beklagte deshalb
gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX den Grad seiner Behinderung festzustellen.
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Dieser bei dem Kläger bestehende Gesamt-GdB nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist nach
Überzeugung des Gerichts mit 40 zutreffend bewertet. Dies ergibt sich aus dem
Ergebnis der im gerichtlichen Verfahren durchgeführten Beweisaufnahme,
insbesondere aus den Gutachten der Sachverständigen Dr. T. und Dr. K ... Die Kammer
hat keine Bedenken, sich den Ausführungen der Sachverständigen inhaltlich vollständig
anzuschließen und sie zur Grundlage ihrer Beurteilung zu machen. Die Gutachten sind
aufgrund ambulanter Untersuchungen des Klägers und unter Berücksichtigung der in
den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen erstellt worden. Sie sind hinsichtlich
der gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers und deren Bewertung
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im Rahmen des Schwerbehindertenrechts schlüssig, in sich widerspruchsfrei und
überzeugend begründet.
Danach leidet der Kläger zunächst an einer coronaren Herzerkrankung mit Zustand
nach Dreifach-Bypass-Operation mit ausreichend stabilem Postinterventionsergebnis
und an Bluthochdruck. Dieses Leiden ist nach Teil B Nr. 9.1.1 und Nr. 9.3 der Anlage zu
§ 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VMG), welche gemäß § 69
Abs. 1 Satz 5 SGB IX, 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz seit dem 01.01.2009 für
die Ermittlung des Grades der Behinderung gilt, mit einem Einzel-GdB von 30 zu
bewerten. Maßgebend ist hier der Passus "Einschränkung der Herzleistung ...2.
Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, Beschwerden und Auftreten
pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 70 Watt (wenigstens zwei
Minuten); ...20-40". Das Gericht folgt dem Vorschlag des Sachverständigen Dr. K., der
insoweit einen Einzel-GdB von 30 für angemessen hält. Vor dem Hintergrund, dass sich
bei der Untersuchung bei Dr. Kramer keine Hinweise auf eine latente oder manifeste
Herzleistungsminderung oder auf eine progrediente koronare Herzerkrankung ergaben,
ist ein Einzel-GdB von 30 insoweit grosszügig. Auch nach operativen Eingriffen am
Herzen ist der GdB gemäß Nr. 9.1.2 VMG von der bleibenden
Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Ein höherer GdB als 30 für das Funktionssystem
Herz und Kreislauf kommt deshalb jedenfalls nicht in Betracht.
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Desweiteren leidet der Kläger an einem nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus bei
Fettstoffwechselstörung und Adipositas ohne bisherige sekundäre diabetische
Komplikationen. Diese Beeinträchtigung ist mit einem Einzel-GdB von 20 für das
Funktionssystem Stoffwechsel angemessen und ausreichend bewertet. Maßgeblich ist
insoweit der Passus "Zuckerkrankheit ...mit Medikamenten eingestellt, die die
Hypoglykämieneigung erhöhen ...20" unter Nr. 15.1 VMG. Zwar ist der Blutzuckerwert
des Klägers nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. K. bisher nicht
befriedigend eingestellt. Andererseits ist es jedoch bislang nicht zu Hypoglykämien oder
anderen Komplikationen gekommen. Auch ist ein besonderer Einstellungsaufwand des
Klägers zur Zeit nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist es gegenwärtig
angemessen und ausreichend, den Diabetes mellitus des Klägers mit einem Einzel-
GdB von 20 zu bewerten.
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Desweiteren besteht bei dem Kläger eine Blindheit auf dem linken Auge. Diese
Beeinträchtigung ist gemäß Nr. 4.3 VMG mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
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Schließlich leidet der Kläger unter Veränderungen über dem Kniescheibengleitweg
nach effizienter Osteosynthese einer Kniescheibenfraktur in 2004 mit geringen
Funktionseinschränkungen. Maßgeblich ist insoweit der Passus "ausgeprägte
Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalazie patellae Stadium II bis IV) mit
anhaltenden Reizerscheinungen einseitig ...mit Bewegungseinschränkung ...20 bis 40"
unter Nr. 18.14 VMG. In Anbetracht der nur geringen Bewegungseinschränkung des
rechten Kniegelenkes folgt die Kammer dem Vorschlag des orthopädischen
Sachverständigen Dr. T. und hält einen Einzel-GdB von 20 insoweit für angemessen
und ausreichend.
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Ferner leidet der Kläger an einer Facettensymptomatik im lumbosakralen Übergang mit
Schmerzausbreitung vom Lumbagotyp. Betroffen ist insoweit das Funktionssystem
Rumpf und hier konkret die Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen funktionellen
Auswirkungen in Form rezidivierender Wirbelsäulensyndrome, jedoch ohne Instabilität
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und ohne radikuläre Schädigungszeichen. Angemessen und ausreichend ist insoweit
daher gemäß Nr. 18.9 VMG ein Einzel-GdB von 20.
Zuletzt besteht bei dem Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K.
eine wiederkehrende Oberbauchsymptomatik und Gastritis. Nach Nr. 10.2.1 ist diese
Beeinträchtigung des Funktionssystems der Verdauungsorgane mit einem Einzel-GdB
von 10 angemessen bewertet.
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Aus den vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen resultiert zur Überzeugung des
Gerichts kein höherer Gesamt-GdB als 40.
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Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist der Gesamt-GdB nach den Auswirkungen der
Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehungen zueinander festzustellen. Nach Teil A Nr. 3 VMG dürfen hierbei die Einzel-
GdB nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines
Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist vielmehr von der
Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und
dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der
weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20
oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu
werden. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen,
führen in der Regel nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Gesamt-GdB. Auch bei
Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 20 bedingen, ist dies vielfach nicht der Fall.
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Bei dem Kläger steht im Vordergrund die Erkrankung des Funktionssystems Herz und
Kreislauf mit einem Einzel-GdB von 30. Dieser Einzel-GdB von 30 wird durch die
weiteren Beeinträchtigungen der Funktionssysteme Stoffwechsel (Diabetes mellitus),
Augen, untere Gliedmaßen (rechtes Knie) und Rumpf (Lendenwirbelsäule) mit Einzel-
GdB von jeweils 20 auf insgesamt 40 erhöht. Das Gericht folgt dem Sachverständigen
Dr. K. in der Einschätzung, dass nach dem Gesamtbild der bei dem Kläger bestehenden
Erkrankungen ein höherer Gesamt-GdB nicht gerechtfertigt ist. Das Gericht
berücksichtigt im Rahmen der Gesamtbetrachtung insoweit, dass der Einzel-GdB von 30
für das Funktionssystem Herz und Kreislauf nach den vorstehenden Ausführungen
großzügig bemessen ist. Desweiteren berücksichtigt das Gericht den Umstand, dass
sich sowohl die Erkrankung der Lendenwirbelsäule als auch diejenige des rechten
Knies in erster Linie auf die Fortbewegungsfähigkeit des Klägers auswirken und
insoweit einen abgrenzbaren Lebensbereich des Klägers betreffen. Maßgebend für die
Bildung des Gesamt-GdB sind nach Teil A Nr. 3 a VMG die Auswirkungen der einzelnen
Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer
wechselseitigen Beziehungen zueinander. Erforderlich ist somit eine
Gesamtbetrachtung, aus welcher sich ergibt, in welchem Umfang der Betroffene durch
seine Erkrankungen in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Eine Vorgehensweise, wonach jeder 20er-Wert, der nicht nur so gerade erreicht ist, sich
auf den Gesamt-GdB erhöhend auswirkt, ist mit diesen normativen Vorgaben nicht
vereinbar. Unter Berücksichtigung der Gesamtbeeinträchtigung des Klägers muss es
deshalb vorliegend bei einem Gesamt-GdB von 40 bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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