Urteil des SozG Köln vom 27.01.2010

SozG Köln (kläger, ablauf der frist, befristung, gerichtlicher vergleich, ausstellung, antrag, gültigkeit, ausweis, dauer, behinderung)

Sozialgericht Köln, S 21 SB 35/09
Datum:
27.01.2010
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 21 SB 35/09
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ohne
Befristung.
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Dem Kläger war von der Beklagten mit Bescheid vom 12.12.2007 ein GdB von 60 und
das Merkzeichen G zuerkannt worden. Auf seine Klage gegen diesen Bescheid (S 21
SB 18/08 SG Köln) mit dem Begehren der Feststellung eines GdB von 100 war zur
Beendigung des Rechtsstreits zwischen ihm und der Beklagten am 15.10.2008
folgender gerichtlicher Vergleich geschlossen worden:
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1. Die beklagte Gebietskörperschaft verpflichtet sich, unter Aufhebung der im
vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide ab dem 25.6.2007 den Gesamt-GdB
von 80 festzustellen. 2. Im Hinblick auf die Regelung zu 1) erklärt der Kläger das
vorliegende Verfahren für erledigt. 3. Die Beklagte übernimmt ½ der erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers.
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Dem Angebot der Beklagten auf Feststellung eines GdB von 80 hatte die gutachterliche
Stellungnahme der Ärztin Dr. vom 27.9.2008 zugrunde gelegen, wonach bei dem Kläger
ein Gesamt-GdB von 80 und das Merkzeichen G zu vertreten war und eine
Nachuntersuchung für 9/2010 vorgeschlagen worden ist.
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Mit Bescheid vom 29.10.2008 stellte die Beklagte in Ausführung des Vergleiches fest,
dass der GdB des Klägers ab dem 24.5.2007 -80- beträgt und der Ausweis den
festgestellten GdB von 80 und das Merkzeichen G sowie den Gültigkeitsbeginn
24.5.2007 enthält. Im weiteren wurde zum Gültigkeitszeitraum festgestellt, dass die
Gültigkeit des Ausweises vom Monat der Ausstellung an bis zum 31.3.2011 befristet ist
und kurz vor Ablauf dieser Frist von Amts wegen geprüft wird, ob sich die maßgebenden
Voraussetzungen geändert haben.
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Der Kläger erhob Widerspruch und rügte die Befristung des
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Schwerbehindertenausweises. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom
2.3.2009 den Widerspruch als unzulässig zurück. Soweit in dem Bescheid etwas
geregelt sei, was in einem sozialgerichtlichen Verfahren zuvor festgelegt worden sei,
könne dies nicht noch einmal mit einem Widerspruch angefochten werden. Sie habe mit
dem angefochtenen Bescheid das Ergebnis des sozialgerichtlichen Verfahrens
zutreffend ausgeführt.
Der Kläger hat am 5.3.2009 Klage erhoben. Er macht geltend, der Ausweis sei
unbefristet zu erteilen, dies sei die Vereinbarung zwischen den Parteien. Sollte eine
solche Vereinbarung nicht getroffen worden sein, sei eine Befristung nicht sachgerecht,
denn er sei Frührentner, seine Erwerbsunfähigkeit auf Dauer behördlich festgestellt und
das Krankheitsbild lasse keine Besserung erwarten. Auch sei es ihm im Zeitpunkt einer
Überprüfung als fast 60 Jähriger nicht mehr zuzumuten, sich noch mit der Beklagten
über die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises auseinandersetzen zu müssen.
Die Frage der Befristung des Schwerbehindertenausweises beinhalte eine
Ermessensentscheidung. Eine solche habe die Beklagte nicht vorgenommen bzw. das
Ermessen falsch ausgeübt, weil eine wesentliche Änderung in seinen gesundheitlichen
Verhältnissen nicht zu erwarten sei.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 29.10.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 2.3.2009 neu zu bescheiden und die Befristung bis zum
31.3.2011 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zu ihrem Regelungsvorschlag vom 7.10.2008 im Verfahren S 21 SB 18/08 sei dem
Kläger die gutachterliche Stellungnahme vom 27.9.2008 vorgelegt worden, hieraus
ergebe sich die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung. Die festgestellte dauerhafte
Erwerbsunfähigkeit sei unerheblich.
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Wegen weitergehender Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Gz. S 0100656) und der Gerichtsakten
S 21 SB 18/08 SG Köln verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die
Beteiligten sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
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Die Klage ist zulässig (1), aber unbegründet (2).
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(1) Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger mit seiner Klage die
teilweise Abänderung des Feststellungsbescheides vom 29.10.2008 in Bezug auf die
dort geregelte Gültigkeit des auszustellenden Schwerbehindertenausweises (bis zum
31.3.2011) und die Verpflichtung der Beklagten, den Ausweis ohne Befristung zu
erteilen, begehrt. Der so verstandene Klageantrag ist zulässig, es handelt sich um eine
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zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Dem steht nicht entgegen, dass es
sich bei dem Feststellungsbescheid vom 29.10.2008 um einen Ausführungsbescheid
handelt, mit dem die Beklagte die vergleichsweise eingegangene Verpflichtung vom
15.10.2008, bei dem Kläger einen GdB von 80 festzustellen, ausgeführt hat.
Grundsätzlich enthält ein Ausführungsbescheid, der nur der im gerichtlichen Vergleich
eingegangenen Verpflichtung entspricht, keine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz-
(SGB X) (vgl. BSG 9. Senat Beschluss vom 18.9.2003 -B 9 V 82/02 B-) und kann daher
nicht erneut mit Widerspruch bzw. Klage angefochten werden. Vorliegend hat der Kläger
aber mit seinem Widerspruch und nachfolgender Klage nicht dem im
Ausführungsbescheid festgestellten GdB widersprochen, sondern der dortigen
Feststellung zur befristeten Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises. Dies ist
zulässig. Denn zur Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises haben die
Beteiligten ausweislich des Vergleichs vom 15.10.2008 keine Einigung getroffen. Die
Bestimmung im Ausführungsbescheid, dass die Gültigkeit des
Schwerbehindertenausweises bis zum 31.3.2011 befristet ist, stellt daher eine
weitergehende verbindliche Regelung der Beklagten gegenüber dem Kläger dar,
insoweit hat der Ausführungsbescheid eine Regelungsfunktion, die ihm die Eigenschaft
eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 31 SGB X verleiht. Dieser Verwaltungsakt in
Bezug auf die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises kann zur
Überprüfung und Abänderung durch das Gericht gestellt werden.
(2) In der Sache bleibt die Klage erfolglos.
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Der Kläger wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht im Sinne des § 54 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn die von der Beklagten bestimmte
Ausstellung des Schwerbehindertenausweises unter Befristung bis zum 31.3.2011 ist
nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf
Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises, denn die
Voraussetzungen hierfür liegen in seinem Fall nicht vor.
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Nach § 69 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch -Rehabilitation und Teilhaber
behinderter Menschen- (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des
behinderten Menschen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis
über die Eigenschaft als behinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie ggf.
über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll
befristet werden (Satz 3). Diese Soll-Vorschrift gebietet es, dass die Behörde in der
Regel den Schwerbehindertenausweis mit befristeter Gültigkeit zu erteilen hat, wobei §
6 Abs. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwBAwV) konkretisiert, dass
die Gültigkeit des Ausweises für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der
Ausstellung an zu befristen ist. Von der Soll-Vorschrift des § 69 Abs. 5 Satz 3 SGB IX
kann nur in Ausnahmefällen (sog. Atypik) abgesehen werden. Insoweit gibt § 6 Abs.2
SchwbAwV vor, dass in den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer
wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung
maßgebend sind, nicht zu erwarten ist, der Ausweis unbefristet ausgestellt werden kann.
Im Fall des Klägers sind keine Anhaltspunkte für eine atypische Situation ersichtlich,
weder kann eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse
ausgeschlossen werden noch rechtfertigen das Alter des Klägers oder die bei ihm
festgestellte dauernde Erwerbsunfähigkeit von der gesetzlich angeordneten Regel der
Befristung des Schwerbehindertenausweises Abstand zu nehmen. Nach der
gutachterlichen Stellungnahme von Dr. erfordert die bei dem Kläger vorliegende
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Gesundheitsstörung cerebrale Anfallbereitschaft (Einzel-GdB von 40) eine Überprüfung
im Rahmen einer Nachuntersuchung im September 2010- ausgehend von dem letzten
Grand-Mal-Anfall im Jahr 2007. Der im Verfahren S 21 SB 18/08 SG Köln gehörte
Sachverständige Dr. Allgemeinmediziner hat in seinem Gutachten vom 5.7.2008 in
Bezug auf das Anfallsleiden festgestellt, dass dieses mit einem Einzel-GdB von 40 zu
bewerten ist und sich zukünftige Bewertungen nach weiterer Symptomatologie und
Behandlungsnotwendigkeit zu richten haben. Der Sachverständige hat damit deutlich
gemacht, dass der festgestellte Einzel-GdB von 40 für das Anfallsleiden nicht als
unveränderliche, dauerhafte Bewertung anzusehen ist. Angesichts der Ausführungen
von Dres. und kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine wesentliche
Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die zu einer Änderung
der Höhe des GdB führen kann, in Zukunft ausgeschlossen ist. Eine andere Beurteilung
ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die beim Kläger festgestellte Erwerbsfähigkeit auf
Dauer. Die Anerkennung von verminderter Erwerbsfähigkeit durch den
Rentenversicherungsträger erlaubt keine Rückschlüsse auf das Ausmaß der nach dem
Schwerbehindertenrecht anzuerkennende Behinderung bzw. den GdB, wie umgekehrt
aus dem GdB nicht auf die Leistungsvoraussetzungen anderer Rechtsgebiete
geschlossen werden kann. Während die Frage nach der Erwerbsminderung im
Rentenversicherungsrecht dadurch bestimmt ist, inwieweit das bei dem Betroffenen
vorhandene körperliche, geistige und seelische Restleistungsvermögen noch eine
Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (bzw. in seinem Beruf) zulässt, stellt
das Schwerbehindertenrecht darauf ab, inwieweit aufgrund der gesundheitlichen
Funktionsstörungen der Betroffene in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Der Begriff des GdB hat die Auswirkungen von
Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die
Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. Aus der Feststellung der
dauernden Erwerbsfähigkeit kann daher weder auf einen GdB in bestimmter Höhe noch
auf die Dauer einer nach dem Schwerbehindertenrecht anzuerkennenden Behinderung
geschlossen werden. Schließlich erfordert auch das Alter des Klägers kein Abweichen
von der gesetzlich angeordneten Regel der befristeten Ausstellung des
Schwerbehindertenausweises. Das Gericht kann keinen sachlichen Grund erkennen,
weshalb es dem im Zeitpunkt der vorgesehenen Nachprüfung 57jährigen Kläger nicht
zumutbar sein sollte, sich ggf. einer Untersuchung zur Verfügung zu stellen bzw. im
Falle einer Neufeststellung des GdB sich hierüber mit der Beklagten im Rechtsweg
auseinander zusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,183 SGG.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
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Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
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Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,
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schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
einzulegen.
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Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
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Sozialgericht Köln, An den Dominikanern 2, 50668 Köln,
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schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
eingelegt wird.
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Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte
eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten
Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel
angeben.
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Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter
Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn
sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf
Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem
Sozialgericht Köln schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag
beizufügen.
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Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so
beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem,
sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt
und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
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Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf
die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
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Horstmann Richterin am Sozialgericht
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