Urteil des SozG Köln vom 22.03.2002
SozG Köln: treu und glauben, versorgung, medizinische rehabilitation, verordnung, integration, körperliche behinderung, eltern, krankenversicherung, kreis, rollstuhl
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Köln, S 5 KR 21/01
22.03.2002
Sozialgericht Köln
5. Kammer
Urteil
S 5 KR 21/01
Krankenversicherung
rechtskräftig
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 12.09.2000 und
11.10.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2001
verurteilt, an die Klägerin 1.297,20 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Kostenerstattung für eine Transportbefestigung und eine
Auffahrrampe.
Die 1988 geborene Klägerin leidet unter einer Muskeldystrophie.
Sie ist mit einem Aktivrollstuhl und einem Elektrorollstuhl versorgt. Die Klägerin wohnt in T
und besucht eine integrierte Gesamtschule in C. Ihr Freundeskreis befindet sich
hauptsächlich in C. Aus der Grundschulzeit hat sie noch zwei Freundinnen in T. Die Schule
kann sie, von Stundenplanänderungen abgesehen, mit einem Behindertentransport
erreichen. Zu ihren Freund(inn)en wird sie von den Eltern mit deren Renault Espace
gebracht.
Am 13.01.2000 reichte die Klägerin einen Kostenvoranschlag der S Orthopädie- und
Rehatechnik GmbH (S GmbH) über einen vertragsärztlich verordneten Elektrorollstuhl ein.
Dieser Kostenvoranschlag umfasste auch eine als "Taxibefestigung" bezeichnete
Transportbefestigung zum Preis von 333,00 DM zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer. Hierbei
handelt es sich um zwei Ösen, die vorne und hinten an dem 125 kg schweren Rollstuhl
angebracht sind und mit deren Hilfe dieser während des Transports in einem Kraftfahrzeug
befestigt werden kann. Mit Bescheid vom 12.09.2000 lehnte die Beklagte die
Kostenübernahme für die Transportbefestigung ab. Hiergegen erhob die Klägerin am
26.09.2000 Widerspruch, mit dem sie ergänzend die Kostenübernahme für eine
Transportrampe beantragte. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.10.2000
ebenfalls ab und bekräftigte zugleich ihre ablehnende Haltung gegenüber der
Transportbefestigung. Am 17.11.2000 wurde der Rollstuhl ausgeliefert. Am 20.11.2000
stellte die S GmbH der Klägerin hierfür 356,31 DM in Rechnung. Mit Widerspruchsbescheid
vom 12.01.2001 wies sie die gegen die Bescheide vom 26.09.2000 und 11.10.2000
gerichteten Widersprüche zurück.
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Am 13.02.2001 hat die Klägerin Klage erhoben. Nach Klageerhebung hat ihr die F GbR für
die Auffahrrampe 2.180,80 DM in Rechnung gestellt (Bl. 11 der Gerichtsakten (GA). Bei der
Auffahrrampe handelt es sich ausweislich der Rechnung um eine Rampe aus Aluminium-
Riffelblech, die in den Renault Espace eingebaut ist. Sie wird bei Bedarf ausgefahren.
Wegen der Einzelheiten ihrer Anbringung und Benutzung wird auf die von der Klägerin
überreichten Fotografien Bezug genommen (Hülle Bl. 39 GA).
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor: Sowohl beim Schulbesuch als auch
beim Besuch ihrer Freundinnen und Freunde sei sie auf die Benutzung des
Elektrorollstuhls angewiesen. Dieser wiederum müsse während des Transports befestigt
werden und könne im Hinblick auf sein Gewicht in den Renault Espace nur über die
Auffahrrampe verbracht werden. Damit dienten beide Hilfsmittel dazu, die Folgen der
Behinderung zu erleichtern und ihr ein eigenständiges, möglichst unabhängiges Leben zu
gewährleisten.
Die Klägerin, die die Rechnungen der S GmbH und der F GbR beglichen hat, beantragt
schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12.09.2000 und 11.10.2000 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2001 zu verurteilen, an sie 1.297,20 EUR zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Weder die Transportbefestigung noch die Auffahrrampe seien Hilfsmittel im
Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn sie dienten dazu, der Klägerin das
Autofahren zu ermöglichen. Dabei handele es sich aber nicht um ein Grundbedürfnis des
täglichen Lebens. Darüber hinaus scheiterte der Anspruch in formaler Hinsicht daran, dass
die Gegenstände vor dem Widerspruchsbescheid beschafft und nicht eigens
vertragsärztlich verordnet worden seien.
Das Gericht hat einen Befundbericht des Kinderarztes Q eingeholt (Bl. 41 f. GA). Wegen
weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift des
Erörterungstermins vom 05.10.2001 Bezug genommen, in dem die Beteiligten ihr
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt haben.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§
124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Die
Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenerstattung für die Beschaffung der
Transportbefestigung und der Auffahrrampe aus § 13 Abs. 3 2 Alt. Des Fünften Buchs
Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes.
1. Die Beklagte hat sich zu Unrecht geweigert, der Klägerin die genannten Gegenstände im
Wege der Sachleistung zur Verfügung zu stellen, obwohl die Klägerin hierauf aus § 33 Abs.
1 SGB V einen Anspruch hatte.
a) Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die bei der Benutzung eines
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Kraftfahrzeugs eingesetzt werden, wird im Verhältnis zu den Trägern der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass diese in § 1 der
Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) nicht als mögliche Leistungsträger genannt sind.
Denn durch diese Regelung soll lediglich klargestellt werden, dass sich die KfzHV nur auf
die berufliche Rehabilitation bezieht, für die die gesetzliche Krankenversicherung nicht
aufzukommen hat. Geht dem gegenüber, wie im vorliegenden Fall, um medizinische
Rehabilitation, so ist die KfzHV nicht einschlägig und der Leistungsanspruch der gesetzlich
Krankenversicherten demgemäss durch sie auch nicht eingeschränkt (vgl. Niesel in
KassKomm Anh 1 § 16 SGB IV Rdnr. 4).
b) Bei der Klägerin besteht eine körperliche Behinderung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1
SGB V. Sie ist aufgrund der Muskeldystrophie in ihrer Fortbewegungsfreiheit stark
eingeschränkt. Schon anlässlich der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Pflegekasse 1995 war sie, wie sich aus der
Verwaltungsakte der Beklagten ergibt, nur zu wenigen freien Schritten in der Lage. Darüber
hinaus bestand ständige Sturgefahr. Dieser Zustand hat sich, zumal die Muskeldystrophie
eine fortschreitende Erkrankung ist, seither nicht gebessert. So hat der Kinderarzt Q in
seinem Befundbericht ausgeführt, dass selbst mit einem leichten Rollstuhl nur ca. 300 bis
400 m allein zurückgelegt werden können. Weitere Strecken kann die Klägerin allein nur
mit dem Elektrorollstuhl bewältigen, mit dem Aktivrollstuhl nur dann, wenn sie geschoben
wird.
c) Sowohl bei der Transportbefestigung als auch bei der Auffahrrampe handelt es sich um
Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V und nicht um Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens. Diese Unterscheidung ist nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG), der sich die Kammer anschließt, anhand ihrer
Zweckbestimmung und ihrer Verwendung durch die Verbraucher. Dabei wird ein
Gegenstand, der in erster Linie für den Gebrauch durch Kranke oder Behinderte konzipiert
ist, erst dann zum Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, wenn er auch von
Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt wird (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33Nr. 27
m.w.N.).
Hinsichtlich der Transportbefestigung ist offensichtlich, dass sie nur zum Gebrauch durch
Behinderte bestimmt ist und auch nur von diesen benutzt wird. Denn es handelt sich dabei
um unmittelbar an einem Rollstuhl angebrachtes Zubehör im Sinne von § 97 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), das im Sinne dieser Vorschrift "dem Zwecke der
Hauptsache zu dienen bestimmt ist". Ebenso wie ein Elektrorollstuhl dem Ausgleich von
Behinderung dient, gilt dies mithin auch für die Transportbefestigung.
Im Ergebnis nicht anders verhält es sich bei der Auffahrrampe. Diese ist allerdings von der
S GmbH als Einzelstück im Auftrag der Klägerin hergestellt worden, so dass sich die
Zweckbestimmung nicht wie bei vertretbaren Sachen im Sinne von § 91 BGB, zu denen
Hilfsmittel regelmäßig zählen, bestimmen lässt. Insofern ist schon aus der
Herstellungsgeschichte klar, dass die Rampe allein für die Klägerin und im Hinblick auf
ihre Behinderung hergestellt worden ist und dementsprechend auch von ihr genutzt wird.
Die Hilfsmitteleigenschaft ließe sich vor diesem Hintergrund allenfalls dann noch
verneinen, wenn die Rampe von ihrer Bauart her anderen Gebrauchsgegenständen des
täglichen Lebens vergleichbar wäre. Dafür ist aber nichts ersichtlich. Auch bei Vans, zu
denen der von den Eltern der Klägerin gefahrene Renault Espace gehört, werden
entsprechende Auffahrvorrichtungen regelmäßig nicht als Zubehör angeboten. Nicht zuletzt
hieraus erklärt sich ja auch der im vorliegenden Fall nicht unerhebliche Herstellungspreis.
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Ohne Einfluss ist es schließlich, dass die Auffahrrampe am Pkw der Eltern der Klägerin
angebracht ist. Denn dies nimmt ihr nicht die allein auf den Ausgleich der bei der Klägerin
bestehenden Behinderung gerichtete Funktion.
d) Sowohl die Transportbefestigung als auch die Auffahrrampe sind erforderlich zum
Ausgleich der bei der Klägerin bestehenden Behinderungen.
aa)Wirkt ein Hilfsmittel, wie im vorliegenden Fall, nicht unmittelbar am Körper, sondern
dient es nur mittelbar dem Ausgleich einer Behinderung, so ist es hierzu nur dann
"erforderlich" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn es zur Befriedigung eines
Grundbedürfnisses des täglichen Lebens dient. Was zu diesen Grundbedürfnissen zählt, ist
auch altersabhängig. Bei Kindern hat die Rechtsprechung, anders als bei Erwachsenen,
den Schulbesuch (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 73; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 22) und die
Integration in den Kreis Gleichaltriger (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 27) als
Grundbedürfnisse des täglichen Lebens anerkannt. Dem schließt die Kammer sich an. Sie
fühlt sich in dieser Auffassung nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber seit
dem 01.07.2001 im Rahmen der Rehabilitation den Bedürfnissen behinderter Kinder
besonderes Gewicht eingeräumt hat (§ 9 Abs. 1 Satz 2 des Neunten Buchs
Sozialgesetzbuch SGB IX). Dass Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs
mit nichtbehinderten Menschen seit dem 01.07.2001 nach §§ 58 Nr. 1, 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB
IX zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zählen, für die die
Krankenkassen nicht aufkommen müssen, rechtfertigt demgegenüber keine andere
Beurteilung. Denn diese Vorschrift betrifft maßgeblich die Integration erwachsener
Behinderter. Dagegen ist die Integration bei behinderten Kindern bereits den
Grundbedürfnissen zuzuordnen, die auch im Wege der medizinischen Rehabilitation zu
befriedigen sind.
bb)Die Versorgung der Klägerin mit einer Transportbefestigung und einer Auffahrrampe ist
jedenfalls zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Integration in den Kreis
gleichaltriger Kinder geeignet, erforderlich und im Hinblick auf die Anschaffungskosten
auch angemessen.
(1)Ohne Erfolg hält die Beklagte dem bereits im Ansatz unter Hinweis auf Entscheidungen
des BSG (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29) entgegen, dass das Grundbedürfnis der Mobilität
nicht auch die Fortbewegung in einem Kfz erfasse. Grundsätzlich ist dies zwar richtig.
Gerade im Bereich der Mobilität hat das BSG aber immer wieder darauf abgestellt, dass
diese im Allgemeinen kein Selbstzweck sei, sondern der Verwirklichung anderer
Bedürfnisse diene. Dementsprechend hat das BSG in der Entscheidung SozR 3-2500 § 33
Nr. 29 den Anspruch des Versicherten auf behindertengerechte Ausstattung des Kfz mit der
Begründung abgelehnt, es gebe kein Grundbedürfnis auf eigenständige Führung eines Kfz.
Gleichzeitig hat es aber unter Bezugnahme auf die bereits zitierte Rechtsprechung
ausgeführt, dass anders zu entscheiden sei, wenn eines der anerkannten Bedürfnisse "der
maßgebliche Gesichtspunkt" für die Versorgung sei. Ist dies der Fall, spielt der Umstand,
dass die Versorgung im Bereich der Mobilität einen über die Grundbedürfnisse hinaus
gehenden Bedarf deckt, wie das BSG in der Entscheidung SozR 3-2500 § 33 Nr. 27
wörtlich formuliert hat, "nur eine untergeordnete Rolle".
(2)Die Klägerin benötigt sowohl Transportbefestigung und Auffahrrampe zumindest zur
Integration in den Kreis Gleichaltriger. Hierzu reicht es zunächst nicht aus, dass sie den
Aktivrollstuhl mitführt, der auch ohne Zuhilfenahme der genannten Hilfsmittel im elterlichen
Fahrzeug verstaut werden könnte. Der Kinderarzt Q hat in seinem Befundbericht
ausgeführt, die Klägerin sei zwar in der Lage, mit dem Aktivrollstuhl eine Strecke von 300
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bis 400 m zurückzulegen. Eine Dauerbelastung sei aber nicht möglich. Ergänzend hat die
Klägerin hierzu glaubhaft vorgetragen, der Aktivrollstuhl sei nur dann geeignet, wenn sie
sich auf absolut ebenen Flächen, d.h. insbesondere in behindertengerechten Einrichtungen
bewege. Schon sobald geringe Steigungen oder Bordsteine zu überwinden seien, müsse
sie den Elektrorollstuhl benutzen. Die möglichst vollständige Integration in den Kreis
gleichaltriger Kinder setzt aber jedenfalls bei 12- bis 13jährigen voraus, dass auch längere
Strecken unter Einschluss von Steigungen und vergleichbaren Hindernissen bewältigt
werden können.
Die Klägerin kann zur Bewältigung dieser Strecken und Hindernissen nicht auf die Hilfe der
gleichaltrigen Freundinnen und Freunde verwiesen werden. Eine möglichst vollständige
Integration behinderter Kinder in den Kreis gleichaltriger Nichtbehinderter setzt nämlich
gerade voraus, dass das behinderte Kind in weitest gehendem Umfang seine
Eigenständigkeit wahrt und weder sich selbst ständig als hilfebedürftig erlebt noch von den
anderen (gesunden) Kindern so wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang haben
die Eltern der Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass Kinder dieser Altersgruppe
überfordert sind, wenn ihnen auch in der Freizeit ständig gesteigerte Rücksichtnahme und
Hilfeleistung abverlangt werden.
Ist demnach die Benutzung des Elektrorollstuhl in der Begegnung mit gleichaltrigen
Kindern zumindest außerhalb der Schule erforderlich, so ist die Klägerin darauf
angewiesen, dass dieser Elektrorollstuhl im elterlichen Pkw transportiert wird. Die
Benutzung des Behindertentransports ist, wie die Eltern der Klägerin im Erörterungstermin
ausgeführt haben, schon beim Schulbesuch nicht gewährleistet, wenn es zu kurzfristigen
Stundenplanänderungen kommt. Erst recht steht er nicht für nachmittägliche Privatfahrten
zur Verfügung. Die Klägerin ist darauf angewiesen, den Pkw ihrer Eltern zu benutzen, weil
ihr Hauptfreundeskreis in C wohnt. Das rührt daher, dass die in T wohnende Klägerin in C
eine integrierte Gesamtschule besucht und die Mehrzahl ihrer Freundinnen und Freunde
daher in C wohnen. Anders als mit dem Pkw ist die Strecke von T nach C für die Klägerin
nicht zu bewältigen. Öffentliche Verkehrsmittel kann sie nicht benutzen. Auf ihren
(eingeschränkten) Freundeskreis in T braucht die Klägerin sich nicht verweisen zu lassen.
Zur Integration in den Kreis Gleichaltriger gehört auch die Fortsetzung von in der Schule
begründeten Freundschaften am Nachmittag.
Für den Transport im Pkw sind sowohl die Transportbefestigung als auch die Auffahrrampe
zwingend erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, wie der 125 kg schwere Elektrorollstuhl
anderweitig in den Renault Espace verbracht werden könnte. In diesem Fahrzeug kann er
auch nicht ohne Befestigung transportiert werden. Das gilt erst recht für den
Behindertentransporter, in dem die Klägerin nach den vorgelegten Fotografien sitzend in
ihrem Rollstuhl transportiert wird. Dabei genügt der Betreiber seinen Verkehrssicherungs-
und Bereitstellungspflichten, wenn er seinerseits eine Vorrichtung anbringt, mit der die
Transportbefestigung verbunden werden kann. Die Transportbefestigung selbst, die
Zubehör des Rollstuhls ist, braucht er dagegen nicht zur Verfügung zu stellen.
(3)Preisgünstigere und gleich sichere Möglichkeiten, mit denen die beschriebenen Zwecke
erfüllt werden können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte auf
ausdrückliches Befragen im Erörterungstermin und danach keine wirtschaftlicheren
Versorgungswege aufgezeigt.
(4)Schließlich ist die Versorgung mit beiden Hilfsmitteln auch angemessen. Die
Transportbefestigung wird ohnehin werktags zweimal benutzt, nämlich auf der Fahrt von
und zu der Schule. Im Übrigen reicht es nach der Rechtsprechung des BSG, der die
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Kammer folgt, bei Hilfsmitteln, mit denen auch Mobilitätshindernisse überwunden werden
können, aus, dass sie regelmäßig benutzt werden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 28).
Hiervon ist auch bei der Auffahrrampe auszugehen.
e) Transportbefestigung und Auffahrrampe sind nicht in der aufgrund von § 34 Abs. 4 SGB
V ergangenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder
geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt und damit auch
nicht durch diese Verordnung von der Versorgung ausgeschlossen.
f) Dem Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der Transportbefestigung und der
Auffahrrampe steht nicht entgegen, dass diese Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nicht
ausdrücklich aufgeführt sind. Zwar enthält das Hilfsmittelverzeichnis in Produktgruppe
18.99.08 eine Reihe von Sonderausstattungsmerkmalen, zu denen insbesondere die
Transportbefestigung nicht gehört. Das schließt den Versorgungsanspruch jedoch nicht
aus. Denn zum einen wird in Produktgruppe 18.99.09 Zubehör pauschal erwähnt. Zum
anderen ist das von den Spitzenverbänden der Krankenkassen nach § 128 SGB V erstellte
Hilfsmittelverzeichnis keine Richtlinie im Sinne von § 92 SGB V und hat daher nur
Empfehlungscharakter (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 27 und 28 m.w.N.). Dass nach Ziffer 8
der auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V erlassenen Heil und
Hilfsmittelrichtlinien (Heil- und HilfsmittelRL) ein Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkasse nur
verordnet werden darf, wenn es im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, rechtfertigt keine
andere Beurteilung. Würde man diese Vorschrift nämlich dahingehend verstehen, dass sie
auch den Leistungsanspruch des Versicherten unmittelbar beeinflusst, wäre sie nichtig.
Denn erstens würde es sich in diesem Fall um eine unzulässige dynamische
Blankettverweisung handeln. Zweitens hätte der Richtliniengeber damit seine Befugnisse
überschritten, weil in den Richtlinien nach § 92 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V nur der Katalog
der verordnungsfähigen Heilmittel und damit nicht auch der Hilfsmittel festgelegt werden
dar. Ziff. 8 Heil- und HilfsmittelRL ist daher ebenfalls im Sinne einer Empfehlungsvorschrift
zu verstehen, die im Verhältnis zum Versicherten keine Bindungswirkung hat.
g) Ohne Erfolg hält die Beklagte der Klägerin schließlich entgegen, der
Versorgungsanspruch sei ausgeschlossen, weil es an einer vertragsärztlichen Verordnung
fehle. Folgt man der Rechtsprechung des BSG, so bedarf es bei der Versorgung mit
Hilfsmitteln ohnehin keiner vertragsärztlichen Verordnung, weil der Verordnungsvorbehalt
des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V sich nur auf Hilfeleistungen anderer Personen, nicht aber auf
andere Leistungen erstreckt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 28 und 33; a.A. ohne Begründung
geschweige denn Auseinandersetzung mit den genannten Entscheidungen das von der
Beklagten überreichte Urteil des LSG Niedersachsen v. 16.05.2001 - L 4 KR 215/00 - Bl. 13
ff. GA). Aber auch wenn man mit der Beklagten an der Richtigkeit der Entscheidungen des
BSG insoweit zweifelt (z.B. weil auch die Anpassung eines Hilfsmittels oder dessen
erstmalige Erstellung als Hilfeleistung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V anzusehen
sind), kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall nicht auf das Fehlen einer Verordnung
berufen. Denn es würde jedenfalls gegen Treu und Glauben verstoßen, einerseits dem
Vertragsarzt in Ziff. 8 der Heil- und HilfsmittelRL die Verordnung von nicht im
Hilfsmittelverzeichnis aufgeführten Hilfsmitteln zu untersagen, andererseits aber dem
Anspruch auf Versorgung mit einem solchen Hilfsmittel das Fehlen einer vertragsärztlichen
Verordnung entgegenhalten. Es kann sicherlich von keinem Vertragsarzt verlangt werden,
dass er die hier unter f) dargestellte Reduktion dieser Vorschrift auf eine Empfehlung im
Einzelnen nachvoll zieht und sich damit über den Wortlaut hinwegsetzt.
2. Die Klägerin hat sich die Leistungen der S GmbH, eines zugelassenen
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Hilfsmittelerbringers (§ 126 Abs. 1 SGB V), aufgrund der Weigerung der Beklagten selbst
beschafft. Dass es sich bei der F GbR, die die Rampe erstellt hat, vermutlich nicht um einen
zugelassenen Hilfsmittelerbringer handelt, ist unschädlich. Denn die Beklagte hat der
Klägerin keinen Weg aufgezeigt, auf welchem Weg sie die Rampe über einen
zugelassenen Hilfsmittelerbringer, insbesondere einen Vertragspartner der Beklagten,
beschaffen kann. Daher hat die Beklagte für die durch die Leistungen der F GbR
entstandenen Kosten unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens aufzukommen. Beide
Hilfsmittel sind schließlich erst angeschafft worden, nachdem zuvor eine ablehnende
Verwaltungsentscheidung der Beklagten ergangen war. Der Auffassung der Beklagten, die
Versicherten müssten nach der Erstentscheidung auch noch den Widerspruchsbescheid
abwarten, ist demgegenüber von § 13 Abs. 3 SGB V nicht gedeckt.
3. Durch die eigenverantwortliche Beschaffung der Hilfsmittel sind der Klägerin die im
Tenor bezeichneten Kosten entstanden. Dass diese notwendig waren, ist bereits
dargestellt und in der Höhe von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.