Urteil des SozG Köln vom 15.10.2009

SozG Köln (antragsteller, höhe, einkommen, anrechenbares einkommen, darlehen, antrag, bezug, anlage, selbständigkeit, form)

Sozialgericht Köln, S 13 AS 162/09 ER
Datum:
15.10.2009
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 13 AS 162/09 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2.Die Antragsgegnerin trägt 1/2 der außergerichtlichen
erstattungsfähigen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit den Antragstellern einstweilig
Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Sozialgesetzbuch Zweites
Buch (SGBII) auszuzahlen sind.
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Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verheiratet und Eltern des am 12.11.2006 geborenen
Antragstellers zu 3). Die Antragstellerin zu 2) ist schwanger; errechneter
Entbindungstermin ist der 31.1.2010. Der Antragsteller zu 1) ist litauischer
Staatsangehöriger und Inhaber einer unbefristeten Freizügigkeitsbescheinigung nach §
Freizügigkeitsgesetz/EU.
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Der Antragsteller zu 1) betreibt als Selbständiger seit Mai 2005 ein Gewerbe zur
Vermittlung von gebrauchten PKW. Er ist privat krankenversichert und zahlt für die
Kranken- und Pflegeversicherung monatlich einen Beitrag in Höhe von 183,09 Euro. Die
Antragsteller wohnen in einer - wohl - 73 qm grossen Wohnung (Wohnfläche 63 qm).
Für diese sind nach den Angaben der Antragsteller im Antragsformular vom 22.6.2009
jährliche Tilgungsleistungen in Höhe von 4800.- Euro zu zahlen. Für die weiteren
Nebenkosten der Wohnung wird auf die Angaben der Antragsteller (Blatt 32 ff. der
Verwaltungsakte) Bezug genommen. Für die mit Gas beheizte Unterkunft sind nach der
Abrechnung des Versorgers vom 16.6.2009 monatliche Abschläge in Höhe von 70.-
Euro zu zahlen.
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Die Antragsteller sind nach Kaufvertrag von 16.12.2008 zudem Eigentümer eines
Gewerbegründstückes in Siegburg (Gebäude- und Freifläche von 1231 qm), welches
sie zu einem Kaufpreis von 54.000 Euro erworben haben.
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Am 12.6.2009 beantragten die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II und legen im
Rahmen der Antragstellung unter anderem die Anlage "EKS" (Erklärung zum
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Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) betreffend der Monate Juni bis Dezember 2009
vor, aus der sich ein von ihnen errechneter Gewinn in Höhe von 3450.- Euro ergibt. Für
die Einzelheiten der Erklärung wird auf Bl. 91 ff. Verwaltungsakte Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 13.7.2009 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen
nach dem SGB II ab, da das Einkommen den Bedarf übersteige und zudem Vermögen
vorliege, welches die Vermögensfreigrenzen überschreite - für die Bedarfs- und
Einkommensberechnung wird auf die Anlage zum Bescheid vom 13.7.2009 Bezug
genommen.
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Dem Bescheid vom 13.7.2009 widersprachen die Antragsteller und führten zur
Begründung aus, das monatliche Einkommen aus der Selbständigkeit belaufe sich auf
0.- Euro. Auch sei die selbstbewohnte Immobilie angemessen gross, so dass auch die
Rückzahlung des Kredits in Höhe von 400.- Euro als Kosten der Unterkunft anzusehen
seien. Zudem sei die Antragstellerin schwanger und könne daher einen entsprechenden
Mehrbedarf beanspruchen.
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Am 9.9.2009 haben die Antragsteller um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz
nachgesucht und zur Begründung vorgetragen, sie hätten einstweilig ab 12.6.2009
Anspruch auf Zahlung der Regelleistungen sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von
224,10 Euro pro Monat sowie Auszahlung des Mehrbedarfes bei Schwangerschaft. Im
Jahr 2009 sei aus der Selbständigkeit kein Einkommen erwirtschaftet worden.
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Mit Schreiben vom 10.9.2009 und 6.10.2009 hat sich die Antragsgegnerin bereit erklärt,
Leistungen nach dem SGB II darlehensweise und - angesichts der Einkünfte aus
Selbständigkeit - vorläufig zu erbringen und zwar betreffend des Zeitraumes 9.9.2009
bis 30.9.2009 in Höhe von 622,25 Euro und für die Monate Oktober bis Dezember 2009
in Höhe von monatlich 848,52 Euro. Bei der dabei zugrundegelegten Brechnung geht
die Antragsgegnerin von einem anrechenbaren Einkommen aus Selbständigkeit in
Höhe von 133,87 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 160,39 Euro, Heizkosten in
Höhe von 70.- Euro und einem Bedarf - inclusive einem Mehrbedarf bei
Schwangerschaft - in Höhe von 916.- Euro aus.
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Die Antragsteller haben sich mit einer Darlehensgewährung nicht einverstanden erklärt,
da sie durch ein solches Darlehen weiter in die Verschuldung getrieben würden. Für
den Aufbau einer Garage auf dem Gewerbegrundstück habe der Antragsteller zu 1) ein
Darlehen über 24.000 Euro aufgenommen, welches monatlich mit 500,- Euro
zurückzuzahlen sei. Zudem habe man im Laufe des Jahres 2009 bei
Familienmitgliedern Darlehen in Höhe von insgesamt 48.668,21 Euro aufgenommen.
Sämtliche Darlehen würden gegenwärtig trotz dringender Aufforderungen der
Darlehensgeber nicht zurückgezahlt. Daher habe der Antragsteller zu 1) das
Gewerbegrundstück inzwischen auch an seinen Vater abgetreten. Der Antragsteller zu
1) könne eidesstattlich versichern, dass er gegenwärtig kein Einkommen erwirtschafte.
Die von ihm bei Abgabe der Anlage "EKS" angenommenen Erwartungen seien nicht
eingetreten. Zudem seien die Tilgungsraten für das selbstgenutzte Eigenheim in Höhe
von 400.- Euro als Kosten der Unterkunft anzuerkennen.
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Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
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die Antragsgegnerin einstweilig zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II in
gesetzlicher Höhe ab dem 12.6.2009 in Form eines Zuschusses zu bewilligen und bei
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der Berechnung ein anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht
zugrundezulegen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Für die Zeit vor dem 8.9.2009 bestehe - da dieser Zeitraum vor der Antragstellung bei
Gericht liege - ohnehin kein Rechtsschutzbedürfnis. Für die Zeit ab 9.9.2009 sei
vorläufig auf die Angaben aus der Anlage EKS abzustellen, wobei hier mangels
Nachweis die PKW-Haftpflichtversicherung nicht berücksichtigungsfähig sei.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und den der Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
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Das Gericht hat von Amts wegen in das Rubrum auch den Sohn der Antragsteller zu 1)
und 2) aufgenommen. Nach Auslegung des Antragschriftsatzes geht es den
Antragstellern um Ansprüche nach dem SGB II betreffend sämtlicher Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft.
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Der so verstandene Antrag ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint.
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Der Antrag ist unbegründet. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung ist das Bestehen eines Anordnungsanspruches und eines
Anordnungsgrundes. Es bedarf eines materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch)
und einer besonderen Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund). Als eilbedürftig
kann eine Sache nur angesehen werden, wenn es für den Antragsteller unzumutbar ist,
bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache
abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen nach § 86 b Abs. 2
Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft
gemacht werden. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere
und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen eintreten, die auch
durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die
Erfolgsaussichten der Hauptsache abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer
an der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu
entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR
569/05).
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Soweit die Antragsteller einstweilig Leistungen auch für die Zeit vor der Antragstellung
bei Gericht (d.h. für den Zeitraum vom 12.6.2009 bis 8.9.2009) beanspruchen, ist der
Antrag mangels Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit unbegründet. Eine besondere
Eilbedürftigkeit besteht grundsätzlich nicht, wenn um Zeiträume betreffend der
Vergangenheit , d.h. solche vor der Antragstellung bei Gericht, gestritten wird (LSG
NRW, Beschlus vom 23.10.2006, L 9 B 106/06 ER). Anhaltspunkte dafür, dass im
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vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme zu machen wäre, hat das Gericht nicht.
Soweit sich die Antragsteller mit der von der Antragsgegnerin angebotenen
darlehensweise Gewährung der Leistungen ab dem Zeitraum 9.9.2009 nicht
einverstanden erklärt haben und auch einstweilig die Leistungen in Form eines
Zuschusses begehren, haben sie ebenfalls einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft
gemacht. Die geltend gemachte Notlage kann einstweilig durchaus durch ein Darlehen
der Antragsgegnerin behoben werden, da die darlehensweise gewährten Mittel
zunächst voll zur Deckung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden können. Ob die
Leistungen endgültig rechtmäßigerweise nur in Form eines Zuschusses zu bewilligen
sind, muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Anlass für
eine gerichtliche Eilentscheidung besteht angesichts der Bereitschaft der
Antragsgegnerin zur Darlehenserbringung nicht; auch eine gerichtliche Entscheidung
würde nur vorläufigen Charakter haben (vgl. allg. LSG NRW, Beschluss vom 1.7.2009,
Az.: L 20 B 28/09 AS ER; die von den Antragstellern in diesem Zusammenhang
genannte Entscheidung des LSG NRW vom 20.5.2007, Az,.: L 20 B 77/07 AS ER
verfängt nicht, da hier keinerlei Aussagen zu einer Darlehensgewährung getroffen
werden).
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Die Eilbedürftigkeit bei einer Darlehensgewährung ergibt sich auch nicht aus der nach §
5 Abs. 1 Nr. 2a) SGB V fehlenden gesetzlichen Krankenversicherungspflicht. Der
Antragsteller zu 1) ist freiweillig privat krankenversichert, wobei die von ihm gezahlten
Beiträge in der Einkommensberechnung der Antragsgegnerin zu Recht
einkommensmindernd berücksichtigt wurden (Bl. 32 Gerichtsakte). Betreffend der
Antragsteller zu 2) und 3) hat die Antragsgegnerin angeboten, deren Beiträge ab
1.9.2009 als Darlehen zu erbringen. Eine vom Gericht zu beseitigende Notlage besteht
daher aktuell nicht.
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Soweit die Antragsteller ab dem Zeitpunkt 9.9.2009 höhere Leistungen beanspruchen
als von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 10.9.2009 errechnet, haben sie einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Auf Bedarfsseite ist die Antragsgegnerin
zutreffend von einem Bedarf in Höhe von 1146,39 Euro ausgegangen, wobei hier
insbesondere der Mehrbedarf der Antragstellerin zu 2) nach § 21 Abs. 2 SGB II
enthalten ist. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass betreffend der Kosten für
Unterkunft und Heizung ein höherer Betrag als der von der Antragsgegnerin angesetzte
in Höhe von 230,39 Euro anzunehmen ist, hat das Gericht nicht. Insoweit wird auf die
Berechnung der Antragsgegnerin gem. der Anlage zum Schriftsatz vom 10.9.2009 (Bl.
26 Gerichtsakte) Bezug genommen.
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Soweit die Antragsteller offenbar meinen, auch die monatlichen Stromkosten seien als
Kosten der Unterkunft anzusehen, ist dies nicht zutreffend. Diese Kosten sind gem. § 20
Abs. 1 SGB II als Kosten der Haushaltsenergie aus der Regelleistung zu bestreiten.
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Soweit die Antragsteller bei den Kosten der Unterkunft auch das monatliche Darlehen
mit einer Tilgung von 400.- Euro berücksichtigt wissen wollen, haben sie einen
derartigen Anspruch nicht glaubhaft gemacht. Grundsätzlich sind als Kosten der
Unterkunft bei einer selbstgenutzten Immobilie neben den laufenden Kosten und
Zinslasten die Tilgungsraten nicht als Kosten der Unterkunft anzusehen. Anderes kann
nur dann gelten, wenn die Tilgungsleistungen dem Grunde und der Höhe nach für den
Erhalt der Immobile zwingend erforderlich sind und auch eine Tilgungsausstzung bzw. -
Streckung nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 18.6.2008, Az.: B 14/11b AS 67/06R). Die
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Antragsteller haben derartiges nicht vorgetragen, so dass das Gericht nicht davon
ausgehen muss, dass bei Nicht-Zahlung der Tilgungsleistungen unmittelbar der Verlust
der Immobilie droht.
Auf Einkommensseite hat die Antragsgegnerin zu Recht bedarfsmindernd beim
Antragsteller zu 3) das Kindergeld berücksichtigt (§ 11 Abs. 1 SGB II). Soweit die
Antragsgegnerin darüber hinaus monatlich Einkommen aus Selbständigkeit in Höhe
von 133,87 Euro bedarfsmindernd anrechnet, haben die Antragsteller nicht glaubhaft
gemacht, dass ein derartiges Einkommen nicht erzielt wird. Zwar tragen sie vor, seit
2009 seien keinerlei Einkünfte erzielt worden. Sie haben diese Behauptung aber nicht
glaubhaft gemacht. Wenn der Antragsteller zu 1) in seiner eigenen Prognose vom
22.6.2009 noch einen Gewinn vom 3450.- Euro prognostizierte, hätte es ihm oblegen,
nachvollziehbare aktuelle Unterlagen etwa in Form einer monatsbezogenen Gewinn-
und Verlustrechnung vorzulegen, aus denen sich die geänderte Geschäftsentwicklung
hätte ablesen lassen. Die von den Antragstellern vorgelegte steuerrrechtliche
Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz sowie die steuerrechtliche
Überschuss-Rechnung (Bl. 17 Gerichtsakte) sind nicht geeignet, das behauptete
fehlende Einkommen glaubhaft zu machen. Zum einen haben die Antragsteller Belege
für die behaupteten Ausgaben nicht vorgelegt. Zum anderen sind nach § 3 Abs. 2 der
Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von
Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II (Alg-II-VO) steuerrechtliche
Maßstäbe bei der Einkommensberechnung nicht maßgebend. Daher konnte das Gericht
auch davon absehen, die vom Antragsteller "angebotene" eidesstattliche Versicherung
einzuholen. Da sich steuerrechtlicher Einkommensbegriff und der des Einkommens
nach dem SGB II nicht decken und der Antragsteller mit den Einzelheiten - offenbar -
nicht vertraut ist, würde eine pauschale Erklärung dahingehend, dass kein Einkommen
erwirtschaftet wird, nicht hinreichend aussagekräftig sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung. Dabei war zu
berücksichtigen, dass die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 13.7.2009 erfolgte
vollständige Versagung der Leistungen voraussichtlich rechtswidrig war und insofern
Anlass für das gerichtliche Verfahren gegeben hat. Da über das Angebot der
Antragsgegnerin gem. Schriftsatz vom 10.9.2009 hinaus aber kein Anspruch der
Antragsteller glaubhaft gemacht wurde, erscheint eine hälftige Quotelung der Kosten
angemessen.
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