Urteil des SozG Köln vom 08.04.2005
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Sozialgericht Köln, S 1 AS 7/05 ER
Datum:
08.04.2005
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 1 AS 7/05 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 12 B 15/05 AS ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung
vorläufig verpflichtet, die Energiekostenrückstände der Antragstellerin
bei der S AG zu zahlen. Die außergerichtlichen Kosten der
Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu übernehmen.
Gründe:
1
I. Die am 00.00.1985 geborene Antragstellerin ist ledig und Mutter des am 00.00.2003
geborenen Kindes B. Die Antragstellerin ist alleinerziehend. Bis 31.12.2004 bezog sie
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Seit dem 01.01.2005 erhält sie Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch II &8211; (SGB II). Für
den Monat Januar erhielt sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und
Kosten für Unterkunft und Heizung für sich und ihre Tochter i.H.v. insgesamt 677,18
Euro und im Monat Februar i.H.v. 1.514,42 Euro. Seit 01.03.2005 erhält sie Leistungen
i.H.v. 400,00 Euro monatlich.
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Im Februar teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass sie
Energiekostenrückstände i.H.v. 837,24 Euro zu zahlen habe. Am 06.04.2005 unterbrach
die S AG im Haushalt der Antragstellerin die Stromzufuhr, weil die offenen Forderungen
nicht beglichen seien. Mit Bescheid vom 07.04.2005 lehnte die Antragsgegnerin die
Übernahme der Stromkosten mit der Begründung ab, die Stromkosten seien mit der
Regelleistung abgegolten und daher durch die Antragstellerin zu leisten. Die
Übernahme von Stromrückständen sei ihr daher nicht möglich.
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Am 07.04.2005 hat die Antragstellerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gestellt mit dem Begehren auf Übernahme der Stromrückstände. Sie macht geltend, die
Unterbrechung der Stromzufuhr habe zur Folge, dass sie ihrer 15 monatigen Tochter
kein warmes Essen bereiten und diese nicht baden könne. Dies sei unzumutbar.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre
Energiekostenrückstände zu übernehmen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin meint, sie sei zur Übernahme der Energiekostenrückstände nicht
verpflichtet. Dies sei gemäß § 34 SGB XII vielmehr Sache der Stadt L.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Leistungsakte 000 Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag, über den ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist
zulässig und begründet.
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Gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht vorläufigen
gerichtlichen Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung gewähren. Grundsätzlich darf
das Gericht zwar dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend
die Grenzen der vorläufigen Regelung nicht überschreiten und damit das im
Verwaltungs- und Klageverfahren verfolgte Ziel vorweg nehmen. Ausnahmsweise kann
aber zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei Vornahmesachen - wie der
einstweiligen Anordnung - die Hauptsache vorweg genommen werden, wenn ohne sie
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile für den Antragsteller
entstünden. Die Entscheidung, ob in Anbetracht der besonderen Umstände des Falles
ausnahmsweise durch die einstweilige Anordnung die Hauptsache vorweg genommen
werden darf, hängt damit wesentlich von der Bedeutung und Dringlichkeit des
Anspruchs und der Schwere sowie der Irreparabilität des Schadens für den Antragsteller
bzw. die Allgemeinheit ab.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass
es im Falle der Antragstellerin zur Beseitigung ihrer gegenwärtigen Notlage einer
gerichtlichen Entscheidung zur sofortigen Durchsetzung ihrer Ansprüche bedarf, weil ihr
ansonsten unzumutbare und anders nicht gut zu machende Nachteile entstehen.
Ebenso wie die Antragsgegnerin lehnt die Stadt L die vorläufige Übernahme der
Energiekostenrückstände der Antragstellerin ab. Die Antragstellerin bezieht derzeit für
sich und ihre 15 Monate alte Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II in Höhe von 400 Euro monatlich. Hiervon ist sie nicht in der Lage, die
Energiekostenrückstände in Höhe von mehr als 800 Euro zu zahlen. Die S AG hat die
Energiezufuhr zur Wohnung der Antragstellerin wegen der Rückstände bereits am
06.04.2005 unterbrochen. Sie ist ohne Begleichung der Rückstände auch nicht bereit,
die Energiezufuhr wieder herzustellen. Das Kind der Antragstellerin muss mit warmen
Mahlzeiten und frischer Wäsche versorgt und warm gebadet werden. Auch der
Antragstellerin ist eine regelmäßige Körperpflege nur sehr eingeschränkt mit kaltem
Wasser möglich. Ferner ist zu besorgen, dass die im Kühlschrank befindlichen
Lebensmittelvorräte verderben. Die Antragstellerin und ihr Kind haben kein Licht.
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Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin nach der
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hier gebotenen summarischen Prüfung auch den Anordnungsanspruch hinreichend
glaubhaft gemacht. Derzeit spricht mehr dafür als dagegen, dass die Antragsgegnerin
gemäß § 23 Abs. 1 SGB II dazu verpflichtet ist, die Energiekostenrückstände der
Antragstellerin zu übernehmen. Wie die Antragsgegnerin selbst auch konzediert, sind
Stromkosten Bestandteil der Regelleistung, die unabhängig davon, ob es sich um
laufende Stromkosten oder aufgelaufene Stromschulden handelt, grundsätzlich aus der
laufenden Regelleistung zu zahlen. Nach der genannten Vorschrift kommt darüber
hinaus auch die Übernahme der Stromschulden im Wege der Darlehensgewährung in
Betracht, wenn der Bedarf unabweisbar ist und nicht auf andere Weise gedeckt werden
kann. Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin ist wie bereits dargelegt nicht in der Lage,
ihren Bedarf auf andere Weise zu decken. Die Stadt L hat die Übernahme der Schulden
mit der Begründung abgelehnt, die Antragsgegnerin sei hierzu verpflichtet. Dies hat die
Antragsgegnerin im Übrigen selbst jedenfalls bis zum 08.03.2005 so gesehen. Aus
ihren bis dahin geltenden Weisungen ist zu entnehmen, dass sie sich in Fällen wie dem
der Antragstellerin zur darlehensweisen Gewährung dieses unabweisbaren Bedarfs
verpflichtet hielt. Eine überzeugende Begründung dafür, warum sich die Rechtslage
nach dem 08.03.2005 geändert haben soll, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt.