Urteil des SozG Köln vom 02.11.2007

SozG Köln: untätigkeitsklage, erlass, gebühr, ersetzung, prozess, begriff, datum, rechtskraft

Sozialgericht Köln, S 6 AS 231/06
Datum:
02.11.2007
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 6 AS 231/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
vom 17.08.2007 wird zurückgewiesen.
Gründe:
1
Die Erinnerung der Beklagten, über die gemäß § 197 Abs. 2 SGG das Gericht durch
Beschluss ohne mündliche Verhandlung und gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG damit
ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden hat, ist unbegründet. Die allein streitige
fiktive Terminsgebühr für die Untätigklage gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 3 VV zum RVG,
die der Urkundsbeamte mit 100,00 Euro veranschlagt hat, ist sowohl dem Grunde als
auch der Höhe nach zutreffend festgestellt worden.
2
1. a) Gemäß VV 3106 Satz 2 Nr. 3 entsteht die Terminsgebühr auch, wenn das
Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Ein
solche Fall lag hier vor.
3
Allerdings handelt es sich bei einer Untätigkeitsklage nicht stets um ein Anerkenntnis im
Sinne von § 101 Abs. 2 SGG und VV 3106 Satz 2 Nr. 3, wenn die Beklagte den Antrag
bzw. den Widerspruch des Klägers durch Erlass eines – wie auch immer gearteten –
Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides bescheidet, auch wenn die
Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG auf bloße Bescheidung gerichtet ist. Da eine
Untätigkeitsklage nur dann begründet ist, wenn die Beklagte ohne zureichenden Grund
über den Antrag bzw. den Widerspruch nicht innerhalb einer Frist von 6 bzw. 3 Monaten
entschieden hat, und auch nur dann eine Verurteilung der Beklagten zu der beantragten
Bescheidung erfolgen kann (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.
Aufl. 2005, § 88 Rn. 9), liegt ein Anerkenntnis im Rechtssinne vielmehr nur vor, wenn
die Frist des § 88 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGG abgelaufen ist und die Beklagte zusätzlich
zum Erlass des Bescheids bzw. des Widerspruchsbescheids uneingeschränkt
zugesteht, dass sie keinen zureichenden Grund für die verspätete Entscheidung hatte.
Dies kann sich nicht nur aufgrund einer ausdrücklichen Erklärung der Beklagten,
sondern auch aus den gesamten Umständen der Bescheiderteilung ergeben. So liegt es
nahe, dass die Beklagte eingesteht, dass sie ohne zureichenden Grund binnen
angemessener Frist nicht entschieden hat, wenn sie nichts zum Vorliegen eines
4
zureichenden Grundes vorträgt, da sie grundsätzlich zureichende Gründe darzulegen
hat (vgl. Leitherer, a.a.O., Rn. 7a). Gleiches gilt, wenn die Beklagte ohne
Einschränkungen oder Erläuterungen ein Kostenanerkenntnis dem Grunde nach abgibt,
da sie damit eingesteht, dass die Untätigkeitsklage begründet war und sie Anlass zur
Klage gegeben hat. Ansonsten müsste sie nämlich die außergerichtlichen Kosten des
Klägers nicht übernehmen.
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte durch Erlass des Widerspruchsbescheids
vom 05.12.2006 ein Anerkenntnis abgegeben. Hierfür spricht bereits die Erklärung in
der Klageerwiderung vom 05.12.2006, in der es heißt, die Beklagte habe (durch Erlass
des Widerspruchsbescheids) dem Begehren des Klägers entsprochen. Zudem hat die
Beklagte nicht geltend gemacht, es habe für die verspätete Entscheidung einen
zureichenden Grund gegeben, und sich folgerichtig auch bereit erklärt, die notwendigen
außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu übernehmen. Nach den Umständen ist
damit der Erlass des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2006 als uneingeschränktes
Zugeständnis, dass der nach § 88 Abs. 2 SGG geltend gemachte Klageanspruch
bestand, zu werten. Die Erledigungserklärung des Klägers im Schriftsatz vom
18.12.2006 stellt die Annahme dieses Anerkenntnisses dar mit der Folge, dass der
Rechtsstreit nach § 101 Abs. 2 SGG beendet wurde.
5
b) Die fiktive Terminsgebühr durfte auch angesetzt werden, obwohl sie der
Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ausdrücklich geltend gemacht, sondern
vielmehr eine Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002, 1005 beansprucht hat.
6
Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens ist der geltend gemachte
Kostenanspruch, der einerseits durch den begehrten Betrag und andererseits durch den
Sachverhalt konkretisiert wird, aufgrund dessen eine Kostenposition beansprucht wird.
Insoweit gilt nichts anderes als für den Begriff des Streitgegenstands im Prozess, der
ebenfalls durch den Antrag und den Lebenssachverhalt, auf den der Anspruch
gegründet wird, bestimmt wird: An den Streitgegenstand, den prozessualen Anspruch,
ist das Gericht gebunden (§ 123 SGG). Innerhalb des Streitgegenstandes hat das
Gericht den Sachverhalt umfassend von Amts wegen zu ermittteln (§ 103 SGG) und
unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen (vgl. § 202 SGG i.V.m.
§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG). Für das Kostenfestsetzungsverfahren bedeutet dies, dass der
Urkundsbeamte nach § 197 Abs. 1 SGG oder das Gericht nach § 197 Abs. 2 SGG nicht
über den Betrag hinausgehen dürfen, dessen Erstattung begehrt wird. Ebenso
unzulässig ist es, den Sachverhalt, aufgrund dessen die einzelnen
Gebührentatbestände geltend gemacht werden, von Amts wegen zu verändern oder zu
erweitern. Zulässig und geboten ist es demgegenüber, den geltend gemachten
Kostenanspruch unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten, d.h. unter allen in
Betracht kommenden Gebührentatbeständen des VV, zu prüfen (vgl. auch von
Eicken/Müller-Rabe, in: Gerold/Schidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl.
2006, § 55 Rn. 27).
7
Maßgeblich ist insoweit, für welches anwaltliches Handeln bzw. für welches Ereignis
eine Kostenposition geltend gemacht wird. Erhebt der Prozessbevollmächtigte lediglich
eine Verfahrensgebühr, nennt er als kostenverursachenden Tatbestand lediglich die
anwaltliche Tätigkeit durch Einleitung und Führung des Verfahrens und begrenzt so den
im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu prüfenden Sachverhalt. Weder der
Urkundsbeamte noch das Gericht dürfen in einem solchen Fall etwa eine
Erledigungsgebühr nach VV 1002, 1006 oder eine Terminsgebühr nach VV 3106
8
zuerkennen, da dadurch der Sachverhalt im Kostenfestsetzungsverfahren um ein
kostenverursachendes Ereignis (Erledigung durch anwaltliche Mitwirkung; Stattfinden
eines Termins zur mündlichen Verhandlung) erweitert würde, auf das der geltend
gemachte Kostenanspruch nicht gegründet wurde. Anders liegt der Fall jedoch, wenn
der Prozessbevollmächtigte z.B. eine Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002
oder eine Terminsgebühr nach VV 3106 geltend macht. Damit nennt er in seinem Antrag
ein weiteres, möglicherweise kostenverursachendes Ereignis, das daraufhin zu prüfen
ist, ob ein Vergütungstatbestand nach dem VV zum RVG erfüllt ist. Liegen die
rechtlichen Voraussetzungen des von dem Prozessbevollmächtigten genannten
Gebührentatbestandes nicht vor, bedeutet dies nicht, dass dem
Prozessbevollmächtigten ein weitergehender Gebührenanspruch nicht zusteht.
Vielmehr sind weitere Anspruchsgrundlagen, d.h. weitere Tatbestände des VV zu
prüfen, aufgrund derer sich eine Gebühr für das geltend gemachte, möglicherweise
kostenverursachende Ereignis ergeben könnte. Der Austausch von Kostenpositionen ist
also möglich, soweit es in der Sache lediglich um einen Austausch der
Anspruchsgrundlagen geht.
Nach diesen Grundsätzen ist jedenfalls die hier vorgenommene Ersetzung der geltend
gemachten Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002, deren rechtliche
Voraussetzungen nach den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen
Kostenfestsetzungsbeschluss mangels der erforderlichen weitergehenden anwaltlichen
Mitwirkung nicht vorlagen (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1
KR 13/06 R; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 23/06 R; Urteil vom 21.03.2007, Az.: B 11a AL
53/06 R), durch die fiktive Terminsgebühr nach VV 3106 Satz 2 Nr. 3 nicht zu
beanstanden, denn eine unzulässige Erweiterung des Gegenstandes des
Kostenfestsetzungsverfahrens ist damit nicht verbunden. Geltend gemacht wurde
allgemein eine Kostenposition aufgrund der Erledigung des Verfahrens infolge des
Erlasses des Widerspruchsbescheids. Dieser Sachverhalt war rechtlich auch unter dem
Gesichtspunkt einer fiktiven Terminsgebühr wegen eines angenommenen
Anerkenntnisses zu prüfen.
9
2. Die angesetzte fiktive Terminsgebühr ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG sind bei der Bestimmung der
Rechtsanwaltsvergütung alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Bedeutung
der Angelegenheit, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers zu berücksichtigen. Danach ist
die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr durch den Urkundsbeamten auf 100,00
Euro, die von der unbilligen Bestimmung des Prozessbevollmächtigten bereits gemäß §
14 Abs. 1 Satz 3 RVG abweicht, zu Recht erfolgt.
10
Für den Fall, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, wird hinsichtlich der Höhe
der Gebühr teilweise entscheidend auf die Länge der Verhandlung abgestellt (vgl. z.B.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.09.2006, Az.: S 2 SF
12/05 SK; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.01.2007, Az.: L
19 B 13/06 AL) Nach anderer Auffassung ist nicht die Dauer des Termins, sondern die
Schwierigkeit des Falles und die Art der entfalteten Tätigkeit entscheidend
(Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2006, Az.: L 12 B
194/06 AS).
11
Dieser Ansatz erscheint jedenfalls für die Bestimmung der fiktiven Terminsgebühr nach
VV 3106 Satz 2 sachgerecht. Die von der Beklagten vertretene Begrenzung auf die
12
Mindestgebühr wird dem Anliegen des Gesetzgebers, dass dem Rechtsanwalt kein
gebührenmäßiger Nachteil daraus erwachsen soll, dass er aus prozessökonomischen
Gründen auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (VV 3106 Satz
2 Nr. 1 und 3) oder das Gericht einseitig gemäß § 105 SGG ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (VV 3106 Satz 2 Nr. 2), nicht gerecht. Für die
Untätigkeitsklage können keine Ausnahmeregelungen gelten, da diese vom
Gesetzgeber nicht vorgesehen wurden. Ebenso ist es nicht sachgerecht, auf die
mögliche Dauer einer fiktiven mündlichen Verhandlung abzustellen, da sich die Dauer
einer mündlichen Verhandlung kaum sicher voraussagen lässt und damit die Höhe der
Gebühr von bloßen Spekulationen abhinge. Dies gilt insbesondere im Falle einer
Untätigkeitsklage, da hier selten ein mündliche Verhandlung stattfinden wird, so dass
auch etwaige Erfahrungswerte weitgehend fehlen dürften.
Die Höhe der fiktiven Terminsgebühr hat sich damit jedenfalls bei einer
Untätigkeitsklage im Wesentlichen an den gleichen Kriterien zu orientieren wie die
Verfahrensgebühr. Sie kann daher auch in Anlehnung an die Verfahrensgebühr
bestimmt werden. Die Verfahrensgebühr (hier: VV 3103) hat der Urkundsbeamte in
Anbetracht des niedrigen Schwierigkeitsgrades und der geringen Verfahrensdauer
ausgehend von einem Gebührenrahmen von 20,00 Euro bis 320,00 Euro zu Recht auf
80,00 Euro festgesetzt. Im Hinblick auf den höheren Gebührenrahmen in VV 3106
(20,00 Euro bis 380,00 Euro) ist die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr auf 100,00
angemessen.
13
Dieser Beschluss ist endgültig (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).
14