Urteil des SozG Köln vom 26.05.2006

SozG Köln: kündigung, venire contra factum proprium, treu und glauben, leiter, juristische person, örtliche zuständigkeit, feststellungsklage, geschäftsordnung, vertreter, satzung

Sozialgericht Köln, S 26 KR 104/04
Datum:
26.05.2006
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 KR 104/04
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Rechtsstreits.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der zwischen ihnen im Oktober 2001 geschlossene
Vertrag wirksam gekündigt worden ist bzw. ob er ganz oder teilweise über den
31.12.2003 hinaus fortbesteht.
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Die Klägerin ist seit Jahren im sog. "Homecare"-Bereich tätig und hat sich dabei auf die
Bereiche der Versorgung mit enteraler Ernährung laryngektomierte und tracheotomierter
Patienten spezialisiert. Sie vertreibt auch Hilfsmittel für den gesamten Personenkreis.
Sie verfügt diesbezüglich über eine Zulassung gemäß § 126 SGB V, wonach sie
berechtigt ist, Versicherte aller Krankenkassen zu versorgen. Am 12./16.10.2001
schloss die Klägerin mit den Beigeladenen, vertreten durch den Vorsitzenden des
Ortsausschusses Köln, einen Vertrag, in welchem die Einzelheiten der Versorgung der
Versicherten der Ersatzkassen mit Hilfsmitteln im Rahmen des §§ 33 Abs. 1 SGB V
durch die Klägerin sowie die Abrechnung der Preise für die vertraglich vereinbarten
Hilfsmittel geregelt sind. Grundlage des Vertrages ist § 127 Abs. 1 und 2 SGB V (vgl. § 1
Abs. 3 des Vertrages). In § 2 des Vertrages sind die beteiligten Ersatzkassen (u.a. die
Beklagte) aufgeführt, für welche der Vertrag gilt. Nach § 6 Abs. 4 des Vertrages sind,
wenn Vertragspreise vereinbart oder Festbeträge festgesetzt sind, diese zugrunde zu
legen. Dem Vertrag ist als Anlage 1 und 2 eine Preisliste für die Produkte der Klägerin
beigefügt. Gemäß § 14 Abs. 1 des Vertrages tritt dieser am 01.11.2001 in Kraft und wird
auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er kann von den Vertragspartnern unter Einhaltung
einer Frist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalenderjahres, erstmalig zum 31.12.2003
schriftlich gekündigt werden. Nach § 14 Abs. 2 des Vertrags bestimmen sich die
Laufzeiten und die Kündigungsfristen der Preisregelungen (Anlage 1 und 2) nach den
dort getroffenen Regelungen. Dieser Vertrag wurde in der Folgezeit bundesweit
angewandt. In der Sitzung der Kleinen Kommission "Hilfsmittel" der Beigeladenen am
12.10.2001 sprachen sich die Mitgliedskassen für eine Kündigung des Vertrages mit der
Klägerin aus. Sie hielten aufgrund der festgeschriebenen Vertragspreise eine
Steuerungsmöglichkeit durch die einzelnen Ersatzkassen nicht mehr für gewährleistet.
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Zudem sollten die Verträge mit Hilfsmittelerbringern im Bereich der enteralen Ernährung
inhaltsgleich sein. Der Ortsausschuss Köln wurde aufgefordert, die Kündigung
auszusprechen. Da mit der Neustrukturierung der Verbandsaufgaben die Tätigkeiten der
Ortsausschüsse auf die Landesverbände übertragen wurden, übernahm die
Landesvertretung NRW die Kündigung. Mit Schreiben vom 10.06.2002, der Klägerin
zugegangen am 18.06.2002 kündigte der Leiter der Landesvertretung NRW der
Beigeladenen, , gegenüber der Klägerin sowohl die Anlage 1 (Preisvereinbarung)
fristgerecht zum 31.12.2002 sowie ferner den Gesamtvertrag fristgerecht zum
31.12.2003. Unterzeichnet ist das Kündigungsschreiben mit dem Namen. Mit Schreiben
vom 20.06.2002 wies die Klägerin die Kündigung mangels ordnungsgemäßer
Bevollmächtigung zurück und führte zur Begründung aus, sie sehe seitens des
Landesverbandes keine Befugnis zur Kündigung des Vertrages. Die Landesvertretung
NRW bat daraufhin um Mitteilung, vor welchem Hintergrund die Befugnis zur Kündigung
des Vertrages in Frage gestellt werde. Weitere Ausführungen seitens der Klägerin
erfolgten nicht. In der Folgezeit haben die Ersatzkassen, für welche der Vertrag vom
12./16.10.2001 galt, diesen seit dem 01.01.2004 nicht mehr angewendet.
Mit einem am 20.02.2004 beim Sozialgericht Köln eingegangenem Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung und gleichzeitiger Klage gegen 11 Krankenkassen
versucht(e) die Klägerin, die weitere Anwendung des gekündigten Vertrages
durchzusetzen. Durch Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.04.2004 (S 26 KR
103/04 ER) wurden die Eilanträge der Klägerin zurückgewiesen. Auf den Inhalt des
allen Beteiligten bekannten Beschlusses wird in vollem Umfang Bezug genommen. Die
hiergegen gerichtete Beschwerde hat die Klägerin später zurückgenommen. Im
Klageverfahren ist unter dem Datum des 26.05.2004 ein Ruhensbeschluss wegen des
Schwebens von Vergleichsverhandlungen ergangen. Auf Antrag der Klägerin ist das
Verfahren jedoch wieder aufgenommen worden. Seit August 2004 sind neue
Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den einzelnen ursprünglich beklagten
Ersatzkassen geschlossen worden. Im Erörterungstermin des Sozialgerichts Köln vom
25.11.2005 wurde mit den Beteiligten erörtert, dass angesichts der zwischenzeitlich
abgeschlossenen neuen Vereinbarungen im Falle jeder beklagten Krankenkasse das
Rechtsschutzbedürfnis geprüft werden müsse. Die beklagte Krankenkasse und die
Klägerin haben dort übereinstimmend erklärt, in der Zeit von Januar bis Juli 2004 seien
keine neuen Verträge zwischen der Klägerin und der beklagten abgeschlossen worden.
Zumindest für diesen Zeitraum sei deshalb streitig, ob der alte Vertrag weiter gegolten
habe. Daraufhin ist mit Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 25.11.2005 aus der
gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung der Rechtsstreit bezüglich der restlichen
Beklagten - außer der damaligen Beklagten zu 2) - abgetrennt und unter dem
Aktenzeichen S 26 KR 227/05 geführt worden. Dieses abgetrennte Verfahren ist
zwischenzeitlich zum Ruhen gebracht worden. Mit einem am 06.01.2006 beim
Sozialgericht Köln eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin ihren ursprünglichen
Klageantrag teils erweitert, teils eingeschränkt. Sie hält ein Rechtschutzinteresse für die
Feststellungsklage für gegeben. Denn es gebe für den streitigen Zeitraum von Januar
bis Juli 2004 noch über 1000 Einzelforderungen gegen die Beklagte, welche bisher
nicht gerichtlich geltend gemacht worden seien. Da die Beklagte eine juristische Person
des öffentlichen Rechts sei, könne davon ausgegangen werden, dass die
Prozessökonomie hier die Erhebung einer Feststellungsklage geradezu gebiete. Die
noch offenen Forderungen (teilweise eingeklagt, aber ruhend gestellt) gegen die
Beklagte beliefen sich auf etwa 415.000 EUR. Die Beklagte sei auch passiv legitimiert,
da sie Vertragspartnerin des streitgegenständlichen Vertrages sei, hingegen nicht die
Beigeladenen. Im übrigen trägt die Klägerin im wesentlichen vor: Der
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streitgegenständliche Vertrag sei wirksam geschlossen worden, auch wenn das
Sozialgericht Köln diese Frage in seinem Beschluss vom 06.04.2004 im Eilverfahren
aufgeworfen habe. Es handele sich um einen Bundesvertrag, der entsprechend der
Übung in der Vergangenheit immer mit dem Ortsausschuss Köln der Beigeladenen
abgeschlossen worden sei; ein solcher Abschluss auf Bundesebene sei nach § 127
Abs. 2 SGB V alte Fassung auch zulässig gewesen. Herr sei im übrigen nicht zur
Kündigung des streitgegenständlichen Vertrages befugt gewesen; jedenfalls sei dies
nicht nachgewiesen. Den Vertrag habe er seinerzeit nicht unterzeichnet. Er sei der
Klägerin auch nicht bekannt. Auch sei er ihr nicht im Sinne des § 212 Abs. 5 Satz 4 SGB
V benannt worden. Es liege auch keine vereinsrechtliche Organvertretung des
Kündigenden Herrn vor. Es könne sein, dass er der Leiter der Landesvertretung NRW
sei. Bei letzterer handele es sich um eine rechtlich nicht selbständige Nebenstelle, so
dass dem Leiter einer solchen Stelle keine Vertretungsmacht für die Beigeladenen
zukomme. In den Satzungen der Beigeladenen sei die Bestellung eines besonderen
Vertreters nach § 30 BGB nicht vorgesehen. Herr sei auch nicht als besonderer Vertreter
bestellt und/oder in das Vereinsregister eingetragen worden. Nach den zulässigen
Nachwirkungsvereinbarungen in Anlage 1 und 2 zum streitgegenständlichen Vertrag
würden im übrigen die gekündigten Preisvereinbarungen bis zum Abschluss einer
neuen Preisvereinbarung weiter gelten. Trotz der Kündigung der Anlage 1
(Preisvereinbarung) habe die Beklagte im gesamten Jahr 2003 die Leistungserbringung
zu den vertraglich vereinbarten Preisen und ohne vorherige Einreichung eines
Kostenvoranschlags zugelassen. Die Klägerin habe deshalb davon ausgehen können,
dass an der Kündigung nach der Zurückweisung vom 20.06.2002 nicht mehr
festgehalten werde.
Die Klägerin beantragt zuletzt schriftlich,
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festzustellen,
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dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom 12.10.2001/16.10.2001
durch die Kündigung vom 10.06.2002 nicht wirksam beendet worden ist, sondern über
den 31.12.2003 unverändert fortbestanden hat;
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hilfsweise festzustellen,
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dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom 12.10.2001/16.10.2001
zumindest in der Zeit vom 01.01.2004 bis 31.07.2004, während der die Parteien keine
abweichende Neuvereinbarung geschlossen haben, unverändert fortbestanden hat und
im Hinblick auf die in Anlage 1 zum Vertrag vom 12.10.01/16.10.01 geregelte
Versorgung mit Hilfsmitteln für Laryngektormierte und Tracheotomierte nach wie vor
unverändert fortbesteht;
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hilfsweise festzustellen,
10
dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom 12.10.2001/16.10.2001
zumindest in der Zeit vom 01.01.2004 bis 31.07.2004, während der die Parteien keine
abweichende Neuvereinbarung geschlossen haben, unverändert fortbestanden hat,
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hilfsweise festzustellen,
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dass die Beklagte ausweislich der Nachwirkungsklausel in Anlage 2 zum Vertrag vom
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12.10.01/16.10.01 verpflichtet war, zumindest für die Zeit vom 01.01.2004 bis
31.07.2004 für den Produktbereich enterale Ernährung die vertraglich vereinbarte
Vergütung fortzuentrichten und dass die Beklagte ausweislich der Nachwirkungsklausel
der in Anlage 1 zum Vertrag vom 12.10.01/16.10.01 geregelten Versorgung mit
Hilfsmitteln für Laryngektomierte und Tracheotomierte mangels neu abgeschlossener
Preisvereinbarung bis zum heutigen Tag verpflichtet ist, die vertraglich vereinbarte
Vergütung fortzuentrichten.
Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält bereits ein Feststellungsinteresse nicht für gegeben. Denn nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG sei die Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage
grundsätzlich subsidiär. Mit einer Entscheidung über die Wirksamkeit des Vertrags im
streitgegenständlichen Verfahren sei noch keine Erledigung der anhängigen oder noch
nicht zur Klage gebrachten offenen Versorgungsfälle verbunden. Im übrigen bestünden
erhebliche Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des streitgegenständlichen
Vertrages. Herr als Vorsitzender des Ortsausschusses Köln der Beigeladenen habe
seinerzeit keine Vollmacht besessen. Der Vertrag sei von der Beklagten auch nicht
nachträglich genehmigt worden, so dass er unwirksam sei. In jedem Fall sei der Vertrag
aber wirksam gekündigt worden. Die Beigeladenen seien eingetragene Vereine. Auf
dem Briefbogen der Kündigung sei der Leiter der Landesvertretung NRW vermerkt.
Dieser sei gemäß § 30 BGB ein Vereinsorgan mit beschränkter Zuständigkeit für das
Vertragsgeschäft. Dies ergebe sich aus der Satzung der Beigeladenen in Verbindung
mit der Geschäftsordnung. § 174 BGB sei auf Vertreter nach § 30 BGB nicht anwendbar.
Im übrigen schließt sich die Beklagte hinsichtlich der zuletzt geltend gemachten
Hilfsanträge der Klägerin dem Vortrag der Beigeladenen an.
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Die Beigeladenen beantragen schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie vertreten die Auffassung, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für die
Feststellungsklage. Zwischenzeitlich seien auch mit der Beklagten neue Verträge
geschlossen worden und bezüglich der vertragslosen Zeit eine Vielzahl von
Einzelklagen durch die Klägerin erhoben worden. Genau mit diesen müsse sie ihr
vermeintliches Recht geltend machen. Im übrigen seien die Beklagten nicht passiv
legitimiert. Auch wenn die streitgegenständliche Vereinbarung "mit Wirkung für die
Mitgliedskassen" geschlossen worden sei, so blieben doch Vertragspartner die
Beigeladenen. Wenn es um die Wirksamkeit des Vertrages gehe, so müssten auch die
Beigeladenen als Vertragspartner verklagt werden. Im übrigen sei der gekündigte
Vertrag auf der Landesebene abgeschlossen worden, und zwar auf der Grundlage des §
127 SGB V in der damals geltenden Fassung. Dass die Produkte der Klägerin mit Sitz in
NRW dann auch in anderen Bundesländern zu den gleichen Konditionen hätten
vertrieben werden können, ändere nichts daran, dass es sich um einen Vertrag auf
Landesebene handele. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei der Ortsausschuss Köln nicht
mehr existent gewesen; dessen Befugnisse seien gänzlich auf die Landesvertretung
übertragen worden. Die Bundesebene hingegen sei nie Vertragspartner gewesen;
hierfür habe auch keine gesetzliche Grundlage nach § 127 Abs. 1 SGB V a.F.
bestanden. Im Verfahren S 26 KR 103/04 ER haben die Beigeladenen vorgetragen,
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Herr sei vom 01.01.1990 bis 31.03.2003 Leiter der Landesvertretung NRW der
Beigeladenen mit Sitz in gewesen. Im übrigen könnten die Nachwirkungsklauseln in
den Preisvereinbarungen nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn die dieser Anlage
vorgeschaltete Hauptvereinbarung überhaupt noch wirksam sei. Die
Nachwirkungsklausel gelte nur bei der isolierten Kündigung einer Preisvereinbarung.
Darum werde hier aber nicht gestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zahlreichen
und umfangreichen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und die beigezogenen
Gerichtsakten mit dem Aktenzeichen S 26 KR 103/04 ER Bezug genommen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§124 Abs.2 SGG). Das Sozialgericht Köln ist für den angerufenen
Rechtsstreit zuständig, weil der Sitz der Klägerin in dessen Bezirk liegt (§ 57 Abs. 1 Satz
1 1. Halbsatz SGG). § 57a SGG ist hier nicht anwendbar; denn diese Vorschrift betrifft
nur Kassenarztangelegenheiten (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Beschluss vom
27.05.2004 -B 7 SF 6/04 S). Ob hier um die Gültigkeit eines Vertrages auf Landes- oder
auf Bundesebene gestritten wird, ist deshalb für die örtliche Zuständigkeit irrelevant, da
der Rechtsstreit krankenversicherungsrechtlicher Art ist.
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Die Feststellungsklage ist zwar zulässig, jedoch bezüglich aller Anträge unbegründet.
Dem Feststellungsbegehren der Klägerin kann nicht das nach § 55 SGG erforderliche
Feststellungsinteresse abgesprochen werden. Zwar kann die Feststellung des
Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG), zu dem auch das
Fortbestehen eines Vertrages gehört, mangels berechtigten Interesses an der
alsbaldigen Feststellung grundsätzlich nicht verlangt werden, wenn ein Kläger seine
Rechte durch eine Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können,
innerhalb der das Gericht zu dem streitigen Rechtsverhältnis ohnehin eine
Entscheidung zu treffen hätte. Grundsätzlich muss dann vermieden werden, dass
Gerichte noch einmal in Anspruch genommen werden müssen, weil sich der Beklagte
einem nur feststellenden Urteil nicht beugt und es deshalb eines weiteren Titels mit
vollstreckbarem Inhalt bedarf. Bei Feststellungsklagen gegen juristischen Personen des
öffentlichen Rechts, zu denen auch die Krankenkassen - wie hier auch die Beklagte -
gehören, kann jedoch angenommen werden, dass solche Beklagte aufgrund ihrer
Bindung an Gesetz und Recht den Kläger auch ohne Leistungsurteil mit
Vollstreckungsdruck befriedigen werden (vgl. Urteile des BSG vom 22.07.2004 - B 3 KR
12/04 R und vom 13.03.2001 - B 3 P 10/00 R).
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Unstreitig sind hier noch ca. 1000 Einzelforderungen der Klägerin gegen die Beklagte
für den Zeitraum von Januar bis Juli 2004 offen (i. H. v. ca. 415.000 EUR) ,die zwar teils
schon mit Leistungsklagen geltend gemacht wurden, jedoch ruhend gestellt sind.
Aufgrund der Prozessökonomie hält es das Gericht für zweckmäßig, dass zur Meidung
von weiteren Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten separat über die Frage
des Fortbestehens des Vertrages aus Oktober 2001 entschieden wird; denn bei den
bereits anhängigen (ruhenden) Leistungsklagen der Klägerin besteht die Gefahr, dass
der Anspruch der Klägerin schon aus anderen rechtlichen Gründen scheitert (z. B.
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wegen der nicht nachgewiesenen Lieferung speziell an einen Versicherten der
beklagten Krankenkasse). Derartige Erfahrungen hat die 26. Kammer schon mit anderen
Klagen der Klägerin sammeln müssen. Aus diesem Grunde hält die Kammer hier die
Feststellungsklage für zulässig, weil damit exakt über das Fortbestehen des Vertrages
entschieden werden kann, ohne dass noch eine rechtliche Auseinandersetzung mit
möglicherweise konkurrierenden Aspekten erfolgen muss. Außerdem ist zu erwarten,
dass durch ein bestandskräftiges Urteil über die Fortgeltung des Vertrags aus Oktober
2001 im streitigen Zeitraum vielen bislang noch nicht beim Gericht anhängigen
Streitigkeiten unter den Beteiligten die Grundlage entzogen wird. Die Klägerin hat ihre
Feststellungsklage auch zu Recht gegen die Beklagte und nicht gegen die
Beigeladenen gerichtet. Denn mit der Feststellungsklage soll im Ergebnis geklärt
werden, ob sich die Einzelheiten der Versorgung der Versicherten (u. a.) der Beklagten
(und nicht der Beigeladenen) für den Zeitraum von Januar bis Juli 2004 weiter nach den
vertraglichen Regelungen aus Oktober 2001 richten.
Adressaten dieses Streits waren insoweit die in § 2 des Vertrags genannten
Ersatzkassen - u. a. die Beklagte -. Hingegen ergeben sich für die Beigeladenen keine
Verpflichtungen aus dem streitigen Vertrag, weil sie keine Versicherten haben. Die
Passivlegitimation der Beklagten ist deshalb zu bejahen. Die Begründetheit der Klage
scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon daran, dass der Vertrag
vom 12./16.10.2001 von Anfang an unwirksam war und deshalb gar nicht gekündigt
werden musste. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich um einen Vertrag auf
Landesebene: denn gemäß § 1 Abs. 3 des Vertrags ist Grundlage desselben
ausdrücklich § 127 Abs. 1 und 2 SGB V. § 127 Abs. 1 SGB V in der im Oktober 2001
gültigen Fassung (im Folgenden: a. F.) sah aber nur Verträge auf Landesebene vor. In
solchen Verträgen (auf Landesebene) konnten sich Leistungserbringer bereit erklären,
Hilfsmittel zu den festgesetzten Festbeträgen oder zu niedrigeren Beträgen bzw. - falls
Festbeträge noch nicht existierten - zu anderen Preisen abzugeben (§ 127 Abs. 2 SGB
V a.F.). Dies ist hier mit den Anlagen 1 und 2 zum Vertrag vom 12./16.10.2001 in
Preisvereinbarungen geschehen (und nicht etwa mit selbständigen
Preisvereinbarungen). Da die Klägerin ihren Sitz in NRW hat und für die Beigeladenen
beim Vertragsabschluss Herr vom Ortsausschuss Köln der Beigeladenen agiert hat,
handelt es sich offensichtlich um einen für NRW gültigen Vertrag mit
Preisvereinbarungen als Anlagen. Dass dieser Vertrag dann stillschweigend oder in
anderer Weise auch auf die Versicherten der beteiligten Ersatzkassen in anderen
Bundesländern angewendet worden ist, qualifiziert den Vertrag nicht automatisch als
Vertrag auf Bundesebene.
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Nach den unstreitigen Angaben der Klägerin hat diese in der Vergangenheit Verträge
immer mit dem Ortsausschuss Köln der Beigeladenen abgeschlossen. Diese Verträge
sind auch von der Beklagten bislang im Verhältnis zur Klägerin immer angewendet
worden, der streitige Vertrag nebst Anlagen auch nach der Kündigung noch bis Ende
2003. Dem Einwand der Beklagten, sie habe Herrn vom Ortsausschuss Köln seinerzeit
keine Abschlussvollmacht erteilt und den Vertrag von Oktober 2001 auch nicht
nachträglich genehmigt, misst die Kammer deshalb keine entscheidungsrelevante
Bedeutung vor. Denn es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte
einerseits über zwei Jahre den Vertrag anwendet und "mit Leben erfüllt" und sich dann
auf dessen Unwirksamkeit beruft, weil er jedenfalls für sie nicht wirksam abgeschlossen
sei. Der auf der Landesebene NRW abgeschlossene Vertrag vom 12./16.10.2001 nebst
Preisvereinbarungen ist mit Kündigungsschreiben vom 10.06.2002 wirksam zu den dort
angegebenen Fristen gekündigt worden. Der Gesamtvertrag konnte erstmalig zum
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31.12.2003 unter Einhaltung einer Frist von 6 Monaten zum Schluss eines
Kalenderjahres schriftlich gekündigt werden (§ 14 Abs. 1 des Vertrags). Die Anlagen zu
diesem Vertrag (Preisvereinbarungen) konnten mit einer Frist von 6 Monaten zum
Quartalsende erstmals zum 31.12.2002 gekündigt werden (vgl. § 14 Abs. 2 des
Vertrages in Verbindung mit den Kündigungsregelungen in den Anlagen). Eine
gekündigte Preisvereinbarung sollte bis zum Abschluss einer neuen Preisvereinbarung
weiter gelten. Der auf der Landesebene NRW abgeschlossene Vertrag vom
12./16.10.2001 konnte vom Leiter der Landesvertretung NRW der Beigeladenen
wirksam gekündigt werden. Bei diesem handelte es sich um einen besonderen Vertreter
der Beigeladenen i.S.d. § 30 BGB, welche als Vereine organisiert sind. Nach der
letztgenannten Vorschrift kann durch die Satzung bestimmt werden, dass neben dem
Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter zu bestellen sind. Die
Vertretungsmacht eines solchen Vertreters erstreckt sich im Zweifel auf alle
Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 der im Zeitpunkt der Kündigung gültigen Satzung der
Beigeladenen besteht in jedem Bundesland eine Landesvertretung aus Geschäftsstelle
und Landesausschuss. Die Landesvertretungen arbeiten nach einer vom
Gesamtvorstand erlassenen Geschäftsordnung und nach den von ihm gegebenen
Richtlinien (§ 13 Abs. 3 der Satzung der Beigeladenen). Gemäß § 1 Abs.2 Satz 1 der
zum Zeitpunkt der Kündigung gültigen Geschäftsordnung für die Landesvertretungen
der Beigeladenen werden die Geschäfte der Landesvertretungen von dem Leiter/der
Leiterin der Landesvertretung geführt. Für den Abschluss der (sogenannten) übrigen
Verträge im Land, zu denen auch die im Rahmen des § 127 SGB V gehören, ist gemäß
§ 4 Abs. 2 der Geschäftsordnung die Landesvertretung zuständig. Beim Abschluss
solcher Verträge auf Landesebene vertritt der Leiter/die Leiterin der Landesvertretung
die Ersatzkassen und ihre Verbände; er/sie ist insoweit der/die Bevollmächtigte nach §
212 Abs. 5 Satz 4 SGB V und nach § 52 Abs. 1 Satz 2 SGB XI (vgl. § 4 Abs. 4
Geschäftsordnung). Damit war der Leiter der Landesvertretung NRW, Herrn zum
Zeitpunkt der Kündigung im Juni 2002 für das Vertragsgeschäft im Rahmen des § 127
SGB V kraft Satzung in Verbindung mit der Geschäftsordnung zuständig. Für den
Abschluss von Verträgen i.S. des § 127 SGB V ist dies in der Geschäftsordnung
ausdrücklich geregelt. Für die Kündigung solcher Verträge auf Landesebene greift die
Vermutung des § 30 Satz 2 BGB ein: Danach erstreckt sich die Vertretungsmacht eines
besonderen Vertreters im Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene
Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt. Dass derjenige, der für einen Verein Verträge
abschließen darf, gewöhnlich auch zur Kündigung derselben berechtigt ist, liegt nach
Auffassung der Kammer auf der Hand. Die Person des besonderen Vertreters muß im
übrigen in der Satzung selbst nicht bestimmt werden (vgl. Bayrisches Oberstes
Landesgericht, Beschluss vom 23.12.1998 - 3 Z BR 257/98). Herr ist deshalb bei der
Kündigung als besonderer Vertreter i.S.d. § 30 BGB tätig geworden. Als solcher musste
er nicht in das Vereinsregister eingetragen werden. Denn § 64 BGB in der zur Zeit der
Kündigung geltenden Fassung von 2002 (Inhalt der Vereinsregistereintragung) sieht
lediglich vor, dass bei der Eintragung der Name und der Sitz des Vereins, der Tag der
Errichtung der Satzung, die Mitglieder des Vorstands und ihre Vertretungsmacht
anzugeben sind.
Soweit sich die Klägerin auf anders lautende zivilgerichtliche Rechtsprechung bezieht,
ist diese entweder unter der Geltung einer heute nicht mehr gültigen Fassung des § 64
BGB oder zu der (hier nicht interessierenden) Frage ergangen, ob ein Verein verlangen
kann, dass ein besonderer Vertreter in das Vereinsregister eingetragen wird (vgl. z.B.
Bayrisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 11.03.1981 - B Reg 2 Z 12/81). Im
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Jahr 2002 jedenfalls war nach § 64 BGB nicht erforderlich, dass der besondere Vertreter
im Handelsregister eingetragen ist (vgl. auch Landgericht Chemnitz, Beschluss vom
05.02.2001 - 11 T 2375/00). Eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB
wegen Nichtvorlage einer Vollmachtsurkunde ist nach herrschender Meinung bei
besonderen Vertretern des § 30 BGB nicht möglich (vgl. Palandt - Heinrichs, § 174 BGB
Rnr ... 1 b mit weiteren Hinweisen; BAG, Urteil, vom 18.01.1990 - 2 AZR 358/89). Die
Wirksamkeit der Kündigung scheitert auch nicht daran, dass Herr der Klägerin nicht
i.S.d. § 212 Abs. 5 Satz 4 SGB V benannt worden ist. Nach dieser Vorschrift sollen die
Ersatzkassen und ihre Verbände für alle auf der Landesebene abzuschließenden
Verträge einen Bevollmächtigten mit Abschlussbefugnis benennen. Hier ging es jedoch
nicht um den Abschluss eines Vertrages bzw. die Übertragung und Bündelung der
regionalen Verhandlungskompetenz auf einen mit weitreichenden Vollmachten
ausgestatteten Verhandlungsführer, sondern um eine einseitige Willenserklärung -
nämlich die Kündigung -. Auf Kündigungen kann die Vorschrift des § 212 Abs. 5 Satz 4
SGB V nach ihrem klaren Wortlaut jedoch nicht angewendet werden. Aus der Tatsache,
dass der Vertrag und die Anlagen (Preisvereinbarungen) noch bis Ende 2003 von der
Beklagten angewendet wurden, konnte die Klägerin nicht den Schluss ziehen, dass
damit die Kündigung als gegenstandslos betrachtet worden ist. Denn der Gesamtvertrag
konnte erst zum 31.12.2003 gekündigt worden, was auch fristgerecht zu diesem Termin
geschehen ist. Die gekündigten Preisvereinbarungen sollten bis zum Abschluss einer
neuen Preisvereinbarung weiter gelten. Dies kann nach verständiger Würdigung nur so
interpretiert werden, dass die isoliert gekündigte Preisvereinbarung - solange der
Gesamtvertrag noch besteht - zunächst weiter gilt. Werden aber Gesamtvertrag und
Anlagen zusammen gekündigt, so kann die Preisvereinbarung als bloße Anlage zum
Vertrag nur so lange weiter gelten, wie der Gesamtvertrag noch besteht.
Folgerichtig hat die Beklagte die Preisvereinbarung auch noch bis zur Beendigung des
Gesamtvertrages, also bis Ende 2003 angewendet. Aus dem vertragsgerechten
Verhalten der Beklagten kann die Klägerin kein venire contra factum proprium ableiten.
Da die Anlagen (Preisvereinbarungen) das Schicksal des Gesamtvertrags teilen,
können erstere über Ende 2003 hinaus keine Wirksamkeit beanspruchen.
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Die Klage konnte deshalb aus keinem erdenklichen Gesichtspunkt Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
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