Urteil des SozG Köln vom 28.01.2010

SozG Köln (veröffentlichung, prüfung, antrag, zeitlich befristet, pflege, internet, heimbewohner, bewertung, anordnung, erlass)

Sozialgericht Köln, S 23 P 234/09 ER
Datum:
28.01.2010
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 23 P 234/09 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 10 P 22/10 B ER
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Kosten
des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe:
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I.
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Umstritten ist die Befugnis zur Veröffentlichung eines sogenannten
Transparenzberichtes nach § 115 Abs. 1 a SGB XI.
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Die Antragstellerin ist Trägerin der durch Versorgungsvertrag zugelassenen stationären
Pflegeeinrichtung, welche 101 Plätze für vollstationäre Pflege vorhält, davon sind 98
belegt.
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Am 08.09.2009 erfolgte eine Prüfung durch den medizinischen Dienst der
Krankenversicherung Nordrhein (MDK). Der Prüfbericht ergab als Gesamtergebnis 3,5
(ausreichend). Im Rahmen der Anhörung zum Maßnahmebescheid nach § 115 Abs. 2
SGB XI wegen Feststellung von Qualitätsmängeln rügte die Antragstellerin eine
Vielzahl von aus ihrer Sicht falschen Feststellungen. Die Auswertung habe nach
Einschätzung der Antragstellerin mit dem Ergebnis 2,3 (gut) enden müssen. Zur
beabsichtigten Veröffentlichung eines vorläufigen Transparenzberichtes würde zudem
die Methodik der Prüfung sowie die Bewertung der Leistungen kritisiert.
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Am 30.12.2009 ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur
Verhinderung der Veröffentlichung des Transparenzberichtes gestellt worden. Die
Antragstellerin wiederholt zur Begründung das vorgerichtliche Vorbringen und legt
eidesstattliche Versicherungen von zwei Mitarbeiterinnen vor, welche ihre Auffassung
zur Vielzahl falscher Feststellungen und Angaben sowie der eigenen Bewertung
bestätigen.
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Weiterhin vertritt die Antragstellerin die Auffassung, § 115 Abs. 1 a SGB XI bestimme
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nicht hinreichend, wer die Veröffentlichung der Qualitätsberichte durchzuführen habe.
Sie meint, die Pflegekassen müssten den betroffenen Einrichtungen die
Veröffentlichung von Qualitätsergebnissen und Transparenzberichten per
Verwaltungsakt auferlegen. Auch sei die durchgeführte Prüfung wegen fehlerhaften
Zustandekommens der Qualitätsprüfungsrichtlinie, gegen die ein Verband, dem die
Antragstellerin angehöre, Klage erhoben habe, unzulässig. Zudem rügt sie einen
Verstoß gegen Artikel 12 GG.
Zum Anordnungsgrund werden unmittelbare und schwerwiegende wirtschaftliche
Nachteile angeführt.
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Ergänzend verweist die Antragstellerin auf einen Beschluss des SG Münster(S 6 P
202/09 ER).
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Sie beantragt,
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dem Antragsgegner zu untersagen, den Pflege-Transparenzbericht des MDK Nordrhein
über die von der Antragstellerin in Ruppichteroth, Zum Tusculum 11 betriebene Alten-
und Pflegeeinrichtung ohne Zustimmung der Antragstellerin auf der Internetseite
www.transparenzberichte-pflege.de zu veröffentlichen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.
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Er verweist auf den gesetzlichen Auftrag zu Veröffentlichung in § 115 Abs. 1 a SGB XI
und die Pflegetransparenzvereinbarung stationär (PTVS).
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Überdies wird betont, es sei keine Existenzgefährdung der Antragstellerin zu erwarten.
Auch bestehe die Möglichkeit kurzfristiger Wiederholungsprüfungen und der Ergänzung
des Transparenzberichtes im Internet durch Kommentare des Trägers der
Pflegeeinrichtung. Das Gesetz bezwecke eine baldige Veröffentlichung der Prüfnoten
ohne vorherige Klärung aller Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern zum
Schutz des Wohlergehen der Bewohner.
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II.
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Der Antrag ist sowohl unzulässig (1.) als auch unbegründet (2.).
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1. Grundsätzlich darf die einstweilige Anordnung die endgültige Entscheidung in der
Hauptsache nicht vorweg nehmen. Der Antrag wäre daher nicht unbeschränkt, sondern
nur bis zur Entscheidung eines Hauptsacheverfahrens zulässig, weil ansonsten eine
zeitlich unbeschränkte und mit Wirkung für die Vergangenheit nicht mehr korrigierbare
Verhinderung der Veröffentlichung des Transparenzberichtes die Folge wäre.
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Auch verhindert der allein gegen einen Landesverband der Pflegekassen gerichteten
Antrag grundsätzlich mangels Bindungswirkung der anderen Landesverbände nicht mit
hinreichender Sicherheit die Veröffentlichung des Transparenzberichtes durch die von
der Entscheidung mangels Beteiligung nicht gebundenen weiteren Landesverbände.
Schließlich richtet sich der Antrag nur gegen die Veröffentlichung des
Transparenzberichts im Internet, nicht jedoch gegen die Verpflichtung die Daten der
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Prüfung gemäß § 115 Abs. 1 a Satz 5 SGB XI in der Einrichtung auszuhängen.
2. Selbst wenn man zugunsten der anwaltlich vertretenen Antragstellerin unterstellt, der
Antrag würde entsprechend den vorstehenden Hinweisen zeitlich befristet, gegen alle
Landesverbände der Pflegekassen gerichtet und auf die Verpflichtung zum Aushang der
Prüfungsdaten ausgedehnt, ist der Antrag unbegründet. Es fehlt sowohl an einem
hinreichend glaubhaften Anordnungsanspruch (a) als auch an einem Anordnungsgrund
(b).
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a Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die Klage in der Hauptsache
offensichtlich zulässig und begründet ist; hierbei vermindern sich die Anforderungen an
den Anordnungsgrund. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die
Verpflichtung zur Veröffentlichung der Qualitätsberichte in § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI
hinreichend konkretisiert. Die Landesverbände der Pflegekassen stellen die
Veröffentlichung sicher. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes sind die
Landesverbände der Pflegekassen verantwortlich für die Veröffentlichung, unabhängig
von der internen Delegation der Federführung an den Antragsgegner. Soweit die
Antragstellerin meint, wegen fehlender Vereinbarungen nach § 113 Abs. 1 SGB XI
dürften Qualitätsprüfungen nicht stattfinden bzw. nicht auf der Grundlage der
Qualtitätsprüfungsrichtlinien des GKV Spitzenverbandes vom 30.06.2009 erfolgen,
begegnet die Auffassung bei der summarischen Prüfung im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzes erheblichen Bedenken. Wesentlich eher scheint sachgerecht, bis zum
Abschluss neuer Vereinbarungen die gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur
Qualität und Qualiätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von
Qualitätsprüfung nach dem bisherigen § 80 SGB XI anzuwenden, um überhaupt die
Durchführung von Qualitätsprüfungen zu ermöglichen. Insofern erscheint der bei der
Prüfung zugrunde gelegte Prüfmaßstab bei der gebotenen summarischen Prüfung
sachgerecht. Es entspricht auch der Systematik des SGB XI, die zur Pflegequalität zu
treffenden Vereinbarungen bis zum Abschluss neuer Vereinbarungen oder ihrer
Abänderung durch einen Schiedsspruch weiterhin als gültig anzusehen. Zudem
übersieht die Antragstellerin die gesetzliche Befugnis zum Erlass der
Qualitätsprüfungsrichtlinien nach § 114 Abs. 7 SGB XI.
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Soweit in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen zweier Mitarbeiterinnen
unzutreffende Feststellungen der Prüfer des MDK unter Verweis auf die Stellungnahme
zum Prüfbericht behauptet werden ist zu berücksichtigen, dass die
Tatsachenfeststellungen im Prüfbericht des MDK die Beweiskraft öffentlicher Urkunden
nach § 418 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG haben. Der Gegenbeweis ist zulässig,
muss im Einzelfall jedoch konkret geführt werden. Ob dies im Einzelfall gelingt ist
vollkommen offen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Feststellungen Ergebnisse
einer stichprobenartigen Prüfung beinhalten, die eine Momentaufnahme des
Prüfungsgeschehens darstellt. Selbst wenn nachträglich Unterlagen aufgefunden
werden, welche bei rechtzeitiger Vorlage am Prüfungstage eine andere Einstufung
gerechtfertigt hätten ergibt sich daraus keine fehlerhafte Prüfungsfeststellung, sondern
der Anlass für eine erneute bzw. ergänzende Prüfung. Nach der gerichtlichen Erfahrung
mit früheren Prüfvorgängen konnten Pflegeeinrichtungen bei Wiederholungsprüfungen
deutlich bessere Ergebnisse unter Vermeidung bisheriger Mängel erzielen. Soweit die
Bewertungen der Prüfer als unrichtig angesehen werden, ist in der Rechtsprechung seit
langem bei entsprechenden Prüfungsentscheidungen ein Beurteilungsspielraum
angenommen worden. Von einer offensichtlich zulässigen und begründeten Klage in
der Hauptsache ist bei summarischer Prüfung derzeit keinesfalls auszugehen.
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Bei offenem Ausgang des Verfahrens ist eine Interessenabwägung erforderlich bei der
neben der die Folgen bei Ablehnung des Antrags unter Berücksichtigung des
Anordnungsgrundes (b) mit den Auswirkungen bei Erlass der einstweiligen Anordnung
zu vergleichen sind. Soweit die Antragstellerin als Anordnungsgrund unmittelbare,
schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile durch die Veröffentlichung behauptet, ist dies
nicht nachzuvollziehen. Der Prüfbericht weist eine Auslastung von 98 der insgesamt
101 bestehenden Plätze aus. Auch wenn die Heimbewohner durch Aushang in der
Pflegeeinrichtung die Beurteilung des MDK erfahren, kann dies für die Antragstellerin
dann keinerlei Auswirkungen haben, wenn ihre Leistungen so gut sind wie sie selbst
meint. Unabhängig von der Momentaufnahme der Feststellungen des Prüfberichts ist
die alltägliche Erfahrung der Pflege durch die Heimbewohner selbst. Deren Beurteilung
ist mit 1,6 Punkten vergleichsweise positiv und gibt keinen Anlass zu Befürchtungen.
Wirtschaftliche Nachteile können daher lediglich im Rahmen der Besetzung der aktuell
offenen oder künftig neu zu besetzenden Pflegeheimplätze entstehen. Schwerwiegende
wirtschaftliche Schäden sind in Anbetracht der geringen Prozentzahl offensichtlich nicht
gegeben. Zu Recht verneint die Antragsgegnerin eine Existenzgefährdung. Auch die
von der Antragsgegnerin genannten Möglichkeiten einer kurzfristigen
Wiederholungsprüfung bzw. der Ergänzung des Transparenzberichtes durch eigene
Kommentierungen der Antragstellerin im Internet bzw. bei dem Aushang könnten die
ohnehin geringfügige wirtschaftliche Beeinträchtigung der Antragstellerin noch
verringern. Schließlich ist selbst im Fall nachweisbar fehlerhafter Feststellungen oder
Bewertungen bei nachweisbarem Schaden ggf. Schadensersatz aufgrund von
Amtspflichtverletzung zu erlangen. Etwaige Schwierigkeiten bezüglich der
Ursächlichkeit des Schadens deuten dabei eher auf einen fehlenden Anordnungsgrund.
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Soweit die Antragstellerin ihre Grundrechte insbesondere aus Artikel 12 GG verletzt
sieht und hierzu auf einen Beschluss des SG Münster verweist ist dieser Entscheidung
nicht zu folgen. Der aus einem Rufschaden abzuleitende mögliche erhebliche
Wettberwerbsnachteil und der starke Rückgang der Belegungszahl mit gravierendem
wirtschaftlichem Schaden ist nicht näher z. B. anhand der konkreten Belegungszahlen
unter unter Berücksichtigung der Einschätzung der Heimbewohner begründet worden.
Die allgemeine Berufung auf das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Artikel 12 GG zeigt
sich bei summarischer Prüfung gleichfalls nicht als begründet. In Betracht kommen kann
nach der sogenannten Stufentheorie nur die Stufe der Berufsausübung bei der
vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls die entsprechende Maßnahme rechtfertigen.
Bezüglich der Verbreitung marktbezogener Informationen hat das
Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 26.06.2002 (1 BvR 558/91) die
Verbreitung von Informationen für zulässig erachtet, wenn sie im öffentlichen Interesse
lägen und die Markteilnehmer auf die verbleibenden Unsicherheiten hingewiesen
würden. Die Entscheidung hebt die gewachsene Bedeutung von öffentlicher
Kommunikation und Informationshandeln hervor und betont die Aufklärungspflicht
bezüglich der inhaltlichen Richtigkeit der Informationen. Bei verbleibenden
Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht sei der Staat an der Verbreitung der
Informationen jedenfalls dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liege,
dass die "Marktteilnehmer über einen für ihr Verhalten wichtigen Umstand, etwa ein
Verbraucherrisiko aufgeklärt werden" (BVerfGaaO Rnd Nr. 60). Für die
Transparenzberichte und das Prüfergebnis des MDK ist neben den von der
Antragstellerin bestrittenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich die Bewertung.
Auch für den Heimbewohner und andere "Marktteilnehmer" hat das bewertende
Element ein entscheidendes Gewicht. Die Prüftätigkeit ist auch vor dem Hintergrund der
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stichprobenartigen Prüfung, die nicht sämtlicher Pflegefälle des Heimes erfassen kann,
zu bewerten. Die Möglichkeit der abweichenden Kommentierung des
Transparenzberichtes im Internet bzw. beim Aushang stellt eine ausgleichende und
weitere sachgerechte Information der "Marktteilnehmer" dar.
Im übrigen ist das öffentliche Interesse an der Kenntnis der konkreten Bewertung sowohl
für den Schutz von Gesundheit und Leben der aktuellen Heimbewohner als auch für den
der potenziellen Interessenten wichtiger als die wirtschaftlichen Interessen der
Antragstellerin.
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Die Abwägung bei einem denkbaren, begrenzten wirtschaftlichen Schaden der
Antragstellerin ergibt im Vergleich zur schutzwürdigen Situation der
Pflegeheimbewohner und Interessenten ein deutliches Überwiegen des individuellen
und öffentlichen Interesses an der alsbaldigen Veröffentlichung des
Transparenzberichtes mit dem Prüfungsergebnis. Problematisiert werden in der Presse
eine erhebliche Anzahl von Pflegeheimen mit eklatanten Mängeln. Darüber hinaus wird
Kritik am Bewertungssystem der Heime und an der Verschleierung von eklatanten
Mängeln durch die Gesamtergebnisse erhoben. Eine leitende Ärztin des MDK Bayern
beurteilt die Ergebnisse der Gesamtprüfung als bedeutend detailgenauer als die
Ergebnisdarstellung im Internet. Es sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, damit
der Verbraucher überhaupt Informationen bekomme. Nur bei einer Note von 1 – 1,5
könne man davon ausgehen, dass in einem Heim keine Pflege erfolge, die zu Schäden
bei Bewohnern führe (Süddeutsche Zeitung vom 12.01.2010, Gute Noten trotz
schlechter Pflege, Beitrag von Sven Loerzer). Entscheidend bedeutsamer als die
Interessen des Pflegeheimes sind die Informationen für die Verbraucher, die sich über
die Pflegequalität informieren wollen. Auch wenn Verbesserungen bei Erhebung und
Verarbeitung der Informationen gefordert werden und mit wissenschaftlicher Begleitung
durchgeführt werden sollen, ergibt sich ein entscheidendes Überwiegen des öffentlichen
Interesses auch zum aktuellen Zeitpunkt. In vergleichbarer Weise hat das
Bundessozialgericht zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit von Kindern in den
Begutachtungsrichtlinien entschieden, trotz methodischer Bedenken seien diese
weiterhin anzuwenden, solange keine besseren Erkenntnisse verfügbar seien und noch
keine Anpassung der Richtlinien erfolgen könne (BSG Urteil vom 29.04.1999, SozR3 –
1300 § 14 Nr. 10 und Urteil vom 13.05.2004 - B 3 P 7/03 R).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG.
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