Urteil des SozG Köln vom 10.04.2002

SozG Köln: schreibmaschine, versorgung, kommunikation, gebrauchsgegenstand, verordnung, rehabilitation, bedürfnis, krankenversicherung, anteil, auskunft

Sozialgericht Köln, S 5 KR 46/01
Datum:
10.04.2002
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 5 KR 46/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2000 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2001 verurteilt, die
Kosten für die Anschaffung einer "sprechenden Schreibmaschine"
abzüglich des vom Hersteller zum Anschaffungszeitpunkt empfohlenen
Endverbraucherverkaufspreises brutto für die darin eingebaute
Typenradschreibmaschine zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der
Klägerin zu fünf Sechstel.
Tatbestand:
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Streitig ist der Anspruch auf Versorgung mit einer "sprechenden Schreibmaschine".
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Die Klägerin ist seit 1979 erblindet. Ihr Ehemann ist ebenfalls zu 100 % sehbehindert.
Die Eheleute verfügen nicht über Schreib- oder Lesehilfsmittel für Blinde im privaten
Bereich. Privaten Schriftwechsel erledigte die Klägerin früher mit Hilfe einer
Vertrauensperson, die aber zwischenzeitlich verzogen ist. Briefe lässt sich die Klägerin
entweder am Arbeitsplatz oder von Vertrauenspersonen (z.B. in ihrer Bank) vorlesen.
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Bei der von der Klägerin begehrten "sprechenden Schreibmaschine" handelt es sich um
eine mit Interface Elektronik, Sprachcomputer, taktilen Zeichen, Blattführung für
Zentrierung und Braillezeile für die Grad/TAB-Einstellung versehene marktübliche
Typenradschreibmaschine. Der Benutzer kann sich per Tastendruck anhören, was
bisher geschrieben worden ist. Dabei kann das Gerät den gesamten Text, einzelne
Seiten, Zeilen, Worte und Buchstaben vorlesen. Ebenso sind Korrektur, Einfügen und
Löschen möglich.
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Die Kosten für die Anschaffung der "sprechenden Schreibmaschine" beliefen sich im
Jahr 2000 auf 4.582,00 DM. Der empfohlene Endverbraucherverkaufspreis für die dabei
verwandte Typenradschreibmaschine Triumph Adler T-300 beträgt gegenwärtig 340,00
EUR incl. MWST.
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Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für die Schreibmaschine mit Bescheid vom
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06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2001 ab.
Hiergegen richtet sich die am 21.03.2001 erhobene Klage. Die Klägerin trägt vor: Sie
benötige die "sprechende Schreibmaschine" für ihren Schriftwechsel mit Behörden,
Banken, Versicherungen, Vermieter, Mieterverein, Rechtsanwälten etc. Darüber hinaus
werde sie das Gerät aber auch für den unmittelbaren privaten Bereich, z.B. die
Korrespondenz mit Freunden und Verwandten, einsetzen. Es sei davon auszugeben,
dass sie die Maschine drei- bis fünfmal pro Woche nutzen werde. Aus dem Büro wisse
sie, dass ein Computer mit WORD und einer Sprachausgabe sehr viel störanfälliger sei
als eine "sprechende Schreibmaschine". Mit einer Braillezeile nicht nur für die
Grad/TAB-Einstellung, sondern auch für die Buchstabentasten selbst könne sie nicht
hinreichend sicher umgehen, da auch ihr Tastsinn eingeschränkt sei. Darüber hinaus
sei die Korrektur mit einer "sprechenden Schreibmaschine" sehr viel leichter als mit
anderen Blindenhilfsmitteln. Darüber hinaus sei ein Lesesystem mit elektronischer
Sprachausgabe ungleich teurer als die von ihr begehrte Versorgung. Über diese hinaus
werde sie die Beklagte mit Aufwändungen für den Lese- und Schreibbereich nicht weiter
belasten. Insbesondere habe sie nicht vor, sich ein Hilfsmittel zur
Informationsbeschaffung zu besorgen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2000 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.03.2001 zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung
einer "sprechenden Schreibmaschine" zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, Schreibmaschinen seien Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens auch
dann, wenn sie behindertengerecht ausgestattet seien. Darüber hinaus seien
behindertengerechte Schreibmaschinen nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt. Die
Versorgung sei auch weder erforderlich noch wirtschaftlich. Zum einen befriedige sie
nur das Bedürfnis nach schriftlicher Kommunikation. Dabei handele es sich aber, anders
als beim Informationsbedürfnis, nicht um ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Ihr
Bedürfnis nach aktiver Kommunikation zur Vermeidung von Vereinsamung könne die
Klägerin durch Gespräche mit ihrem Ehemann ausreichend befriedigen. Darüber hinaus
helfe das Gerät nur beim Schreiben, nicht auch beim Lesen und damit bei der
Informationsbeschaffung. Würde nun neben der "sprechenden Schreibmaschine" auch
noch ein Lesegerät notwendig, so sei die Gesamtversorgung teurer als bei der
Beschaffung eines Lesesystems mit elektronischer Sprachausgabe.
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Das Gericht hat eine Auskunft von Dipl.-Ing. L (Bl. 64 GA) und einen Befundbericht des
die Klägerin behandelnden praktischen Arztes J (Bl. 67 GA) eingeholt. Die
Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Die
Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit einer "sprechenden Schreibmaschine",
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abzüglich der Kosten für die Beschaffung der in diesem System enthaltenen
Typenradschreibmaschine. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 33 Abs. 1 des Fünften
Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V).
Bei der "sprechenden Schreibmaschine" handelt es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des
§§ 33 SGB V und nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Diese
Unterscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich
die Kammer anschließt, anhand ihrer Zweckbestimmung und ihrer Verwendung durch
die Verbraucher. Dabei wird ein Gegenstand, der in erster Linie für den Gebrauch durch
Kranke oder Behinderte konzipiert ist, erst dann zum Gebrauchsgegenstand des
täglichen Lebens, wenn er auch von Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt
wird (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 27 m.w.N.).
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Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen bei der "sprechenden
Schreibmaschine" erfüllt sind, ist zwischen der in das Gerät eingebauten
Schreibmaschine und den weiteren Bestandteilen, wie z.B. dem Sprachcomputer und
der Braillezeile, zu unterscheiden (vgl. zum Folgenden BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16).
Während es sich bei einer Typenradschreibmaschine unproblematisch um einen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, werden die übrigen Bestandteile,
wie Dipl.-Ing. L mitgeteilt hat, in erster Linie für sehbehinderte Menschen hergestellt und
von diesen am Markt angenommen. Beispielsweise für den Sprachcomputer, die taktilen
Zeichen und die Braillezeile ist dies auch offensichtlich.
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Durch den Zusammenbau geht die Funktion der Schreibmaschine als solche nicht
verloren. Denn es handelt sich bei diesem Zusammenbau um eine Verbindung im Sinne
von § 947 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), nicht um eine Verarbeitung im Sinne
von § 950 BGB. Auch wenn bei der Schreibmaschine einzelne Tasten
behindertengerecht verändert werden, ändert dies nichts daran, dass die Schreibtasten
als solche erhalten bleiben und die Schreibmaschine als solche auch durch Sehende
genutzt werden kann.
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Gleichwohl handelt es sich bei dem Gesamtprodukt um ein Hilfsmittel und nicht um
einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil die Kosten, die auf den Umbau
der Schreibmaschine und die Herstellung der zum Behinderungsausgleich bestimmten
Bestandteile entfallen, die Kosten der Typenradschreibmaschine wesentlich
überwiegen. Nach Auskunft von Dipl.-Ing. L ist davon auszugehen, dass die
Marktkosten der eingebauten Typenradschreibmaschine Triumpf Adler T-300 bei
gegenwärtig 340,00 EUR netto liegen. Damit liegt der Anteil an den Gesamtkosten
lediglich bei einem Sechstel.
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Die "sprechende Schreibmaschine" ist erforderlich zum Ausgleich einer bei der Klägerin
bestehenden Behinderung, nämlich ihrer Blindheit.
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Welche Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum Behinderungsausgleich
in der gesetzlichen Krankenversicherung erforderlich sind, ist in § 31 Abs. 1 Nr. 3 des
Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) näher bestimmt. Danach dienen Hilfsmittel
zur medizinischen Rehabilitation nur der Befriedigung von Grundbedürfnissen des
täglichen Lebens. Soll ein Hilfsmittel demgegenüber nur die Folgen einer Behinderung
auf beruflichem, gesellschaftlichem oder sozialem Gebiet ausgleichen, so handelt es
sich entweder um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 Abs. 1 Abs. 3 Nr. 6,
Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX) oder eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der
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Gemeinschaft (§ 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB IX). Hierfür sind die
Krankenversicherungsträger nicht zuständig. Da die Begriffsbildung des Gesetzgebers
des SGB IX ersichtlich auf die bisherige Rechtsprechung zur medizinischen
Rehabilitation im Hilfsmittelbereich abhebt, kann auf die hierzu entwickelten
Abgrenzungskriterien auch unter der Geltung des SGB IX weiter zurückgegriffen
werden.
Danach gehört zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auch das Bedürfnis
nach Kommunikation.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten gehört hierzu nicht nur die mündliche, sondern
auch die schriftliche Kommunikation, zumindest in Gestalt des lesbaren Schreibens mit
der Hand. Dies gilt auch nicht nur für einen der oben genannten
Rehabilitationsbereiche, sondern umfasst sämtliche Bereiche. So können wesentliche
Erklärungen auf beruflichem oder gesellschaftlichem Gebiet nur schriftlich abgegeben
werden (vgl. z.B. §§ 355 Abs. 1 Satz 2, 550, 623 BGB). In anderen Fällen dient die
Schriftform jedenfalls der Verkörperung der Erklärung und damit der
Beweiserleichterung. Nicht anders verhält es sich im privaten Bereich. Während ein Teil
der Kommunikation hier sicherlich unmittelbar mündlich oder jedenfalls unter Zuhilfe
des Telefons erfolgen kann, entspricht es allgemeinen Gepflogenheiten, z.B.
Glückwünsche zu wichtigen Anlässen oder Kondulationen schriftlich zu formulieren.
Dass dabei jeweils eine gewisse Form, zumindest Lesbarkeit zu wahren ist, bedarf
keiner näheren Ausführung.
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Dies gilt auch eingedenk des Umstandes, dass nach der Rechtsprechung des BSG die
Kommunikation mit anderen in erster Linie dazu dient, Vereinsamung zu verhindern (vgl.
BSG SozR 3-2200 § 33 Nr. 40). Dass dies nicht der einzige grundlegende Zweck von
Kommunikation ist, sondern dass Kommunikation z.B. mit Vermieter, Arbeitgeber,
Kreditinstituten etc. auch dazu dienen kann, zum Leben unverlässliche
Voraussetzungen wie Wohnen, Zufluss von Geldmitteln und dergleichen zu beschaffen
oder zu sichern, liegt auf der Hand. Vereinsamung lässt sich darüber hinaus aber auch
nur dann vermeiden, wenn der Behinderte in den Stand versetzt wird, auf wichtige
Ereignisse im Leben seiner Kontaktpersonen angemessen zu reagieren.
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Die Klägerin braucht sich dabei auch im Rahmen der Grundbedürfnisse entgegen der
Auffassung der Beklagten nicht auf die Kommunikation allein mit ihrem Ehemann
verweisen zu lassen. Es bedarf keines medizinischen Sachverständigengutachtens
festzustellen, dass ein kontaktfähiger Mensch, der gezwungen ist, seine Kontakte auf
einen einzigen anderen Menschen zu beschränken, auf Dauer gesundheitlichen
Schaden nehmen wird.
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Das Kommunikation in dem geschilderten Umfang zu den Grundbedürfnissen des
täglichen Lebens gehört, wird nicht zuletzt auch durch das Regelungssystem des SGB
IX bestätigt. Wie bereits ausgeführt, gehören dabei die Leistungen zur Teilhabe am
Leben in der Gemeinschaft nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten.
Dementsprechend lässt sich §§ 55 ff SGB IX entnehmen, was nach Vorstellung des
Gesetzgebers zu den über die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens hinausgehenden
Bedürfnissen gehört. So umfasst die Hilfe zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und
kulturellen Leben nach §§ 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 Nr. 1 und 2 SGB IX "Hilfen zur Förderung
der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen und Hilfen zum
Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung
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oder kulturellen Zwecken dienen". Beide genannten Kommunikationsbereiche gehen
jedoch weit über das hinaus, was nach den obigen Ausführungen noch zu den
Grundbedürfnissen zählt.
Mit dieser Beurteilung setzt die Kammer sich nicht in Widerspruch zu den beiden
Entscheidungen des BSG, in denen der Anspruch auf Versorgung mit einer
Schreibmaschine abgelehnt worden ist. In der Entscheidung vom 22.02.1974 - 3 RK
27/73 (BSGE 37, 138 ff.) - hat das BSG den Anspruch eines an Phokomelie der oberen
Gliedmaßen leidenden Kindes mit der Begründung verneint, die Schreibmaschine solle
allein der Eingliederung ins spätere Berufsleben, also der beruflichen Rehabilitation,
dienen. Ob das BSG diese Argumentation heute noch aufrecht erhalten würde oder ob
das Bedürfnis, lesbar zu schreiben, nicht zwingend mit dem vom BSG anerkannten
Grundbedürfnis des Schuldbesuchs zusammenhängt, kann dahingestellt bleiben.
Jedenfalls geht es hier nämlich, wie dargestellt, nicht allein um die berufliche
Rehabilitation, sondern die Befriedigung eines übergreifenden Grundbedürfnisses.
Nicht wesentlich anders verhält es sich mit der Entscheidung vom 15.02.1978 - 3 RK
36/76 (SozR 2200 § 182 b Nr. 5). Hier hat das BSG ohne nähere Auseinandersetzung
mit der Frage der in Betracht kommenden Grundbedürfnisse lediglich ausgeführt, allein
der Ausgleich von Behinderungsfolgen im privaten Bereich reiche für einen
Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse nicht aus.
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Die Klägerin benötigt die "sprechende Schreibmaschine" zur Wahrnehmung ihres
Grundbedürfnisses nach schriftlicher Kommunikation. Inwieweit Behinderte auf die Hilfe
von Familienangehörigen verwiesen werden können, bedarf dabei keiner Entscheidung.
Da der Ehemann der Klägerin nämlich selbst blind ist, kann er ihr insoweit nicht
beistehen. Andere private Hilfen, auf die die Klägerin im Übrigen auch nicht verwiesen
werden könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere steht ihre Bekannte, die ihr bislang
die Korrespondenz erledigt hat, nicht mehr zur Verfügung.
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Eine wirtschaftlichere Versorgungsmöglichkeit als die Anschaffung der "sprechenden
Schreibmaschine" ist nicht ersichtlich. Insbesondere sind auch seitens der Beklagten
hierzu keinerlei Vorschläge unterbreitet worden. Dass die in Betracht kommenden, im
Hilfsmittelverzeichnis aufgeführten, Hilfsmittel sämtlich teurer sind, hat bereits der
Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in seinem Gutachten vom
11.08.2000 an die Beklagte ausgeführt.
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Ohne Erfolg hält die Beklagte dem entgegen, bei zusätzlicher Versorgung mit einem
Lesesystem entstünden unnötige Mehrkosten. Die Klägerin hat nämlich klargestellt,
dass sie ein solches System derzeit und auch in Zukunft nicht begehrt. Diese
Entscheidung ernst zu nehmen, schreibt § 33 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch
ausdrücklich vor. Danach soll den Wünschen des Sozialleistungsberechtigten
entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Aufgrund dessen liegt es in der
Entscheidungsfreiheit der Versicherten, sich für die Befriedigung einzelner
Grundbedürfnisse zu entscheiden und auf die Befriedigung anderer zu verzichten.
Demgegenüber wäre es ein elementarer Verstoß gegen das auch in § 1 Satz 1 SGB IX
enthaltene Selbstbestimmungsrecht, behinderten Menschen die Versorgung mit einem
bestimmten Hilfsmittel zu verweigern, um ihnen stattdessen gleichsam ein Hilfsmittel
"aufzuzwingen", das sie weder wünschen noch gebrauchen können. Dementsprechend
wäre der Verzicht der Klägerin auf die Versorgung mit einem Hilfsmittel zur Information
gegebenenfalls zu berücksichtigen, falls die Klägerin - wofür derzeit nicht die geringsten
Anhaltspunkte sprechen - ihre diesbezügliche Ansicht später ändern sollte.
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Schließlich ist die Versorgung mit der "sprechenden Schreibmaschine" auch
angemessen. Nach dem glaubhaften Vortrag der Klägerin ist davon auszugehen, dass
sie das Gerät regelmäßig, d.h. mindestens alle zwei Tage, benutzen wird. Damit stehen
Nutzen und Anschaffungskosten nicht außer Verhältnis.
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Die "sprechende Schreibmaschine" ist nicht in der aufgrund von § 34 Abs. 4 SGB V
ergangenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder
geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt und damit
auch nicht durch diese Verordnung von der Versorgung ausgeschlossen.
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Dem Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit der "sprechenden Schreibmaschine"
steht nicht entgegen, dass dieses Hilfsmittel in Produktgruppe 7 des
Hilfsmittelverzeichnisses nicht aufgeführt ist. Denn das von den Spitzenverbänden der
Krankenkassen nach § 128 SGB V erstellte Hilfsmittelverzeichnis ist keine Richtlinie im
Sinne von § 92 SGB V und hat daher nur Empfehlungscharakter (BSG SozR 3-2500 §
33 Nr. 27 und 28 m.w.N.). Dass nach Ziffer 8 der auf der Grundlage von § 92 Abs. 1 Nr. 6
SGB V erlassenen Heil- und Hilfsmittelrichtlinien (Heil- und HilfsmittelRL) ein Hilfsmittel
zu Lasten der Krankenkasse nur verordnet werden darf, wenn es im
Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Würde man
diese Vorschrift nämlich dahingehend verstehen, dass sie auch den Leistungsanspruch
des Versicherten unmittelbar beeinflusst, wäre sie nichtig. Denn erstens würde es sich
in diesem Fall um eine unzulässige dynamische Blankettverweisung handeln. Zweitens
hätte der Richtliniengeber damit seine Befugnisse überschritten, weil in den Richtlinien
nach § 92 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V nur der Katalog der verordnungsfähigen Heilmittel
und damit nicht auch der Hilfsmittel festgelegt werden darf. Ziff. 8 Heil- und HilfsmittelRL
ist daher ebenfalls im Sinne einer Empfehlungsvorschrift zu verstehen, die im Verhältnis
zum Versicherten keine Bindungswirkung hat.
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Das Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung hindert den Versorgungsanspruch
ebenfalls nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG, der die Kammer folgt, bedarf es bei
der Versorgung mit Hilfsmitteln keiner vertragsärztlichen Verordnung, weil der
Verordnungsvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V sich nur auf Hilfeleistungen
anderer Personen, nicht aber auf andere Leistungen erstreckt (BSG SozR 3-2500 § 33
Nr. 28 und 33).
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Die Klage war nach allem nur insoweit abzuweisen, als die Klägerin die volle
Kostenübernahme beansprucht hat. Denn sie muss den auf den
Typenradschreibmaschine in ihrer Eigenschaft als Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens entfallenden Anteil der Gesamtkosten selbst übernehmen. Hierdurch wird sie im
Hinblick auf die voraussichtlichen Kosten von 340 EUR netto auch, anders als
möglicherweise bei Anschaffung eines kompletten Computers, nicht unzumutbar
belastet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
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