Urteil des SozG Koblenz vom 05.08.2009

SozG Koblenz: ratio legis, diabetes mellitus, schwangerschaft, minderung, verpflegung, krankenkasse, vergütung, pflege, abrechnung, behandlung

Sozialrecht
SG
Koblenz
05.08.2009
S 6 KR 414/08
Aufwandspauschale
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie die Verfahrenskosten.
3. Der Streitwert wird auf 100,00 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Entrichtung einer Aufwandspauschale.
In dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus befand sich die bei der Beklagten krankenversicherte
H S in der Zeit vom 18.04.2007 bis 28.04.2007 zur Entbindung in Behandlung.
Nach der Entlassung machte das Krankenhaus gegenüber der Beklagten eine Abrechnung nach der
DRG001E geltend.
In Kenntnis dieser Rechnung teilte die Beklagte dem Krankenhaus mit Schreiben vom 15.05.2007 mit,
dass Zweifel daran bestehen, ob die DRG richtig abgerechnet wurde. Der MDK sei zu einer
entsprechenden Prüfung gebeten worden. Anhand der vorliegenden Unterlagen sei diesem eine
abschließende Prüfung nicht möglich. Die Übersendung der laut Anforderung des MDK benötigten
Unterlagen an diesen wurde erbeten.
Am 29.05.2007 erfolgte sodann durch den Arzt im MDK S eine Begehung im Krankenhaus. Hierbei wurde
festgestellt, dass die Aufnahme bei immer schlechter steuerbarem Gestationsdiabetes erfolgt sei. Die
Verweildauer sei in der gesamten Länge medizinisch nachvollziehbar, die Nebendiagnose sei korrekt
kodiert, hierzu bestehe nach Erörterung Konsens mit dem Krankenhaus.
Anschließend erfolgte der vollständige Ausgleich des seitens des Krankenhauses geltend gemachten
Rechnungsbetrages.
Mit Rechnung vom 01.08.2007 machte das Krankenhaus sodann gegenüber der Beklagten die
Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € geltend. Mit Schreiben vom 29.08.2008 teilte die Beklagte dem
Krankenhaus sodann mit, § 275 Abs. 1c SGB V beziehe sich ausschließlich auf
Krankenhausbehandlungen gemäß § 39 SGB V. Bei dem Aufenthalt der Versicherten habe es sich um
eine stationäre Entbindung gemäß § 197 RVO (Reichsversicherungsordnung) gehandelt. Da es sich
hierbei um keine Krankenhausbehandlung gemäß § 39 SGB V gehandelt habe, komme auch nicht die
Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € in Betracht.
Am 08.09.2008 ist die Leistungsklage bei Gericht eingegangen.
Die Klägerin macht geltend, gegenüber der Beklagten sei nicht vorzubringen, dass für ihre Auslegung des
Gesetzes der Wortlaut im ersten Satz des § 275 Abs. 1c SGB V spricht. Nach der Rechtssprechung des
BGH sei jedoch die entscheidende Auslegungsregel die Frage nach der ratio legis. Unter
Berücksichtigung der Gesetzesbegründung hinsichtlich des § 275 Abs. 1c SGB V sollten aber
Einzelfallprüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auf ein angemessenes Maß zurückgeführt werden. Im
ersten Absatz finde sich ebenso wenig wie in den folgenden Absätzen auch nur ein Anhaltspunkt dafür,
dass stationäre Entbindungsfälle gemäß § 197 RVO, die auch nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V überprüft
werden können, hier vom Gesetzgeber anders behandelt werden sollen als die übrigen Krankenhausfälle.
Die in der Gesetzesbegründung angeführten Argumente gegen die Überprüfungsflut würden bei
Behandlungen nach § 39 SGB V genauso gut zutreffen wie bei stationären Entbindungsfällen gemäß §
197 RVO. Im Übrigen habe der MDK mit Schreiben vom 18.05.2007 ihr gegenüber auch gerade eine
Prüfung gemäß § 275 Abs. 1c SGB V angezeigt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 08.09.2008 zu zahlen, hilfsweise die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, ausweislich § 275 Abs. 1c SGB V sei nur bei Krankenhausbehandlungen nach § 39
SGB V dann eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten, sofern die Prüfung nicht zu
einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt.
§ 197 RVO stelle für den Fall, dass eine Versicherte zur Entbindung in einem Krankenhaus oder einer
anderen Einrichtung aufgenommen wird klar, dass sie für sich und das Neugeborene auch Anspruch auf
Unterkunft, Pflege und Verpflegung hat. Für diese Zeit bestehe indessen ausdrücklich kein Anspruch auf
Krankenhausbehandlung. Die seitens des Krankenhauses angegebenen Nebendiagnosen hätten
gezeigt, dass es sich vorliegend um keine "normale Schwangerschaft" gehandelt hat. Grundsätzlich sei
mithin die Anwendbarkeit des § 275 Abs. 1 SGB V gegeben. Ihrerseits sei zu prüfen gewesen, ob ein
während der Schwangerschaft erworbener Diabetes mellitus zutreffend angegeben wurde. Es habe
indessen keine Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V im Sinne des § 275 Abs. 1c SGB V
vorgelegen. Auch wenn die Schwangerschaft selbst mit (üblichen) Komplikationen einhergegangen sei,
ziele § 197 RVO einzig und allein auf die Entbindung ab. Die stationäre Aufnahme müsse folglich mit dem
Ziel der Entbindung erfolgen. Dies sei vorliegend eindeutig der Fall gewesen, so dass eine
Krankenhausbehandlung im Sinne von § 275 Abs. 1c SGB V nicht vorgelegen habe. Entsprechend
komme dann auch keine Aufwandspauschale in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Prozessakte sowie den der Verwaltungsakte. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist erfolglos.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleich der geltend gemachten Aufwandspauschale.
Gemäß § 275 Abs. 1c SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (Bundesgesetzblatt vom 30.03.2007,
378ff.) ist bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah
durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der
Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die
Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem
Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten.
Wie der Wortlaut des § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V eindeutig zeigt, greift diese Bestimmung nur bei einer
Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V. Zutreffend weist die Beklagte aber darauf hin, dass
Rechtsgrundlage für die Behandlung der Versicherten im klagenden Krankenhaus alleine § 197 RVO in
der Fassung des Artikels 11 Nr. 2 des Gesetzes vom 26.03.2007 (Bundesgesetzblatt I, Seite 378) ist.
Danach hat eine Versicherte für sich und das Neugeborene auch Anspruch auf Unterkunft, Pflege und
Verpflegung, sofern sie zur Entbindung in einem Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung
aufgenommen wird. Für diese Zeit besteht kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung. § 39 Abs. 2 des
Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) gilt entsprechend.
Nachdem in der vorangegangenen Fassung des § 197 RVO noch geregelt war, dass ein solcher
Anspruch für die Zeit nach der Entbindung jedoch für längstens 6 Tage besteht, wurde diese Sechs-
Tages-Frist gestrichen. Der Ausschuss für Gesundheit (Bundestagsdrucksache 16/4247, Seite 61) hat
hierzu Folgendes ausgeführt:
"Die zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf sechs Tage nach der Entbindung wurde seinerzeit
eingeführt, um bei einer tagesbezogenen Vergütung den Anreizen zu einer längeren Verweildauer im
Krankenhaus entgegenzuwirken. Mit der Einführung der Fallpauschalen-Vergütung für Geburten im Jahr
1995 wurde eine Vergütungsform eingeführt, die grundsätzlich unabhängig von der Verweildauer ist und
somit keinen Anreiz zu längeren Verweildauern mehr enthält. Das Krankenhaus achtet bereits im
Eigeninteresse auf möglichst kurze Verweildauern. Deshalb kann die zeitliche Befristung in § 197
gestrichen werden."
Da vorliegend aufgrund der tatsächlichen Verweildauer der Versicherten im Krankenhaus für die gesamte
Dauer nicht vom Vorliegen einer Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 SGB V auszugehen ist, sich
der Anspruch der Versicherten alleine auf §197 RVO gründet, kommt vorliegend mangels einer
ausdrücklichen Erwähnung dieser Bestimmung in § 275 Abs. 1c SGB V keine Erstattung der
Aufwandspauschale in Betracht. Unabhängig davon, unter welchem Gesichtspunkt des § 275 Abs. 1 SGB
V tatsächlich die Prüfung seitens der Beklagten durch den MDK eingeleitet worden war, kommt aufgrund
des Gesamtzusammenhangs in § 275 Abs. 1c SGB V eine Aufwandspauschale nur bei einer
Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V in Betracht. Diesbezüglich gibt der Wortlaut dieser
Bestimmung keine andere Auslegungsmöglichkeit.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung wird die Berufung zugelassen.