Urteil des SozG Koblenz vom 22.06.2010

SozG Koblenz: aufnahme einer erwerbstätigkeit, krankenversicherung, mitgliedschaft, rahmenfrist, rentner, berufliche ausbildung, leistungsanspruch, inhaftierung, rente, versicherungspflicht

Sozialrecht
SG
Koblenz
22.06.2010
S 16 KR 87/09
Anrechnung von Haftzeiten auf die für die Krankenversicherung der Renten nötigen
Vorversicherungszeiten
Zeiten, in denen der Leistungsanspruch nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ruht, sind auf die
Vorversicherungszeiten der Krankenversicherung der Renten anzurechnen.
1. Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 30.05.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30.08.2007 wird dem Grunde nach festgestellt, dass der Kläger in der
Krankenversicherung der Rentner gesetzlich krankenversichert ist.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die Voraussetzungen der Mitgliedschaft in der
Krankenversicherung der Rentner erfüllt.
Der am 1956 geborene Kläger stellte am 03.07.2001 einen Antrag auf Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz. Die Beklagte als die zu diesem
Zeitpunkt zuständige Krankenkasse überprüfte daraufhin die Versicherungspflicht des Klägers in der
Krankenversicherung für Rentner und stellte mit Bescheid vom 02.11.2001 fest, dass die
Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Da der Kläger zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung eine
Umschulungsmaßnahme absolvierte, wurde der Antrag zunächst zurückgestellt; der Kläger stellte einen
erneuten Rentenantrag am 13.12.2002.
Mit Schreiben vom 10.04.2007 beantragte der Kläger sodann eine erneute Überprüfung der
Angelegenheit bei der AOK Rheinland/Hamburg. Diese leitete diesen Antrag an die Beklagte als die
zuständige Stelle weiter.
Diese stellte mit Bescheid vom 30.05.2007 erneut fest, dass die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft in
der Krankenversicherung der Rentner im Falle de Klägers nicht erfüllt seien. Denn dieser erfülle innerhalb
der für ihn geltenden Rahmenfrist die nötigen Vorversicherungszeiten nicht.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 06.07.2007 Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 30.08.2007 wies die Beklagte diesen Widerspruch als unbegründet zurück. Gemäß § 5
Abs. 1 Nr. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien Personen versicherungspflichtig, wenn sie
seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Antrages mindestens 9/10 der
zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder versichert gewesen seien. Unter diese so genannten vor
Versicherungszeiten fielen alle Zeiten einer Pflichtmitgliedschaft, freiwillige Mitgliedschaft oder
Familienversicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse. Der Kläger habe die Rente der gesetzlichen
Rentenversicherung am 03.07.2001 beantragt. In der daraufhin ergangenen Meldung zur
Krankenversicherung der Rentner nach § 201 Abs. 1 SGB V habe er jedoch nicht angegeben, wann er
erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Aus diesem Grund habe die Beklagte die Deutsche
Rentenversicherung RheinlandPfalz um Übersendung eines Versicherungsverlaufs gebeten; aus diesem
folge, dass der Kläger erstmalig am 09.02.1972 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Folglich
müssten die zeitlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner in
der Zeit vom 09.02.1972 bis zum 03.07.2001 nachgewiesen werden. Die zweite Hälfte der Rahmenfrist
beginne sodann am 22. Oktober 1986 und dauere 14 Jahre, 8 Monate und 12 Tage. Nachzuweisen seien
vor diesem Hintergrund Versicherungszeiten von 13 Jahren, 2 Monaten und 26 Tagen, also 9/10 der
Gesamtzeit. Nach den Angaben der Beklagten betrügen die Versicherungszeiten des Klägers allerdings
nur 10 Jahre. Da er damit die Vorversicherungszeiten nicht erfülle, sei eine Versicherung in der
Krankenversicherung der Rentner ausgeschlossen.
Mit seiner am 24.09.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Verfahren
wurde jedoch mit Beschluss vom 20.06.2008 zunächst zum Ruhen gebracht, da zum damaligen Zeitpunkt
ein Rentenfeststellungsverfahren anhängig gewesen ist. Am 18.03.2009 wurde das Verfahren wieder
aufgerufen.
Die Bevollmächtigte des Klägers trägt zur Klagebegründung vor, dass die Beklagte von einer falschen
Rahmenfrist ausgegangen sei. Zunächst habe der Kläger seine Erwerbstätigkeit bereits am 02.08.1971
aufgenommen, da er zu diesem Zeitpunkt seine berufliche Ausbildung begonnen habe. Auch ende die
Rahmenfrist nicht bereits am 03.07.2001, da es sich hierbei lediglich um das Datum des ersten Antrages
des Klägers auf Feststellung einer Erwerbsminderungsrente handele. Zum Zeitpunkt dieser Antragstellung
habe sich der Kläger allerdings in einer berufsfördernden Maßnahme, einer Umschulung, befunden
aufgrund dieser Maßnahme sei er bei der Beklagten pflichtversichert gewesen. Die
Erwerbsminderungsrente sei allein wegen der laufenden Umschulungsmaßnahme noch nicht gewährt
worden, so dass der Kläger seinen Rentenantrag zunächst nicht weiter verfolgt habe. Erst Ende 2002 bzw.
Anfang 2003 habe der Kläger sodann einen neuen Rentenantrag gestellt; das Rentenverfahren sei durch
die Deutsche Rentenversicherung wieder aufgenommen worden. Mit Bescheid vom 01.04.2003 habe die
Deutsche Rentenversicherung den Antrag sodann zurückgewiesen; ein anschließend durchgeführtes
Widerspruchs- und Klageverfahren habe mit Vergleich vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
geendet. Im Rahmen dieses Vergleichs habe sich die Deutsche Rentenversicherung verpflichtet, dem
Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 01.07.2005 zu
gewähren. Folglich sei der Rentenantrag des Klägers am 03.07.2001 vorzeitig gestellt worden, als die
Voraussetzungen der Erwerbsminderungsrente noch nicht vorgelegen hätten. Diese vorzeitige
Antragstellung könne jedoch nicht zum Nachteil des Klägers gereichen. Man könne vielmehr erst auf den
Zeitpunkt abstellen, zu dem die Voraussetzungen der Erwerbsminderungsrente vorgelegen hätten. Man
müsse daher auf den Zeitpunkt nach der Beendigung der Umschulungsmaßnahme und nach Beendigung
der anderweitigen Pflichtversicherung bei der Beklagten abstellen. Rechtsgrundlage für die
Rentenbewilligung sei nicht der Antrag des Klägers vom Juli 2001, sondern dessen spätere Tätigkeit im
Jahre 2003. Daher müsse die Beklagte die Rahmenfrist neu berechnen. Weiterhin habe die Beklagte nicht
berücksichtigt, dass die Ehefrau des Klägers, Frau M R, Mitgliedszeiten bis zum 31.12.1988 aufweise.
Vor diesem Hintergrund könne nicht von Fehlzeiten des Klägers in der Krankenversicherung für die Zeit
vom 11.01.1987 bis zum 31.02.1990 ausgegangen werden.
Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 30.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30.08.2007 festzustellen, dass der Kläger in der Krankenversicherung der Rentner gesetzlich
krankenversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Rechtmäßigkeit der Bescheide fest. Der Kläger habe seinen Rentenantrag am 03.07.2001
gestellt. Selbst wenn man berücksichtige, dass der Kläger seine Tätigkeit bereits am 02.08.1971
aufgenommen habe, komme man allerdings hinsichtlich der nötigen Vorversicherungszeiten zu keinem
abweichenden Ergebnis. In diesem Fall dauere die Rahmenfrist nämlich vom 02.08.1971 bis zum 03. Juli
2001. Damit beginne die zweite Hälfte der Rahmenfrist am 18.07.1989; die erforderlichen
Vorversicherungszeiten beliefen sich auf 13 Jahre, 5 Monate und 21 Tage. Allerdings ergäben sich
hierbei lediglich Versicherungszeiten von 11 Jahren, 2 Monaten und 26 Tagen. Etwas anderes folge auch
nicht daraus, dass die Ehefrau des Klägers Mitglied der AOK Rheinland/Hamburg gewesen sei. Denn
ausweislich der vorliegenden Unterlagen sei der Kläger von Januar 1987 bis Juli 1990 inhaftiert gewesen.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V sei jedoch von einem Ruhen der Leistungen bei Versicherten auszugehen,
wenn diese eine Freiheitsstrafe verbüßen würden. In dieser Zeit bestünde lediglich ein Anspruch auf
Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Leistungsakte
des Beklagen sowie die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist in vollem Umfang begründet. Der
angegriffene Bescheid der Beklagten vom 30.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
30.08.2007, mit dem diese festgestellt hat, dass der Kläger die für eine Aufnahme in der
Krankenversicherung der Renner erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht erfüllt, ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn entgegen der Ansicht der Beklagten liegen die für eine
solche Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nötigen Vorversicherungszeiten im Falle des Klägers
vor; entgegen der Ansicht der Beklagten sind dabei die Zeiten der Inhaftierung des Klägers zu
berücksichtigen, ruhte während dieser Zeit doch lediglich die Leistungsanspruch, nicht aber die
Mitgliedschaft.
1. Nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V besteht für Personen, die die Voraussetzungen für den
Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben,
unter bestimmten Voraussetzungen eine Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV). Neben dem grundsätzlichen Bestehen eines Rentenanspruchs setzt die Mitgliedschaft in der sog.
Krankenversicherung für Rentner voraus, dass die betreffende Person die Rente beantragt hat und seit
der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 9/10 der
zweiten Hälfte des Zeitraums aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied oder aufgrund einer
Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert war. Die Prüfung dieser sog. Vorversicherungszeit setzt
die Bestimmung der sog. Rahmenfrist voraus. Zu klären ist, welcher Zeitraum für die Prüfung der in § 5
Abs. 1 Nr. 11 SGB V genannten Voraussetzung – 9/10 der zweiten Hälfte als Versicherung im Sinne des
Gesetzes bzw. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) – maßgeblich ist. Das
Gesetz benennt den Regelfall der Rahmenfrist: Diese erstreckt sich auf den Zeitraum von der erstmaligen
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags.
Die so bestimmte Rahmenfrist ist in einem nächsten Schritt zu halbieren. Die zweite Hälfte dieser Frist
muss zu 9/10 mit einer Pflichtmitgliedschaft, einer freiwilligen Mitgliedschaft oder einer ihr gleichgestellten
Zeit belegt gewesen sein; andernfalls – und insoweit bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken –
besteht keine Versicherungspflicht in der GKV.
2. Der Kläger als Rentner erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Er hat nach dem dem
Gericht vorliegenden Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz erstmalig
am 02.08.1971 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen; dies markiert den Beginn der Rahmenfrist. Diese
endete entgegen der Auffassung des Klägers allerdings bereits am 03.07.2001 mit der Stellung des
Rentenantrags. Darauf, ob dieser aufgrund der vom Kläger zum damaligen Zeitpunkt durchgeführten
Umschulungsmaßnahmen bis auf weiteres zurückgestellt
wurde
Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz vom 20.12.2001), kommt es vorliegend nicht an. Denn das
Stellung des Rentenantrags
bezug
kommt es insoweit nicht an. Mit der Stellung des Rentenantrags wird vielmehr das Ende der
Erwerbsbiografie der betreffenden Person markiert; diese gibt zu erkennen, dass sie aus dem
Erwerbsleben ausscheiden möchte. Allein dieser Zeitpunkt ist maßgeblich; daran hat der Gesetzgeber bis
heute festgehalten, auch wenn er ein anderes Enddatum für die sog. Rahmenfrist hätte festlegen, etwa
den Rentenbeginn als ein solches hätte bestimmen können (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2009 - B 12 KR
26/07 R). Daneben spricht dafür, dass es allein auf die Antragstellung und nicht auf den tatsächlichen
Beginn des Rentenbezugs ankommt, auch die Regelung des § 186 SGB V. Denn nach dieser Vorschrift
entsteht zunächst mit der Stellung des Rentenantrags eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der
Rentner. Kommt der Rentenversicherungsträger bei der Überprüfung des gestellten Antrags dann jedoch
zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Rentenanspruchs nicht gegeben sind, so bleibt für die
Übergangszeit zwischen der Antragstellung und der Ablehnung eine sog. Formalmitgliedschaft in der GKV
bestehen.
Dass weiterhin die Zeiten zwischen der Antragstellung und dem Beginn der Rentengewährung bei der
Berechnung der Vorversicherungszeiten außer Acht zu lassen sind, hat jüngst das Bundessozialgericht
bestätigt (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2009 - B 12 KR 26/07 R). Denn § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sei insoweit
eindeutig und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Damit erstreckt sich im Falle des Klägers die Rahmenfrist auf die Zeit zwischen dem 02.08.1971 und dem
03.07.2001. Die zweite Hälfte dieses Zeitraums erstreckt sich vom 18.07.1986 bis einschließlich
03.07.2001 und umfasst damit 14 Jahre, 11 Monate und 16 Tage; in dieser Zeit sind vom Kläger als
Vorversicherungszeiten 9/10 dieser Zeit, also 13 Jahre, 5 Monate und 21 Tage nachzuweisen. Tatsächlich
belaufen sich die Vorversicherungszeiten das Klägers auf 14 Jahren, 9 Monaten und 16 Tagen; die
erforderlichen Vorversicherungszeiten in Höhe von 9/10 der zweiten Hälfte der Rahmenfrist sind damit
entgegen der Ansicht der Beklagten erfüllt.
Das folgt daraus, dass die Zeiten der Inhaftierung des Klägers entgegen der Ansicht der Beklagten bei der
Berechnung der Vorversicherungszeiten sehr wohl Berücksichtigung finden müssen. Die übrigen 11
Jahre, 2 Monate und 26 Tage waren zwischen den Parteien unstreitig und liegen laut dem dem Gericht
vorliegenden Versicherungsverlauf beim Kläger so auch vor. Die Beklagte ist jedoch bei ihrer Berechnung
fälschlich davon ausgegangen, dass die Zeiten der Inhaftierung des Klägers vom 11.01.1987 bis
einschließlich 31.07.1990 bei der Berechnung der Vorversicherungszeiten keine Berücksichtigungen
finden könnten, da § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V das Ruhen des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB V
anordne, soweit ein Anspruch auf freie Heilfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz bestünde. Dies steht
einer Berücksichtigung der Haftzeiten bei der Berechnung der Vorversicherungszeiten indes nicht
entgegen; auch diese sind anzurechnen.
a) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der hier relevanten gesetzlichen Vorschriften, aber auch aus
deren Sinn und Zweck. Denn § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V bestimmt in diesem Zusammenhang, dass für die
Mitglied
einer gesetzlichen Krankenversicherung oder nach Maßgabe des § 10 SGB V im Zuge der
Familienversicherung leistungsberechtigt gewesen sei. Ausschlaggebend ist damit letztlich die
Mitgliedschaft
Mitgliedschaft lässt die Ruhensvorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V aber ausdrücklich unberührt; das
Ruhen erstreckt sich ausdrücklich nur auf die Leistungsansprüche und auch auf diese nur insoweit, als
entsprechende Ansprüche auf freie Heilfürsorge bestehen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass
derjenige, der zum Zeitpunkt des Haftantritts selbst Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ist,
während der Verbüßung der Freiheitsstrafe gegen diese zwar im genannten Umfang keine Ansprüche
geltend machen kann, dass er aber dennoch Mitglied der Krankenkasse bleibt. Dann ist aber eine
Berücksichtigung der Haftzeiten als Mitgliedszeiten bei der Berechnung der Vorversicherungszeiten
zwingende Folge.
b) Dieser Schluss folgt zwingend aus der bloßen Existenz des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V. Denn würde die
Inhaftierung die Mitgliedschaft beenden, wäre eine solche Regelung überflüssig, da ohne Mitgliedschaft
zweifelsohne kein Leistungsanspruch bestehen kann.
c) Für dieses Ergebnis spricht weiterhin auch die Tatsache, dass trotz der Inhaftierung die Beitragspflicht
zur GKV bestehen bliebt (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2006 - L 11 KR
4028/05; Landessozialgericht für das Land Brandenburg, Urteil vom 19.02.2003 - L 4 KR 16/02). Denn der
Sinn und Zweck der Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V besteht allein darin, während der Haftzeit
Doppelleistungen zu vermeiden, da der Häftling während des Strafvollzuges Anspruch auf
Gesundheitsfürsorge nach den §§ 56 ff. StVollzG hat. Diese Regelung sagt aber nichts über die Frage der
Beitragspflicht aus, diese ist vielmehr in den §§ 224, 2525 SGB V geregelt. Da sich hier keine Vorschrift
findet, nach der während der Inhaftierung eines Mitglieds keine Beiträge zu entrichten sind, bleibt die
Beitragspflicht im Umkehrschluss bestehen (Landessozialgericht für das Land Brandenburg, Urteil vom
19.02.2003 - L 4 KR 16/02). Nach Ansicht des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, der sich die
Kammer anschließt, folgt die Beitragspflicht auch während der Haftzeit bereits daraus, dass es trotz des
(teilweisen) Ruhens der Leistungsansprüche nicht völlig an einer "Gegenleistung" durch die GKV fehlt.
Zunächst bleiben nämlich die Ansprüche auf Familienversicherung nach § 10 SGB V unberührt (BT-
Drucks. 11/2237, S. 225 zu § 252 Abs. 1). Weiterhin führt die ruhende Stammversicherung auch nur dazu,
soweit
denen der freien Heilfürsorge deckungsgleich sind. Da die Gesundheitsfürsorge nicht alle Ansprüche
nach dem SGB V gewährt und auch nur in der Haftanstalt gewährt wird, verbleibt dem Mitglied dem
Grunde nach ein Leistungsanspruch nach dem SGB V. Gemäß § 56 StVollzG ist im Strafvollzug für die
körperliche und geistige Gesundheit des Gefangenen zu sorgen. Für die Art der
Gesundheitsuntersuchungen und medizinischen Vorsorgeleistungen sowie für den Umfang dieser
Leistungen der Krankenbehandlung gelten die entsprechenden Vorschriften des SGB V und die aufgrund
des StVollzG geschaffenen Vorschriften (§ 161 StVollzG). Die Krankenbehandlung umfasst dabei nicht
den Umfang der Ansprüche nach dem SGB V. So ist der Zuschuss zu Zahnersatz und Zahnkronen
abhängig von Regelungen der Landesjustizverwaltung (§ 62 StVollzG) und umfasst damit nicht in jedem
Fall die Leistungen nach dem SGB V (§§ 28 Abs. 2, 29 SGB V). Auch § 60 StVollzG, der den
Leistungsanspruch der Gesundheitsfürsorge bei Urlaub und Ausgang auf Behandlungen in der für den
Gefangenen zuständigen Vollzugsanstalt beschränkt, zeigt, dass während eines Hafturlaubes oder
Ausganges ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB V außerhalb der Vollzugsanstalt besteht.
d) Schließlich wird die Gesundheitsfürsorge während der Haft bei der Bonusregelung des § 55 Abs. 1 S. 2
und 5 SGB V berücksichtigt und die reine Haftzeit auch auf die Wartezeiten nach §§ 23 Abs. 5 S. 4, 24
Abs. 2, 40 Abs. 3 S. 4 und 41 Abs. 2 SGB V angerechnet. Auch dies spricht zwingend dafür, dass auch im
Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V eine Berücksichtigung zu erfolgen hat.
Da die Mitgliedschaft aber über die Dauer der Haft hinweg fortbesteht, sind diese Zeiten bei der
Berechnung der Vorversicherungszeiten zu berücksichtigen. Vorliegend war der Kläger bei Haftantritt
Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund von Arbeitslosigkeit. Seine Mitgliedschaft
bestand über die Dauer seiner Haftstrafe fort, allein seine Ansprüche ruhten. Daher müssen die Zeiten der
Haft auf die Vorversicherungszeiten des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V angerechnet werden.
Damit war der Klage letztlich vollumfänglich stattzugeben. Das Gericht konnte vorliegend jedoch nur ein
Grundurteil erlassen, da aus den ihm vorliegenden Unterlagen der Zeitpunkt, ab dem die
Versicherungspflicht letztlich eingetreten ist, nicht eindeutig erkennbar war. Dies wird die Beklagte zu
ermitteln haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).