Urteil des SozG Koblenz vom 01.06.2006

SozG Koblenz: wichtiger grund, wiedereinsetzung in den vorigen stand, grobe fahrlässigkeit, verschluss, wohnung, verfügung, erwerb, sanktion, meldepflicht, eltern

Sozialrecht
SG
Koblenz
01.06.2006
S 11 AS 317/05
Defekte Kleidung kein wichtiger Grund für Meldeversäumnis
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Absenkung des Arbeitslosengeldes II für den
Zeitraum von 3 Monaten.
Der am ……1975 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Am 25.03.2005 hat er mit der
Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. In der Rechtsfolgenbelehrung wird u.a. auf
die Meldepflicht und die bei einem Verstoß drohende Kürzung der Regelleistung hingewiesen. Mit
Bewilligungsbescheid vom 23.06.2005 wurden Leistungen in Höhe von 626,51 € monatlich
(Regelleistung in Höhe von 345,00 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 281,51 €) für
den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 30.11.2005 weiterbewilligt.
Einer Einladung der Beklagten zur Teilnahme an einer Informationsveranstaltung am 30.08.2005 folgte
der Kläger nicht. Einen Termin zur Vorsprache am 06.09.2005, zu der er am 19.08.2005 eingeladen
worden war, nahm der Kläger ebenfalls nicht wahr. Gemäß einem Vermerk der Beklagten teilte der Kläger
am 06.09.2005 mit, er könne den Termin wegen fehlender Hose nicht wahrnehmen. Obwohl er gebeten
worden sei, bis 15.30 Uhr vorzusprechen, sei eine Vorsprache an diesem Tag nicht mehr erfolgt.
Mit Bescheid vom 07.09.2005 senkte die Beklagte gemäß § 31 SGB II für die Zeit vom 01.10.2005 bis
31.12.2005 die Regelleistung um 10 v.H. und damit um 34,50 € monatlich ab. Die ursprüngliche
Bewilligungsentscheidung wurde insoweit gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB X) aufgehoben. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger sei trotz
schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 06.09.2005 nicht erschienen.
Der Kläger erhob Widerspruch und trug zur Begründung vor, er habe bereits an der
Informationsveranstaltung am 30.08.2005 nicht teilnehmen können, weil beim Anziehen der
Reißverschluss an seiner einzigen Hose verklemmt gewesen sei. Trotz mehrfacher Versuche habe sich
das Problem weder lösen noch kaschieren lassen. Daraufhin habe er dem zuständigen Sachbearbeiter
der Beklagten telefonisch abgesagt. Am nächsten Tag sei es ihm gelungen, den Reißverschluss zu
reparieren. Am 06.09.2005 habe dann der Reißverschluss nicht geklemmt, sondern er habe die Hose
nicht mehr geschlossen. Daraufhin habe er den zuständigen Sachbearbeiter telefonisch informiert. Der
Aufforderung des Sachbearbeiters, umgehend persönlich zu erscheinen, habe er nicht nachkommen
können, weil es ihm unzumutbar gewesen sei, mit einer nicht zu schließenden Hose das
Verwaltungsgebäude der Beklagten aufzusuchen. Aufgrund seines starken Übergewichts falle er in der
Öffentlichkeit besonders auf, dies wäre durch eine offene Hose noch unterstrichen worden. Er habe damit
einen wichtigen Grund gehabt, nicht zu dem Meldetermin zu erscheinen. Aufgrund seines Übergewichtes
sei der Erwerb einer weiteren Hose mit erheblichen Kosten verbunden. Nach dem 06.09.2005 habe er die
Hose reparieren lassen, zudem hätten ihm seine Eltern Geld für den Erwerb einer weiteren Hose zur
Verfügung gestellt. Einen weiteren Meldetermin bei der Beklagten am 15.09.2005 habe er dann
wahrgenommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2005 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur
Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 31 SGB II seien erfüllt.
Der Kläger sei seiner Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 Abs. 2 des Dritten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB III) nicht nachgekommen, obwohl er im Einladungsschreiben auf die Folgen
des Nichterscheinens hingewiesen worden sei. Das Vorbringen des Klägers, weshalb er den Meldetermin
am 06.09.2005 nicht habe wahrnehmen können, stelle keinen wichtigen Grund dar.
Mit Bescheid vom 28.11.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom
01.12.2005 bis 31.05.2006. Hierbei wurde für den Monat Dezember 2005 eine Absenkung der
Regelleistung in Höhe von 34,50 € vorgenommen.
Mit seiner am 21.11.2005 beim Sozialgericht Koblenz eingegangenen Klage wiederholt der Kläger sein
Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Weiterhin trägt er vor, die Beklagte entscheide allein, was
ein wichtiger Grund für die Verhängung einer Sanktion sei. Diese Entscheidung könne nicht
ausschließlich im Ermessen der Beklagten liegen. Soweit ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
vorgeworfen werde, müsse er dem widersprechen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 07.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidungen für rechtmäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Akteninhalt war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Zwar ist die Klageschrift erst am 21.11.2005 und damit verfristet beim Sozialgericht
Koblenz eingegangen. Der Widerspruchsbescheid vom 14.10.2005 ist am gleichen Tag abgesandt
worden und gilt damit am 17.10.2005 als zugegangen. Dem Kläger ist jedoch Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 SGG zu gewähren, denn er hat die Klagefrist unverschuldet versäumt.
Ausweislich der vorliegenden Briefumschläge hat der Kläger die Klageschrift bereits am 15.11.2005 zur
Ausweislich der vorliegenden Briefumschläge hat der Kläger die Klageschrift bereits am 15.11.2005 zur
Post gegeben, so dass ein fristgerechter Zugang zu erwarten war. Die von der gerügte
Unterfrankierung des Briefes mit erfolgter Rücksendung an den Kläger war unverschuldet, da angesichts
des Umfangs der Klageschrift eine Unterfrankierung für den Kläger nicht erkennbar war.
Die auch ansonsten zulässige Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte hat zu Recht
den Anspruch auf die Regelleistung für die Dauer von 3 Monaten um 10 v.H. abgesenkt, weil der Kläger
ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes den Vorsprachetermin am 06.09.2005 nicht wahrgenommen hat.
Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer
Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihr zu melden, nicht nach und weist er keinen wichtigen
Grund für sein Verhalten nach, wird nach § 31 Abs. 2 SGB II das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des
Zuschlages nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt. Absenkung und Wegfall treten gemäß § 31 Abs. 6
Satz 1 SGB II mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes,
der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Absenkung und Wegfall dauern nach
§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II 3 Monate. Über die Rechtsfolgen ist der Erwerbsfähige nach § 31 Abs. 6 Satz 4
SGB II vorher zu belehren.
Der Kläger ist der Aufforderung der Beklagten, am 06.09.2005 persönlich vorzusprechen, nicht
nachgekommen. Über die Rechtsfolgen einer drohenden Sanktion nach § 31 Abs. 2 SGB II war der Kläger
sowohl in der Eingliederungsvereinbarung vom 25.03.2005 wie auch in dem Einladungsschreiben vom
19.08.2005 belehrt worden. Der Kläger hat auch keinen wichtigen Grund für sein Verhalten geltend
gemacht. Sein Vorbringen, am 06.09.2005 habe sich der Reißverschluss an seiner einzigen Hose nicht
schließen lassen, so dass er seine Wohnung nicht habe verlassen können, stellt keinen wichtigen Grund
im Sinne von § 31 Abs. 2 SGB II dar. Ein Leistungsempfänger nach dem SGB II ist grundsätzlich gehalten,
ausreichend Kleidung vorrätig zu halten, um Termine außerhalb seiner Wohnung, seien es Beratungen
bei der Beklagten oder Vorstellungstermine bei potentiellen Arbeitgebern, unverzüglich nachkommen zu
können. Dies erfordert, dass die für das Verlassen der Wohnung erforderlichen Kleidungsstücke
grundsätzlich mindestens in doppelter Ausfertigung vorhanden sind. Solche Kleidungsstücke können
sowohl aufgrund von Schäden unerwartet unbrauchbar sein oder aufgrund der Notwendigkeit der
Reinigung nicht zur Verfügung stehen. Kann der Leistungsempfänger beim Vorliegen dieser Gründe
seine Wohnung nicht verlassen, ist seine Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis deutlich erschwert. Daher ist
es ihm grundsätzlich im Rahmen der gewährten Regelleistung zumutbar, die erforderlichen
Kleidungsstücke zumindestens in doppelter Ausfertigung zu erwerben und zur Verfügung zu halten. Zwar
ist der Erwerb von Kleidungsstücken bei dem Kläger aufgrund seines Übergewichts, wovon sich die
Kammer in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschafft hat, mit höheren Kosten
verbunden als für Leistungsempfänger, deren Gewicht nicht wesentlich überhöht ist. Trotzdem war es
auch dem Kläger, der bereits vor dem 01.01.2005 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz
bezogen hat und seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II bezieht, zumutbar, sich eine zweite
Hose zu beschaffen, um Probleme, wie sie vorliegend aufgetreten sind, zu vermeiden.
Dem Kläger war es darüber hinaus auch zumutbar, den Meldetermin am 06.09.2005 trotz des defekten
Reißverschlusses an seiner Hose wahrzunehmen. Der nicht schließende Reißverschluss konnte durch
das Tragen entsprechender Kleidung, beispielsweise eines längeren Pullovers, einer Jacke oder eines
Mantels, vor anderen Personen verborgen werden. Zudem wäre es dem Kläger zumutbar gewesen, die
Öffnung der Hose durch Hilfsmittel, wie z.B. eine Sicherheitsnadel, zu schließen.
Nach alledem kann ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen des Klägers am 06.09.2005 nicht
festgestellt werden. Die Verhängung der Sanktion nach § 31 Abs. 2 SGB II durch die Beklagte war daher
rechtmäßig. Hierin liegt zugleich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die nach § 48 Abs. 1 Satz 1
SGB X die Beklagte berechtigte, die mit Bescheid vom 23.06.2005 bewilligte Leistung in Höhe von 626,51
€ monatlich für den Zeitraum ab 01.10.2005 abzusenken. Da die Aufhebung des Bewilligungsbescheides
nur für die Zukunft erfolgt ist, bedurfte es nicht der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2
Nrn. 1 bis 4 SGB X erfüllt waren. Daher kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an,
ob ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Kenntnis vom Wegfall seines Anspruchs
vorzuwerfen ist.
Nach alledem hat die Klage in der Sache keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.