Urteil des SozG Koblenz vom 22.02.2007

SozG Koblenz: pflege, drg, verpflegung, stationäre behandlung, versorgung, krankenversicherung, vergütung, behandlungsbedürftigkeit, krankenkasse, abrechnung

Sozialrecht
SG
Koblenz
22.02.2007
S 11 KR 539/05
Krankenhausbehandlungskosten für gesundes Neugeborenes bei Erkrankung der Mutter
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 654,40 € nebst 2 Prozentpunkte Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 01.07.2006 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung tagesbezogener Entgelte nach Überschreitung der oberen
Grenzverweildauer bei einem Neugeborenen.
Die Klägerin ist ein nach § 108 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zugelassenes
Krankenhaus, dessen Standorte sich in K und in M befinden. Am 21.03.2005 entband die am 1976
geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Vaia S (VS) nach einer Sectio caesarea (Kaiserschnitt)
die Zwillinge Philipp S (PS) und Isabel S (IS). Das Aufnahmegewicht für PS betrug 2450 Gramm, für IS
2800 Gramm. Bei PS und IS handelte es sich nicht um krankheitsbedingt behandlungsbedürftige
Neugeborene. Dagegen war die Versicherte VS aufgrund der Sectio caesarea über den 6. Tag nach der
Aufnahme zur Entbindung behandlungsbedürftig, sie wurde zusammen mit den Zwillingen am 11.
Lebenstag der Kinder entlassen.
Die Klägerin machte für die stationäre Behandlung der Versicherten VS die DRG-Fallpauschale O01A
(Sectio caesarea mit mehreren komplizierten Diagnosen) geltend, für PS wurde die DRG-Fallpauschale
P66D (Neugeborenes, Aufnahmegewicht 2000 Gramm bis 2499 Gramm ohne signifikante Prozedur, ohne
Beatmung > 95 Stunden ohne Problem, untere Grenzverweildauer 1 Tag, obere Grenzverweildauer 12
Tage) abgerechnet. Für IS berechnete die Klägerin die DRG-Fallpauschale P67D (Neugeborenes,
Aufnahmegewicht > als 2499 Gramm ohne signifikante Prozedur, ohne Beatmung > 95 Stunden, ohne
Problem oder ohne schweres Problem, ein Belegungstag, untere Grenzverweildauer 1 Tag, obere
Grenzverweildauer 8 Tage) mit einem Betrag in Höhe von 922,95 €, mehrere Systemzuschläge in Höhe
von insgesamt 2,78 € sowie ein tagesbezogenes Entgelt nach Überschreitung der oberen
Grenzverweildauer in Höhe von 654,40 €, insgesamt also 1.580,13 €. Die Beklagte zahlte zunächst die
Rechnungen in vollem Umfang. Mit Schreiben vom 25.05.2005 forderte die Beklagte die Klägerin auf, eine
medizinische Begründung hinsichtlich der Dauer und Notwendigkeit der stationären Aufenthalte von VS,
PS und IS abzugeben. Die Klägerin teilte dem von der Beklagten eingeschalteten Medizinischen Dienst
der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz mit, das Neugeborene IS sei gesund gewesen, weshalb
die DRG-Fallpauschale P67D abgerechnet worden sei. Die Versorgung eines gesunden Neugeborenen
dauere bis zur Entlassung der Mutter. Der MDK teilte daraufhin der Beklagten mit, eine medizinische
Bewertung könne nicht abgegeben werden, da es sich um einen gesunden Zwilling gehandelt habe. Mit
Schreiben vom 25.07.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, nach § 197 Reichsversicherungsordnung
(RVO) hätten Versicherte, die zur Entbindung in ein Krankenhaus oder einer anderen Einrichtung
aufgenommen würden, für sich und das Neugeborene einen Anspruch auf Unterkunft, Pflege und
Verpflegung, allerdings für längstens 6 Tage nach der Entbindung. Für diese Zeit bestehe kein Anspruch
auf Krankenhausbehandlung. Nach diesen 6 Tagen müsse eine Krankenbehandlung durchgeführt
werden, damit eine Abrechnung des Zuschlages der Entgelte nach der Fallpauschalenvereinbarung
erfolgen könne. Bei VS sei eine Krankenbehandlung durchgeführt worden. Hinsichtlich des
Neugeborenen IS habe aber keine medizinisch notwendige Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen, die
einen Zuschlag in Höhe von 654,40 € begründen würde. Es werde um Rücküberweisung dieses Betrages
innerhalb von 14 Tagen gebeten. Es werde vorgeschlagen, in Anlehnung an die Mitaufnahme von
Begleitpersonen eine Tagespauschale in Höhe von 45,00 € abzurechnen. Mit Schreiben vom 23.09.2005
widersprach die Klägerin der Auffassung der Beklagten. Daraufhin kündigte die Beklagte an, den bereits
gezahlten Zuschlag mit späteren Forderungen der Klägerin zu verrechnen.
Mit ihrer am 02.12.2005 beim Sozialgericht K eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst die
Feststellung begehrt, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, von ihr 654,40 € zurückzufordern. Nachdem
die Beklagte die Verrechnung am 30.06.2006 vorgenommen hat, hat die Klägerin ihre Klage umgestellt
und macht gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 654,40 € nebst Zinsen geltend. Sie
trägt vor, sie sei berechtigt, für den Zwilling IS ab dem 8. Tag tagesbezogene Zuschläge abzurechnen.
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung setze die Berechnung von Zuschlägen ab dem 8.
Tag für ein gesundes Neugeborenes nicht zwingend voraus, dass der Säugling auch
behandlungsbedürftig erkrankt sei im Sinne der §§ 27, 39 SGB V. Für das Neugeborene bestehe kein
eigener Leistungsanspruch, so lange der neugeborene Säugling nicht behandlungsbedürftig sei. Für ein
gesundes, nicht behandlungsbedürftiges Neugeborenes werde die notwendige Pflege des gesunden
Neugeborenen im Säuglingszimmer vom Sachleistungsanspruch der Mutter mit umfasst. Sei auch die
Mutter nicht krankenhausbehandlungsbedürftig, sondern nach der Entbindung gesund, ergebe sich dies
bereits aus dem Wortlaut des § 197 RVO. In diesem Fall umfasse der Sachleistungsanspruch der Mutter
auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung auch den Anspruch des gesunden Neugeborenen auf Unterkunft,
Pflege und Verpflegung im Säuglingszimmer für einen Zeitraum von längstens 6 Tagen. Die Regelung
des § 197 RVO sei aber nicht abschließend, denn sie beziehe sich nur auf den Fall, dass sowohl die
Mutter als auch das Neugeborene nicht behandlungsbedürftig seien. Anders sei es aber dann, wenn die
Mutter krankenhausbehandlungsbedürftig sei, der neugeborene Säugling aber nicht. Diese Fallgestaltung
sei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dahingehend zu lösen, dass sowohl die Mutter als auch
das Neugeborene krankenhausbehandlungsbedürftig sein müssten, um einen Zahlungsanspruch
aufgrund der längeren Verweildauer des Neugeborenen zu begründen. Maßgebend sei allein die
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Mutter, hiervon werde auch der Anspruch des gesunden
Neugeborenen auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung für die Dauer der
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Mutter umfasst. In § 1 Abs. 5 der Fallpauschalenvereinbarung
(FPV) 2005 sei ausdrücklich geregelt, dass für jedes Neugeborene, das nach der Versorgung im
Kreißsaal weiter im Krankenhaus versorgt werde, ein eigener Fall zu bilden und eine eigene
Fallpauschale abzurechnen sei, wobei die Fallpauschalen P66D oder P67D mit dem für die Mutter
zuständigen Kostenträger abzurechnen seien, ohne dass es darauf ankomme, bei wem das Neugeborene
gegen das Risiko von Krankheit versichert sei. Richte sich der Behandlungsanspruch der Mutter wegen
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht mehr nach § 197 RVO, sondern nach § 39 Abs. 1 SGB V,
ändere dies nichts daran, dass die Versorgung des gesunden Neugeborenen vom
Sachleistungsanspruch der Versicherten mit umfasst werde. Zwar sei dies ausdrücklich nur in § 197 RVO
geregelt, die insofern bestehende Gesetzeslücke im SGB V sei jedoch entsprechend zu schließen. Folge
man der Auffassung der Beklagten, so werde eine Mutter, die krankheitsbedingt behandlungsbedürftig sei,
sehr viel schlechter gestellt als eine Mutter, die nicht krankheitsbedingt behandlungsbedürftig sei.
Während die gesunde Mutter für ihr gesundes Neugeborenes über § 197 RVO einen Anspruch auf
Unterkunft, Pflege und Verpflegung hätte, wäre dies für die Mutter, die krankheitsbedingt
krankenhausbehandlungsbedürftig sei und deren Anspruch sich nach § 39 Abs. 1 SGB V richte, nicht der
Fall. Folge man der Auffassung der Beklagten, müsse das Krankenhaus spätestens am 6. Tag nach der
Entbindung das gesunde Neugeborene entlassen, obwohl die Mutter weiterhin
krankenhausbehandlungsbedürftig sei. Der Zwilling IS könne auch nicht als Begleitperson der Mutter
abgerechnet werden, da die Voraussetzungen für eine Begleitperson nicht erfüllt seien.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 654,40 € nebst 2 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 01.07.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Berechnung von Zuschlägen nach Überschreitung der oberen Grenzverweildauer bei der
Fallpauschale P67D setze zwingend voraus, dass das Neugeborene auch behandlungsbedürftig erkrankt
sei. Dies sei hier jedoch unstreitig nicht der Fall gewesen. Die Notwendigkeit einer
Behandlungsbedürftigkeit des Neugeborenen ergebe sich unmittelbar aus § 197 RVO i. V. m. § 39 SGB V.
§ 197 RVO gewähre dem gesunden Neugeborenen lediglich einen Anspruch auf Unterkunft, Pflege und
Verpflegung für die Zeit nach der Entbindung für längstens 6 Tage. Nach Ablauf dieser gesetzlich
abschließend und verbindlich vorgeschriebenen Anspruchsdauer komme nur noch eine stationäre
Krankenhausbehandlung in Betracht. Hierfür müssten jedoch auch beim Neugeborenen alle
Voraussetzungen des § 39 SGB V, insbesondere eine Behandlungsbedürftigkeit vorliegen. Die von der
Klägerin vertretene Auffassung werde auch nicht durch das DRG-Fallpauschalensystem gestützt. Die
DRG-Fallpauschale P67D habe nicht nur für Entbindungsfälle Gültigkeit, sondern sei beispielsweise auch
dann anzusetzen, wenn ein wenige Tage altes Neugeborenes aufgrund einer Erkrankung wieder in
einem Krankenhaus aufgenommen werde. Habe eine Mutter, die nach einer Sectio caesarea
behandlungsbedürftig im Krankenhaus verbleibe, keine Möglichkeit, ihr Neugeborenes außerhalb des
Krankenhauses versorgen zu lassen, könne nicht sie als gesetzliche Krankenkasse insoweit für die
Unterbringung und Verpflegung des Neugeborenen zuständig sein. Es handele sich dabei nicht um ein
rechtliches, sondern um ein gesellschaftliches Problem, welches insbesondere bei allein erziehenden
Müttern auftreten könne. Hieraus resultierende Versorgungsschwierigkeiten könnten nicht durch
voraussetzungslose vollstationäre Kassenleistungen kompensiert werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Akteninhalt war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Leistungsklage hat in der Sache Erfolg. Die
Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin 654,40 € nebst 2 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 01.07.2006 zu zahlen.
Nach § 17b Abs. 1 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ist für die Vergütung der allgemeinen
Krankenhausleistungen ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes
Vergütungssystem einzuführen. Das Vergütungssystem hat nach § 17b Abs. 1 Satz 2 KHG Komplexitäten
und Comorbiditäten abzubilden; sein Differenzierungsgrad soll praktikabel sein. Mit den Entgelten nach
Abs. 1 Satz 1 werden gemäß Abs. 1 Satz 3 die allgemeinen vollstationären und teilstationären
Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet. Gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG vereinbaren
die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam
entsprechend den Vorgaben der Absätze 1 und 3 des § 17b KHG mit der Deutschen
Krankenhausgesellschaft ein Vergütungssystem, das sich an einem international bereits eingesetzten
Vergütungssystem auf der Grundlage der Diagnosis Related Groups (DRG) orientiert, seine jährliche
Weiterentwicklung und Anpassung, insbesondere an medizinische Entwicklungen, Kostenentwicklungen,
Verweildauer, Verkürzungen und Leistungsverlagerungen zu und von anderen Versorgungsbereichen,
und die Abrechnungsbestimmungen, soweit diese nicht im Krankenhausentgeltgesetz vorgegeben sind.
Gemäß § 17b Abs. 6 Satz 1 KHG wurde dieses Vergütungssystem für alle Krankenhäuser mit einer ersten
Fassung eines deutschen Fallpauschalenkatalogs verbindlich zum 01. Januar 2004 eingeführt.
Am 16.09.2004 haben die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten
Krankenversicherung mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft die Fallpauschalenvereinbarung 2005
(FPV 2005) abgeschlossen. Gemäß § 1 Abs. 1 FPV 2005 werden die Fallpauschalen jeweils von dem die
Leistung erbringenden Krankenhaus nach dem am Tag der Aufnahme geltenden Fallpauschalenkatalog
und den dazu gehörenden Abrechnungsregeln abgerechnet. Ist die Verweildauer eines Patienten oder
einer Patientin länger als die obere Grenzverweildauer, wird gemäß § 1 Abs. 2 FPV 2005 für den dafür im
Fallpauschalenkatalog ausgewiesenen Tag und jeden weiteren Belegungstag des
Krankenhausaufenthalts zusätzlich zur Fallpauschale ein tagesbezogenes Entgelt abgerechnet. In § 1
Abs. 5 FPV 2005 ist eine Sonderregelung für Neugeborene enthalten. Hiernach ist für jedes
Neugeborene, das nach der Versorgung im Kreißsaal weiter im Krankenhaus versorgt wird, ein eigener
Fall zu bilden und eine eigene Fallpauschale abzurechnen. In diesem Fall ist für die Mutter und das
Neugeborene jeweils eine Rechnung zu erstellen. Die Fallpauschale für das gesunde Neugeborene ist
mit dem für die Mutter zuständigen Kostenträger abzurechnen. In diesem Fall ist auf der Rechnung für das
Neugeborene die Versichertennummer der Mutter anzugeben. Die Fallpauschale für das
krankheitsbedingt behandlungsbedürftige Neugeborene ist mit dessen Kostenträger abzurechnen. Nicht
krankheitsbedingt behandlungsbedürftig in diesem Sinne sind alle Neugeborenen, für welche die DRG-
Fallpauschale P66D oder P67D abgerechnet werden kann. Ist im Fallpauschalenkatalog für das
Krankenhaus, in dem die Geburt stattfand, eine Mindestverweildauer für die Fallpauschale vorgegeben
und wird diese nicht erreicht, ist die Versorgung des Neugeborenen mit dem Entgelt für die Mutter
abgegolten.
Rechtsgrundlage für die Behandlung der Versicherten VS sowie der Zwillinge PS und IS im klagenden
Krankenhaus war zunächst § 197 RVO. Wird eine Versicherte zur Entbindung in ein Krankenhaus oder
einer anderen Einrichtung aufgenommen, hat sie nach § 197 Satz 1 RVO für sich und das Neugeborene
Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung, für die Zeit nach der Entbindung jedoch für längstens 6
Tage. Für diese Zeit besteht nach § 197 Satz 2 RVO kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung. § 39
Abs. 2 SGB V gilt gemäß § 197 Satz 3 RVO entsprechend. Bei der Versicherten VS lag nach der Sectio
caesarea außerdem Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vor. Gemäß der Regelung des § 197 Satz 2
RVO war jedoch die stationäre Entbindungspflege vorrangig, so dass für die ersten 6 Tage nach der
Entbindung stationäre Entbindungspflege und nicht Krankenhausbehandlungsleistungen zu erbringen
waren (Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegeversicherung, § 197 RdNr. 7; Höfler in KassKomm, § 197
RVO RdNr. 3). Da § 197 Satz 1 RVO ausdrücklich auch einen Anspruch des Neugeborenen auf
Unterkunft, Pflege und Verpflegung im Krankenhaus begründet, ist diese Vorschrift auch Rechtsgrundlage
für die an das Neugeborene IS in den ersten 6 Tagen nach der Geburt erbrachten Leistungen. Nach
Ablauf der Sechs-Tage-Frist des § 197 Satz 1 RVO richtete sich der Behandlungsanspruch der
Versicherten VS nach § 39 SGB V, da die Versicherte, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist,
aufgrund der durchgeführten Sectio caesarea krankenhausbehandlungsbedürftig war. Das Neugeborene
IS war dagegen, was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig ist, nicht
krankenhausbehandlungsbedürftig.
Das Neugeborene IS ist jedoch für die Dauer der stationären Behandlungsbedürftigkeit der Mutter
ebenfalls im Krankenhaus verblieben und am 11. Tag nach der Geburt zusammen mit der Versicherten VS
und mit PS entlassen worden. Das Neugeborene IS hatte auch nach dem 6. Tag nach dem
Entbindungstermin weiterhin einen Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung bis zum Zeitpunkt
der Entlassung der Mutter aus der stationären Behandlung. Wie höchstrichterlich bereits entschieden
worden ist, wird die Pflege für das Neugeborene als Nebenleistung zu der der Mutter oder für sie zu
gewährenden Entbindungsanstaltspflege erbracht. Entbindungsanstaltspflege nach § 199 RVO a. F. (jetzt
§ 197 RVO) für das Kind hat die Krankenkasse dann zu leisten, wenn sie der Mutter Pflege in einer
Entbindungs- oder Krankenanstalt gewährt. Die Leistung für das Kind ist daher als streng akzessorisch zu
bezeichnen. Der Anspruch für das Kind ist nämlich nur deshalb begründet, weil die der Mutter zu
erbringende Pflege in der Anstalt sinnvoll und damit rechtlich einwandfrei nur erbracht werden kann, wenn
auch die Pflegekosten für das Kind übernommen werden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es
um der Gesundheit der Mutter willen und aus anderen Gründen angezeigt, Mutter und Kind im Regelfall
während der ersten Zeit nach der Entbindung nicht zu trennen. Die Mutter könnte die gesetzliche Leistung
nach § 197 RVO in der Regel nicht in Anspruch nehmen, wenn das Kind nicht mit in der Anstalt
aufgenommen würde. Durch die Mitaufnahme des Kindes wird die Leistung an die Mutter erst ermöglicht.
Die Kosten für den Aufenthalt des Neugeborenen in der Entbindungs- oder Krankenanstalt sind deshalb
als Teil des Mutterschaftshilfeanspruchs anzusehen (BSG 12.11.1985, 3 RK 25/84, SozR 2200 § 199 Nr.
4). Diese grundsätzlichen Erwägungen gelten auch dann, wenn die Sechs-Tage-Frist des § 197 Satz 1
RVO abgelaufen ist und die Versicherte aufgrund der Notwendigkeit stationärer Behandlung nach der
Entbindung weiterhin im Krankenhaus verbleibt. Auch in diesem Fall ist dem Neugeborenen durch das
Krankenhaus weiterhin Unterkunft, Pflege und Verpflegung bis zu dem Zeitpunkt zu gewähren, zu dem die
Mutter aus der stationären Behandlung entlassen werden kann, denn dieser Anspruch des
Neugeborenen ist als streng akzessorische Nebenleistung zu der seiner Mutter erbrachten Hauptleistung
anzusehen. Letztlich findet die Verpflichtung der Beklagten, dem Neugeborenen während der Dauer der
Behandlungsbedürftigkeit seiner Mutter weiterhin Leistungen zu gewähren, seine Grundlage in Artikel 6
Abs. 4 Grundgesetz (GG), wonach jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der
Gemeinschaft hat. Dies beinhaltet auch die Gewährung von Unterkunft, Pflege und Verpflegung für das
Neugeborene während der Zeit nach der Entbindung, wenn die Mutter krankheitsbedingt hierzu nicht in
der Lage ist.
Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die geplante Änderung des § 197 RVO durch das Gesetz zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Wettbewerbungsstärkungsgesetz-GKV-WSG), das vom Bundestag und Bundesrat bereits beschlossen,
jedoch noch nicht verkündet ist. In diesem Entwurf ist vorgesehen, die in § 197 Satz 1 RVO enthaltene
Sechs-Tages-Frist zu streichen. Der Ausschuss für Gesundheit (BT-Drucksache 16/4247, Seite 89) hat
hierzu Folgendes ausgeführt:
"Die zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf sechs Tage nach der Entbindung wurde seinerzeit
eingeführt, um bei einer tagesbezogenen Vergütung den Anreizen zu einer längeren Verweildauer im
Krankenhaus entgegenzuwirken. Mit der Einführung der Fallpauschalen-Vergütung für Geburten im Jahr
1995 wurde eine Vergütungsform eingeführt, die grundsätzlich unabhängig von der Verweildauer ist und
somit keinen Anreiz zu längeren Verweildauern mehr enthält. Das Krankenhaus achtet bereits im
Eigeninteresse auf möglichst kurze Verweildauern. Deshalb kann die zeitliche Befristung in § 197
gestrichen werden.
Die Regelung führte in der Vergangenheit zudem zu Schwierigkeiten in Fällen, in denen gesunde
Neugeborene noch im Krankenhaus verbleiben mussten, weil die Mutter nach der Entbindung noch
behandlungsbedürftig war und noch nicht entlassen werden konnte. Soweit die Grenzverweildauer der
Fallpauschale für das Neugeborene überschritten wird, muss eine sachgerechte Vergütung für die weitere
Versorgung des Neugeborenen in Form der Abrechnung zusätzlicher Tagessätze nach den Vorgaben des
DRG-Fallpauschalenkatalogs möglich sein (Entgelte bei Überschreitung der oberen Grenzverweildauer).
Die Abrechnung dieser Entgelte wurde bisher unter Hinweis auf die Sechstagesfrist in § 197 von einigen
Krankenkassen in Frage gestellt. Auch die zum Teil stattdessen angebotene Abrechnung des Entgelts für
die Mitaufnahme einer Begleitperson kann kein Ersatz für eine sachgerechte Vergütung der
Neugeborenenversorgung sein. Die Streichung der Frist ermöglicht eine unstrittige Vergütung
entsprechend der Systematik des DRG-Fallpauschalensystems. Eine Ausweitung der Verweildauer im
Krankenhaus und eine relevante Ausgabenerhöhung für die gesetzliche Krankenversicherung sind nicht
zu erwarten."
Hieraus wird der Wille des Gesetzgebers deutlich, dass auch bereits in der Vergangenheit Neugeborene
so lange Unterkunft und Verpflegung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten sollten,
bis die Versicherte nach der Entbindung nach Hause entlassen werden konnte, auch wenn dadurch die
Sechs-Tage-Regelung überschritten wurde.
Schließlich ergibt sich der Anspruch des Neugeborenen gegenüber der Krankenkasse seiner Mutter auf
weitere Übernahme der Krankenhauspflegeleistungen auch aus den Abrechnungsbestimmungen nach
der FPV 2005. Die DRG-Fallpauschale P67D kann in zwei Fällen durch das Krankenhaus abgerechnet
werden. Nach § 1 Abs. 5 Satz 6 FPV 2005 ist bei Neugeborenen, die nicht krankheitsbedingt
behandlungsbedürftig sind, entweder die DRG-Fallpauschale P66D oder P67D abzurechnen. Diese
Fallpauschale kann weiterhin auch für Neugeborene (Neugeborene sind gemäß allgemeiner ärztlicher
Auffassung lebend geborene Kinder in der Zeit vom ersten Atemzug bis zum Alter von 4 Wochen, vgl.
Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 256. Auflage, Seite 1159) abgerechnet werden, die nach der
Entlassung krankenhausbehandlungsbedürftig werden und deshalb zur stationären Behandlung in einem
zugelassenen Krankenhaus aufgenommen werden. In der Vereinbarung zum FPV 2005 vom 16.09.2004
ist bei der DRG-Fallpauschale P67D keine Differenzierung dahingehend vorgenommen worden, ob sie für
ein gesundes Neugeborenes unmittelbar nach der Entbindung anfällt oder für ein erkranktes
Neugeborenes nach erneuter Aufnahme zur stationären Behandlung. In beiden Fällen sieht der
Fallpauschalenkatalog eine untere Grenzverweildauer von einem Tag und eine obere Grenzverweildauer
von 8 Tagen vor. Auch für gesunde Neugeborene ist an keiner Stelle des Fallpauschalenkatalogs
geregelt, dass nach Überschreiten der oberen Grenzverweildauer ein tagesbezogenes Entgelt gemäß § 1
Abs. 2 FPV 2005 nicht abgerechnet werden kann. Wie bereits für die früher geltenden Fallpauschalen und
Sonderentgelte höchstrichterlich entschieden worden ist, sind diese streng nach ihrem Wortlaut
anzuwenden (BSG 13.12.2001, B 3 KR 1/01 R). Diese Grundsätze gelten auch bei Auslegung der
Bestimmungen im Fallpauschalenkatalog, zumal den Vertragsparteien bei den jährlich stattfindenden
Neuverhandlungen die Möglichkeit eingeräumt ist, aufgetretene Unklarheiten oder Missverständnisse
durch eindeutige Formulierungen klarzustellen. Die im Fallpauschalenkatalog 2005 festgelegte obere
Grenzverweildauer bei der DRG-Fallpauschale P67D von 8 Tagen lässt bereits erkennen, dass die
Vertragsparteien grundsätzlich von einem Anspruch des Neugeborenen von mehr als 6 Tagen
ausgegangen sind. Die zusätzlich eingeräumte Möglichkeit, nach Überschreiten der oberen
Grenzverweildauer tagesbezogene Entgelte abzurechnen, ohne dass eine Sonderregelung für gesunde
Neugeborene getroffen worden ist, bestätigt, dass auch den Abrechnungsregelungen die Auffassung
zugrunde lag, dass gesunde Neugeborene gegebenenfalls länger als 6 Tage nach dem Tag der
Entbindung einen Anspruch auf Pflege und Unterkunft in dem Krankenhaus zu Lasten der Krankenkasse
der Mutter haben.
Die Zinsforderung der Klägerin ergibt sich aus § 9 Abs. 7 des Schiedspruches zum
Krankenhausbehandlungsvertrag (KBV) Rheinland-Pfalz vom 19.11.1999.
Nach alledem hat die Klage in der Sache Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.
Die Kammer hat die Sprungrevision nach § 161 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen,
da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.