Urteil des SozG Koblenz vom 31.05.2006

SozG Koblenz: beratung, link, aufenthalt, öffentlich, form, quelle, konzept, fahrtkosten, praktikum, arbeitsgemeinschaft

Sozialrecht
SG
Koblenz
31.05.2006
S 2 AS 161/05
Leistungen nach dem SGB II nur auf Antrag
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch für den Zeitraum vom
01.01. bis 28.03.2005 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zu bewilligen.
Der 1980 geborene Kläger bezog bis zum 03.12.2004 von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld
in Höhe von 171,36 € wöchentlich, anschließend bis zum 31.12.04 Arbeitslosenhilfe. Sein Antrag auf Leis-
tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ging bei der Beklagten am 29.03.2005 ein.
Sie bewilligte ihm darauf hin Leistungen in Höhe von 690,00 € monatlich für die Zeit ab 1.04 2005 und
einen Teilbetrag von 69,00 € für den Monat März 2005. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit der
Begründung Widerspruch, ihm stehe auch für den Zeitraum vom 01.01. bis 28.03.2005 Arbeitslosengeld II
zu. Er habe ab 01.01.2005 laufend Kontakt zur Agentur für Arbeit gehabt, jedoch weder Anträge auf
Arbeitslosengeld II übersandt erhalten noch die Aufforderung, bei der Arbeitsgemeinschaft einen
Leistungsantrag zu stellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch auch als unbegründet
zurück. Sie führte aus, Leistungen nach dem SGB II seien nach § 37 SGB II erst ab Antragstellung zu
gewähren. Sie habe im Übrigen keine Verpflichtung zur Versendung von Antragsformularen gehabt.
Gleichwohl habe sie bzw. die Bundesagentur für Arbeit zweimal Anträge für Arbeitslosengeld lI verschickt.
Wenn diese Antragsformulare nicht beim Kläger angekommen seien, sei ihr dies nicht zuzurechnen. Es
sei zutreffend, dass weiterhin eine Arbeitsmarktbetreuung des Klägers durch die Bundesagentur für Arbeit
erfolgt sei. Dort sei auch ein Antrag auf Fahrtkostenerstattung eingereicht worden. Diese Vorsprache in
der Bundesagentur für Arbeit könne nicht als formlose Antragstellung nach dem SGB II gewertet werden.
Mit der am 01.08.2005 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, die
ihm angeblich übersandten Anträge seien bei ihm zu Hause nicht angekommen. Dies könne seine Mutter
bezeugen. Es sei auch unwahrscheinlich anzunehmen, dass er solche Anträge, wenn sie ihm
zugegangen wären, nicht ausgefüllt und zurückgesandt hätte. Im Übrigen bemängelte er das ständige Hin
und Her in Sache Beratung, Antragsabgabe und Zuständigkeit der wechselnden Mitarbeiter. Ohne die
finanzielle und moralische Unterstützung seiner Eltern hätte er seinen Lebensunterhalt während des
streitigen Zeitraumes nicht bestreiten können. Außerdem habe er bis zum 25.01.2005 ein Praktikum
absolviert, für das ihm Fahrtkosten bewilligt und ausgezahlt worden seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.03.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 06.04.2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm
auch für den Zeitraum vom 01.01. bis 28.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu
bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Verwaltungsentscheidung und der dort gegebenen Begründung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die ihrem
wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31.03.2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten.
Gemäß § 7 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) die das 15.
Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig
sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. § 37 SGB II normiert
den allgemeinen Grundsatz, dass sämtliche Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf
Antrag erbracht werden können (Antragsprinzip). Absatz 2 Satz 1 der genannten Vorschrift bestimmt, dass
Leistungen nicht rückwirkend erbracht werden können, das heißt für Zeiten vor der Antragstellung, es sei
denn die Ausnahmeregelung in Satz 2 ist erfüllt.
Dass der Kläger ab 01.01.2005 Leistungsberechtigter im Sinne des § 7 SGB II war ist zwischen den
Beteiligten nicht streitig. Leistungen der Grundsicherung kann er jedoch erst ab 29.03.2005
beanspruchen, weil erst an diesem Tag ein Leistungsantrag gestellt wurde. und dem Antrag eine
anspruchsauslösende Funktion zukommt (Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II § 37 Rdnr. 3)
Da der Träger der Grundsicherung mithin die Leistungen des SGB II nicht von Amts wegen erbringen
kann, ist nicht - wie der Kläger meint - der Zeitpunkt des Bestehens oder des Bekanntwerdens der
Hilfebedürftigkeit maßgebend, sondern allein der Zeitpunkt der Antragstellung. Aus diesem Grund können
Leistungen grundsätzlich nicht rückwirkend erbracht werden.
Der Antrag ist eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung.
Antragsberechtigt ist, wer handlungsfähig im Sinne von § 36 Abs. 1 Satz 1 SGB I ist. Der Antrag ist
grundsätzlich an keine Form gebunden. Es gilt vielmehr der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des
Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X). Der Antrag kann mithin schriftlich, mündlich oder fernmündlich
gestellt werden. Es besteht keine Pflicht bestimmte Antragsvordrucke zu benutzen. Aus der Erklärung
muss sich lediglich ergeben, dass jemand Sozialleistungen allgemein oder eine bestimmte Leistung
begehrt. Die Erklärung ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auszulegen (Link in
Eicher/Spellbrink, aaO § 37 RdNrn. 1 bis 5, 12, 21). Der erste Antrag, den der Kläger auf Leistungen nach
dem SGB II gestellt hat, ist auch nach seinem eigenen Vorbringen der vom 29.03.2003. Vor diesem
Zeitpunkt hat er weder förmlich noch nicht förmlich sein Begehren auf Gewährung von Leistungen der
Grundsicherung nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gegenüber der Beklagten oder der Bundesagentur
für Arbeit formuliert. Er stand zwar - auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - ab 03.01.2005
ständig in Kontakt mit Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit. Er sprach dort wegen einer Praktikums-
verlängerung, wegen einer Fahrtkostenerstattung und wegen der Bewilligung von Übergangsgeld vor.
Außerdem fragte er nach der Förderung eines Wochenendseminars. Er stellte einen Antrag auf
Leistungen auf eine Ausrüstungsbeihilfe und plante zumindest zeitweise die Aufnahme einer selbst-
ständigen Tätigkeit. Ein entsprechendes Konzept legte er beim Existenzgründungsbüro vor. Erst bei einer
persönlichen Vorsprache am 30.03.2005 erwähnte der Kläger gemäß Beratungsvermerk vom genannten
Tage, dass er einen Antrag auf Arbeitslosengeld II nicht erhalten habe und diesen Antrag nunmehr stellen
werde. Im Verlaufe dieses Gespräches wurde er dann gemäß Beratungsvermerk an die zuständige
Leistungsstelle verwiesen (vgl. insoweit die Ausdrucke der Beratungsvermerke der BA, Bl. 32ff der
Verwaltungsakte der Beklagten). All diese Aktivitäten lassen bis auf die letzte persönliche Vorsprache
keine Hinweise auf einen formlosen oder konkludenten Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem
SGB II angebracht zumindest bei der Bundesagentur für Arbeit erkennen. Der nicht unmittelbar nach
Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen vom Kläger gestellte Antrag führt deshalb zu einem begrenzten
Rechtsverlust, da Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Ausnahmeregelung des
§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II abgesehen (Nichterreichbarkeit des Leistungsträgers), die im vorliegenden Fall
nicht greift, nicht rückwirkend erbracht werden können.
Aus alledem folgt, dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.