Urteil des SozG Koblenz vom 05.10.2006

SozG Koblenz: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, beitragsbemessung, satzung, erbschaft, freiwillig versicherter, krankenversicherung, behandlung, krankenkasse, arbeitsentgelt, beitragspflicht

Sozialrecht
SG
Koblenz
05.10.2006
S 11 KR 537/05
Erbschaft als beitragspflichtige Einnahme in der Krankenversicherung
Tenor:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 03.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
31.10.2005 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den vom Kläger ab 01.06.2005 zu zahlenden Beitrag ohne
Berücksichtigung der Erbschaft des Klägers nach seiner am 26.01.2005 verstorbenen Mutter zu
berechnen.
3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis 31.05.2006 zu
entrichtenden Beiträge als freiwillig Krankenversicherter.
Der am 1957 geborene Kläger ist seit dem 01.08.2003 freiwillig versichertes Mitglied bei der
Beklagten. Über Erwerbseinkommen verfügt der Kläger seit diesem Zeitpunkt nicht. Der Kläger lebte mit
seiner Mutter bis zu deren Tod am 26.01.2005 in einem der Mutter gehörenden Eigenheim. Mit Bescheid
vom 04.02.2004 lehnte die Verbandsgemeindeverwaltung M. als zuständiger Sozialhilfeträger die
Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ab, da der Bedarf des Klägers durch die Einkünfte
der Mutter gedeckt werden könne. Die Beklagte stufte den Kläger unter Zugrundelegung von monatlichen
Einnahmen in Höhe von 360,00 € für den Zeitraum vom 01.02.2004 bis 31.07.2004 in die Gruppe der
anderen freiwillig Versicherten mit einem Mindestbeitragsbemessungswert von 805,00 € ein und setzte
den monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung auf 108,68 € fest (Bescheid vom 07.05.2004). Auf den
Antrag des Klägers vom 09.08.2004 erfolgte eine entsprechende Beitragseinstufung für den Zeitraum bis
31.01.2005 (Bescheid vom 12.08.2004). Vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 erhielt der Kläger
Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung vom zuständigen Sozialhilfeträger, die Beklagte setzte
für den Zeitraum vom 01.02.2005 bis 31.07.2005 den monatlich zu zahlenden Beitrag zur freiwilligen
Krankenversicherung auf 107,07 € fest.
Mit Bescheid vom 02.06.2005 hob der Sozialhilfeträger den Bewilligungsbescheid vom 09.12.2004 mit
Wirkung vom 01.06.2005 auf, da der Kläger nicht bedürftig sei. Er habe von seiner am 26.01.2005
verstorbenen Mutter J. F. gemäß dem vorgelegten Erbschein vom 09.05.2005 sowie Ablichtungen
verschiedener Sparbücher einen Erbanteil nebst diverser Haushaltsgegenstände in Höhe von
43.217,18 € geerbt. Nachdem die Beklagte vom Kläger hierüber Mitteilung erhalten hatte, setzte sie mit
Bescheid vom 03.08.2005 für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis 31.05.2006 den monatlich zu zahlenden
Beitrag zur Krankenversicherung auf 468,83 € fest. Dabei ging sie von einem monatlichen Einkommen in
Höhe von 3.601,43 € (43.217,18 € : 12 Monate) aus und berücksichtigte die monatliche
Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung von 3.525,00 € im Kalenderjahr 2005. Im Namen
und im Auftrag der Pflegekasse der Krankenkasse setzte sie die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung
auf 68,74 € fest.
Mit Schreiben vom 11.08.2005, eingegangen bei der Beklagten am 17.08.2005, erhob der Kläger
Widerspruch und trug zur Begründung vor, das ihm zugefallene Erbe stelle Vermögen und kein
Einkommen dar. Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie aus, für freiwillige Mitglieder werde die Beitragsbemessung durch die Satzung
der Krankenkasse geregelt. Dabei sei sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtige. Beitragspflichtige Einnahmen
der freiwillig versicherten Mitglieder seien die Gesamtbezüge. Als Gesamtbezüge würden nach § 19 Abs.
4 ihrer Satzung die Bruttobezüge, d. h. das Arbeitsentgelt und alle Einnahmen und Geldmittel, die das
Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche
Behandlung angesehen. Bezüge, die nicht regelmäßig monatlich zufließen, seien für die
Beitragsbemessung für 12 Monate monatlich mit einem Zwölftel der monatlichen Bezüge zu
berücksichtigen. Der Kläger bestreite seit dem 01.06.2005 seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus der
Erbschaft. Da die Erbschaft seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimme und er diese für seinen
laufenden Lebensunterhalt verwende, sei der einmalig gezahlte Betrag von 43.217,18 € für 12 Monate
vom 01.06.2005 bis 31.05.2006 monatlich mit einem Zwölftel bei der Beitragsbemessung zu
berücksichtigen.
Gegen den am 31.10.2005 abgesandten Widerspruchsbescheid richtet sich die am 01.12.2005 beim
Sozialgericht Koblenz eingegangene Klage.
Der Kläger trägt vor, die von der Beklagten vorgenommene Beitragsbemessung sei nach den
Bestimmungen des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) nicht gerechtfertigt. Das auf die
Erbschaft entfallende Kapital sei nicht "Einnahme" im Sinne der Beitragsbemessung, sondern stelle
Vermögen dar. Selbst wenn man das auf die Erbschaft entfallende Kapital als berücksichtigungsfähige
Einnahme ansehen wolle, fehle für die Verteilung auf 12 Monate eine satzungsmäßige Regelung. Die von
der Beklagten zugrunde gelegte Satzungsbestimmung regele die Berücksichtigungsfähigkeit solcher
Bezüge, die dem Versicherten zwar nicht regelmäßig monatlich, aber dennoch regelmäßig zuflössen und
folglich auf die Erbschaft als zweifellos nicht regelmäßige Einnahme nicht anwendbar sei.
Hauptanwendungsfall für diese Regelung seien vielmehr Leistungen wie das jährlich gezahlte
Weihnachtsgeld oder das häufig in zwei Raten gezahlte Urlaubsgeld, die als - regelmäßige - Einnahmen
satzungsgemäß mit dem gezwölfteten Jahresbetrag berücksichtigt würden. Für einen davon zu
unterscheidenden einmaligen Kapitalzufluss, wie vorliegend im Fall der Erbschaft, enthalte die Satzung
indes keine entsprechende Regelung, weshalb die von der Beklagten insoweit vorgenommene
Berücksichtigung der Erbschaft bei der Beitragsbemessung unrechtmäßig sei. Die Erbschaft sei nicht
vergleichbar mit Überschussanteilen aus Kapitalversicherungen oder Gewinnen aus Beteiligungen. Sie
stehe in keinerlei Beziehung zu irgendeiner Art von wiederkehrenden Versorgungsbezügen, die einer
Beitragspflicht unterliegen könnten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2005 aufzuheben
und den von ihm ab 01.06.2005 zu zahlende Beitrag ohne Berücksichtigung der Erbschaft nach seiner am
26.01.2005 verstorbenen Mutter zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidungen für rechtmäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Akteninhalt war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die dem Kläger nach seiner am 26.01.2005 verstorbenen Mutter
zugeflossene Erbschaft bei der Berechnung der Beitragshöhe ab 01.06.2005 der Beitragsberechnung
zugrunde zu legen.
Nach § 240 Abs. 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) wird für freiwillige Mitglieder die
Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die
gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Die Satzung der
Krankenkasse muss nach § 240 Abs. 2 SGB V mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitgliedes
berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der
Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Während bei den einzelnen Gruppen
versicherungspflichtiger Personen die beitragspflichtigen Einnahmen gruppentypisch geregelt und auf
bestimmte Einnahmearten begrenzt sind (§§ 226ff SGB V), ist das bei den vielgestaltigen Gruppen
freiwillig Versicherter weder möglich noch angemessen. Deshalb kommen bei freiwillig Versicherten
wesentlich mehr Einnahmearten als beitragspflichtige Einnahmen in Betracht oder sind als solche
jedenfalls diskutabel (KassKomm/Peters, § 240 SGB V RdNr. 6).
Im Gegensatz zu der bis zum 31.12.1988 geltenden Regelung in § 180 Reichsversicherungsordnung
(RVO) ist die Basis der in Betracht kommenden Einnahmen durch § 240 SGB V erweitert worden.
Nunmehr ist nach dem Gesetzeswortlaut sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die "gesamte
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" des freiwillig Versicherten berücksichtigt. Die Neuregelung ist im
Entwurf des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) wie folgt begründet worden (BT-Drucksache 11/2237,
Seite 225 zu § 249 des Entwurfs):
"Die Vorschrift ermöglicht es allen Krankenkassen, das Beitragsrecht für freiwillige Mitglieder autonom in
der Satzung zu regeln. Dieses Recht hatten bisher nur die Ersatzkassen. Damit können sachgerechte
Sonderregelungen insbesondere für Selbständige und einkommenslose freiwillig versicherte Ehegatten
getroffen werden. Bei der Beitragsgestaltung ist die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Mitglieds zu berücksichtigen, d. h. alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt
verbraucht oder verbrauchen könnte, sind ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung der
Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Diese Regelung bedeutet aber auch, dass der
Beitragsberechnung nicht automatisch bestimmte Einnahmen zum Lebensunterhalt unterstellt werden
können, ohne dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geprüft wird. Ein freiwilliges Mitglied darf
beitragsmäßig nicht geringer belastet werden als ein vergleichbarer versicherungspflichtig Beschäftigter.
Insoweit werden der Gestaltungsfreiheit der Krankenkasse Grenzen gesetzt."
Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 der Satzung der Beklagten sind beitragspflichtige Einnahmen der freiwillig
versicherten Mitglieder die Gesamtbezüge. Als Gesamtbezüge gelten die Bruttobezüge, ihnen
zuzurechnen sind das Arbeitsentgelt und alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum
Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung;
ein Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III zählt nicht zu den Gesamtbezügen. Bezüge, die nicht
regelmäßig monatlich zufließen, sind für die Beitragsbemessung für 12 Monate monatlich mit einem
Zwölftel der jährlichen Bezüge zu berücksichtigen.
Diese generalklauselartige Satzungsbestimmung der Beklagten kann ausreichen, um bei freiwilligen
Mitgliedern die Einnahmen anzusetzen, die bei vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der
Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind und die mindestens auch bei freiwilligen Mitgliedern
berücksichtigt werden müssen (BSG 22.05.2003 - B 12 KR 12/02 R). Die dem Kläger nach seiner Mutter
zugeflossene Erbschaft gehört nicht zu einer der Einnahmearten versicherungspflichtig Beschäftigter, die
bei diesen zur Beitragsbemessungsgrenze zugrunde gelegt werden.
Die generalklauselhafte Benennung der berücksichtigungsfähigen Einnahmen und sonstigen Geldmittel
reicht aus, um neben den in § 240 SGB V ausdrücklich genannten, bei versicherungspflichtig
Beschäftigten beitragspflichtigen Einnahmen solche anderen Einnahmen der Beitragsbemessung
zugrunde zu legen, die bereits in der ständigen Rechtsprechung vom BSG als Einnahmen zum
Lebensunterhalt anerkannt worden sind. Aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des § 240
SGB V ergeben sich zudem Grundsätze der Beitragsbemessung, die eine ausdrückliche
Satzungsregelung erübrigen oder abweichende Bestimmungen in der Satzung nicht zulassen (BSG,
19.10.2000 ‑ B 12 KR 1/00 R). Darüber hinaus ist dem Satzungsgeber gestattet und aufgetragen, die
Einzelheiten der Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder ‑ ausgerichtet an der gesamten
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Mitglieds ‑ in der Satzung so konkret zu regeln, dass für
typische Sachverhalte eine einheitliche Bewertung sichergestellt ist. Die Krankenkassen können etwa
Bestimmungen darüber treffen, welche Einnahmearten zu berücksichtigen sind, in welcher Rangfolge sie
heranzuziehen sind, dass einmalige Einnahmen mit einem Zwölftel des zu erwartenden Jahresbetrages
monatlich anzusetzen und wie steuerliche Vergünstigungen zu behandeln sind. Stößt die Feststellung der
beitragspflichtigen Einnahmen auf erhebliche Schwierigkeiten oder stehen hierfür verschiedene
Berechnungsweisen zur Verfügung und lassen sich dem Gesetz keine eindeutigen Bewertungsmaßstäbe
entnehmen, setzt die Berücksichtigung der Einnahmen insoweit eine konkretisierende Satzungsregelung
voraus.
Zu den Einnahmen und Geldmitteln, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen
könnte und die keine nähere Erwähnung in der Satzung der Beklagten benötigen, gehören neben den
Einnahmen versicherungspflichtig Beschäftigter die Einnahmen und Geldmittel aus Kapitalvermögen, aus
Vermietung und Verpachtung sowie Einnahmen aus Altersrenten, die aufgrund eines privatrechtlichen
Versicherungsvertrages in Form einer Leibrente auf Lebenszeit gezahlt werden (BSG, 06.09.2001
B 12 KR 5/01 R).
§ 19 Abs. 4 Satz 1 der Satzung der Beklagten stellt auf die Gesamtbezüge des freiwilligen versicherten
Mitglieds ab. Die nähere Definition in § 19 Abs. 4 Satz 2 der Satzung knüpft an das Arbeitsentgelt an und
verweist ferner auf alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder
verbrauchen könnte. Der Begriff der Gesamtbezüge wird im Bereich des SGB V oder der allgemeinen
Vorschriften des SGB V an keiner Stelle verwandt. Wie das BSG bereits entschieden hat (Urteil vom
28.04.1987 - 12 RK 50/85), kann diese Bezeichnung weder dem Gesamteinkommen im Sinne des § 16
des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) noch anderen Einkommensbegriffen gleichgesetzt
werden. Zu den "Gesamtbezügen" gehören daher gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Beklagten
neben dem Arbeitsentgelt alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt
verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung. Die
Satzungsregelung der Beklagten ist allerdings so weit gefasst, dass darunter auch Bezüge fallen, mit
denen eine wie bei Pflichtmitgliedern einnahmenorientierte, bei freiwilligen Mitgliedern allerdings
erweiterte Bemessungsgrundlage verlassen wird. Sie würde etwa auch Unterhaltszahlungen,
Schmerzensgelder, Geschenke und einen über die Berücksichtigung von Einkünften hinausgehenden
Vermögensverzehr erfassen (BSG, 22.05.2003, a.a.O.). Um eine ausreichende Bestimmtheit der
abgabenrechtlichen Regelungen zu gewährleisten, ist wenigstens in Grenzbereichen zwischen
beitragspfilchtigen und nicht mehr beitragspflichtigen Einnahmen zunächst eine spezielle
Satzungsregelung erforderlich. Die Krankenkassen können ihre Pflicht zur Satzungsregelung nicht durch
Generalklauseln allgemein der Rechtsprechung überlassen. Nur bei Satzungsregelungen, die für die
nicht bereits anerkannten beitragspflichtigen Einnahmen wenigstens in einem gewissen Umfang
konkretisierte Regelungen zulassen, können die Mitglieder erkennen, mit welchen Beitragsbelastungen
sie zu rechnen haben. Nur so ist auch eine gleichmäßige Behandlung aller freiwilligen Mitglieder einer
Kasse gewährleistet. Das Gesetz lässt den Krankenkassen bei der Heranziehung von Einnahmen einen
gewissen Spielraum. Es müssen nicht Einnahmen jeder Art und in voller Höhe zur Beitragsberechnung
herangezogen werden (BSG, 22.05.2003, a.a.O.).
Die maßgebenden Satzungsvorschriften der Beklagten enthalten für die Heranziehung der hier streitigen
Erbschaft des Klägers keine ausdrückliche Regelung. Eine solche Regelung wäre jedoch vorliegend
erforderlich, um Einnahmen, die auf einem Vermögensverzehr beruhen, der Beitragspflicht zu
unterwerfen. Aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich keine Beitragspflicht von
Leistungen der hier streitigen Art.
Darüber hinaus beeinträchtigt die Heranziehung von Einnahmen der vorliegenden Art ohne ausdrückliche
zumindest satzungsrechtliche Regelung die durch Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte
wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Versicherten. Im Rahmen dieses Grundrechts kann der Versicherte
grundsätzlich selbst bestimmen, wie er das ihm zur Verfügung stehende Vermögen wirtschaftlich
verwertet. Erwirbt er Immobilien oder wird das Vermögen als Geldwert bei einem Kreditinstitut angelegt,
sind lediglich die Kapitaleinkünfte bzw. die Mieteinnahmen im Rahmen des freiwilligen
Krankenversicherungsverhältnisses berücksichtigungsfähig. Entnimmt der Versicherte regelmäßig oder
unregelmäßig einen Teil des Kapitals zum privaten Verbrauch, sind diese Einnahmen nicht der
Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Bestreitet der Versicherte - freiwillig oder gezwungen - seinen
Lebensunterhalt durch Vermögensverzehr, bedarf es für die Heranziehung dieses Vermögens als
Grundlage der Beitragsbemessung einer rechtlichen Regelung im Gesetz oder in der Satzung. Eine
solche Regelung kann nicht lediglich durch einen Beitragsbescheid vorgenommen werden.
Darüber hinaus greift die Heranziehung einer Erbschaft im Rahmen der Beitragsbemessung der
freiwilligen Krankenversicherung in das gemäß Artikel 14 Abs. 1 GG grundgesetzlich geschützte Erbrecht
ein. Auch deshalb ist zumindest die ausdrückliche Heranziehung ererbten Vermögens zur
Beitragsbemessung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durch eine Satzungsbestimmung,
wenn nicht sogar durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung geboten. Zwar kann auch das Erbrecht
durch die Auferlegung von Abgaben und Steuern in gewissem Maße beeinträchtigt werden, dies erfordert
jedoch eine rechtliche Grundlage, die im vorliegenden Fall fehlt. Die generalklauselartige Regelung der
Beklagten in § 19 Abs. 4 der Satzung ist jedenfalls nicht geeignet, eine Heranziehung des vom Kläger
ererbten Vermögens zur Beitragsbemessung zu rechtfertigen.
Nach alledem hat die Klage in der Sache Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Kammer hat nach § 161 Abs. 2 i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen, da die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob ererbtes Vermögen bei freiwillig versicherten
Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung zur Beitragsbemessung herangezogen werden kann,
ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.