Urteil des SozG Koblenz vom 18.05.2006

SozG Koblenz: plastische chirurgie, entstellung, versorgung, krankenkasse, operation, defizit, zustand, krankheitswert, gesundheit, rechtfertigung

Sozialrecht
SG
Koblenz
18.05.2006
S 11 KR 467/05
Kostenübernahme für Brustimplantate
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für neue Brustimplantate zu übernehmen hat.
Die am 1946 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr erfolgte im Jahre 1976
eine Mammaaugmentation (Brustvergrößerung) beidseits, da die Klägerin seinerzeit nach ärztlicher
Feststellung an Depressionen aufgrund ihrer geringen Brustgröße litt. Die entstandenen Kosten wurden
von der Beklagten übernommen.
Dr. A, Chefarzt der Klinik für plastische Chirurgie und Handchirurgie am Gesundheitszentrum E S S M in K,
bescheinigte am 11.12.2002 und erneut am 08.03.2005, dass bei der Klägerin eine Kapselfibrose
beidseits bei Zustand nach Mammaaugmentation vorliege. Bei der Klägerin komme es zu zunehmenden
Schmerzen in der Brust. Es sei dringend eine beidseitige Kapsulektomie vorzunehmen. Die Klägerin
wünsche die Einlage neuer Implantate. Bei Verformung der Mammae durch das Verbleiben der
Restdrüsengewebe würde jeweils nur eine kleine Mamma beidseits (A-Körbchen) verbleiben.
Im Februar 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für den Austausch
der Brustimplantate. Die Ärztin im MDK H erstattete am 23.05.2005 nach Untersuchung der Klägerin ein
sozialmedizinisches Gutachten. Zusammenfassend führte sie aus, die Entfernung der Brustimplantate sei
aufgrund der bestehenden Schmerzen sozialmedizinisch angezeigt. Die Frage, ob auch die Kosten für
eine Implantatneueinlage übernommen würden, sei von der Krankenkasse zu entscheiden.
Mit Bescheid vom 07.06.2005 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, die Kosten für die
Prothesenentfernung könnten übernommen werden. Wegen der fehlenden medizinischen Indikation
komme jedoch die gewünschte Implantatneueinlage zu Lasten der Beklagten nicht in Betracht. Der
Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 14.10.2005 beim Sozialgericht K eingegangene Klage. Die Klägerin trägt
vor, es sei medizinisch geboten, neue Implantate einzusetzen. Sie habe im Jahre 1976 die
Brustimplantate auf Kosten der Beklagten erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie unter ihrem zu
kleinen Busen gelitten, wodurch es zu einer psychischen Depression gekommen sei. Damals sei zur
Behandlung dieser Depression der Einsatz von Brustimplantaten angeraten worden. Nach erfolgter
Behandlung dieser Depression der Einsatz von Brustimplantaten angeraten worden. Nach erfolgter
Operation habe sie keine psychischen Beschwerden mehr. Die jetzt aufgetretenen Beschwerden beruhten
allein darauf, dass die Implantate schon fast 30 Jahre alt seien und an sich ein Prothesenwechsel nach 10
bis 20 Jahren erforderlich wäre. Folge man der Auffassung der Beklagten, bestehe die Gefahr, dass die
psychische Erkrankung erneut auftrete, da nach Entfernung der Implantate nur noch eine kleine Mamma
mit Körbchengröße A verbleibe. Aus den Erfahrungen nach der Operation im Jahre 1976 werde deutlich,
dass ihre psychische Erkrankung durch den Einsatz der Implantate geheilt werden könne. Zudem sei bei
der bloßen Entfernung der Prothesen eine Entstellung zu erwarten. Laut ärztlicher Auskunft entstünden für
die Implantate insgesamt Kosten in Höhe von etwa 2.500,00 €. Diesen Betrag könne sie privat nicht
aufbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 07.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2005 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für den Neueinsatz von Brustimplantaten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidungen für rechtmäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Der Akteninhalt war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der
Kosten für neue Brustimplantate gegenüber der Beklagten.
Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) Anspruch auf
Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst
u. a. auch Krankenhausbehandlung. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt
nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein
regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand
umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Indem § 27
Abs. 2 Satz 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu
den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied
zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur
vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und
Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für
eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können. Nicht jeder
körperlichen Unregelmäßigkeit kommt jedoch Krankheitswert im Rechtssinne zu. Die Rechtsprechung hat
diese Grundvoraussetzung vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der
Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung
entstellend wirkt (BSG 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, m.w.N.).
Bei der Klägerin ist von einer Krankheit insofern auszugehen, als die im Jahre 1976 implantierten
Prothesen aufgrund einer Kapselfibrose zunehmend Schmerzen verursachen und daher nach den
Feststellungen der Ärztin H in ihrem Gutachten vom 23.05.2005 entfernt werden müssen. Diese
Leistungsverpflichtung hat die Beklagte auch anerkannt. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf
Versorgung mit neuen Brustimplantaten, weil es sich dabei nicht um eine behandlungsbedürftige
Krankheit handelt. Die Versorgung mit Brustimplantaten verschafft der Klägerin nur ein anderes Aussehen
und keine natürlich gewachsenen, funktionsgerechten Organe. Die Leistungspflicht der Beklagten lässt
sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin nach erfolgter Operation ohne neue Brustimplantate
wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Bei der Beurteilung der Frage,
ob ein körperliches Defizit das Aussehen eines Menschen entstellt, kommt es entscheidend darauf an, ob
das körperliche Defizit bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorübergehen"
bemerkbar ist oder, weil das körperliche Defizit regelmäßig von Kleidungsstücken bedeckt ist, von
Außenstehenden gar nicht oder nur schwer wahrgenommen werden kann. Jedenfalls kann, vor allem,
wenn man die außerordentliche Vielfalt und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt, der Zustand der
Klägerin nach Entfernung der Brustimplantate nicht als Entstellung gewertet werden (BSG a.a.O.). Aus den
Arztbriefen von Dr. A geht hervor, dass nach Entfernung der Implantate ohne Neuversorgung eine Brust
mit Körbchengröße A verbleiben wird. Hierbei handelt es sich um eine, wenn auch kleine, weibliche Brust,
die im Normbereich angesiedelt ist.
Eine mögliche psychische Belastung der Klägerin nach Entfernung der Brustimplantate rechtfertigt
ebenfalls keine Neuversorgung mit Brustimplantaten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Krankenkasse muss den Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, dass seiner Gesundheit
förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet das Gesetz
dem Versicherten zu, teilweise selbst für seine Gesundheit zu sorgen. Schon daraus ergibt sich, dass eine
Krankheit keinen undifferenzierten Bedarf an Sozialleistungen auslöst, sondern dass der Begriff der
Krankenbehandlung in einem enger umrissenen Sinne zu verstehen ist. Die Rechtsprechung hat daher
einen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe verneint, wenn diese
Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen
Körperzustand im Sinne der krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst werden. Damit hat
sie Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden
beeinflussen sollen, nicht als "Behandlung" im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V gewertet und derartige
Maßnahmen der Eigenverantwortung des Versicherten zugewiesen (BSG a.a.O.). Ein Körperzustand ohne
objektiven Krankheitswert kann nicht deshalb als regelwidrig angesehen werden, weil dies der psychisch
erkrankte Versicherte subjektiv so empfindet. Darüber hinaus bedarf die Kostenübernahme für
Operationen an gesunden Körperteilen mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer
besonderen Rechtfertigung, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen
wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen
gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll. Eine solche Rechtfertigung hat die höchstrichterliche
Rechtsprechung für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen, vor
allem wegen der Schwierigkeit einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen
Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose in ständiger Rechtsprechung
verneint (BSG a.a.O.).
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Kostenübernahme für neue Brustimplantate ergibt sich auch nicht
daraus, dass zu Lasten der Beklagten im Jahre 1976 eine Mammaaugmentation einschließlich
Versorgung mit Brustimplantaten durchgeführt worden ist und nunmehr aus medizinischen Gründen die
Entfernung der bisherigen Implantate geboten ist. Mit der seinerzeitigen Übernahme der Kosten ist keine
Bewilligungsentscheidung der Beklagten für alle Folgemaßnahmen im Zusammenhang mit der
seinerzeitigen Mammaaugmentation erfolgt. Grundsätzlich bestimmt sich der Behandlungsanspruch nach
der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behandlung. Daher dürfen Bewilligungsentscheidungen
grundsätzlich nur auf den sie auslösenden Behandlungsbedarf bezogen werden. Mit dessen Beseitigung
ist auch die Wirkung der entsprechenden Bewilligungsentscheidung erschöpft; ein erneuter
Behandlungsbedarf löst eine erneute Prüfung der Sach- und Rechtslage aus. Dies gilt auch dann, wenn
durch einen seinerzeit von der Krankenkasse finanzierten Eingriff ein Zustand geschaffen worden ist, der
nur noch mit erheblichem Aufwand oder gar nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Einem
Versicherten, der sich im Vertrauen auf gewisse unterstützende Leistungen seiner Krankenkasse
operieren lässt, können nach dem Wegfall dieser Leistungen keine weitergehenden Ansprüche zustehen
als einem Versicherten, bei dem derselbe Unterstützungsbedarf auftritt, ohne dass er operiert wurde (BSG
03.09.2003 - B 1 KR 9/02 R, SozR 4-2500, § 28 Nr. 2). Daher kann aus der seinerzeitigen Entscheidung
der Beklagten, die Kosten der Versorgung der Klägerin mit Brustimplantaten zu übernehmen, keine
Verpflichtung der Beklagten hergeleitet werden, nunmehr auch die Kosten für neue Implantate zu tragen.
Nach alledem hat die Klage in der Sache keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).