Urteil des SozG Koblenz vom 20.05.2009

SozG Koblenz: wichtiger grund, zumutbare tätigkeit, arbeitsmarkt, eingliederung, arbeitslosigkeit, pflegepersonal, teilzeitarbeit, quelle, verwaltung, lebensgemeinschaft

Sozialrecht
SG
Koblenz
20.05.2009
S 2 AS 702/07
Sanktion wegen Verweigerung einer Arbeitsgelegenheit
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind der Klägerin nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Absenkung des Anspruchs der Klägerin auf
Arbeitslosengeld II für drei Monate.
Die 1969 geborene Klägerin, eine gelernte Bürokauffrau und ausgebildete Kosmetikerin, bezieht seit dem
01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Daneben übt sie eine
geringfügige Beschäftigung aus. Mit Bescheid vom 29.05.2007 bewilligte die Beklagte ihr für den Zeitraum
vom 01.07. bis 31.12.2007 Leistungen in Höhe von 431,66 € monatlich (Juli bis einschließlich September
2007) bzw. 535,66 € monatlich (Oktober bis Dezember 2007 einschließlich).
Am 07.05.2007 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung ab, in der sich die Klägerin u.
a. verpflichtete, eine Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs. 3 SGB II als Betreuungshelferin im Altenheim St. B
in K anzutreten. Die Tätigkeit sollte am 10.05.2007 aufgenommen, am 09.08.2007 beendet werden und
einen zeitlichen Umfang von 30 Stunden pro Woche umfassen. Von Seiten der betreuenden Stelle der C
GmbH wurde die Klägerin ausführlich über die Art der von ihr zu verrichtenden Tätigkeiten informiert (vgl.
Tätigkeitsbeschreibung Blatt 10ff der Gerichtsakte). Sie trat die Maßnahme nicht an und erhob am
16.05.2007 gegen die Eingliederungsvereinbarung Widerspruch. Sie argumentierte, dass sie nicht sehe,
dass sich durch die Teilnahme an der Maßnahme ihre Eingliederungschancen bezüglich des ersten
Arbeitsmarktes verbesserten, dass sie, weil sie konfessionslos sei, keine Chance auf eine Festeinstellung
bei C habe, dass sie befürchte, wegen ihrer völlig anderen Berufsausbildung von alten Menschen nicht
ernst genommen zu werden und dass ihr von Seiten des Maßnahmeträgers keine Impfungen in Aussicht
gestellt worden seien.
Mit Bescheid vom 29.05.2007 senkte die Beklagte die der Klägerin zustehende Regelleistung für den
Zeitraum vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 um 30 % ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe
eine zumutbare Arbeitsgelegenheit nicht aufgenommen, ohne für ihr Verhalten einen wichtigen Grund zu
haben.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch blieb für die Klägerin erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 07.08.2007).
Mit der am 05.09.2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholte ihr
Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt darüber hinaus vor, der zeitliche Umfang der
angebotenen Arbeitsgelegenheit übersteige mit 30 Stunden wöchentlich bei weitem den zulässigen
Rahmen einer Arbeitsgelegenheit. Im Übrigen sei das durch die Beklagte erfolgte Angebot der
Arbeitsgelegenheit unbestimmt gewesen. Die spätere Präzisierung der von der Klägerin zu erledigenden
Aufgaben durch die C GmbH ändere hieran nichts mehr.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2007 in Form des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007
aufzuheben und der ihr Arbeitslosengeld II ohne Absenkung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Verwaltungsentscheidung nach wie vor für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die
vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
07.08.2007 über die Absenkung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II für die Dauer von 3 Monaten um
30 % ist rechtmäßig.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24
SGB II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II
maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung
über die Rechtsfolgen weigert, eine in einer Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Arbeitsgelegenheit
aufzunehmen. Dies gilt nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige
einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Die erwerbsfähige Klägerin hat trotz Belehrung über die Rechtsfolgen, wie sie sich aus dem
Gesprächsvermerk vom 07.05.2007 ergibt, die Aufnahme der vereinbarten Arbeitsgelegenheit im
Altenheim St. B abgelehnt. Bei der Arbeitsgelegenheit handelte es sich um eine zumutbare Tätigkeit im
Sinne des § 10 SGB II, denn es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Klägerin zu der
vorgesehenen Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage war oder die Ausübung dieser
Arbeit ihr die künftige Ausübung ihrer bisherigen überwiegenden Arbeit wesentlich erschweren würde.
Auch war durch die Ausübung der Tätigkeit die Erziehung eines Kindes nicht gefährdet oder die
Ausübung der Tätigkeit mit der Pflege eines Angehörigen nicht vereinbar.
Insbesondere war die Tätigkeit als Pflegehelferin in einem Altenheim nicht allein deshalb unzumutbar,
weil sie nicht der früheren beruflichen Tätigkeit der Klägerin entsprach, für die sie ausgebildet ist oder die
sie ausgeübt hat oder weil sie etwa im Hinblick auf die Ausbildung der Klägerin als Bürokauffrau als
geringerwertig anzusehen wäre. Auch war der Tätigkeitsort von der Wohnung der Klägerin nicht zu weit
entfernt (mehr als 45 Minuten Wegezeit pro Weg)und unter Umständen sogar fußläufig erreichbar.
Es handelte sich auch um eine nach Beschäftigungsgeber, Ort, Art und Umfang hinreichend bestimmt
bezeichnete Arbeit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II. Die vor Antritt der Tätigkeit (10.05.) am 07.05.
ausgehändigte Tätigkeitsbeschreibung ist sehr ausführlich und illustriert anschaulich das Einsatzspektrum
der Klägerin. Auch ist die Tätigkeit als gemeinnützig und zusätzlich sowie eingliederungsgeeignet
anzusehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die in der Tätigkeitsbeschreibung
aufgeführten Tätigkeiten, z. B. Freizeitgestaltung, Vorlesen, Erzählen, Apothekengänge, Hilfe bei der
Vorbereitung von Veranstaltungen für Bewohner, üblicherweise vom Pflegepersonal von
Altenhilfeeinrichtungen nicht geleistet werden können, das Fehlen einer solchen Betreuung jedoch von
den Insassen durchaus als schwerwiegend empfunden wird. Zudem ist aufgrund der besonderen
Ausgestaltung der der Klägerin angebotenen Tätigkeit nicht davon auszugehen, dass durch ihr
Tätigwerden Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt vernichtet werden, da es für Gesellschafterinnen
und Begleitpersonen keinen nennenswerten Arbeitsmarkt gibt.
Zwar ergibt sich als gesetzliches Rangverhältnis nach § 16 als vorrangiges Ziel die Eingliederung von
Hilfebedürftigen in reguläre versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse des ersten
Arbeitsmarktes, an zweiter Stelle ihre Eingliederung in durch öffentliche Fördermittel zusätzlich
geschaffene versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse des zweiten Arbeitsmarktes und erst in
dritter Linie die Vermittlung in Arbeit außerhalb von Beschäftigungsverhältnissen im Sinne des
Arbeitsrechts, also Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwandsentschädigung. Praktisch ist die
Reihenfolge aber aufgrund der Gegebenheiten des Arbeitsmarktes genau umgekehrt, weil Hilfebedürftige
wegen ihrer oft langen Arbeitslosigkeit erfahrungsgemäß nur langsam wieder an den ersten Arbeitsmarkt
herangeführt werden können.
Die der Klägerin angebotene Tätigkeit ist auch nicht unzumutbar im Hinblick auf die Dauer und die
vereinbarte Wochenarbeitszeit von 30 Stunden. Grundsätzlich muss die Dauer der Tätigkeit zur
Vermeidung eines Verdrängungseffekts beschränkt bleiben, was bedeutet, dass Arbeitsgelegenheiten
von vorübergehender Dauer sein müssen und Zeiträume bis 6 Monate nicht überschreiten sollten (Eicher
in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar 2. Aufl., § 16 Anm. 29). Die
Maßnahem war auf eine Dauer von unter 6 Monate angelegt.
Unzumutbar war die Arbeitsgelegenheit für die Klägerin auch nicht wegen des vereinbarten Umfangs der
Wochenarbeitszeit. Rechtmäßigkeitsvoraussetzung diesbezüglich ist, dass der Umfang der angebotenen
Arbeit hinter dem eines normalen Arbeitsverhältnisses zurückbleiben muss. Das
Bundesverwaltungsgericht hat hierzu formuliert, die angebotene Arbeit dürfe keine vollschichtige sein
(BVerwGE 68, 91ff). In Anbetracht der Tatsache, dass in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft in der
Bundesrepublik Deutschland die regelmäßige Wochenarbeitszeit (wieder) 40 Wochenstunden umfasst, ist
die Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit nicht zu
beanstanden. Zwar wird in der Literatur, in Einzelfällen auch in der Rechtsprechung, unter Berufung
darauf, dass Teilzeitarbeit in der Bundesrepublik sehr verbreitet sei, argumentiert, ein Richtwert von 15
Wochenstunden solle nicht überschritten werden. Zwischenzeitlich hat das BSG in seiner Entscheidung
vom 16.12.2008 (Az B 4 AS 60/07 R) jedoch dargelegt, dass es den für Arbeitsgelegenheiten gegen
Mehraufwandsentschädigungen geltenden Prinzipien nicht grundsätzlich widerspricht, wenn für die
Ausübung einer solchen Tätigkeit ein zeitlicher Umfang von bis zu 30 Stunden angesetzt wird. Die
Kammer wertet im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen des BSG die
Tatsache als entscheidend, dass die Hilfebedürftigen, die Arbeitsgelegenheiten verrichten, durch diese
auf die Eingliederung in den normalen Arbeitsmarkt vorbereitet werden sollen. Dies umfasst nach
Auffassung der Kammer auch, dass derjenige, der im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit tätig wird, lernt,
wieder den größten Teil seiner Zeit fremdbestimmt einem Arbeitgeber zu widmen.
Die Klägerin hatte für ihr Verhalten, das Nichtaufnehmen der vereinbarten Arbeitsgelegenheit, auch
keinen wichtigen Grund. Wichtiger Grund sind alle Umstände des Einzelfalles, die unter Berücksichtigung
der normativ oder tatsächlich berechtigten Interessen des Einzelnen in Abwägung mit etwa
entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (Berlit
in: LPK/SGB II, § 31 RdNr. 60, m. w. N.). Bei den wichtigen Gründen im Vordergrund stehen persönliche,
insbesondere familiäre oder gesundheitliche Gründe, z. B. die Herstellung oder Wahrung einer
eheähnlichen Lebensgemeinschaft, Familienpflichten, Glaubens- oder Gewissensgründe oder in der
Arbeitssituation selbst liegende Umstände (Eintreten einer Mobbingsituation oder Auftreten
gesundheitsgefährdender Stoffe).
Die Befürchtung der Klägerin, die Arbeitsgelegenheit werde ihre Eingliederungschancen für ihre erlernten
Berufe nicht verbessern, ist nicht als wichtiger Grund im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II anzusehen.
Zum einen umfasst die Arbeitsgelegenheit auch durchaus Aspekte ihrer früheren beruflichen Tätigkeit als
Bürokauffrau, z. B. durch Mithilfe in der Verwaltung, zum anderen ist es nach einer so langen Zeit der
Arbeitslosigkeit wie die Klägerin sie aufweist, generell von Vorteil, wenn überhaupt irgendeine Art von
Arbeit und sei es im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit, verrichtet wurde. Die Tatsache, dass die Klägerin
konfessionslos ist, stellt ebenfalls keinen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II, denn
sie hat ja gerade nicht argumentiert, dass sie aus Gewissensgründen nicht in einer katholischen
Einrichtung arbeiten könne, sondern lediglich die Befürchtung geäußert, dass ihre Konfessionslosigkeit
einer Festeinstellung in einer konfessionsgebundenen Einrichtung entgegenstehen könne. Im
vorliegenden Fall ging es aber überhaupt noch nicht um eine Festanstellung in einer
konfessionsgebundenen Einrichtung. Für die Aufnahme der Arbeitsgelegenheit spielte die
Konfessionslosigkeit der Klägerin offensichtlich keine Rolle. Auch die Tatsache, dass der
Maßnahmeträger der Klägerin keine Impfungen (gegen welche Krankheiten?) anbot, stellt keinen
wichtigen Grund dar. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass und in welchem Umfang alle
Mitarbeiter in Altenhilfe- und Pflegeeinrichtungen in besonderem Maße einer erhöhten Infektionsgefahr
ausgesetzt sind.
Aus alledem folgt, dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).