Urteil des SozG Koblenz vom 10.06.2009

SozG Koblenz: erbschaft, anrechenbares einkommen, auszahlung, verordnung, niedersachsen, disposition, quelle, arbeitslosenhilfe, abgrenzung, datum

Sozialrecht
SG
Koblenz
10.06.2009
S 6 AS 1070/08
Erbschaft = Einkommen
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Bezug von laufenden Leistungen nach dem Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuchs (SGB II) eine Erbschaft als Einkommen oder als Vermögen zu berücksichtigen ist.
Die 1975 geborene Klägerin bildet zusammen mit drei Töchtern eine Bedarfsgemeinschaft und dieser
waren zuletzt mit Bescheid vom 07.12.2007 bzw. Änderungsbescheiden vom 19.12.2007 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2008 bewilligt worden.
Aufgrund des im Juni 2008 gestellten Weitergewährungsantrags waren der Klägerin und den mit ihr in der
Bedarfsgemeinschaft zusammen lebenden Töchtern mit Bescheid vom 18.06.2008 weiter Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.12.2008 bewilligt
worden.
Mit Bescheid vom 02.07.2008 war eine Änderung bezüglich der Leistungshöhe für die Zeit vom
01.07.2008 bis 31.12.2008 vorgenommen worden.
Nachdem die Beklagte im Juni 2008 erfahren hatte, dass der Klägerin aus einer Erbschaft ein Betrag in
Höhe von 7.282,83 € zugeflossen sein soll, forderte sie bei der Klägerin einen entsprechenden Nachweis
an.
Die Klägerin legte Anwaltsschreiben vor. Danach war der Klägerin unter Abzug von
Rechtsanwaltsgebühren aus der Erbschaft ein Betrag in Höhe von 6.538,61 € im Juni 2008 per
Verrechnungsscheck gezahlt worden.
Mit Bescheid vom 11.08.2008 teilte die Beklagte der Klägerin sodann eine Änderung der zu gewährenden
Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 mit. Die Beklagte verwies auf die
Neuberechnung aufgrund der Auszahlung des Erbanteils und darauf, dass das Erbe als Einkommen auf
bis zu 12 Monate aufgeteilt werde. Ein monatlicher anrechenbarer Betrag in Höhe von 544,89 € wurde
mitgeteilt.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, eine während des Bezugs von Alg II zugeflossene
Erbschaft stelle kein anrechenbares Einkommen dar, vielmehr handele es sich um Vermögen.
Mit Bescheid vom 04.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus,
durch die Übergabe des Verrechnungsschecks sei der Klägerin eine Erbschaft in Höhe von 6.538,61 €
circa am 19.06.2008 zugeflossen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin bereits seit längerer Zeit
Leistungen nach dem SGB II bezogen, so dass nach der genannten Zuflusstheorie die Erbschaft als
Einkommen im Sinne des § 11 SGB II anzusehen ist. Die angefallene Erbschaftssumme sei als einmalige
Einnahme auf einen Zeitraum von 12 Monaten aufzuteilen und als monatliches Einkommen zu
berücksichtigen. Bei der Einnahme von insgesamt 6.538,61 € bedeute dies ein monatliches Einkommen
von 544,89 €. Da der Zufluss der Erbschaft eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 SGB X darstelle, habe die ursprüngliche Bewilligung vom 18.06.2008 aufgehoben werden dürfen.
Am 14.11.2008 ist die Klage bei Gericht eingegangen.
Die Klägerin macht geltend, im Juni 2008 habe sie aus einer Erbschaft nach ihrer Großmutter einen
Betrag von 6.538,61 € erhalten. Die Großmutter sei am 01.10.2003 verstorben. Durch ein Schreiben des
Amtsgerichts B vom 29.10.2007 habe sie hiervon erstmals Kenntnis erhalten. Nach der
Erbauseinandersetzung habe sie mit Schreiben eines Rechtsanwalts vom 18.06.2008 Kenntnis von der
Erbauseinandersetzung und dem ihr zustehenden Betrag erhalten. Bei der Erbschaft handele es sich um
Vermögen im Sinne von § 12 SGB II. Bei der vorliegenden Fallgestaltung sei zu beachten, dass die
Erbschaft ihr bereits zu einem Zeitpunkt zugeflossen ist, als sie von der Beklagten noch keine Leistungen
erhalten habe. Der Erbfall sei nämlich am 01.10.2003 eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 11.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf verschiedene obergerichtliche Urteile und verbleibt im Übrigen bei ihrem Standpunkt, es
sei auf den Zeitpunkt des Zuflusses abzustellen und dies führe bei einer Auszahlung der Erbschaft
während des Leistungsbezugs zu einer Berücksichtigung als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.
Aufgrund des Zuflussprinzips könne im Rahmen des SGB II eine Erbschaft erst mit dem tatsächlichen
Zufluss Berücksichtigung finden, da sonst, gerade in Fällen von Erbstreitigkeiten, die Betroffenen ohne
Sozialleistungen wären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Prozessakte sowie den der Verwaltungsakte. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist erfolglos.
In zutreffender Weise hat die Beklagte infolge der Erbschaft das zugeflossene Barvermögen in Höhe von
6.538,61 € als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II und nicht - so die Auffassung der
Klägerin - als Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II bewertet und insofern zu Recht mit Bescheid
vom 11.08.2008 für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.12.2008 eine Änderung der der Klägerin zustehenden
Leistungen gemäß § 48 SGB X verfügt.
Bei dem geerbten Betrag in Höhe von 6.538,61 € handelt es sich um eine einmalige Einnahme, die
gemäß § 2 Abs. 4 Alg II-Verordnung von dem Monat an zu berücksichtigen war, in dem sie zugeflossen ist.
In zutreffender Anwendung der Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 3 Alg II-Verordnung hat die Beklagte die
einmalige Einnahme auch auf einen angemessenen Zeitraum aufgeteilt und monatlich mit einem
entsprechenden Teilbetrag in Höhe von 544,89 € in Ansatz gebracht. Entgegen der Auffassung der
Klägerin geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem aus der Erbschaft zugeflossenen Geldbetrag
auch tatsächlich um ein Einkommen im Sinne des § 11 SGB II und nicht um ein Vermögen im Sinne des
§ 12 SGB II handelt. Zur Unterscheidung von Einkommen und Vermögen kann im Rahmen der
Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur
Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommensbegriffs beim Bundessozialhilfegesetz und des
Bundessozialgerichtsgesetzes zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der
Arbeitslosenhilfe nach den §§ 137 ff. Arbeitsförderungsgesetz bzw. §§ 193 ff. SGB III zurückgegriffen
werden. Danach ist Einkommen alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig zusätzlich erhält.
Demgegenüber ist Vermögen, was der Betreffende zu Beginn der Bedarfszeit bereits hat (vgl. Beschluss
LSG Niedersachsen - L 13 AS 237/07 ER -, Urteil Sozialgericht Koblenz vom 07.05.2008 - S 11 AS
595/07).
Da vorliegend gerade das Barvermögen aus einer Erbschaft als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II
anzusehen ist (vgl. auch Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen - L 20 B 72/06 AS - in Breithaupt 2007,
173 bis 175), erweist sich der Rechtsstandpunkt der Beklagten als zutreffend. In diesem Zusammenhang
kann die Klägerin auch nicht damit gehört werden, dass der aus der Erbschaft stammende Geldbetrag ihr
bereits im Zeitpunkt des Todes der Großmutter am 01.10.2003 zugestanden bzw. zugeflossen sein soll.
Insofern verweist die Beklagte auch in zutreffender Weise darauf, dass im Rahmen des SGB II eine
Erbschaft erst mit dem tatsächlichen Zufluss Berücksichtigung finden kann, weil ansonsten bei
Erbstreitigkeiten für deren Dauer gerade kein Anspruch gegeben wäre. Entsprechend geht auch das BSG
in der Entscheidung vom 30.09.2008 ‑ B 4 AS 29/07 R ‑ bezüglich einer Einkommensteuererstattung
davon aus, dass eine solche nicht zu den bereits erlangten Einkünften gehört, mit denen Vermögen
angespart wurde. Nach dieser Entscheidung kommt es gerade nicht auf das Schicksal der Forderung an.
Im SGB II wird vielmehr ausschließlich auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert
abgestellt. Insofern geht das BSG dann auch davon aus, dass von der Regelung des tatsächlichen
Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen im Falle der
Einkommensteuererstattung daher auch nicht deswegen abzuweichen ist, weil es sich um Einkommen
handelt, das zu einem früheren Zeitpunkt fällig gewesen wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine
andere steuerrechtliche Disposition getroffen hätte.
In Kenntnis dieser Rechtsprechung geht das Gericht dann aber auch bezüglich des Zuflusses eines
Geldbetrages aus einer Erbschaft davon aus, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalles, sondern auf
den tatsächlichen Zeitpunkt des Zuflusses des Geldbetrages ankommt.
Da die Beklagte mithin in zutreffender Weise das aus der Erbschaft stammende Barvermögen als
Einkommen im Sinne des § 11 SGB II angesehen hat und auch in zutreffender Weise diesen Geldbetrag
auf einen angemessenen Zeitraum aufgeteilt hat, war sie gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X
berechtigt, mit Bescheid vom 11.08.2008 infolge des Zuflusses des Barvermögens aus der Erbschaft eine
entsprechende Änderung in der der Klägerin zustehenden Leistungshöhe vorzunehmen.
Mithin ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.