Urteil des SozG Koblenz vom 20.04.2006

SozG Koblenz: stationäre behandlung, verpflegung, erlass, unterbringung, anteil, ernährung, verwaltungsakt, arbeitsunfähigkeit, leistungsanspruch, rehabilitation

Sozialrecht
SG
Koblenz
20.04.2006
S 13 AS 229/05
Arbeitslosengeld II; Verpflegung bei vollstationärer Unterbringung als Sachleistung
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klage ist gegen die teilweise Aufhebung einer Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] gerichtet.
Der am 1971 geborene, mietfrei wohnende Kläger stellte am 11.04.2005 bei der Beklagten einen
Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Daraufhin
bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2005 Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom
11.04.2005 bis 30.04.2005 in Höhe von 230 € und für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2005 in Höhe der
Regelleistung von monatlich 345 €.
Ab dem 27.05.2005 absolvierte der Kläger eine von der LVA Rheinland-Pfalz finanzierte vollstationäre
Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in den Kliniken D. Hiervon machte der Kläger der Beklagten
am 18.05.2005 Mitteilung.
Mit Änderungsbescheid vom 19.07.2005 setzte die Beklagte unter Aufhebung der vorhergehenden
Bewilligungsentscheidung die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die
Zeit vom 11.04.2005 bis 30.04.2005 in Höhe von 230 €, für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.05.2005 in
Höhe von 324,87 € und für die Zeit vom 01.06.2005 bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich 224,25 € neu
fest; dabei berücksichtigte sie ein monatliches Einkommen des Klägers von 120,75 €.
Hiergegen legte der Kläger am 29.07.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, die Kürzung der
Regelleistung sei rechtswidrig, da die bewilligten Leistungen lediglich eine Vorauszahlung auf das vom
Rentenversicherungsträger gemäß § 21 SGB VI in Höhe des Arbeitslosengelds II zu zahlenden
Übergangsgelds darstellten. Auch in § 25 SGB II sei geregelt, dass bei einer medizinischen Rehabilitation
die Leistungen in ihrer bisherigen Höhe als Vorschuss gezahlt würden. Hierauf habe er vertraut.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur
Begründung war angegeben, der Kläger sei seit dem 29.07.2005 mit voller Verpflegung vollstationär
untergebracht. Er erhalte damit Sachleistungen, die als Einkommen in Geldeswert auf den Regelsatz
anzurechnen seien. Insgesamt seien sie mit 35 % der Regelleistung, also monatlich 120,75 € anzusetzen,
so dass ein monatlicher Bedarf von 224,75 € verbleibe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der
so dass ein monatlicher Bedarf von 224,75 € verbleibe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der
Regelung des § 25 SGB II, die nicht die medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen, sondern allein die
Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit betreffe.
Am 07.09.2005 wurde der Beklagten mitgeteilt, dass die stationäre Behandlung zum 14.09.2005 enden
sollte. Daraufhin erließ die Beklagte am 13.09.2005 einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem sie die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 11.04.2005 bis
30.04.2005 in Höhe von 230 €, für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von 324,87 €, für die
Zeit vom 01.06.2005 bis 31.08.2005 in Höhe von monatlich 224,25 €, für die Zeit vom 01.09.2005 bis
30.09.2005 in Höhe von 288,65 € und für die Zeit vom 01.10.2005 bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich
345 € neu festsetzte.
Am 15.09.2005 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er unter Wiederholung und
Vertiefung sein Begehren weiterverfolgt.
Der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene und auch nicht vertretene Kläger beantragt
schriftsätzlich sinngemäß,
den Änderungsbescheid vom 19.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2005
und in der Fassung des Änderungsbescheids vom 13.09.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide fest.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze
der Beteiligten sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 19.07.2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2005 und in der Fassung des Änderungsbescheids vom
13.09.2005, mit dem die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengfeld II) für die Zeit vom 11.04.2005 bis 30.04.2005 in
Höhe von 230 €, für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von 324,87 €, für die Zeit vom
01.06.2005 bis 31.08.2005 in Höhe von monatlich 224,25 €, für die Zeit vom 01.09.2005 bis 30.09.2005 in
Höhe von 288,65 € und für die Zeit vom 01.10.2005 bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich 345 € neu
festgesetzt und die vorhergehende höhere Leistungsbewilligung insoweit teilweise aufgehoben hat, ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch
[SGB X]. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - um einen solchen handelt es sich bei der
Bewilligung von Arbeitslosengeld II - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen
oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf
Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl BSGE 78, 109, 111 mwN). Der Verwaltungsakt ist
nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X iVm §§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II; 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch [SGB III] mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das
zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
Vorliegend war in der Zeit vom 27.05.2005 bis zum 14.09.2005 eine wesentliche Änderung eingetreten,
da sich der Leistungsanspruch des Klägers in diesem Zeitraum infolge seiner stationären Unterbringung
reduziert hatte. Denn der Kläger hat während der Zeit seiner stationären Unterbringung in den Kliniken D
freie Verpflegung erhalten. Hierbei handelt es sich um eine dem Kläger zugewendete geldwerte
Sachleistung, die gemäß § 11 Abs.1 Satz1 SGB II als Einkommen des Klägers zu berücksichtigen ist.
Dabei ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Wert der freien Verpflegung - offenbar
einer allgemeinen Durchführungsanweisung folgend - mit 35 % der Regelleistung, also mit (345 € x 35 %
=) 120,75 € beziffert hat. Auch aus Sicht des Gerichts ist der für die Ernährung bestimmte Anteil der
Regelleistung mindestens in dieser Höhe anzusetzen. Hierfür spricht zunächst, dass der Anteil für
Ernährung und Getränke an dem nach dem sog. Statistikmodell ermittelten Regelsatz des zum 31.12.2004
außer Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetzes [BSHG] ca. 50 % betrug (vgl. Schellhorn/Schellhorn,
BSHG, 16. Auflage 2002, § 1 RegelsatzVO, Rn. 17), sich also - ausgehend von dem zuletzt festgelegten
Regelsatz für einen Haushaltsvorstand in Höhe von 296 € - auf 148 € belief. Etwa auf diese Höhe muss
daher auch der Ernährungsanteil der Regelleistung nach dem SGB II angesetzt werden, denn die
Regelleistungen nach dem SGB II stellen lediglich eine - wenn auch um Pauschalbeträge für einmalige
Bedarfe aufgestockte - Fortschreibung der zuvor geltenden Regelsätze nach dem BSHG dar. Hinzu
kommt, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Sachbezugsverordnung [SachBezV] in der Fassung vom 22.10.2004
(BGBl. I, S. 2663), die nach § 2 Abs. 4 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung [AlgII-V] für die
Bewertung von Sachleistungen heranzuziehen ist, für freie Verpflegung sogar ein Betrag von monatlich
200,30 € anzusetzen ist. Das von der Beklagten berücksichtigte Einkommen aus Sachleistungen von
monatlich 120,75 € ist danach keinesfalls zu hoch, sondern eher (zugunsten des Klägers) zu niedrig
angesetzt.
Da durch das nach Erlass des ursprünglichen Bewilligungsbescheids erzielte Sachleistungseinkommen
des Klägers sich dessen Hilfebedürftigkeit reduziert und daher sein Leistungsanspruch gemindert hat, war
die vorhergehende Bewilligungsentscheidung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
teilweise in Höhe des erzielten Einkommens aufzuheben.
Entgegen der Auffassung des Klägers waren die Leistungen auch nicht nach § 25 SGB II in voller Höher
weiterzuzahlen. Denn diese Vorschrift regelt lediglich die sechswöchige Fortzahlung von Leistungen nach
dem SGB II bei Arbeitsunfähigkeit des Leistungsbeziehers, betrifft aber nicht den hier vorliegenden Fall
einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die Berufung wird gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassen.