Urteil des SozG Kassel vom 23.05.2007

SozG Kassel: versicherungspflicht, zirkus, reiten, kunst, öffentlich, form, anhörung, klinik, gerichtsakte, integration

Sozialgericht Kassel
Urteil vom 23.05.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 12 KR 139/05
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen von Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz
(KSVG) im Streit.
Die Feststellung des Vorliegens entsprechender Versicherungspflicht beantragte die geborene, studierte
Sozialpädagogin bei der Beklagten mit Eingang 29. Juli 2003, wobei sie auf eine von ihr ausgeübte freiberufliche
Tätigkeit als Sozialpädagogin in den Bereichen Zirkuspädagogik, zirkuspädagogisches Reiten und heilpädagogisches
Reiten verwies. Weiter führte sie aus, dass sie seit ca. einem Jahr Kinder und Jugendliche in der Zirkusarbeit anleite,
Auftritte und Zirkusgalas mit Kindern inszeniere, zum Teil mit Pferden. Darüber hinaus strebe sie an, als Klinikclownin
zu arbeiten. Aufgenommen habe sie diese Tätigkeit bereits im August 2002 als Nebentätigkeit während ihrer
Arbeitslosigkeit. Als Einkommen erwarte sie in 2003 nur das ihr von der Bundesagentur für Arbeit gewährte
Überbrückungsgeld. Für das Jahr 2004 rechne sie mit Einnahmen in Höhe von ca. 8.400,00 Euro.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2004 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin das Vorliegen von Versicherungspflicht
nach dem KSVG ab. Die Tätigkeit der Klägerin umfasse zwar auch künstlerische Elemente. Im Vordergrund ihrer
Arbeit stehe jedoch ein sozialpädagogischer Ansatz.
Gegen den Bescheid vom 11. Mai 2004 legte die Klägerin am 8. Juni 2004 Widerspruch ein. Ihrer selbständigen
Tätigkeit komme sicherlich ihre sozialpädagogische Grundausbildung zugute. Entgegen der Beklagten stehe im
Vordergrund jedoch gerade kein sozialpädagogischer Ansatz. Ihre Aufgabe bestehe darin, Kindern und Jugendlichen
artistische Künste zu lehren und die erlernten Fähigkeiten in Form einer Zirkusaufführung der Öffentlichkeit zu
präsentieren. Ihre sozialpädagogische Ausbildung sei hierfür nicht erforderlich. Das Gleiche gelte für ihre Tätigkeit als
Klinikclownin, wo allein eine künstlerische Ausbildung verlangt werde. Hinzuzufügen sei, dass sie in den letzten 3
Jahren nur Fortbildungen gemacht habe, die ihre künstlerischen und schauspielerischen Fertigkeiten hätten
verbessern und ihrer selbständigen Tätigkeit die notwendigen Kompetenzen vermitteln sollen. Da ihre
sozialpädagogische Ausbildung ihr zwar in der Gruppenführung zugute komme, aber nicht im Vordergrund ihrer
selbständigen Tätigkeit stehe, halte sie am Vorliegen von Versicherungspflicht nach dem KSVG fest.
Nachdem der für die Entscheidung über den Widerspruch zuständige Widerspruchsausschuss der Beklagten in seiner
Sitzung vom 21. Oktober 2004 dem Widerspruch zunächst abgeholfen hatte, leitete die Beklagte ihrerseits gemäß §
21 Abs. 1 der Verordnung über den Beirat und die Ausschüsse bei der Künstlersozialkasse ein sogenanntes
Beanstandungsverfahren ein, wobei ausgeführt wurde, es sei fraglich, ob die Klägerin mit derjenigen Tätigkeit, die sie
selbst als Zirkuspädagogik bezeichne, den Tatbestand "darstellende Kunst lehren" im Sinne von § 2 Satz 2 KSVG
erfülle. Dabei dürfte der Schwerpunkt der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit jedoch im Bereich der
Sozialpädagogik liegen. Hierfür spreche nicht nur ihre Berufsausbildung und der bisherige berufliche Werdegang der
Klägerin, sondern zum Teil auch das berufliche Selbstverständnis der Klägerin. So bezeichne sie sich im Rahmen
einer Aufstellung ihrer beruflichen Tätigkeit selbst als "künstlerisch arbeitende Sozialpädagogin". Ob die Klägerin
darüber hinaus fachlich in der Lage sei, artistische Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, dürfe zumindest auch
bezweifelt werden. Die Tatsache, dass die hier fragliche Tätigkeit zu einem beträchtlichen Teil in Kliniken und
Therapieeinrichtungen ausgeübt werde, deute darauf hin, dass die pädagogische bzw. therapeutische Motivation bei
den Auftraggebern deutlich im Vordergrund stehe. In der hierauf anberaumten zweiten Sitzung des
Widerspruchsausschusses vom 11. Mai 2004 half dieser dem Widerspruch anschließend erneut ab, was die Beklagte
nunmehr veranlasste, im vorgenannten Beanstandungsverfahren jetzt das Bundesversicherungsamt als
Aufsichtsbehörde einzuschalten, das schließlich unter dem 1. April 2005 hierzu die Auffassung vertrat, dass die
vorgenannten Entscheidungen des Widerspruchsausschusses nicht mit § 1 KSVG vereinbar seien. Die vorgelegten
Unterlagen ließen insoweit nicht auf eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 2 Satz 1 KSVG schließen. Nach der
Gesamtbetrachtung liege der Schwerpunkt der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten im Bereich der
Sozialpädagogik. Soweit die Klägerin selbst künstlerisch tätig sei, z. B. als Clown oder indem sie mit dem B.-theater
auftrete, seien diese Engagements im Verhältnis zu den pädagogisch/therapeutisch ausgerichteten Lehrtätigkeiten
von wirtschaftlich untergeordneter Bedeutung. Wenn die Klägerin im "Zirkus C." Kinder und Jugendliche in der
Zirkusarbeit anleite und Zirkusauftritte inszeniere, sei dies nicht Lehre von darstellender Kunst im Sinne des § 2
KSVG. Das öffentlich geförderte Projekt "Zirkus C." sei ein außerschulisches integratives Bildungs- und
Freizeitangebot. Nach dem Internet-Auftritt des "Zirkus C." solle dieses Bildungs- und Freizeitangebot jungen
Menschen mit und ohne Behinderung zugänglich gemacht und erweitert werden. Durch die Zirkusarbeit solle eine
bessere Integration von Kindern und Jugendlichen im Stadtteil erreicht und die Gemeinschaft zwischen behinderten
und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen gestärkt werden. Mit Hilfe der Planung und des Einstudierens von
Zirkusauftritten sollten die Integrationsziele erreicht werden. Die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen in
Zirkusartistik stehe dagegen nicht im Vordergrund. Es würden nicht primär Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Ausübung
der darstellenden Kunst vermittelt. Die von der Klägerin ausgeübte Lehrtätigkeit habe vielmehr vorrangig
sozialpädagogische Zwecke. Soweit die Klägerin darüber hinaus Zirkusprojekte mit Jugendlichen in einer stationären
Therapieeinrichtung sowie in Schulen anleite und dort Zirkusauftritte betreue, hätten besonders diese Lehrtätigkeiten
keinen ausreichenden Bezug zum Zirkus. Gerade die Tatsache, dass die Anleitungen in Therapieeinrichtungen und
Schulen erfolgten, spreche für die therapeutische bzw. pädagogische Motivation der Auftraggeber und für einen
dementsprechenden Ansatz der Lehrtätigkeit. Hier dienten ebenfalls die Zirkusausführungen dazu, therapeutische und
pädagogische Ziele zu erreichen. Hierfür spreche auch das berufliche Selbstverständnis der Klägerin, die sich als
künstlerisch arbeitende Sozialpädagogin bezeichne. Auch bei den Auftritten als Klinikclown sowie den Tätigkeiten im
Bereich zirkuspädagogisches bzw. heilpädagogisches/therapeutisches Reiten stehe die therapeutische Maßnahme im
Vordergrund.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2005 wies die Beklagte den Widerspruch hierauf als unbegründet zurück,
wobei die Beklagte zur Begründung hierfür im Wesentlichen die Ausführungen des Bundesversicherungsamtes in
Bezug nahm.
Die Klägerin hat schließlich am 9. Mai 2005 Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der sie an dem von
ihr geltend gemachten Anspruch festhält.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 11. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. April
2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auf der Grundlage ihres Antrages vom 29. Juli 2003 das Vorliegen
von Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, auf die sie inhaltlich verweist. Darüber hinaus sei mit der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Beurteilung des Kunstbegriffes u. a. ganz wesentlich darauf
abzustellen, in welchem Tätigkeitsbereich und gesellschaftlichen Umfeld eine Leistung erbracht werde. Vor diesem
Hintergrund sei aus den bisher überreichten Tätigkeitsnachweisen der Klägerin sehr deutlich erkennbar, dass die
ausgeübten Tätigkeiten in einem sozialtherapeutischen Umfeld erfolgten. Daraus sei ersichtlich, dass die
durchgeführten Maßnahmen hauptsächlich sozialpädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Zwecken dienten. Nicht
zuletzt deute auch die Ausbildung der Klägerin als Sozialpädagogin hierauf hin.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt; ebenso wird Bezug genommen auf den beigezogenen
Verwaltungsvorgang der Beklagten, dessen wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt gleichfalls
Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in der die Kammer die Klägerin nochmals zum Sachverhalt angehört
hat.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§
87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind sachlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat mit diesen auf Seiten der
Klägerin das Vorliegen von Versicherungspflicht nach dem KSVG zu Recht verneint. Insoweit ist mit der Beklagten
auch die Kammer auf der Grundlage der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung
gelangt, dass der Schwerpunkt der Tätigkeiten der Klägerin auf der Grundlage der mit diesen verfolgten Ziele nicht im
künstlerischen Bereich, sondern in einem sozialpädagogisch/therapeutischen Bereich liegt, was sowohl hinsichtlich
der allein noch streitigen Tätigkeiten der Klägerin als Klinik- bzw. Krankenhausclownin als auch bezogen auf ihre
übrige Tätigkeit im Bereich Zirkus gilt. Insoweit liegt der Schwerpunkt der Tätigkeiten der Klägerin auf dem einer
künstlerisch arbeitenden Sozialpädagogin und dabei insgesamt im Bereich der betreuenden, teilweise sogar im
öffentlichen Raum und dabei auch öffentlich geförderten Jugendarbeit, was mit der Beklagten auch nach Auffassung
der Kammer das Vorliegen von Versicherungspflicht nach dem KSVG ausschließt.
Über die Zirkusprojekte der Klägerin hinaus wird dies bei alledem auch besonders deutlich im Zusammenhang mit
ihrer Tätigkeit als Clownin in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder anderen Jugend- bzw. Altenbegegnungsstätten. Hier
steht die Verbesserung der psychosozialen Betreuung unter dem Motto "Lachen macht gesund" unzweifelhaft und
eindeutig im Vordergrund, was in einschlägigen Fachkreisen allgemein auch als "therapeutischer Humor" bezeichnet
wird. Gerade im Krankenhaus oder auch in Pflegeheimen soll dabei als Teil der Krankenpflege von der Krankheit als
solcher abgelenkt, der Genesungsprozess unterstützt und letztlich die Notwendigkeit des Verbleibens im
Krankenhaus oder Pflegeheim für die Betroffenen erträglicher gemacht werden.
Dies mit der Folge, dass die Klägerin mit der Beklagten gerade nicht als Unterhaltungskünstlerin, sondern in erster
Linie pädagogisch/therapeutisch tätig wird, selbst wenn sie sich dabei wiederum zumindest teilweise künstlerischer
Mittel bedient.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, nachdem
Berufungsausschließungsgründe, die eine solche Entscheidung erforderlich gemacht hätten, nicht vorliegen.