Urteil des SozG Kassel vom 14.10.2010

SozG Kassel: konzept, heizung, erlass, unterkunftskosten, wohnraum, wohnfläche, angemessenheit, wohnkosten, stadt, ausstattung

Sozialgericht Kassel
Beschluss vom 14.10.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 3 AS 282/10 ER
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern bis zum 28. Februar
2011 ab Eingang des Antrags bei Gericht am 17. September 2010 Leistungen nach dem SGB II unter
Berücksichtigung eines Bedarfs für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 654,73 EUR in
gesetzlichem Umfang zu bewilligen.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
3. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens über die Höhe der den Antragstellern zu
gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung.
Die 1972 geborene Antragstellerin zu 1. und ihre am xx. xxx 1993, xx. xxx 1994 und xx. xxx 2001 geborenen Kinder,
die Antragsteller zu 2. bis 4. stehen seit 2005 mit geringfügigen Unterbrechungen im Leistungsbezug. Zum 1. Juli
2006 bezogen sie eine 5 Zimmerwohnung in der A-Straße in Kassel mit einer Wohnfläche von 99,33 m². Der dem
Mietverhältnis zu Grunde liegenden Mietvertrag wurde am 28. Februar 2006 geschlossen und der Antragsgegnerin am
6. März 2006 vorgelegt. Die Antragsgegnerin übernahm ab 1. Juli 2006 durch Bescheid vom 2. Juni 2006 die Kosten
der Unterkunft in Höhe der von Arbeitsförderung der Stadt Kassel festgelegten Pauschale in Höhe von 434,00 EUR.
Ausweislich einer aktuellen Mietbescheinigung vom 9. August 2010 beträgt die Nettokaltmiete 433,09 EUR, die
Betriebskostenvorauszahlung 153,00 EUR und die Heizkosten, einschließlich der Kosten der Warmwasserbereitung
ab 1. September 2010 91,00 EUR monatlich.
Am 29. Juli 2010 beantragten die Antragsteller die Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Durch Bescheid vom 23 August 2010 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1.
September 2010 bis 28. Februar 2011 in Höhe eines Gesamtbetrages von 595,02 EUR monatlich, der sich aus
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 151,25 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in
Höhe von 540,02 EUR KdU – anzurechnendes Einkommen von 96,25 EUR = 443,77 EUR zusammensetzte. Durch
Änderungsbescheid vom 8. September 2010 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für den Bewilligungszeitraum
vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2010 in Höhe eines Gesamtbetrages von 641,55 EUR monatlich, der sich aus
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 173,64 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in
Höhe von 540,02 EUR - anzurechnendes Einkommen von 72,11 EUR = 467,91 EUR zusammensetzte.
Hiergegen richtete sich der am 15. September 2010 erhobene Widerspruch.
Am 17. September 2010 beantragten die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und führen zur
Begründung aus, dass die Antragsgegnerin lediglich einem Betrag der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von
monatlich 540,02 EUR anerkenne. Ihre erstattungsfähigen Kosten beliefen sich hingegen auf monatlich 654,73 EUR.
Da ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Wohnkosten auf dem Gebiet der Stadt Kassel nicht
bestehe, müsse auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückgegriffen werden.
Die Antragsteller beantragen (sinngemäß), die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
an die Antragsteller ab dem Tag der Antragstellung bei dem Sozialgericht Kassel vorläufig bis zur Entscheidung in der
Hauptsachekosten für die Unterkunft in Höhe von monatlich 585,09 EUR sowie Kosten für Heizung in Höhe von
monatlich 69,64 EUR zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß), den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Zur Überprüfung der von ihr gewährten Kosten der Unterkunft hat sie den "Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel für
die Stadt Kassel", Stand 1. September 2010, übersandt. Sie hat weiterhin ausgeführt, dass sich ihre Datenerhebung
nicht auf Wohnungen einfachen Standards beschränke. Es würden alle Bestandsmieten der Transferleistungsbezieher
aus den Rechtskreisen des 2. und 12. Buches des Sozialgesetzbuches erhoben. Diese Auswahl sei nicht nur dem
angemessenen und leistbaren Aufwand für eine Datenerhebung geschuldet, sondern führe im Ergebnis zu einem
breiten Spektrum unterschiedlicher Wohnungsstandards. Die Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende und der Sozialhilfe wohnten nicht automatisch in Wohnraum, der nach Ausstattung, Lage und
Bausubstanz nur einfachen und grundliegenden Bedürfnissen genüge, sondern tatsächlich auch in Wohnraum
durchschnittlichen Wohnungsstandards. In Einzelfällen würde auch Wohnraum bewohnt, der einen deutlich höheren
Standard aufweise. So würden Wohnungen von Hilfebedürftigen, die sich entschieden haben, ihre Unterkunftskosten
nicht zu senken, ebenso einbezogen, wie die Fälle, in denen höhere Unterkunftskosten im Ausnahmefall anerkannt
würden, weil eine Senkung derselben nicht zumutbar sei. Zudem entschieden sich Hilfebedürftige auch für nicht nur
einfachen Standard entsprechende Wohnungen, etwa weil die im Rahmen der Erzielung von Einkommen erzielten
Freibeträge zur Finanzierung einer solchen Wohnung genützt würden. Durch eine nennenswerte Fluktuation im
Personenkreis der Hilfebedürftigen würde die Spannbreite des Wohnungsstandards regelmäßig ergänzt.
Auf Anforderung des Gerichts, den Vortrag aus dem Schriftsatz vom 24. September 2010 durch Vorlage
entsprechender Daten zu substantiieren legte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2010 das Konzept
zur Bemessung von angemessenen Unterkunftskosten für das Stadtgebiet Kassel, Stand September 2010 sowie eine
DVD mit der "zu Grunde liegenden Datenbasis" vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen
Leistungsakte der Antragsgegnerin, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
II.
Der zulässige Antrag ist im Wesentlichen begründet.
Nach § 86 b Abs.2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in
Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig
erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch,
also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die
Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine
Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-
Ladewig/Keller, SGG, Kommentar, 9. Aufl., 2008, § 86 b, Rz. 27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache
offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht
auf den Anordnungsanspruch grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die
Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den
Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch
wenn in diesem Fall nicht grundsätzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang
des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange
des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen
stellen (vgl. BVerfG v. 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. §
86 b Abs.2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei sind, soweit beim Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch
auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu
prüfen (BVerfG, a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte
und die nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugung Gewissheit für die tatsächlichen
Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes(Meyer-Ladewig/Keller,a.a.O., § 86 b Rz. 16
c, d, 40). Unschädlich ist, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Erteilung des ablehnenden
Bescheides erhoben wurde. Zum einen wurde der Bescheid durch Widerspruch angefochten und zum anderen regelt §
86 b Abs.3, dass die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig sind.
Ein Anordnungsgrund liegt allein deshalb vor, da die Antragsteller eine monatliche Differenz zwischen den von der
Antragsgegnerin gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung aus ihren Regelsätzen bestreiten müssen.
Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend auch hinreichend glaubhaft gemacht.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe
der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Zur Frage der Bestimmung der Angemessenheit i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat bereits die 6. Kammer des
Sozialgerichts Kassel in einem Beschluss vom 23. Juni 2010 zu dem Aktenzeichen S 6 AS 144/10 ER zutreffend
ausgeführt:
"Die Rechtsprechung hat den gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der
Aufwendungen für die Unterkunft konkretisiert. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist in einem mehrstufigen
Verfahren vorzugehen. Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen
Wohnungsgröße und des Wohnungsstandards wird in einem zweiten Schritt festgelegt, auf welche konkreten
räumlichen Gegebenheiten als räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist.
Anschließend ist hierbei zu untersuchen, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen
eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfsbedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Dabei ist nicht
nur auf die im streitgegenständlichen Zeitraum auf dem Markt tatsächlich angebotenen Wohnungen abzustellen,
sondern auch auf vermietete Wohnungen. Hierbei vertritt die Rechtsprechung die sog. Produkttheorie. Danach
müssen nicht beide Faktoren, Wohnungsgröße und der im Quadratmeterpreis ausgedrückte Wohnungsstandard, je für
sich betrachtet angemessen sein. Vielmehr ist es ausreichend, dass das Produkt aus Quadratmeterzahl und
Quadratmeterpreis eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ergibt (BSG, Urteil v. 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R;
Hessisches LSG, Urteil v. 24.09.2008, L 6 AS 130/07; SG Kassel, Urteil v. 11.03.2009, S 7 AS 276/06). Für die
Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Wohnungsfläche ist auf die Kriterien abzustellen, welche die Länder aufgrund
des § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung festgelegt haben (Knickrehm / Voelzke / Spellbrink,
Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, 2009, S.16). Dies richtet sich in Hessen nach den Hessischen Richtlinien
zur sozialen Wohnraumförderung vom 20.03.2003 (Hessisches Staatsanzeiger S. 1346) geändert durch die Richtlinien
vom 19.01.2004 (Hessischer Staatsanzeiger S.628). Nach den Richtlinien ist eine Wohngröße für eine Person bis 45
Quadratmetern angemessen. Bei zwei Personen ist eine Wohnfläche von 60 Quadratmetern angemessen." Für jede
weitere Person ist eine weitere Wohnfläche von 12 m² hinzuzurechnen. "Bei der im zweiten Schritt vorzunehmenden
Festlegung des maßgeblichen Wohnungsmarktes muss zunächst der räumliche Vergleichsmaßstab festgelegt
werden, wobei das Recht der Leistungsempfänger auf Verbleib in ihrem sozialen Umfeld Berücksichtigung finden
muss (Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, S.16). Aus diesem Grund ist
grundsätzlich vom Wohnort des Hilfsbedürftigen auszugehen. Die Grundsicherungsträger müssen hierzu die konkreten
örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt ermitteln und berücksichtigen. Als Erkenntnismittel kommen in
Betracht: Örtliche Mietspiegel, Mietdatenbanken, Wohnungsmarktanzeigen in der örtlichen Presse oder im Internet;
Anfragen bei Maklern, Wohnungsbaugesellschaften, Mietervereinen etc. Entscheidend ist hierbei nicht das Vorliegen
eines qualifizierten oder einfachen Mietspiegels. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss
vielmehr auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das die Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des
Wohnungsmarktes wiederzugeben. Liegen keine entsprechenden Mietspiegel beziehungsweise Mietdatenbanken im
Sinne der §§ 558c ff. BGB vor, können die Grundsicherungsträger für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene
Mietspiegel oder Tabellen erstellen. Die vom Grundsicherungsträger hierbei gewählte Datengrundlage muss aber – wie
schon ausgeführt wurde – auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die
aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiederzugeben. Dies kann u.a. dann der Fall sein, wenn die
Datenbasis auf mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestands beruht (BSG, Urteil
vom 18.06.2008, B 14/7b AS 44/06 R; SG Kassel, Urteil v. 11.03.2009, S 7 AS 276/06). Ferner müssen die Faktoren,
die das Produkt "Mietpreis" bestimmen, in die Auswertung eingeflossen sein. Es muss hierbei insbesondere
sichergestellt sein, dass bestimmte Wohnungen, die das Bild von der Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft
verzerren (vgl. BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, Rn. 22) im Rahmen des schlüssigen Konzeptes nicht
berücksichtigt wurden. Einer der Faktoren, der für die angemessenen Kosten der Unterkunft bestimmend ist, ist der
sog. Wohnungsstandard. Den Standard bestimmen u.a. Kriterien wie die Lage, Infrastruktur, das Wohnungsumfeld,
die Verkehrsanbindung, die Umweltbelastung und die Ausstattung der Wohnung wie die Zahl und Größe der einzelnen
Räume, deren Belichtung, Belüftung, sanitäre Ausstattung und die Art der Heizung (vgl. Knickrehm / Voelzke /
Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, Stuttgart 2009, S.16). Diese Auflistung dürfte weder
abschließend sein noch dürfte es für ein schlüssiges Konzept zwingend erforderlich sein, dass sämtliche aufgeführten
Kriterien von den Leistungsträgern im Rahmen ihres schlüssigen Konzeptes Berücksichtigung finden. Die Kammer ist
jedoch überzeugt, dass es Sache der Sozialleistungsträger ist, zunächst zu definieren, was sie unter einem einfachen
Wohnungsstandard verstehen. Ein schlüssiges Konzept setzt nämlich ein planmäßiges Vorgehen der
Grundsicherungsträger im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung der relevanten Tatsachen für
sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsmaßstab voraus (BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R,
juris, Rn. 19). Das BSG geht davon aus, dass die Leistungsträger bei einem schlüssigen Konzept sowohl auf
Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen
nur einfachen Standards abstellen können. Werden – wie von der Antragsgegnerin vorgetragen – nur Wohnungen des
einfachen Segments im Rahmen des Konzeptes berücksichtigt, ist es aber zwingend erforderlich, dieses einfache
Segment zunächst abstrakt zu definieren, um eine Überprüfbarkeit der Annahmen des Leistungsträgers zu
ermöglichen (BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn.23; BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R; s.
auch: Knickrehm in: Spellbrink (Hrsg.), Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte, Stuttgart 2010, S.90).
Ist der Leistungsträger nicht in der Lage, ein schlüssiges Konzept zu präsentieren, sind nach der neuen
Rechtsprechung des BSG die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu gewähren, welche "nach oben" jedoch durch die
Angemessenheitsgrenze begrenzt werden. Es ist den Gerichten in diesen Fällen nicht verwehrt, die Angemessenheit
der Unterkunftskosten unter Rückgriff auf die Wohngeldtabelle des § 12 Wohngeldgesetzes zu bestimmen (BSG,
Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn. 27). Da allerdings beim Fehlen eines schlüssiges Konzeptes nicht
hinreichend beurteilt werden kann, wie hoch die angemessenen Kosten tatsächlich sind, hält es das BSG im Einzelfall
für angemessen, im Interesse der Leistungsberechtigten die jeweils maßgeblichen Werte der Wohngeldtabelle um
einen "Sicherheitszuschlag" zu ergänzen (BSG, Urteil v. 17.12.2009, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn.
27; Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, S.17 f.). Dem schließt sich das
Gericht an."
Zu der Frage, ob die Antragsgegnerin ein solches schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Kosten
der Unterkunft i. S. der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellt hat, hat die 6. Kammer in der oben genannten
Entscheidung weiterhin ausgeführt:
"Dies ist nach Überzeugung des Gerichts nicht der Fall. Es ist vorliegend zwar nicht zu verkennen, dass die
Antragsgegnerin einen enormen organisatorischen Aufwand betreibt, um die angemessenen Kosten der Unterkunft zu
bestimmen, so dass ihr ein systematisches und nicht nur punktuelles Vorgehen zu bescheinigen ist. Bei der
Beurteilung des Konzeptes fällt jedoch auf, dass in diesem keine Ausführungen zum Begriff des "spezifischen
Wohnungsmarktsegments" (Bl. 58 Gerichtsakte) enthalten sind. Die Antragsgegnerin hätte diesen Begriff definieren
und ausführen müssen, welche Kriterien aus ihrer Sicht erfüllt sein müssen, um einem angemessenen
Wohnungsstandard im Sinne des unteren Preissegments zu entsprechen. Es ist für das Gericht naheliegend, dass in
den Wohnungslisten der Antragsgegnerin über die SGB II- und SGB XII-Leistungsbezieher keine Wohnungen
enthalten sein dürften, die die angemessen Kosten der Unterkunft zu Unrecht zu sehr in die Höhe treiben, weil diese
Wohnungen nicht mehr einfachen und damit angemessen Wohnungsstandards entsprechen. Das Gericht kann jedoch
überhaupt nicht beurteilen, ob nicht in den Listen möglicherweise Wohnungen enthalten sind, welche die
angemessenen Wohnungsstandards des unteren Wohnungssegments unterschreiten. In welchen Fällen ein
Unterschreiten der angemessenen Wohnungsstandards im Sinne des unteren Wohnungssegments vorliegt, kann an
dieser Stelle dahinstehen. Exemplarisch sei auf den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.12.2005 (S 31
AS 562/05 ER, juris), in dem das Sozialgericht feststellt, dass eine Wohnung ohne Bad zur heutigen Zeit nicht mehr
den Standard des Angemessenen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II erreicht. Die Antragsgegnerin hat sich in dem von
ihr vorgelegten Konzept mit den Wohnungsstandards überhaupt nicht beschäftigt, obwohl das BSG in seiner
ständigen Rechtsprechung auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis"
bestimmen, in die Auswertung einfließen zu lassen (vgl. Knickrehm in: Spellbrink (Hrsg.), Das SGB II in der Praxis
der Sozialgerichte, 2010, S.88)."
Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Die "Nachbesserung" des Konzepts und Erweiterung
um eine Anlage 1 in der ein Wohnungsstandard "definiert" ist, kann zu keiner von der 6. Kammer abweichenden
Beurteilung führen. Aus der Formulierung: "Das Spektrum der unterschiedlichen Wohnungsstandards im
Vergleichsraum Kassel ist durch mindestens folgende Parameter gekennzeichnet" und die folgende Auflistung -
Küche, auch Kochnische - Badezimmer, auch Duschbad - Wasserklosett (in der Wohnung) - fließendes Wasser, warm
und kalt - Stromversorgung - Heizung - Fenster zur Beleuchtung und Belüftung - Doppelverglasung ergibt sich nicht,
ob hiermit ein einfacher Wohnungsstandard definiert werden soll. Im Übrigen geht die Beklagte selbst davon aus, dass
sie in ihrer Datenbank zur Bestimmung angemessenen Wohnkosten nicht nur Daten über Wohnungen mit einfachem
Wohnungsstandard erfasst, so dass für das Gericht unklar ist, welchen Zweck die Definition haben soll. In jedem Fall
ist sie selbst nach Angabe der Antragsgegnerin nicht für die Auswahl der Daten zugrunde gelegt worden, die zur
Berechnung der angemessenen Wohnkosten herangezogen wurden.
Das zu dem hiesigen Verfahren übersandte "Konzept" zur Bemessung von angemessenen Unterkunftskosten für das
Stadtgebiet Kassel entspricht den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung eindeutig nicht.
Ein Konzept liegt nach der Rechtsprechung des 4. Senats dann vor, wenn der Ersteller planmäßig vorgegangen ist im
Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im
maßgeblichen Vergleichsraum sowie für sämtliche Anwendungsfälle und nicht nur punktuell im Einzelfall (BSG, Urteil
vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R). Der 4. Senat hat die Schlüssigkeitsanforderungen wie folgt zusammengefasst (
BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R): - Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten
und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung) (a.),
- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen,
Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach
Wohnungsgröße (b.),
- Angaben über den Beobachtungszeitraum (c.),
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel) (d.),
- Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten (e.),
- Validität der Datenerhebung (f.),
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung (g.) und
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze) (h.) - vgl. BSG 17.12.2009, B 4
AS 27/09 R, zit. nach juris.
Ein Konzept, das diesen Anforderungen genügt, hat die Antragsgegnerin, selbst unter der im einstweiligen
Anordnungsverfahren gebotenen kursorischen Betrachtung, nicht erarbeitet.
Bedenken hat die Kammer schon wegen der Definition der Wohnflächenspannen, da diese nicht begründet und
hergeleitet sind. Insbesondere die Außerachtlassung von Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter 37,5 m² ist aus
dem Datenmaterial nicht hergeleitet. Ausweislich des von der Antragsgegnerin übersandten Datenmaterials mit einer
Anzahl von 17.640 Datensätzen beträgt die Anzahl der Datensätze von Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter
37,5 m² 1.968. Von diesen 1.968 Datensätzen fallen 1.902 Datensätze auf 1-Personen-Haushalte, die im
Gesamtdatenbestand mit 7.965 Datensätzen vertreten sind. Damit fallen nahezu 25 % der von der Antragsgegnerin
erfassten 1-Personen-Haushalte aus der Betrachtung heraus, ohne dass dies im Konzept plausibel begründet wird.
Die reine Vermutung, dass kleine Wohnungen teurer sind, reicht hierzu nicht aus; dies müsste statistisch hergeleitet
und sodann begründet werden. Aus dem Datenmaterial lässt sich sodann nicht nachvollziehen, wie der
zugrundegelegte Standard definiert ist. Geht die Antragsgegnerin davon aus, dass Transferleistungsbezieher
grundsätzlich in Wohnungen mit einem einfachen Wohnungsstandard leben? Dies scheint nicht der Fall zu sein, da
sie selbst ausführt, im Datenmaterial seien auch Wohnungen mit höherem Standard erfasst. Welchen Anteil diese
Wohnungen ausmachen und ob dies im Weiteren bei der Auswertung der Daten zu entsprechenden Schlüssen führen
kann, ist nicht begründet, sondern allenfalls behauptet.
Die Angaben über den Beobachtungszeitraum im laufenden Verfahren sind nicht kongruent. Mit Schriftsatz vom 28.
September 2010 legte die Antragsgegnerin einen "grundsicherungsrelevanten Mietspiegel" Stand: 1. September 2010
vor. Auf Anforderung des Gerichts diese Angaben zu substantiieren, überreichte sie eine DVD, die die dem Konzept
zu Grunde liegende Datenbasis enthalten soll. Eine Durchsicht der Datenbank ergibt indessen, dass die vorgelegten
Daten veraltet sind und die Werte des "Mietspiegels" nicht herleiten. Die Daten beinhalten überwiegend Erhebungen
und Auswertungen des Jahres 2009. Die aktuellste Mietbescheinigung datiert vom 1. Februar 2010; ohnehin wurden
ausschließlich 9 Mietbescheinigungen des Jahres 2010 erfasst. Aus diesen Werten wurde noch ein Mittelwert für den
Monat April 2010 von 4,35 EUR errechnet, der indessen, beispielsweise bezogen auf 1-Personenhaushalte, von dem
in dem Mietspiegel Stand: 1. September 2010 genannten Wert von 4,31 EUR abweicht. Im Ergebnis sind die von der
Antragsgegnerin vorgelegten Daten somit ungeeignet die Schlüssigkeit bezogen auf den streitigen Zeitraum zu
begründen.
Auch die Art und Weise der Datenerhebung ist unklar. Im Wesentlichen scheint die Datenerhebung auf einer
Auswertung der Mietbescheinigungen zurückzugehen. Im Konzept führt die Antragsgegnerin dagegen aus, dass auch
Angebotsmieten in die Gesamtauswertung einfließen würden. Insoweit würden als Quellen auch Angebote in den
Medien sowie die Meldung freier Wohnungen durch die Wohnungsbaugesellschaften in die Gesamtauswertung
einfließen. Wie dies geschieht, lässt sich dem übersandten Datenmaterial nicht entnehmen. Hier scheint es vielmehr
so, dass die Datenbank ausschließlich die Auswertung der Mietbescheinigungen enthält, da die entsprechende Rubrik
bei jedem erfassten Datensatz einen Eintrag enthält. Auf dem Konzept lässt sich nicht entnehmen, inwieweit diese
Daten in die Gesamtauswertung einfließen.
Die Repräsentativität der einbezogenen Daten ist nicht belegt. Eine Überprüfung ist aufgrund der von der
Antragsgegnerin vorgelegeten veralteten Daten nicht möglich.
Im Weiteren bestehen erhebliche Zweifel, ob die Datenerhebung valide ist. Entgegen der Ausführungen im Konzept
scheinen in die Erhebung keine Daten von sogenannten Angebotsmieten eingeflossen zu sein, wie dort ausgeführt
wurde. Somit dürfte die Datenerhebung auf den Kreis der SGB II- und SGB XII-Leistungsbezieher beschränkt sein,
was der Validität entgegensteht (hierzu S. Knickrehm, a.a.O., S. 90), da zu befürchten ist, dass es durch die
Beschränkung der Datenerhebung auf den Kreis der Leistungsbezieher zur Bildung von Zirkelschlüssen kommt.
Erhebliche Zweifel hat die Kammer schließlich bezüglich der aus der Datenerhebung gezogenen Schlüsse. Die
Antragsgegnerin bildet aus den erfassten Daten, bezogen auf die jeweilige Haushaltsgröße, einen Durchschnittswert
des maßgeblichen Quadratmeterpreises. Sie geht hierbei offenbar davon aus, dass in den erfassten Daten in
erheblichem Umfang Wohnraum enthalten ist, der nicht nur einfachem Standard entspricht. Dies ist indessen in keiner
Weise nachgewiesen oder gar quantifiziert. Sollte aber davon ausgegangen werden können, dass der überwiegende
Anteil der erfassten Wohnungen einen einfachen Standard aufweisen, wofür der Umstand spricht, dass die Daten
ausschließlich aus dem Kreis der SGB II/SGB XII-Leistungsbezieher erhoben wurden, die überwiegend Wohnraum mit
angemessenem Umfang der Kosten der Unterkunft bewohnen, führt die Bildung eines Durchschnittswertes, der als
Höchstbetrag für angemessene Wohnkosten herangezogen wird, zu einer Herabbemessung der
Angemessenheitsgrenze. Für den Fall, dass in die Auswertung nur die Wohnungen des einfachen Segments eingehen
ist es zwingend erforderlich, dass der oberste ermittelte Wert - der so genannte Spannenoberwert - die angemessene
Vergleichsmiete darstellt. Andernfalls wäre nämlich den Leistungsberechtigten ein Teil des zur Verfügung stehenden
Wohnungsmarktes finanziell nicht zugänglich (S. Knickrehm, a.a.O., S. 90).
Ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG liegt daher nicht vor, weshalb das Gericht die
angemessenen Unterkunftskosten unter Rückgriff auf die eigentlich als subsidiäre Erkenntnisquelle gedachte
Wohngeldtabelle nach § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz zu bestimmen hatte. Die Stadt Kassel hat nach der Anlage zu § 1
Abs. 3 der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Wohngeldverordnung die Mietstufe 3. Ausweislich der Tabelle des zum
01.01.2009 in Kraft getretenen § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz ist für einen Vier-Personen-Haushalt eine Miete inklusiver
kalter Nebenkosten in Höhe von 556,00 EUR zuzüglich des 10%igen Sicherheitszuschlages von 55,60 EUR, also
611,60 EUR angemessen. Die Bruttokaltmiete der Antragsteller in Höhe von 585,09 EUR übersteigt diesen Betrag
nicht.
Die Antragsgegnerin wird eine Neuberechnung der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende unter
Anwendung von § 19 S. 3 SGB II vorzunehmen haben. Insoweit war in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1
SGG ein Ausspruch dem Grunde nach vorzunehmen.
Eine Entscheidung über den Bewilligungszeitraum hinaus war nicht zu treffen, so dass der Antrag insoweit
zurückzuweisen war. Ebenso war eine Entscheidung über die Höhe der Heizkosten nicht zu treffen, da diese in
tatsächlicher Höhe gewährt werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 172
Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).