Urteil des SozG Kassel vom 07.12.2007

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Sozialgericht Kassel
Urteil vom 07.12.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 3 AL 2245/04
1. Der Bescheid vom 14. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2004 wird
aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 25. August bis 16.
November 2004 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 25. August 2004 bis 16. November 2004.
Der 1974 geborene Kläger meldete sich am 27. August 2004 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Vorhergehend war er von Februar 2002 bis zum 24. August 2004 als Taxifahrer versicherungspflichtig beschäftigt.
Das Arbeitsverhältnis wurde am 24. August 2004 fristlos gekündigt, da dem Kläger die Fahrerlaubnis, selbst
verschuldet, entzogen worden war. Vorhergehend war das Arbeitsverhältnis zum 1.8. 2004 von der XX-GmbH
übernommen worden.
Durch Bescheid vom 14. September 2004 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12 wöchigen Sperrzeit mit der
Begründung fest, der Kläger habe seine Beschäftigung verloren, weil ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden sei.
Hiergegen richtete sich der am 23. September 2004 zur Niederschrift erhobene Widerspruch. Zur Begründung trug der
Kläger vor, er habe nicht damit rechnen können, seinen Führerschein zu verlieren.
Durch Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2004 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück,
der Kläger habe nicht nachgewiesen, warum er nicht mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechnet habe.
Somit könne kein wichtiger Grund für sein Verhalten angenommen werden.
Am 15. Oktober 2004 schlossen die Arbeitsvertragsparteien vor dem Arbeitsgericht Kassel zum Aktenzeichen einen
Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der maßgeblichen gesetzlichen Kündigungsfrist mit Ablauf
des 30. September 2004 sein Ende gefunden hat.
Gegen den zurückweisenden Widerspruch richtet sich die am 5. November 2004 zum Sozialgericht Kassel erhobene
Klage. Zur Begründung trägt der Kläger vor, der Verkehrsverstoß habe außerhalb der Arbeitszeit gelegen, womit es an
einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten fehle.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 14. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober
2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 25. August bis 16.
November 2004 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sie zur Begründung ihres Antrags auf die während des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens
gemachten Ausführungen. Ergänzend trägt sie vor, dass es für einen Taxifahrer unabdingbare Voraussetzung sei,
dass er im Besitz einer Erlaubnis zur Führung eines Kraftfahrzeuges ist. Es müsse deshalb dem Arbeitnehmer
bewusst sein, dass er seinen Arbeitsplatz verlieren werde, wenn ihm die entsprechende Fahrerlaubnis entzogen
werde. Auch habe aufgrund des schweren Vergehens keine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Dem Kläger
habe gewahr sein müssen, dass er im Falle des Verlustes seines Führerscheins seinen Arbeitsplatz verlieren werde.
Das Gericht hat im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen die Gerichtsakte des Arbeitsgerichts A-Stadt zum
Aktenzeichen beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen
Gerichtsakte des Arbeitsgerichts Kassels sowie der Leistungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 14. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2004 ist rechtswidrig.
Der Kläger wird hierdurch in seinen Rechten verletzt. Die Beklagte hat zu Unrecht den Eintritt einer 12-wöchigen
Sperrzeit für den Zeitraum vom 25. August 2004 bis 16. November 2004 festgestellt und in den maßgeblichen Zeiten
der Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld an den Kläger gezahlt.
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer
einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu
haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder
durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und
dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe) ...
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Feststellung einer Sperrzeit im streitigen Zeitraum lagen nicht vor.
Der Kläger hat nicht durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses
gegeben.
Eine private Trunkenheitsfahrt und der daraus resultierende befristete Verlust der Fahrerlaubnis stellen kein
arbeitsvertragswidriges Verhalten dar. Nur wenn eine Kündigung verhaltensbedingt ist, liegt auch ein
Sperrzeittatbestand vor. Personen- und betriebsbedingte Kündigungen sind sperrzeitneutral (Niesel, SGB III,
Kommentar, 3. Aufl., 2005, § 144 RZ 39/40).
Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sowie dem arbeitsgerichtlichen Schrifttum liegt im Fahrerlaubnisentzug
anlässlich von Trunkenheit am Steuer auf einer Privatfahrt ausschließlich ein personenbedingter Grund vor, der zur
Kündigung berechtigen kann, da es dem Arbeitnehmer vorübergehend unmöglich ist, seiner arbeitsvertraglichen
Verpflichtung als Kraftfahrer nachzukommen. Dies gilt gleichermaßen für den Entzug einer Fluglizenz eines Piloten,
wie auch dem Entzug der Fahrerlaubnis als U-Bahn-Zugfahrer. In all diesen Fällen verliert der Arbeitnehmer
(vorübergehend) die Fähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen (vgl. Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Auflage, 2008, § 1 KSchG, RZ 158/164; Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 8.
Auflage, 2007, § 1 KSchG, Rz 265 ff). Ein arbeitsvertragswidriges Verhalten liegt indessen nicht vor.
Ob aus § 1 des Arbeitsvertrages ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund abgeleitet werden kann, konnte vorliegend
unentschieden bleiben. Zweifel könnten vorliegend schon insoweit bestehen, als der Arbeitsvertrag lediglich eine
Regelung für den langfristigen Verlust der Fahrerlaubnis oder einem Fahrverbot regelt und im vorliegenden Fall nur ein
befristetes Fahrverbot ausgesprochen worden ist. Im Übrigen ist in diesem Kontext bedeutsam, dass ein
Arbeitnehmer grundsätzlich in der Gestaltung seines Privatlebens frei ist. Auf den außerdienstlichen Bereich
einwirkende Vertragspflichten bedürfen einer besonderen Rechtsgrundlage, um zu kündigungsrechtlichen
Konsequenzen führen zu können (vgl. SG Stuttgart, Urteil vom 18. Juli 2007, S 20 AL 7291/05, juris); derartiges ist
vorliegend nicht ersichtlich ist. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vermag die Kammer unter
Bezugnahme auf die Begründung des SG Stuttgart nicht zu folgen (BSG vom 6. März 2003, B 11 AL 69/03 R, SozR
4-4300 § 144 Nr. 2).
Selbst für den Fall, dass man in einer privaten Trunkenheitsfahrt mit dem befristeten Entzug der Fahrerlaubnis im
Grundsatz einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund erblickt, könnte dieser vorliegend nicht zur Feststellung einer
12-wöchigen Sperrzeit führen. Grundsätzlich ist vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eine schriftliche
Abmahnung erforderlich. Diese wäre vorliegend nach Überzeugung des Gerichts auch nicht entbehrlich gewesen.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits seit Februar 2002 in dem Arbeitsverhältnis als Taxifahrer
gestanden hat und offenbar sich keinerlei Pflichtwidrigkeiten hat zu Schulden kommen lassen. Mithin wäre der
Ausspruch einer Abmahnung nicht entbehrlich gewesen, da gerade die mit der Abmahnung verknüpfte Warnfunktion
dem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne einer ultima ratio deutlich gemacht hätte, dass der Arbeitgeber
ein derartiges außerdienstliches Verhalten nicht duldet. Die Klausel in § 1 des Vertrages kann derartiges nicht
ersetzen, da völlig unklar ist, was der Arbeitgeber unter einem langfristigen Verlust versteht.
Da die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld im streitigen Zeitraum unstreitig vorgelegen
haben, war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Zulässigkeit der Berufung folgt aus § 143 SGG.