Urteil des SozG Karlsruhe vom 20.02.2017

altersrente, änderung der verhältnisse, russland, rücknahme

SG Karlsruhe Urteil vom 20.2.2017, S 5 AS 3770/15
Arbeitslosengeld II; Leistungsausschluss; Bezug einer Rente wegen Alters; russische
Altersarbeitsrente; Aufhebung des Bewilligungsbescheids; Auslegung des Verfügungssatzes;
Verletzung der Mitteilungspflicht; grobe Fahrlässigkeit; Erstattungsanspruch des Jobcenters
gegenüber dem Sozialhilfeträger
Leitsätze
1. Bei der russischen Altersarbeitsrente handelt es sich um eine Rente wegen Alters, deren Bezug einen
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ausschließt.
2. § 105 SGB X betrifft nur Fälle, in denen ein örtlich oder sachlich unzuständiger Träger eine ansonsten
rechtmäßige Sozialleistung erbracht hat. Widerspricht hingegen die Leistung nicht nur der
Zuständigkeitsverteilung, sondern auch dem materiellen Sozialrecht, so ist § 105 SGB X nicht anwendbar.
Tenor
1. Der Bescheid vom 8.5.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.10.2015 wird aufgehoben,
soweit der Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Juni 2007 zurückgenommen und Erstattung von
mehr als 48.431,68 EUR gefordert hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Streitig ist die Rücknahme bzw. Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom
1.6.2007 – 31.7.2013 wegen Bezugs einer russischen Altersrente und die Erstattung erbrachter Leistungen.
2
Die Klägerin wurde am ...1948 in der Sowjetunion geboren. Seit Oktober 2001 lebt sie in Deutschland. Bis
zum 31.5.2007 bezog sie Arbeitslosengeld II von der ArGe R..
3
Wegen eines Umzugs nach B. zum 1.6.2007 beantragte die Klägerin die Fortzahlung von Arbeitslosengeld II
beim nun örtlich zuständigen Beklagten. In der Einkommenserklärung (Zusatzblatt 2.1 zum
Antragsvordruck) gab die Klägerin durch Ankreuzen am 2.4.2007 an, Einkommen habe sie nur in Form von
Kindergeld für ihren Sohn. Die Einkommensquelle „Rente, Pension“ kreuzte sie hingegen nicht an.
4
Der Beklagte bewilligte ihr daraufhin mit Bescheid vom 16.5.2007 Arbeitslosengeld II (Regelbedarf; Bedarf
für Unterkunft und Heizung; Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung) für die Zeit vom 1.6. –
30.11.2007 in Höhe von monatlich 549,75 EUR.
5
Bei den weiteren Fortzahlungsanträgen im streitigen Zeitraum erwähnte die Klägerin ebenfalls keine Rente.
Vielmehr gab sie durch Ankreuzen an, in den Einkommensverhältnissen sei keine Änderung eingetreten; sie
habe kein Einkommen außer Kindergeld (Anträge vom 19.10.2007, 13.5.2008, 17.10.2008, 28.4.2009,
23.10.2009, 29.12.2009, 4.8.2010, 4.1.2011, 22.6.2011, 4.1.2012 und 18.6.2012).
6
Aufgrund dessen bewilligte der Beklagte der Klägerin für den streitigen Zeitraum Arbeitslosengeld II in
folgender monatlicher Höhe: 1.12.2007 – 31.5.2008: 550,75 EUR (Bescheid vom 22.10.2007), 1.6. –
31.7.2008: 550,75 EUR (Bescheid vom 13.5.2008), 1.8. – 30.11.2008: 554,75 EUR (Änderungsbescheid vom
7.11.2008), 1. – 31.12.2008: 554,75 EUR (Änderungsbescheid vom 26.5.2009), 1.1. – 30.4.2009: 554,75
EUR (Änderungsbescheid vom 26.5.2009), 1. – 31.5.2009: 578,75 EUR (Änderungsbescheid vom 5.5.2009),
1. – 30.6.2009: 525,91 EUR (Änderungsbescheid vom 9.10.2009), 1. – 31.7.2009: 532,79 EUR
(Änderungsbescheid vom 9.10.2009), 1.8. – 30.11.2009: 532,79 EUR (Änderungsbescheid vom 2.11.2009),
1. – 31.12.2009: 532,79 EUR (Bescheid vom 2.11.2009), 1. – 31.1.2010: 523,32 EUR (Änderungsbescheid
vom 3.12.2009), 1.2. – 31.7.2010: 378,79 EUR (Änderungsbescheid vom 2.2.2010), 1.8. – 31.12.2010:
533,06 EUR (Bescheid vom 4.8.2010), 1. – 31.1.2011: 543,66 EUR (Änderungsbescheid vom 27.7.2011),
1.2. – 31.7.2011: 543,66 EUR (Änderungsbescheid vom 27.7.2011), 1. – 31.8.2011: 543,66 EUR (Bescheid
vom 27.7.2011), 1.9.2011 – 31.1.2012: 651,50 EUR (Änderungsbescheid vom 18.10.2011), 1. – 29.2.2012:
683 EUR (Bescheid vom 1.2.2012), 1.3. – 31.7.2012: 644 EUR (Bescheid vom 1.2.2012), 1.8.2012 –
31.1.2013: 644 EUR (Bescheid vom 20.6.2012), 1.2. – 31.7.2013: 644 EUR (Bescheid vom 20.6.2012).
Darüber hinaus bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 1.2.2012 einmalig weitere 62,45 EUR
wegen einer Nachforderung von Heiz- und Nebenkosten.
7
Mit Anhörungsschreiben vom 13.8.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, wie er am 9.7.2013 erfahren
habe, habe der russische Rentenversicherungsträger der Klägerin bereits am 11.9.2006 Altersrente
bewilligt. Diese Rente schließe gemäß § 7 Abs. 4 SGB II einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus.
Angesichts dessen habe die Klägerin die bewilligten Leistungen zu Unrecht bezogen. Die fehlerhafte
Bewilligung sei erfolgt, weil die Klägerin in ihren Anträgen zumindest grob fahrlässig falsche Angaben
gemacht habe. Vor diesem Hintergrund beabsichtige er, die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab dem
1.6.2007 zurückzunehmen und die erbrachten Leistungen für die Zeit bis zum 31.7.2013 zurückzufordern.
Die Klägerin habe Gelegenheit, sich hierzu bis zum 30.8.2013 zu äußern.
8
Hierauf antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 27.8.2013, die russische Altersrente werde nicht auf ihr
Konto in Deutschland überwiesen. Zwischen Oktober 2001 und Oktober 2010 sei sie nicht in Russland
gewesen. Am 6.10.2010 habe sie ein Konto bei der russischen Sparkasse eröffnet. Auf diesem Konto sei
erstmals am 17.10.2011 Rente eingegangen. Einkommen sei nur dann zu berücksichtigen, wenn es
tatsächlich zufließt. Außerdem betrage die Rente weniger als 50 EUR pro Monat. Berücksichtige man die
Aufwendungen, die erforderlich seien, um die Rente zu erhalten (Kosten für die Reise nach Russland, die
dortige Unterkunft und das Konsulat), so führe sie zu keinem „wirklichen Anstieg“ ihres Einkommens. Sie sei
davon ausgegangen, ein „nicht existierendes“ Einkommen müsse sie nicht mitteilen. Die Fragen des
Beklagten in den Antragsvordrucken habe sie wegen der unklaren Formulierungen und ihrer schlechten
Deutschkenntnisse nicht verstanden.
9
Mit Bescheid vom 8.5.2014 nahm der Beklagte die „Entscheidungen vom 21. Mai 2007, 24. Oktober 2007,
15. Mai 2008, 6. November 2008, 7. Mai 2009, 2. November 2009, 5. August 2010, 20. Januar 2011, 27.
Juli 2011, 2. Februar 2012 und 20. Juni 2012“ über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ganz zurück;
zugleich forderte er von der Klägerin Erstattung eines Betrags in Höhe von insgesamt 49.014 EUR. Zur
Begründung gab er an, der russische Rentenversicherungsträger habe der Klägerin bereits am 11.9.2006
Altersrente bewilligt. Ihr habe daher nach § 7 Abs. 4 SGB II im gesamten streitigen Zeitraum kein
Arbeitslosengeld II zugestanden. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB
III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung lägen vor. Denn
zum einen habe die Klägerin bei ihren Anträgen zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht; zum
anderen habe sie gewusst, dass sie keinen Anspruch auf die bewilligten Leistungen hat. Ihr Vortrag im
Anhörungsverfahren ändere daran nichts. Das zu Unrecht gezahlte Arbeitslosengeld II müsse die Klägerin
gemäß § 50 SGB X erstatten, ebenso gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 335 SGB III die entrichteten
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
10 Hiergegen legte die Klägerin am 26.5.2014 Widerspruch ein. Sie machte geltend, der Beklagte habe ihre
Argumente aus dem Schreiben vom 27.8.2013 nicht hinreichend gewürdigt. Rente sei auf ihrem russischen
Konto erstmals am 3.10.2011 eingegangen. Zudem handele es sich bei der russische Altersrente um kein
Einkommen, sondern um eine „Ausgleichszahlung“. Durch seinen Bescheid schränke der Beklagte ihr Recht
auf Grundsicherung rückwirkend ein; seine Forderung belaste sie finanziell stark.
11 Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung
führte er aus, gemäß § 7 Abs. 4 SGB II erhalte Leistungen nach dem SGB II nicht, wer Rente wegen Alters
bezieht – unabhängig von deren Höhe. Auch der Bezug einer ausländischen Altersrente könne einem
Anspruch auf Arbeitslosengeld II entgegenstehen, sofern sie nach Funktion und Struktur einer deutschen
Altersrente vergleichbar ist. Dies sei anzunehmen, wenn sie von einem öffentlich-rechtlichen Träger
gewährt wird, das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze voraussetzt und dazu dienen soll, den
Lebensunterhalt zu sichern. Unerheblich sei hingegen, ob die Altersgrenze mit den deutschen Altersgrenzen
identisch ist und ob die Rente auch im Wohnsitzstaat, in den sie exportiert wird, zum Lebensunterhalt
ausreicht. In Russland werde die Altersrente vom Rentenfonds der Russischen Föderation gewährt, also
einem öffentlich-rechtlichen Träger. Sie knüpfe an eine Altersgrenze an; für Frauen liege das
Renteneintrittsalter bei 55 Jahren. Die Klägerin habe im Jahr 2003 ihr 55. Lebensjahr vollendet. Bereits im
Jahr 2005 habe sie ein Unternehmen damit beauftragt, für sie in Russland Rente zu beantragen. Am
11.9.2006 habe sie einen Rentenausweis erhalten. Darin sei die Höhe der monatlichen Rente festgesetzt
worden, und zwar rückwirkend ab April 2006. In ihrem Namen sei am 31.5.2007 in Russland ein Konto
eröffnet worden. Auf diesem Konto sei am 6.7.2007 eine einmalige Rentenzahlung in Höhe von 42.121,57
Rubel eingegangen, danach monatlich Zahlungen zwischen 2.844,46 Rubel (im August 2007) und 8.861,02
Rubel (im Juli 2013). Es sei unerheblich, dass es sich hierbei um kein deutsches, sondern um ein russisches
Konto gehandelt habe. Der Klägerin habe daher kein Arbeitslosengeld II zugestanden. Bereits zum Zeitpunkt
ihres ersten Antrags bei ihm, dem Beklagten, sei Altersrente auf ihr russisches Konto geflossen. Obwohl sie
dazu verpflichtet gewesen wäre, habe die Klägerin weder bei diesem Antrag noch bei den späteren
Fortzahlungsanträgen die Rente erwähnt. Dies sei zumindest grob fahrlässig gewesen. Das zu Unrecht
gezahlte Arbeitslosengeld II in Höhe von 38.299,35 EUR müsse die Klägerin erstatten, ebenso die
entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 10.714,65 EUR, zusammen 49.014
EUR.
12 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 19.11.2015 erhobenen Klage. Sie trägt nochmals vor, die
Altersrente sei nicht auf ihr deutsches Konto geflossen. Bis zum 5.10.2010 sei die Rente auf ihrem Konto in
Russland aufbewahrt worden. Ohnehin hätte die Altersrente nicht gereicht, um ihren Lebensunterhalt und
die Unterkunftskosten in Deutschland zu decken. Umgerechnet habe sie von 2007 bis 2013 russische
Altersrente nur in Höhe von 9.517,69 EUR erhalten. Dieser Betrag entspreche nur etwa 20 % der Summe,
die der Beklagte von ihr zurückfordere. Keinesfalls habe sie eine „böse Absicht“ gehabt.
13 Der Beklagte hat im Wege eines Teil-Anerkenntnisses die Rücknahme der Bewilligung für Juni 2007
aufgehoben und seine Erstattungsforderung um 582,32 EUR auf nun 48.431,68 EUR reduziert.
14 Im Übrigen beantragt der Beklagte,
15 die Klage abzuweisen.
16 Er verweist zur Begründung auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
17 Das Gericht hat die Klägerin im Rahmen eines Erörterungstermins am 4.4.2016 ergänzend angehört. Bei
diesem Termin haben die Beteiligten einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung
zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie
die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18
1)
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet.
19
a)
Erfolgreich ist die Klage nur, soweit der Beklagte ein Teil-Anerkenntnis abgegeben hat.
20 Mit Schriftsatz vom 16.12.2015 hat der Beklagte im Wege eines Teil-Anerkenntnisses die Rücknahme der
Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Juni 2007 aufgehoben und seine Erstattungsforderung um 582,32
EUR auf 48.431,68 EUR reduziert. Dieses Teil-Anerkenntnis hat die Klägerin nicht gemäß § 101 Abs. 2 SGG
angenommen. In einem solchen Fall ergeht gemäß § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 307 ZPO ein Anerkenntnisurteil,
und zwar auch ohne gesonderten Antrag des Klägers (
Wehrhahn in: Breitkreutz/Fichte, SGG, 2. Aufl., § 102
Rdnr. 21).
21
b)
Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg. Zu Recht hat der Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II
für die Zeit vom 1.7.2007 – 31.7.2013 aufgehoben bzw. zurückgenommen (dazu aa) und Erstattung der
erbrachten Leistungen gefordert (dazu bb).
22
aa)
Die Entscheidung des Beklagten über die Aufhebung bzw. Rücknahme ist sowohl formal (dazu (1)) als
auch materiell (dazu (2) und (3)) rechtmäßig.
23
(1)
Zwar hat der Beklagte im Verfügungssatz des angefochtenen Bescheid vom 8.5.2014 nur diejenigen
Bescheide genannt, mit denen er
erstmals für den jeweiligen Bewilligungszeitraum Arbeitslosengeld II
festgesetzt hatte; spätere Änderungsbescheide hat er dort nicht erwähnt. Für einen verständigen
Empfänger des Bescheids war aber klar, dass der Beklagte auch die Änderungsbescheide hat zurücknehmen
wollen: Dem Beklagten ging es erklärtermaßen darum, die Entscheidungen über die Bewilligung von
Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1.6.2007 – 31.7.2013 ganz zurückzunehmen; hiermit
übereinstimmend hat er für diesen Zeitraum durchgehend Erstattung erbrachter Leistungen gefordert. Vor
diesem Hintergrund wäre nicht verständlich, wenn er die Änderungsbescheide, mit denen er für einzelne
Monate die Höhe der Leistungen neu festgesetzt hatte, von der Rücknahme ausnimmt. Denn dann bildeten
die Änderungsbescheide weiterhin einen Rechtsgrund, um die Leistungen zu behalten; Erstattung könnte
der Beklagte dann nicht fordern. Vor diesem Hintergrund musste ein verständiger Adressat des
angefochtenen Bescheids vom 8.5.2014 davon ausgehen, dass der Beklagte alle der Rückforderung
entgegenstehenden Bescheide beseitigen will, also auch die Änderungsbescheide (vgl. zu einer ähnlichen
Konstellation: BSGE 114, 188 Rdnr. 16).
24
(2)
Die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1.7. – 30.11.2007 konnte der
Beklagte auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III und § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X
stützen.
25 Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit
Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist nach dieser Vorschrift der
Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der
Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn
nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
26 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
27
(a)
Nach Erlass des Bewilligungsbescheids vom 16.5.2007 – eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung –
haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert.
28 Eine Änderung ist „wesentlich“, wenn der Verwaltungsakt unter Berücksichtigung der geänderten
Verhältnisse nun (so) nicht mehr erlassen werden dürfte (
Schütze in: von Wulffen / Schütze, SGB X, 8. Aufl.,
§ 48 Rdnr. 12).
29 So verhält es sich hier. Denn ab dem 1.7.2007 war der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II
entfallen:
30 Leistungen nach dem SGB II erhält nicht, wer Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichleistung oder
ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht (§ 7 Abs. 4 S. 1 SGB II). Auch eine ausländische Rente
führt zu einem Leistungsausschluss – vorausgesetzt, sie ist nach Funktion und Struktur einer deutschen
Altersrente vergleichbar. Dies ist anzunehmen, wenn die ausländische Rente von einem öffentlichen Träger
gewährt wird, an eine bestimmte Altersgrenze anknüpft und nach der Gesamtkonzeption als Lohnersatz
den Lebensunterhalt sicherstellen soll. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die Leistung auch ausreicht,
um im Wohnortstaat, in den sie exportiert wird, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Vergleichbarkeit mit
einer deutschen Altersrente steht es nicht entgegen, wenn die ausländische Rente bereits ab einem
Lebensalter bezogen werden kann, wie dies nach deutschem Recht nicht möglich wäre (BSG, Urteil vom
16.5.2012, B 4 AS 105/11 R, Rdnr. 24 f. – nach Juris).
31 Gemessen hieran hat die Klägerin ab Juli 2007 Rente wegen Alters oder eine ähnliche Leistung öffentlich-
rechtlicher Art bezogen, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II ausschloss:
32
(aa)
Personen, die bis 1966 geboren wurden, können in Russland eine sog. Altersarbeitsrente beziehen.
Voraussetzung hierfür ist eine Beschäftigungsdauer von mindestens fünf Jahren und der Eintritt des
Rentenalters; für Frauen liegt dies bei 55 Jahren (
Vogts/Shteynberg, Russische Rentengesetz und Ansprüche
in Deutschland, in: Die Rentenversicherung, März 2010). Eine solche Rente ist nach Funktion und Struktur
einer deutschen Altersrente vergleichbar (BSG, Urteil vom 30.6.2016, B 8 SO 3/15 R, Rdnr. 25 – nach Juris).
33 Wie sich aus dem Ausweis Nr. ... (vom 11.9.2006) ergibt, wurde der Klägerin in Russland „Altersrente“ ab
dem 5.4.2006 bewilligt. Die Bewilligung erfolgte ausdrücklich „aufgrund der erreichten Altersgrenze“. Bei
Rentenbeginn war die Klägerin 57 Jahre alt; sie hatte also das für Frauen maßgebliche Renteneintrittsalter
von 55 Jahren vollendet.
34
(bb)
Die Klägerin hat die Rente ab Juli 2007 „bezogen“.
35 Zwar genügt ein bloßer Anspruch auf (ausländische) Altersrente für sich genommen nicht, um Leistungen
nach dem SGB II auszuschließen (
Leopold in: jurisPK-SGB II, § 7 Rdnr. 254). Umgekehrt ist aber für den
„Bezug“ einer Rente auch nicht erforderlich, dass die Rente dem Berechtigten Monat für Monat tatsächlich
bar ausgezahlt wird. Vielmehr wird eine Rente schon dann bezogen, wenn der Rentenversicherungsträger
die Zahlung der Rente aufgenommen hat (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.2.2016, L 9 AS
2914/15 B, Rdnr. 5 – nach Juris).
36 Wie sich aus den Daten im Konto Nr. ...368 der Sparbank ergibt, ging bei der Klägerin erstmals am 6.7.2007
eine Zahlung des russischen Rentenversicherungsträgers ein, und zwar in Höhe von 42.121,57 Rubel (= ca.
1.202 EUR); hierbei handelte es sich offenbar um eine Nachzahlung für die Zeit ab Rentenbeginn am
5.4.2006. In der Folgezeit überwies der russische Rentenversicherungsträger monatlich Rente auf dieses
Konto sowie später zwei andere Konten bei der Sparbank (Nr. ...494 und Nr. …499). Angesichts dessen hat
die Klägerin im streitigen Zeitraum durchgehend Rente wegen Alters bezogen. Es kommt nicht darauf an,
wann sie die überwiesenen Beträge von den Konten abgehoben hat.
37
(b)
Wer Sozialleistungen erhält, hat Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind
oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich
mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I).
38 Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, den Bezug ihrer russischen Altersrente ab Juli 2007 umgehend dem
Beklagten anzuzeigen. Denn zum einen hatten sich dadurch die Verhältnisse, die für das Arbeitslosengeld II
maßgeblich sind, wesentlich geändert (siehe (a)). Zum anderen hatte die Klägerin anlässlich ihres ersten
Antrags beim Beklagten in der Einkommenserklärung (Zusatzblatt 2.1 zum Antragsvordruck) am 2.4.2007
noch erklärt, sie verfüge über kein Einkommen aus Rente oder Pension; diese abgefragte Einkommensquelle
hatte sie nicht angekreuzt.
39 Ihrer Pflicht zur Mitteilung des Rentenbezugs ist die Klägerin nicht unverzüglich im Juli 2007
nachgekommen, sondern erst viele Jahre später im Juni 2013.
40
(c)
Die Kammer kann dahingestellt lassen, ob die Klägerin ihre russische Altersrente vorsätzlich
verschwiegen hat; denn die Verletzung der Mitteilungspflicht war jedenfalls grob fahrlässig.
41 Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße
verletzt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Diese Definition gilt auch im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
SGB X (
Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 48 Rdnr. 23). Zugrunde zu legen ist ein
subjektiver Maßstab; es kommt also grundsätzlich auf das individuelle Einsichtsvermögen des Begünstigten
an (
Schütze, a.a.O.). Allerdings kann sich der Begünstigte nicht darauf berufen, er beherrsche die deutsche
Sprache nur unzureichend; ihm obliegt es, in deutscher Sprache verfasste Schreiben übersetzen zu lassen
oder sich in sonstiger Weise Kenntnis von deren Inhalt zu verschaffen (
Schütze, a.a.O., § 45 Rdnr. 58).
Bedeutsam ist insbesondere, ob die Behörde den Begünstigten auf seine Mitteilungspflicht hingewiesen hat:
Hat sie ihn ausdrücklich darüber belehrt, dass er bestimmte, für die Leistung maßgebliche Umstände
anzuzeigen hat, liegt regelmäßig grobe Fahrlässigkeit vor, wenn er dies unterlässt (
Schütze, a.a.O., § 48
Rdnr. 23;
K. Lang/Waschull in: LPK-SGB X, 4. Aufl., § 48 Rdnr. 61).
42 Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte die Klägerin im Zusatzblatt 2.1 zum Antragsvordruck nach
verschiedenen Einkommensquellen befragt, u.a. aus „Rente, Pension“. Der Klägerin musste daher klar sein,
dass der Bezug einer Altersrente für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II relevant ist; denn andernfalls
hätte der Beklagte gar nicht danach gefragt. Wie erwähnt, kann sich die Klägerin nicht darauf zurückziehen,
sie habe den in deutscher Sprache verfassten Vordruck nicht richtig verstanden. Im Übrigen geht die
Kammer davon aus, dass die Klägerin tatsächlich in der Lage war, die Fragen zu erfassen; denn auf die Frage
im Zusatzblatt 2.1 nach sonstigem Einkommen hat sie zutreffend das bezogene Kindergeld angegeben.
43 Der Beklagte hatte im Zusatzblatt 2.1 zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, bei wesentlichen
Änderungen der Einkommenshöhe sei die Klägerin verpflichtet, diese unverzüglich mitzuteilen. Angesichts
dessen hat die Klägerin ohne weiteres erkennen müssen, dass sie dem Beklagten ihre russische Altersrente
anzuzeigen hat – und zwar auch dann, wenn der Bezug der Rente erst nach Erlass des
Bewilligungsbescheids während des laufenden Bewilligungszeitraums beginnt.
44 Nicht zu entlasten vermag die Klägerin ihr Vortrag, wegen der geringen Höhe der Rente sei sie davon
ausgegangen, sie müsse diese nicht mitteilen. Sofern die Klägerin dies tatsächlich angenommen haben sollte,
wäre der Irrtum seinerseits grob fahrlässig. Denn der Beklagte hatte im Zusatzblatt 2.1 zum
Antragsvordruck in erster Linie danach gefragt, ob sie überhaupt eine Rente oder Pension bezieht, und erst
in zweiter Linie nach deren Höhe. Hieraus konnte die Klägerin ersehen, dass sie Rente in jeglicher Höhe
mitzuteilen hat. Im Übrigen war die der Klägerin bewilligte Rente wegen Alters auch nicht ganz geringfügig:
So betrug z.B. im August 2007 die Überweisung 2.844,46 Rubel (= ca. 81 EUR). Selbst wenn die Klägerin
nichts von der Regelung des § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II gewusst haben sollte (also dem vollständigen Ausschluss
von Leistungen nach dem SGB II), so hätte aus ihrer Perspektive nahegelegen, dass Einkommen in dieser
Höhe auf eine existenzsichernde Leistung wie Arbeitslosengeld II anzurechnen und daher mitzuteilen ist.
45 Zu keinem anderen Ergebnis führt schließlich der Vortrag der Klägerin, sie habe die Anzeige der bewilligten
Altersrente für entbehrlich gehalten, weil diese zunächst – bis Oktober 2010 – nur auf ihrem Konto bei der
russischen Sparbank „aufbewahrt“ worden sei. Nach Auffassung der Kammer musste die Klägerin ohne
weiteres erkennen, dass der Bezug einer Rente schon dann vorliegt, wenn der Rentenversicherungsträger
die Rente auf das Konto des Rentenberechtigten überweist – und nicht erst dann, wenn dieser sie vom Konto
abhebt. Denn andernfalls könnte ein Rentner den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II leicht
dadurch unterlaufen, dass er die überwiesene Rente zeitweise auf seinem Konto belässt. Anzumerken ist im
Übrigen, dass die Klägerin die russische Altersrente gegenüber dem Beklagten nicht nur bis Oktober 2010
verschwiegen hat, sondern auch danach – trotz tatsächlicher Abhebungen ab diesem Zeitpunkt, z.B. am
4.10.2010 in Höhe von 161.500 Rubel (= ca. 3.832 EUR).
46
(3)
Die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1.12.2007 – 31.7.2013 hat der Beklagte zu
Recht gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X
zurückgenommen.
47 Nach dieser Vorschrift ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückzunehmen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte
vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
48 So verhält es sich hier:
49
(a)
Die begünstigenden Bescheide und Änderungsbescheide, mit denen der Beklagte der Klägerin für die
Zeit ab dem 1.12.2007 Arbeitslosengeld II bewilligt hatte, waren bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses
rechtswidrig; denn wie ausgeführt, hatte die Klägerin wegen des Bezugs ihrer russischen Altersrente keinen
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
50
(b)
Die rechtswidrige Bewilligung durch den Beklagten beruhte darauf, dass die Klägerin bei ihren
Fortzahlungsanträgen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hatte. Denn ihre Rente erwähnte
sie darin nicht. Vielmehr gab sie jeweils durch Ankreuzen an, in den Einkommensverhältnissen sei keine
Änderung gegenüber ihrem ersten Antrag vom 2.4.2007 eingetreten; sie habe kein Einkommen außer
Kindergeld (Anträge vom 19.10.2007, 13.5.2008, 17.10.2008, 28.4.2009, 23.10.2009, 29.12.2009,
4.8.2010, 4.1.2011, 22.6.2011, 4.1.2012 und 18.6.2012). Erstmals im Juni 2013 erklärte die Klägerin
gegenüber dem Beklagten, sie beziehe Rente wegen Alters.
51
(c)
Die fehlerhaften Angaben der Klägerin erfolgten zumindest grob fahrlässig. Insoweit gelten die
Ausführungen unter Ziff. (2) (c) entsprechend. Der Klägerin musste klar sein, dass ihre Altersrente für den
Anspruch auf Arbeitslosengeld II von Relevanz ist und dass sie diese daher bei ihren Fortzahlungsanträgen
anzugeben hat.
52
bb)
Durch die Erstattungsforderung des Beklagten in Höhe von 48.431,68 EUR wird die Klägerin nicht in
ihren Rechten verletzt.
53
(1)
Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50
Abs. 1 SGB X). Abweichend hiervon sind 56 % der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II
berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Dies gilt allerdings nicht in den Fällen des § 45
Abs. 2 S. 3 SGB X und des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X (§ 40 Abs. 4 SGB II).
54 Nachdem der Beklagte die Bewilligungsbescheide aufgehoben bzw. zurückgenommen hat, muss die Klägerin
das gezahlte Arbeitslosengeld II erstatten – und zwar in vollem Umfang. Die Privilegierung des § 40 Abs. 4
S. 1 SGB II kommt ihr nicht zugute; denn die Aufhebung basiert hier auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X und
die Rücknahme auf § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X. Die vom Beklagten geforderte Summe ist jedenfalls nicht zu
hoch. Tatsächlich hat er für die Zeit vom 1.7.2007 – 31.12.2009 sogar weniger Arbeitslosengeld II
zurückverlangt als bewilligt war. Dies mag fehlerhaft sein; die Klägerin ist dadurch aber nicht belastet.
55
(2)
Zu Recht hat der Beklagte darüber hinaus die von ihm entrichteten Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung zurückgefordert.
56 Wurden vom Jobcenter für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II Beiträge zur gesetzlichen
Krankversicherung gezahlt, so hat der Bezieher dieser Leistungen dem Jobcenter die Beiträge zu ersetzen,
soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert
worden ist. Gleiches gilt für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung (§ 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. §
335 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 SGB III).
57 Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte für die Klägerin im streitigen Zeitraum durchgehend Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung entrichtet. Auch diese Beiträge muss die Klägerin daher erstatten.
58
(3)
Die Erstattungsforderung des Beklagten gegen die Klägerin wird schließlich nicht durch die Regelung des
§ 107 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen.
59 Nach dieser Vorschrift gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten
Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Im Umfang eines etwaigen
Erstattungsanspruchs eines Trägers nach den §§ 102 ff. SGB X kann der Berechtigte also nicht nochmals
Leistung fordern; sein Anspruch ist wegen der fingierten Erfüllung erloschen. Umgekehrt muss sich der
erstattungsberechtigte Träger an den zur Erstattung verpflichteten Leistungsträger halten; eine
Rückforderung gegenüber dem Empfänger der Leistung scheidet aus (LSG Baden-Württemberg, Beschluss
vom 2.2.2016, L 9 AS 2914/15 B, Rdnr. 7 – nach Juris;
Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 107
Rdnr. 7 f.;
Böttiger in: LPK-SGB X, 4. Aufl., § 107 Rdnr. 11 f.).
60 Zwar dürfte die Klägerin im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf Grundsicherung im Alter nach den §§ 41
ff. SGB XII gegenüber der Stadt B. gehabt haben. Der Beklagte kann von der Stadt B. aber keine Erstattung
nach den §§ 102 ff. SGB X fordern. Als Anspruchsgrundlagen zu erwägen – im Ergebnis aber nicht
einschlägig – sind hier allenfalls § 103 SGB X (dazu (a)) und § 105 SGB X (dazu (b)).
61
(a)
Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich entfallen,
ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht
bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§
103 Abs. 1 SGB X). Die Regelung setzt voraus, dass die Leistung zu dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht
wurde, noch rechtmäßig war; der Empfänger muss also seinerzeit einen Anspruch auf diese Leistung gehabt
haben (LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rdnr. 8 – nach Juris).
62 Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Wie ausgeführt, hatte die Klägerin wegen des Bezugs ihrer russischen
Altersrente seit dem 1.7.2007 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Die erbrachte Leistung war seither
also durchgehend rechtswidrig.
63
(b)
Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von §
102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger
erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen
Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 105 Abs. 1 S. 1 SGB X). Die Regelung betrifft nur Fälle, in denen
ein – örtlich oder sachlich – unzuständiger Träger eine ansonsten rechtmäßige Sozialleistung erbracht hat.
Widerspricht hingegen die Leistung nicht nur der Zuständigkeitsverteilung, sondern auch dem materiellen
Sozialrecht, so ist § 105 SGB X nicht anwendbar. In Betracht kommt dann nur ein Erstattungsanspruch
gegenüber dem Empfänger der Leistung (
Roos in: von Wulffen/Schütze, a.a.O., § 105 Rdnr. 7; Böttiger,
a.a.O., § 105 Rdnr. 14 f.).
64 Der Beklagte hat nicht als unzuständiger Träger Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII
erbracht, sondern als zuständiger Träger Arbeitslosengeld II – allerdings im Widerspruch zum materiellen
Sozialrecht; denn wegen des § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II stand der Klägerin diese Leistung nicht zu. In einer
solchen Konstellation scheidet ein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegenüber dem Träger der
Grundsicherung nach dem SGB XII aus.
65
2)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.