Urteil des SozG Karlsruhe vom 12.12.2016

gleichstellung, versetzung, beamter, überprüfung

SG Karlsruhe Urteil vom 12.12.2016, S 5 AL 3206/16
Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen; Beamter auf Lebenszeit; drohende
Versetzung in den Ruhestand; Dienstunfähigkeit; amtsärztliches Gutachten; Zustimmung des
Integrationsamtes; Präventionsverfahren
Leitsätze
Ein Beamter auf Lebenszeit benötigt zur Sicherung seines Arbeitsplatzes keine Gleichstellung mit einem
schwerbehinderten Menschen, wenn der amtsärztliche Gutachter ihm volle Dienstfähigkeit bescheinigt hat.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.
2 Der am ...1954 geborene Kläger ist seit dem ...1982 Finanzbeamter. Seine Dienststelle ist das Finanzamt F..
Er ist zum einen im Außendienst als Betriebsprüfer tätig; zum anderen schult er als Dozent andere
Betriebsprüfer.
3 Mit Bescheid vom 17.2.2016 stellte das Landratsamt L. bei ihm einen GdB von 30 fest. Dabei berücksichtigte
es Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund Beschwerden in beiden Schultergelenken, degenerativer
Veränderungen der Wirbelsäule, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, chronisch-venöser Insuffizienz,
Bluthochdruck, eines Schlafapnoe-Syndroms und eines chronischen Ekzems.
4 Am 18.3.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten
Menschen. Er führte unter anderem aus, am 1.6.2015 habe sein Dienstherr eine amtsärztliche Überprüfung
seiner Dienstfähigkeit veranlasst.
5 Die Beklagte holte daraufhin Stellungnahmen des Finanzamtes F. als Dienstherr des Klägers (vom
22.4.2016) und der dortigen Schwerbehindertenvertretung (vom 8.4.2016) ein.
6 Im Anschluss daran lehnte sie mit Bescheid vom 1.6.2016 den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung gab
sie an, gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX komme die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nur in
Betracht, wenn der Betroffene infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten
Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Denn nach
den eingeholten Stellungnahmen sei der Arbeitsplatz des Klägers nicht aus behinderungsbedingten Gründen
gefährdet. Als Beamter auf Lebenszeit genieße er ohnehin besonderen Kündigungsschutz. Der Kläger
benötige daher nicht den Kündigungsschutz, der aus der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten
Menschen resultiere. Im Übrigen habe die amtsärztliche Überprüfung ergeben, dass er in vollem Umfang
dienstfähig ist; mit einer weiteren Untersuchung müsse er derzeit nicht rechnen.
7 Hiergegen legte der Kläger am 18.6.2016 Widerspruch ein. Er machte geltend, er habe in den Jahren 2014
und 2015 krankheitsbedingt viele Fehltage gehabt. Hieraus habe sein Dienstherr den Schluss gezogen, er
sei nicht mehr dienstfähig. Aufgrund dessen habe dieser am 1.6.2015 eine amtsärztliche Untersuchung
veranlasst. Der Dienstherr habe auch erwogen, ihn ggf. teilweise in den Ruhestand zu versetzen und ihn
nur noch als Dozenten zu beschäftigen, nicht mehr hingegen als Betriebsprüfer. Wäre das Gesundheitsamt
der Ansicht des Dienstherrn zur Dienstunfähigkeit gefolgt, wäre er bereits in den Ruhestand versetzt
worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne sich diese Situation jederzeit wiederholen. Neben
dem Kündigungsschutz brächte ihm die beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen
verschiedene weitere Vorteile: Bei Stellenausschreibungen würden behinderte Arbeitnehmer bei gleicher
Eignung bevorzugt. Anders als in der Vergangenheit bereits passiert, könnte er im Falle einer Gleichstellung
nicht mehr wegen seiner hohen Fehlzeiten bei einer Bewerbung benachteiligt werden. Geschähe dies
dennoch, wäre es ihm leichter möglich, Schadensersatz einzuklagen. Weiterhin dürften schwerbehinderte
Menschen nach internen Richtlinien bevorzugt an Fortbildungen teilnehmen. Bei seiner Gleichstellung mit
einem schwerbehinderten Menschen könnte er zudem an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung
teilnehmen. Darüber hinaus hätte er finanzielle Vorteile bei häuslicher Pflege. Sollte er noch einmal ein
Studium aufnehmen, würde ihm bei Klausuren längere Zeit für die Bearbeitung zustehen.
8 Mit Widerspruchsbescheid vom 3.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung
bekräftigte sie ihre Auffassung, wonach der Arbeitsplatz des Klägers nicht konkret gefährdet sei. Bei
Beamten sei dies frühestens dann anzunehmen, wenn der Dienstherr dem betroffenen Beamten mitteilt,
dass er ihn in den Ruhestand oder auf einen unterwertigen Dienstposten zu versetzen beabsichtigt – und
zwar gestützt durch ein amtsärztliches Gutachten. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Vielmehr
habe das Gesundheitsamt dem Dienstherrn des Klägers am 9.7.2015 mitgeteilt, es halte ihn in vollem
Umfang, also bezogen auf beide Tätigkeitsbereiche, für dienstfähig. Allein die Befürchtung, es könne
zukünftig erneut zu einer Überprüfung der Dienstfähigkeit kommen, rechtfertige keine vorbeugende
Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen; denn maßgeblich seien die aktuellen Verhältnisse.
Die weiteren, vom Kläger behaupteten Vorteile blieben bei der Prüfung einer Gleichstellung außer Betracht.
9 Mit der am 22.9.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Er trägt ergänzend vor, am
15.9.2016 habe sein Dienstherr nun erneut eine amtsärztliche Untersuchung veranlasst und dabei
ausgeführt, wegen einer fortdauernden Erkrankung seit dem 25.7.2016 habe er Zweifel daran, ob er, der
Kläger, aufgrund seiner gesundheitlichen Beschwerden noch seine dienstlichen Pflichten erfüllen kann. Die
Vorgehensweise seines Dienstherrn ziele letztlich darauf ab, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Die
beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen würde ihm in dieser Situation helfen.
Denn bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit gälten für schwerbehinderte Menschen andere Maßstäbe:
Sofern der Beamte bei behindertengerechter Gestaltung seines Arbeitsplatzes noch volle oder nur gering
verminderte Leistungen erbringen kann, verbiete sich die Annahme, er sei dauerhaft dienstunfähig. Zudem
würde er im Falle einer Gleichstellung Unterstützung durch eine zusätzliche Interessenvertretung
bekommen, nämlich die Schwerbehindertenvertretung.
10 Der Kläger beantragt,
11 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1.6.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
3.8.2016 zu verpflichten, ihn ab dem 18.3.2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Sie hat nicht weiter zur Sache vorgetragen.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16
1)
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gleichstellung mit einem
schwerbehinderten Menschen.
17 Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der
Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die
Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
Zweck der Gleichstellung ist es, die ungünstige Konkurrenzsituation behinderter Menschen am Arbeitsplatz
und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die
Vermittlungschancen zu erhöhen (BSG, Urteil vom 6.8.2014, B 11 AL 16/13 R, Rdnr. 13 – nach Juris).
18 Dem Kläger geht es darum, seinen bisherigen Arbeitsplatz zu behalten. Durch die Gleichstellung mit einem
schwerbehinderten Menschen würde dieser Arbeitsplatz indes nicht sicherer; angesichts dessen kommt eine
Gleichstellung hier nicht in Betracht.
19
a)
Der Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Schon aus diesem Grund scheidet eine „Kündigung“ durch den
Dienstherrn aus. Es besteht aktuell auch keine Gefahr, dass der Dienstherr den Kläger unter Hinweis auf
seine Dienstunfähigkeit gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt.
20 Ein Beamter auf Lebenszeit ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen
Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Als
dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs
Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, sofern keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer
Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten ist, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist (§
26 Abs. 1 S. 1 und 2 BeamtStG BW). Die fehlende Aussicht auf Wiederherstellung der Dienstfähigkeit muss
gesichert sein; hierfür bedarf es regelmäßig eines amtsärztlichen Gutachtens (VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 20.7.2016, 4 S 1163/14, Rdnr. 51 und 56 – nach Juris). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der
Beamte dienstunfähig ist, und scheiden Verwendungen nach § 26 Abs. 2 oder 3 oder § 27 BeamtStG BW
aus, ist ihm bekanntzugeben, dass die Versetzung in den Ruhestand oder die Verwendung in begrenzter
Dienstfähigkeit beabsichtigt ist. Dabei sind die Gründe für die beabsichtigte Maßnahme anzugeben. Der
Beamte kann innerhalb eines Monats Einwendungen erheben (§ 44 Abs. 1 LBG BW).
21 Am 1.6.2015 hatte der Dienstherr des Klägers das Gesundheitsamt damit beauftragt, dessen Dienstfähigkeit
zu untersuchen. In einem Gutachten vom 9.7.2015 stellte der Amtsarzt fest, der Kläger sei voll dienstfähig
(vgl. Seite 54 f. der Verwaltungsakte). Zu dem gleichen Ergebnis führte eine weitere amtsärztliche
Untersuchung, die der Dienstherr am 15.9.2016 veranlasst hatte (so die Angabe des Klägers in der
mündlichen Verhandlung). Da es schon an einer amtsärztlichen Feststellung der Dienstunfähigkeit fehlt, hat
der Dienstherr dem Kläger nicht angezeigt, dass er dessen Versetzung in den Ruhestand beabsichtigt. Vor
diesem Hintergrund besteht derzeit keine konkrete Gefahr, dass er den Kläger in den Ruhestand versetzt.
22
b)
Im Übrigen würde der Arbeitsplatz des Klägers durch eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten
Menschen nicht sicherer: Auch und gerade schwerbehinderte Beamte können dienstunfähig sein und deshalb
in den Ruhestand versetzt werden. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt für schwerbehinderte oder
ihnen gleichgestellte Menschen kein gesonderter Begriff der Dienstfähigkeit. Ohnehin muss der Dienstherr
vor einer Versetzung in den Ruhestand stets prüfen, ob eine anderweitige Verwendung möglich ist (§ 26
Abs. 1 S. 3 BeamtStG BW) – und zwar unabhängig von einer etwaigen Schwerbehinderung. Selbst wenn
der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre, bedürfte seine Versetzung in den
Ruhestand keiner vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes; die Vorschrift des § 85 SGB IX gilt nur für
Arbeitsverhältnisse, nicht hingegen für Beamtenverhältnisse (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
7.1.2013, 6 A 2371/11, Rdnr. 5 – nach Juris;
Kreitner in: jurisPK-SGB IX, § 85 Rdnr. 12). Ebenso wenig
müsste ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX stattfinden oder die
Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört werden; denn Ziff. 24.1 Abs. 6 der
Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung beamtenrechtlicher Vorschriften sieht dies
nur bei „echten“ schwerbehinderten Beamten vor, nicht hingegen bei Beamten, die nur einem
schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Diese Differenzierung ist zulässig (vgl.
Luthe in: jurisPK-
SGB IX, § 2 Rdnr. 175).
23
c)
Anzumerken ist schließlich, dass sich der Kläger im Falle seiner Dienstunfähigkeit in keiner
„Konkurrenzsituation“ mit anderen Beamten befände. Es ginge in einer solchen Konstellation gar nicht um
eine Auswahl, die der Dienstherr zwischen mehreren konkurrierenden Beamten zu treffen hätte. Sofern der
Kläger tatsächlich dienstunfähig wäre, müsste ihn der Dienstherr nach Maßgabe der gesetzlichen
Vorschriften in den Ruhestand versetzen; auf andere Beamte käme es dabei nicht an. Es lägen also gar keine
behinderungsbedingten Nachteile gegenüber anderen Beamten vor, die abzumildern Sinn und Zweck einer
Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX ist.
24
2)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.