Urteil des SozG Karlsruhe vom 27.10.2015

toilette, verteilung der beweislast, unfallversicherung, pause

SG Karlsruhe Urteil vom 27.10.2015, S 4 U 1189/15
Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - sachlicher Zusammenhang -
Handlungstendenz - betriebliche Tätigkeit - Nachweis - gemischte
Motivationslage - Feststellungslast - Gang zur Toilette oder Gang zur
Raucherpause - Indizien - Plausibilität
Leitsätze
Ist nach dem Verlassen eines Arbeitsplatzes durch einen Versicherten und
anschließendem Unfall streitig, ob ein Gang zur Raucherpause oder ein Gang zur
Toilette beabsichtigt war, liegt die Feststellungslast für das Vorliegen eines
(versicherten) Gangs zur Toilette bei dem Arbeitnehmer. Können Indizien nicht
entkräftet werden, dass zunächst eine Raucherpause beabsichtigt war, ist ein
Arbeitsunfall nicht nachgewiesen. Insoweit ist es unerheblich für das Ergebnis, wenn
der zurückzulegende Weg zur Toilette und Raucherraum identisch ist und es
naheliegt, dass nach der Raucherpause noch eine reguläre Pausenzeit verbracht
oder eine Toilettenpause eingelegt werden sollt.
Ist nach dem Verlassen eines Arbeitsplatzes durch einen Versicherten und
anschließendem Unfall streitig, ob ein Gang zur Raucherpause oder ein Gang zur
Toilette beabsichtigt war, liegt die Feststellungslast für das Vorliegen eines
(versicherten) Gangs zur Toilette bei dem Arbeitnehmer. Können Indizien nicht
entkräftet werden, dass zunächst eine Raucherpause beabsichtigt war, ist ein
Arbeitsunfall nicht nachgewiesen. Insoweit ist es unerheblich für das Ergebnis, wenn
der zurückzulegende Weg zur Toilette und Raucherraum identisch ist und es
naheliegt, dass nach der Raucherpause noch eine reguläre Pausenzeit verbracht
oder eine Toilettenpause eingelegt werden sollt.
Gesetzliche Unfallversicherung - Dienstweg - Nicht nachgewiesener Gang zur Toilette
bei Indizien für einen Gang zur Raucherpause - Feststellungslast
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Streit.
2 Die am … geborene Klägerin erlitt während ihrer Arbeitsschicht als Monteurin am
… einen Unfall, als ihr ein Kollege mit dem Gabelstapler über den Fuß fuhr. Zu dem
Unfall kam es, als die Klägerin am Unfalltag um 17:45 Uhr und damit 15 Minuten
vor ihrer nächsten regulären Pause ihren Arbeitsplatz verließ und hierbei plötzlich
den Fuß- und Fahrweg zwischen ihrem Arbeitsplatz und dem Schichtführerbüro
betrat. Die Klägerin wurde sogleich beim Betreten der Fahrbahn von dem
Gabelstapler ihres Kollegen K erfasst, welcher nicht genug Zeit hatte, sein
Fahrzeug abzubremsen. Die Klägerin hatte nicht darauf geachtet, ob ein Fahrzeug
auf dem Weg unterwegs war. Allerdings hatte sich der Gabelstapler gerade in einer
Art totem Winkel befunden, da eine Stellwand mit betrieblichen Nachrichten
zwischen den Arbeitsplatz der Klägerin von dem Fahrweg abgrenzte; so sah die
Klägerin den Gabelstapler nicht, als dieser hinter ihrem Arbeitsplatz vorbeifuhr, und
der Gabelstaplerfahrer sah nicht, dass die Klägerin sich anschickte, die Fahrbahn
zu betreten. Diese Informationstafel ist inzwischen entfernt und an einer anderen
Stelle angebracht worden.
3 Im Durchgangsarztbericht des Dr. V vom … wurde als Erstdiagnose eine
Quetschung des rechten Fußes angegeben.
4 Nach der Unfallsofortmeldung des Arbeitgebers, der Firma ... in …, habe die
Klägerin sich auf dem Weg nach draußen (Ausgang am Schichtführerbüro)
begeben, um eine Zigarette zu rauchen. Die Klägerin habe mehrmals wiederholt,
dass den Kollegen K keine Schuld an dem Unfall treffe, da sie den Fahrweg ohne
Umsicht betreten habe. Die Klägerin sei stets ansprechbar gewesen und sei
aufgrund der Schwellung mit Verdacht auf Knochenbruch vom Rettungsdienst
nach … gefahren worden. Diese Unfallsofortmeldung beruhte auf den Angaben
des Kollegen K, welcher den Unfall zuerst zur Kenntnis genommen hatte, und
wurde von dem Vorgesetzten Herrn D ausgefüllt.
5 Die Beklagte forderte die behandelnden Ärzte umgehend auf, die Behandlung zu
ihren Lasten abzubrechen, da ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Mit Bescheid vom
15.04.2014 teilte die Beklagte dies auch der Klägerin mit, wobei sie ausführte, dass
der Weg zur Zigarettenpause keine betrieblich versicherte Tätigkeit darstelle.
6 Mit Schreiben vom 23.04.2014 legte die Klägerin Widerspruch ein. Entgegen den
Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid habe sich der Unfall während eines
Ganges zur Toilette ereignet. Zum Zeitpunkt des Unfalls sei keine Pausenzeit
gewesen, da die Pause erst um 18.00 Uhr beginne. Da sie gewusst habe, dass die
Pause bevorstand, habe sie ihre Zigaretten bereits zur Toilette mitgenommen. Die
Annahme der Beklagten scheine naheliegend, treffe jedoch nicht zu.
7 Die Beklagte verwies auf die Unfallsofortmeldung des Arbeitgebers und bat die
Klägerin um Vorlage einer Skizze des Arbeitsplatzes durch die Firma (vgl. Bl. 5 der
Gerichtsakte).
8 Der inzwischen eingeschaltete Bevollmächtigte der Klägerin übersandte mit
Schreiben vom 08.08.2014 einen Hallenplan des Arbeitgebers, wonach die
Klägerin an der Linie 2 in der Endkontrolle arbeitete und hinter dem Durchgang bei
der Endkontrolle eine Schattenwand angebracht war. Der Klägerbevollmächtigte
trug hierzu nunmehr weiter vor, dass die Klägerin sich, bevor sie den ersten Schritt
außerhalb des gekennzeichneten Bereiches gesetzt habe, ordnungsgemäß
darüber vergewissert habe, ob ein Stapler unterwegs gewesen sei.
9 Der stellvertretende Abteilungsleiter Sicherheitsmanagement des Arbeitgebers Z
teilte am 12.09.2014 mit, dass die Angaben, die der Vorgesetzte D in der
Unfallsofortmeldung gemacht habe, auf den Aussagen beider Unfallbeteiligter
beruhten, und Herrn D so berichtet worden seien.
10 Mit Schreiben vom 14.10.2014 trug der Bevollmächtigte der Klägerin vor, dass
nach eigener Rücksprache mit dem Zeugen K dieser lediglich vermutet habe, dass
die Klägerin auf dem Weg zu einer Zigarettenpause gewesen sei. Hierzu könne
der Zeuge K direkt befragt werden. Auf Anfrage der Beklagten teilte der Zeuge K
daraufhin am 04.11.2014 mit, dass er nicht wisse, wohin die Klägerin zum
Unfallzeitpunkt habe gehen wollen. Der Zeuge D teilte am 04.11.2014 mit, dass die
Klägerin sich „nach draußen“ habe begeben wollen, am Büro des Schichtführers
vorbei. Die Klägerin habe angegeben, eine Zigarette rauchen zu wollen.
11 Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2014 wies der Widerspruchsausschuss der
Beklagten daraufhin den Widerspruch zurück, was auf die Angaben in dem
Unfallsofortmeldebogen gestützt wurde, welche identisch mit den späteren
Aussagen des Arbeitgebers seien.
12 Am 10.04.2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage beim Sozialgericht
Karlsruhe (SG) erhoben. Die Aussagen des Zeugen D stützten sich auf die
Aussagen des Zeugen K, welcher einen Gang zur Zigarettenpause nicht bestätigt
habe. Da es sich bei dem Gang zur Toilette um Arbeitszeit handele, liege eine
betriebliche Tätigkeit vor.
13 Die Klägerin beantragt,
14 den Bescheid der Beklagten vom 15.04.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.03.2015 aufzuheben und festzustellen, dass es
sich bei dem Unfall vom 07.04.2014 um einen bei der Beklagten versicherten
Arbeitsunfall handelt.
15 Die Beklagte beantragt,
16 die Klage abzuweisen.
17 Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
18 In der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2015 ist die Klägerin persönlich
angehört worden. Außerdem sind die Zeugen K und D vernommen worden. Der
nicht in der Verwaltungsakte enthaltene Hallenplan mit dem dort eingezeichneten
Arbeitsplatz der Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung gemeinsam in
Augenschein genommen worden.
19 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten
sowie der Zeugen wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des
SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
20 Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) zulässig, aber nicht begründet.
21 Eine versicherte Tätigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin vom … ist nicht
nachgewiesen, weswegen die Feststellung eines bei der Beklagten versicherten
Arbeitsunfalls ausscheidet.
22 Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz
nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1
Satz 1 SGB VII). Versichert ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das
Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden
unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich
begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem
Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das
Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der
Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der
versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang),
dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper
einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis geführt hat und das Unfallereignis
einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht
(haftungsbegründende Kausalität) hat. Beweisrechtlich müssen der Unfall, die
versicherte Tätigkeit und die geltend gemachten Verletzungen einschließlich deren
Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr.
2 m.w.N.).
23 Gegen das Vorliegen eines bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfalls spricht,
dass mehrere Indizien dafür vorliegen, dass die Klägerin sich zum Zeitpunkt ihres
Unfalls auf dem Weg zu einer Raucherpause befunden hat. Das Einlegen einer
Zigarettenpause ist jedoch grundsätzlich dem privaten Bereich zuzuordnen, weil
es regelmäßig unabhängig von jeglicher betrieblicher Tätigkeit durchgeführt wird
(Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09. Juli 2003 –
L 17 (15) U 300/01 –, juris; vgl. Eickhoff inform 2010, Nr. 3, 33, juris). Etwas
anderes gilt für den Gang zur Toilette mit dem Ziel, die Notdurft zu verrichten, weil
der Versicherte durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen ist, seine
Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten, als er dies von seinem häuslichen
Bereich aus getan hätte. Zudem handelt es sich bei der Notdurft anders als bei der
Zigarettenpause um eine regelmäßig unaufschiebbare Handlung, die der
Fortsetzung der Arbeit direkt im Anschluss daran dient und somit auch im
mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liegt (BSG, Urteil vom 06.12.1989 - 2 RU
5/89 - SozR 2200 § 548 Nr. 97; Bereiter-H./Mehrtens, Gesetzliche
Unfallversicherung, Handkomm., Stand April 2014, § 8 Rn. 7.34;
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Juli 2015 – L 6 U 526/13
–, Rn. 46, juris).
24 Vorliegend ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und der
Beweisaufnahme ein Gang zur Toilette nicht nachgewiesen. Vielmehr hält die
Kammer es nach der Aktenlage, der Anhörung der Zeugen und auch nach dem
persönlichen Eindruck von der Klägerin für durchaus möglich und sogar
naheliegend, dass ein Gang zur Zigarettenpause vor Beginn der regulären
Pausenzeit im Rahmen der persönlichen Verteilzeit der Klägerin vorlag.
25 Die Feststellungslast bzw. „Beweislast“ für das Vorliegen einer versicherten
Tätigkeit liegt bei der Klägerin. Der Beweis für das Vorliegen einer versicherten
Tätigkeit konnte nicht erbracht werden. Der vorliegende Fall ist zu unterscheiden
von den Fällen, in denen grundsätzlich eine versicherte Tätigkeit vorliegt und die
Beklagte sich auf ein Abweichen hiervon beruft; in diesen zuletzt genannten Fällen
liegt die Feststellungslast für eine Abweichung von einer grundsätzlich las
versichert nachgewiesenen Tätigkeit bei dem Träger der Unfallversicherung.
26 Auch im sozialgerichtlichen Verfahren, das durch den Amtsermittlungsgrundsatz
des § 103 SGG geprägt ist und deshalb grundsätzlich keine formelle
Beweisführungslast kennt, ist hierbei auf die Grundsätze der objektiven Beweis-
oder Feststellungslast zurückzugreifen, wenn sich entscheidungserhebliche
Tatsachen nicht mehr feststellen lassen. Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht
grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr ein Recht oder einen
rechtlichen Vorteil herleiten will. Während denjenigen, der einen Anspruch erhebt,
die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen trifft, ist derjenige, der das
geltend gemachte Recht bestreitet, für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden
oder rechtshemmenden Tatsachen beweispflichtig. Die Verteilung der Beweislast
bestimmt sich nach den für den Anspruch maßgeblichen materiell-rechtlichen
Normen.
27 Bezogen auf Unfälle auf Wegen ergibt sich hieraus, dass die grundsätzliche
Unsicherheit des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit zu Lasten des jeweiligen
Klägers geht. Der Kläger trägt die Beweislast dafür trägt, dass es sich um einen
Betriebsweg handelt (BSG, Urteil vom 19.03.1991, 2 RU 45/90 in SozR 3-2200 §
548 Nr. 8; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November
2011 – L 10 U 1421/10 –, Rn. 28, juris; vgl auch Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 02. Januar 2012 – L 3 U 115/09 –, Rn. 40, juris).
28 Ist demgegenüber der Antritt eines beschäftigungsmotivierten Wegs erwiesen,
trägt der Versicherungsträger die Feststellungslast für die Behauptung, der
Versicherte habe diese Strecke mit privater Handlungstendenz zurückgelegt, weil
insofern eine anspruchsvernichtende Tatsache geltend gemacht wird (vgl. BSG,
Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 23/05 R, juris, Rn. 27; Landessozialgericht Baden-
Württemberg, Urteil vom 12. Juni 2013 – L 3 U 5415/11 –, Rn. 32, juris;
Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2011 - L 6 U 5773/09 -
, juris; veröffentlicht in juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. April
2014 – L 3 U 110/11 –, Rn. 50, juris; Schwerdtfeger, in Lauterbach, SGB VII, § 8
Rn. 497, Stand: April 2012).
29 Aus Sicht der Kammer kommt den ersten Einlassungen der Beteiligten nach einem
Unfall besondere Bedeutung zu, weil diese zeitnah erfolgt sind und davon
auszugehen ist, dass hierbei weitergehende rechtliche und wirtschaftliche
Überlegungen eine geringere Rolle gespielt haben als bei Aussagen, die nach
ablehnenden Bescheiden einer Behörde getätigt worden sind.
30 Insoweit steht fest, dass in der Unfallsofortmeldung von einer Zigarettenpause die
Rede ist, was der Zeuge D und der Sicherheitsbeauftragte Z nach Rückfrage der
Beklagten zu einem späteren Zeitpunkt auch ausdrücklich noch einmal schriftlich
bestätigt haben. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin bei
ihrem Unfall eine Packung Zigaretten bei sich trug, welche durch den
Zusammenprall auf den Boden geschleudert wurde. Der Zeuge D hat auch
glaubwürdig in der mündlichen Verhandlung versichert, dass er von der damaligen
Richtigkeit seiner Ausführungen ausgeht, auch wenn er inzwischen in
nachvollziehbarer Weise eine geringere Erinnerung an den damaligen Vorfall
angegeben hat. Auch unter Berücksichtigung eines möglichen wirtschaftlichen
Eigeninteresses des Schichtführers D, seinen Arbeitgeber vor Belastungen im
Rahmen des Beitragsausgleichs in der gesetzlichen Unfallversicherung zu
schützen, erschien die Aussage des Zeugen D insgesamt glaubhaft.
31 Zwar hat schließlich auch der Zeuge K glaubhaft mitgeteilt, dass er sich nicht mehr
an eine Aussage der Klägerin zu ihren konkreten Absichten beim Betreten des
Fahr- und Fußweges erinnern könne. Auch bei ihm hält die Kammer dies
angesichts des Zeitablaufs für nachvollziehbar. Auch der Zeuge K wirkte insoweit
glaubhaft, zumal auch bei ihm kein besonderes Interesse an einem bestimmten
Ausgang des Rechtsstreits - abgesehen von einem gewissen, aus der Beziehung
als Kollege erklärbaren Näheverhältnis - erkennbar war. Sofern der Zeuge K
rückblickend in der mündlichen Verhandlung ausgesagt hat, dass er damals
lediglich vermutet habe, die Klägerin habe eine Zigarettenpause einlegen wollen,
rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn in der schriftlichen Aussage des
Zeugen gegenüber der Beklagten vom 04.11.2014 hatte der Zeuge bereits
mitgeteilt, keine Angaben über die Motivation der Klägerin machen zu können.
Bereits zum damaligen Zeitpunkt war der Zeuge in nachvollziehbarer Weise nicht
mehr in der Lage, hierzu genaue Angaben zu machen. Dies ist auch deswegen
glaubhaft, weil der Zeuge überzeugend erklärt hat, dass ihm der
versicherungsrechtliche Unterschied zwischen einem Gang zur Zigarettenpause
und einem Weg zur Toilette nicht bewusst gewesen sei. Die Kammer geht hierbei
davon aus, dass die anderslautende aktenkundige Auskunft des Zeugen K nicht
Eingang in die Verwaltungsakte gefunden hätte, wenn der Zeuge nicht Gründe
gehabt hätte, eine solche Aussage zu tätigen.
32 In dieser Situation misst die Kammer dem Umstand Bedeutung bei, dass der
Hinweis auf eine beabsichtigte Zigarettenpause zweifach zeitnah Eingang in die
Verwaltungsakten gefunden hat, wobei nicht erkennbar ist, warum ein solcher
Umstand von einem der Beteiligten hätte erfunden werden sollen.
33 Zudem indiziert nicht nur das Beisichtragen von Zigaretten durch die Klägerin die
Absicht des Einlegens einer Zigarettenpause. Die Kammer ist sich darüber im
Klaren, dass das alleinige Beisichtragen von Zigaretten kein sicherer Hinweis auf
eine unmittelbar bevorstehende Zigarettenpause ist. Denn es ist allgemein
bekannt, dass Raucher Zigaretten häufig bei sich führen, um gegebenenfalls auch
spontan eine Zigarettenpause einlegen zu können. Die Kammer ist sich auch
dessen bewusst, dass der Umstand, dass die Zigarettenpackung bei dem Unfall
auf den Boden geschleudert worden ist, in den beiden Zeugen möglicherweise die
Fehlvorstellung einer bevorstehenden Zigarettenpause hervorgerufen hat, weil das
Bild an der Unfallstelle diesen Eindruck nahelegte.
34 Ein weiterer objektiver Hinweis auf eine unmittelbar bevorstehende
Zigarettenpause ergibt sich jedoch auch daraus, dass es zum Unfallzeitpunkt um
17:45 Uhr zu einem Produktionsstillstand gekommen war, die Klägerin also
naheliegend überlegen musste, was sie in dieser Zeit bis zur um 18:00 Uhr
anstehenden nächsten Pause tun sollte. Für den Gang zum Pausenraum war es
um 17:45 Uhr zu früh, und auch ein Gang zur Toilette hätte keinen nahtlosen
zeitlichen Anschluss an die um 18:00 Uhr beginnende Pause ermöglicht. Der
zeitliche Ablauf scheint insoweit plausibel, wenn man von einem beabsichtigten
Gang zur Raucherpause - im Rahmen der persönlichen Verteilzeit - mit
anschließender um 18:00 Uhr beginnender allgemeiner Pause ausgeht.
35 Ein zusätzlicher objektiver Hinweis auf eine bevorstehende Raucherpause ist die
Tatsache, dass ausweislich des Hallenplans auf Bl. 5 der Gerichtsakte das
Betreten des Fuß- und Fahrwegs an der Unfallstelle nicht zwingend war, um zur
Toilette oder zum Pausenraum zu gelangen. Denn insoweit hätte der Klägerin
auch ein rückwärtiger anderer Weg zur Verfügung gestanden, der nicht länger
gewesen wäre. Demgegenüber hat die Klägerin den Fuß- und Fahrweg an einer
Stelle betreten, welche sich auf dem kürzesten Weg zu dem nächstgelegenen
Raucherbereich befand, welcher außen vor der Halle neben dem
Schichtführerbüro zur Verfügung stand.
36 Demgegenüber erschienen die Aussagen der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung durchaus auch dadurch geprägt, dass sie einen für sich günstigen
Ausgang des Verfahrens wünscht. Diesen Eindruck hat die Klägerin dadurch
verstärkt, dass sie im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat, dass sie sich vor
dem Betreten des Wegs über das Fehlen von Fahrzeugen vergewissert habe.
Dies ist bereits deswegen nicht glaubhaft, weil es in diesem Fall aller Voraussicht
nach nicht zu dem Unfall gekommen wäre. Insoweit hat die Klägerin in der
mündlichen Verhandlung auch nur noch behauptet, dass sie den Gabelstapler
nicht gesehen habe. Die Aussagen der Klägerin sind daher nicht konstant.
Glaubhaft ist die Aussage einer vorherigen Vergewisserung über einen freien Weg
aber vor allem deswegen nicht, weil die Zeugen übereinstimmend gesagt haben,
die Klägerin habe sich nach dem Vorfall für ihre fehlende Umsicht entschuldigt,
obwohl sie als einzige bei dem Vorfall verletzt worden ist. Da es sich bei diesem
Verhalten um einen besonders auffälligen Umstand handelt, der sich auch
besonders gut einprägen dürfte, geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin
sich tatsächlich bei dem Zeugen K für ein unvorsichtiges Verhalten ihrerseits
entschuldigt hat.
37 Zwar ist damit nicht erwiesen, dass die Klägerin auf dem Weg zu einer
Zigarettenpause war, doch ist wegen der hierauf hinweisenden Indizien auch nicht
der für den Erfolg der Klage maßgebliche Vollbeweis erbracht, dass die Klägerin
sich auf einem versicherten Weg befand. Insoweit erlaubt sich die Kammer auch
noch den Hinweis darauf, dass die Klägerin selbst im Widerspruchsverfahren die
Annahme der Beklagten als naheliegend bezeichnet hat.
38 Nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- oder Feststellungslast geht es
somit zu Lasten der Klägerin, dass sich ihre Handlungstendenz bei dem
Unfallereignis vom … nicht hinreichend deutlich hat nachweisen lassen (vgl. BSG,
Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R -; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil
vom 12. April 2011 – L 3 U 525/10 –, Rn. 21, juris).
39 Bei einem dem Arbeitsunfall gleichgestellten Wegeunfall fehlt es an dem
geforderten sachlichen Zusammenhang zur eigentlichen versicherten Tätigkeit,
wenn der Versicherte nur dieselbe Strecke benutzt, die er als Weg nach und von
dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt, dies aber aus anderem Grund tut
(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. Januar 2012 – L 3 U
115/09 –, juris). Es ist daher vorliegend auch unbeachtlich, dass die Klägerin ggf.
nach ihrer Zigarettenpause sogleich den neben dem Raucherbereich gelegenen
Pausenraum aufsuchen wollte.
40 Es wäre in dem Fall, dass nach der Zigarettenpause sogleich die Toilette und/oder
der Pausenraum aufgesucht werden sollte(n), auch nicht vom Vorliegen eines
Versicherungsschutzes unter dem Aspekt einer gemischten Tätigkeit oder einer
gemischten Motivationslage auszugehen. Dies kann vorliegen, wenn gleichzeitig
zwei Tätigkeiten ausgeübt werden (gemischte Tätigkeit) oder ein und dieselbe
Verrichtung - hier wäre das der Weg fort vom Arbeitsplatz - sowohl betriebliche als
auch eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt (gemischte Motivationslage; zu beidem
BSG, Urteil vom 09. November 2010 – B 2 U 14/10 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 39,
Rn. 22). Ein gemischte Tätigkeit lag nicht vor. Eine gemischte Motivationslage bzw.
gespaltene Handlungstendenz bei einer einheitlichen Tätigkeit ist dann versichert,
wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des
Handelns vorgenommen worden wäre, wenn also die Verrichtung nach den
objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund
in der versicherten Handlungstendenz findet (Bayerisches Landessozialgericht,
Urteil vom 26. März 2015 – L 17 U 409/14 –, Rn. 21, juris). Letztere Voraussetzung
ist nicht erfüllt, weil jedenfalls ohne die Zigarettenpause der konkrete Weg erst zu
einem späteren Zeitpunkt zurückgelegt worden wäre.
41 Außerdem kann bei der eventuell beabsichtigten Zigarettenpause auch nicht mehr
von einer nur geringfügigen und daher im Rahmen der gesetzlichen
Unfallversicherung unbeachtlichen Arbeitsunterbrechung die Rede sein. Die
Klägerin hätte im Falle einer Zigarettenpause ihren Arbeitsbereich für einen nicht
geringen Zeitraum verlassen und sich aus privater Absicht an einen anderen Ort
mit anderen spezifischen Gefahren begeben. Ein Fortbestehen des
Unfallversicherungsschutzes unter dem Gesichtspunkt einer kurzfristigen
Arbeitsunterbrechung könnte daher nicht angenommen werden
(Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09. Juli 2003 –
L 17 (15) U 300/01 –, Rn. 24, juris; vgl. auch Landessozialgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. April 2008 – L 17 U 131/07 –, Rn. 23, juris).
42 Schließlich lag eine Versicherung der Klägerin in der gesetzlichen
Unfallversicherung bei einem Weg zur Zigarettenpause auch nicht unter dem
Gesichtspunkt einer besonderen betrieblichen Gefahr vor.
Unfallversicherungsschutz nach dem Grundsatz des Mitwirkens einer gefährlichen
Betriebseinrichtung besteht nur dann, wenn eine besondere Betriebsgefahr auf
den mit einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit befassten Versicherten im räumlich-
zeitlichen Bereich seines Arbeitsplatzes einwirkt, ohne dass die private Verrichtung
wesentlich zur Bedrohung durch die zum Unfall führende Betriebsgefahr
beigetragen hat (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
09. Juli 2003 – L 17 (15) U 300/01 –, juris). Tatsächlich besteht zwar im Betrieb die
erhöhte Gefahr, durch - zumal aufgrund des Gasantriebs sehr leise - Gabelstapler
angefahren zu werden. Allerdings liegt durch die Gänge zu privat motivierten
Zigarettenpausen eine deutliche Erhöhung dieser Gefahr vor, die dem Arbeitgeber
nicht angelastet werden kann. Schließlich hat die Klägerin sich auch in einem
Maße unachtsam verhalten, mit dem sie auch in ihrem privaten Lebensbereich -
etwa im Straßenverkehr - ein erhöhtes Unfallrisiko zu erwarten hätte.
43 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.