Urteil des SozG Karlsruhe vom 24.02.2016

gesetzliche frist, einzahlung, verschulden, versorgung

SG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2016, S 4 KA 2628/14
Vertragszahnärztliche Versorgung - Frist für Zahlung der Widerspruchsgebühr
nach § 45 Abs 1 Zahnärzte-ZV - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand -
Ausschlussfrist - Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht - Vorschusspflicht des
Rechtssuchenden - kein Verstoß gegen Verfassungsrecht
Leitsätze
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist des § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV
für die Zahlung der Widerspruchsgebühr ist ausgeschlossen, da es sich um eine
Ausschlussfrist im Sinne von § 27 Abs. 5 SGB X handelt.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils
selber tragen.
3. Der Streitwert des Verfahrens wird endgültig auf 60.000 EUR
festgesetzt.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Entziehung einer Zulassung zur
kassenzahnärztlichen Versorgung im Streit.
2 Der am … geborene Kläger ist Zahnarzt und besaß eine Zulassung zur
vertragszahnärztlichen Versorgung, die jeweils zur Hälfte auf die beiden Sitze in …
(Regierungsbezirk K.) und in … (Regierungsbezirk …) aufgeteilt war.
3 Mit Beschluss vom 28.02.2014 entzog der Zulassungsausschuss für Zahnärzte
(ZA) dem Kläger die hälftige Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung für
den Praxissitz …, wobei die sofortige Vollziehung angeordnet wurde. Diese
Entscheidung wurde auf eine Verurteilung wegen Betruges in sechs Fällen … vom
20.07.2012, eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit
mit Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen … vom 21.06.2012 und auf eine
Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit …
vom 08.06.2012 gestützt.
4 In der Rechtsbehelfsbelehrung des Beschlusses wurde der Kläger darauf
hingewiesen, dass ein Widerspruch als zurückgenommen gilt, wenn eine Gebühr
in Höhe von 200,-- EUR für das Widerspruchsverfahren nicht bis spätestens zwei
Wochen nach Ablauf der Widerspruchsfrist an die Geschäftsstelle des beklagten
Berufungsausschusses entrichtet wird, dessen Kontoverbindung in der
Rechtsbehelfsbelehrung angegeben wurde. Der Beschluss wurde am 28.02.2014
ausgefertigt, der bevollmächtigten Rechtsanwältin des Klägers vorab per Fax zur
Kenntnis zugesandt und danach am 03.03.2014 förmlich gegen
Empfangsbekenntnis zugestellt.
5 Mit Schreiben vom 21.03.2014, eingegangen beim Berufungsausschuss für
Zahnärzte (BA) am 24.03.2014, legte die Bevollmächtigte Widerspruch ein, wozu
sie eine aktuelle Vollmacht vorlegte und Akteneinsicht beantragte.
6 Die zu Ziff. 6 beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung B. übersandte mit
Schreiben vom 09.04.2014 eine Kopie der Verwaltungsakte an die
Klägerbevollmächtigte.
7 Bis zum 30.04.2014 ging beim beklagten BA weder ein weiteres Schreiben der
Rechtsanwältin noch des Klägers ein. Auch wurde die Gebühr in Höhe von 200,--
EUR für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens bis zu diesem Datum nicht
eingezahlt.
8 Mit Schreiben vom 30.04.2014 an die Klägerbevollmächtigte vertrat der Beklagte
die Auffassung, dass wegen Nichtzahlung der Gebühr gemäß § 45 Abs. 1 der
Zahnärzte-Zulassungsverordnung (Zahnärzte-ZV) die Widerspruchsfrist am
03.04.2014 abgelaufen, die Gebühr in Höhe von 200,-- EUR am 17.04.2014
letztmalig fällig und bis zum Tag des Schreibens kein Eingang der
Widerspruchsgebühr festgestellt werden könne, weswegen der Widerspruch als
zurückgenommen gelte.
9 Die Klägerbevollmächtigte meldete sich erst wieder mit Schreiben vom 12.05.2014,
eingegangen bei dem Beklagten am 14.05.2014, mit welchem sie die
Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Widerspruchsgebühr beantragte. Es
sei aufgrund eines bedauerlichen Irrtums und Versehens der hierfür allein
zuständigen Kanzleimitarbeiterin S. versäumt worden, die Frist zu notieren. Zwar
habe sie den Kläger mit Schreiben vom 04.03.2014 zur Zahlung der Gebühr
aufgefordert, doch wäre es erforderlich gewesen, den Kläger angesichts der
derzeit schwierigen und belastenden Umstände nochmals auf die mit der
Fristversäumnis verbundenen Gefahren der Rücknahmefiktion hinzuweisen. Dies
sei aufgrund des Versehens der Kanzleimitarbeiterin nicht erfolgt. Das Versehen
sei trotz der sonst korrekten und sehr zuverlässigen Arbeitsweise und Tätigkeit der
Mitarbeiterin passiert, nachdem diese nach einer einwöchigen Erkrankung ihre
Arbeit am Montag, 03.03.2014, wieder aufgenommen habe. Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung sei der Fehler der Kanzleikräfte des
Prozessbevollmächtigten dem vertretenen Mandanten nicht zuzurechnen.
10 Dem Antrag auf Wiedereinsetzung waren eine eidesstattliche Versicherung der
Mitarbeiterin S., eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diese vom 21.02. bis
25.02.2014, sowie das Abschlusszeugnis der S. über die bestandene Ausbildung
zur Rechtsanwaltsfachangestellten mit der Durchschnittsnote 1,0 beigefügt. In der
eidesstattlichen Versicherung führte die Mitarbeiterin S. aus, dass sie
„typischerweise“ auch für die Eintragung von Fristen sowohl in elektronischen
Fristkalender als auch in den ergänzend handschriftlich geführten Fristenkalender
zuständig sei. Nach Zustellung etwaiger Bescheide, Beschlüsse oder Urteile
berechne sie daher die Fristen und trage diese sorgfältig in die beiden genannten
Kalender ein. Sie habe auch gegen den Beschluss des ZA vom 28.02.2014,
eingegangen am 03.03.2014 die im Bescheid benannte Rechtsbehelfsfrist
eingetragen. Dementsprechend habe ihre Arbeitgeberin auch fristgerecht den
Widerspruch für den Kläger eingelegt und anschließend mit Schreiben vom
04.03.2014 den Kläger ausdrücklich auch auf die Widerspruchsgebühr
hingewiesen. Trotz eines ausdrücklichen Hinweises ihrer Arbeitgeberin im
entsprechenden Diktat habe sie es leider versäumt, die im Bescheid genannte
weitere Frist für die Zahlung der Widerspruchsgebühr von 200,-- EUR einzutragen,
damit der Kläger hieran nochmals erinnert werden könne. Sie bedauere ihr
Versäumnis, eine solche rechtlich bedeutsame Frist einzutragen. Ein solcher
Fehler sei ihr noch nicht unterlaufen. Sie könne sich dies nur dadurch erklären,
dass sie in der Woche zuvor aufgrund einer sehr schweren Erkältung
krankgeschrieben gewesen sei.
11 Mit Beschluss ohne mündliche Verhandlung vom 03.07.2014 lehnte der beklagte
BA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und stellte fest, dass
der Widerspruch vom 21.03.2014 als zurückgenommen gilt. Der Widerspruch sei
zwar fristgerecht erhoben, allerdings sei die Widerspruchsgebühr nicht in der
gesetzlichen Frist eingezahlt worden, weswegen der Widerspruch als
zurückgenommen gelte. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei bereits unzulässig,
da es sich bei der Frist nach § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV um eine Ausschlussfrist
handele, in welche nach § 27 Abs. 5 SGB X keine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt werden könne (mit Hinweis auf LSG Niedersachsen-
Bremen vom 19.12.2009 - L 3 KA 117/08). § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV sei mit
anderen Regelungen vergleichbar, welche eine fristgebundene
Mitwirkungshandlung des Rechtsbehelfsführers verlangten und nach fruchtlosem
Fristablauf die Rücknahme des Rechtsbehelfs fingierten, etwa § 102 Abs. 2 Satz 1
SGG. In diesen Fällen werde überwiegend angenommen, dass eine
Wiedereinsetzung allenfalls in Fällen höherer Gewalt möglich sein könne (mit
Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht vom 15.01.1991 - 9 C 96/89 -). Dafür, dass
der Widerspruchsführer infolge höherer Gewalt nicht in der Lage gewesen sei, die
Gebühr innerhalb der gesetzten Frist zu zahlen, bestünden jedoch keinerlei
Anhaltspunkte. Darüber hinaus sei der Antrag auf Wiedereinsetzung auch
unbegründet, da ein fehlendes Verschulden des Widerspruchsführers weder
dargetan noch ersichtlich sei. Nach dem Vortrag der Bevollmächtigten habe der
Widerspruchsführer selbst für die fristgerechte Zahlung Sorge tragen sollen. Zur
Zahlung der Widerspruchsgebühr für den Fall der Einlegung eines Widerspruchs
sei bereits im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung aufgefordert worden. Auf die
Zahlungsfrist sei der Widerspruchsführer dann auch nochmals von der
Bevollmächtigten hingewiesen worden. Die Tatsache, dass die
Kanzleimitarbeiterin der Bevollmächtigten den Widerspruchsführer nicht nochmals
an die Zahlungsfrist erinnert habe, lasse ein Verschulden des Widerspruchsführers
nicht entfallen. Aus welchem Grund die Zahlung vom Widerspruchsführer nicht
geleistet worden sei, sei nicht vorgetragen. Der bloße allgemeine Vortrag auf die
„derzeit schwierigen und belastenden Umstände“ lasse nicht erkennen, dass den
Widerspruchsführer kein Verschulden treffe. Der Beschluss wurde am 03.07.2014
ausgefertigt und der Bevollmächtigten am 07.07.2014 zugestellt.
12 Die Klägerbevollmächtigte hat am 06.08.2014 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG)
Klage erhoben. Der Rechtsansicht des Beklagten, es handele sich um eine
Ausschlussfrist ohne Möglichkeit der Wiedereinsetzung, könne bereits deswegen
nicht gefolgt werden, weil die Frist nicht gemäß § 27 Abs. 5 SGB X ausdrücklich als
solche bezeichnet sei. Angesichts der erheblichen Folgen für den Kläger sei auch
im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG unter
Berücksichtigung von Art. 12 GG eine Auslegung vorzunehmen, wonach eine
Wiedereinsetzung grundsätzlich möglich sein müsse.
13 Erstmalig wird im Klageverfahren vorgetragen, dass dem Kläger die Zahlung der
Widerspruchsgebühr auch deswegen nicht möglich gewesen sei, weil er das erste
Hinweisschreiben der Bevollmächtigten vom 04.03.2014 nicht erhalten habe. Die
Klägerbevollmächtigte hat hierzu eine eidesstattliche Versicherung des Klägers
vom 12.09.2014 vorgelegt.
14 Der Kläger beantragt,
15 den Bescheid des Beklagten vom 03.07.2014 aufzuheben, ihm Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren und die Sache zur Verhandlung über den
Widerspruch an den Berufungsausschuss zurückzuverweisen.
16 Der Beklagte beantragt,
17 die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits
aufzuerlegen.
18 Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand bezüglich der Frist nach § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV unzulässig sei
(mit Hinweis auf BSG vom 05.02.2003 - B 6 KA 27/02 R -). Dies ergebe sich auch
daraus, dass es sich bei der vorliegenden Frist nicht um eine gesetzliche Frist im
Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X handele, sondern um eine behördlich
vorgegebene Frist (mit Hinweis auf Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar
zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, 1. Auflage
2008, § 38 Abs. 2 Seite 24/26; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage
2014, § 26 Rn. 5). Vorschriften, welche eine Vorschusspflicht des
Rechtssuchenden vorsehen, seien mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG
grundsätzlich auch dann vereinbar, wenn sie für den Fall der Nichteinzahlung
anordnen, dass der entsprechende Rechtsbehelf als zurückgenommen gelte (mit
Hinweis auf BVerfG vom 14.12.1988 - 1 BvR 1578/88 -). Soweit der Kläger auf das
Grundrecht der Berufsfreiheit abstelle, sei festzustellen, dass der Kläger nach wie
vor berechtigt sei, auf Basis von Privatliquidationen tätig zu sein. Insoweit sei
allerdings auch auf das inzwischen vom Regierungspräsidium Stuttgart
angeordnete Ruhen der Approbation als Zahnarzt hinzuweisen (Bescheid vom
29.07.2014).
19 Schließlich sei auch darauf hinzuweisen, dass die Gebühr zur Einleitung des
Verfahrens nicht nur durch den Kläger, sondern auch durch die Bevollmächtigte
hätte beglichen werden können. Dass der Bevollmächtigten das Ausstehen der
Gebühr und die belastenden Umstände um die Person des Klägers bewusst
gewesen seien, sei bekannt. Die Frage, ob die Gebühr von dem Kläger oder der
Bevollmächtigten zu entrichten gewesen wäre, wäre allerdings auch bei
unstreitigem Zugang des Schriftstücks vom 04.03.2014 (Anlage K3)
offengeblieben. Der Kläger sei somit nicht zweifelsfrei von seiner Bevollmächtigten
auf die Pflicht zur Begleichung der Kostenschuld hingewiesen worden, wobei
ebenfalls von einem Verschulden der Bevollmächtigten auszugehen sei, welches
dem Kläger nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X zuzurechnen sei. Soweit nun erstmals
im Prozess vorgetragen werde, dass der Kläger dieses Schreiben überhaupt nicht
erhalten habe, werde Verspätung gerügt. Gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X sei ein
Wiedereinsetzungsantrag innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des
Hindernisses zu stellen. Diese Frist gelte auch für die Darlegungen der Tatsachen
zur Begründung des Fristversäumnisses gelte.
20 Im Übrigen seien dann, wenn die fristgerechte Absendung eines Schreibens wie
auch eines Schriftsatzes behauptet werde, konkrete Angaben darüber zu machen,
wer das Schreiben wann abgesandt und wie die Fristenkontrolle organisiert
gewesen sei. Auch dies sei bis zum heutigen Tage weder dargelegt noch
glaubhaft gemacht worden. Auf dem Schreiben der Bevollmächtigten vom
04.03.2014 finde sich eine Faxnummer des Klägers; es sei daher nicht
auszuschließen, dass dieses Schreiben gegebenenfalls zusätzlich auch per Fax
versandt worden sei. Die Ehegattin des Klägers habe in einem Disziplinarverfahren
bei der … der KVBW im Jahre 2013 vorgetragen, dass sie in der Praxis seit über
einem Jahr mit der Post im Rückstand sei, und dass stapelweise ungeöffnete Post
herumliege, wobei dies auch Schreiben mit amtlichem Charakter, Klageschriften
und sogar mit Postzustellungsurkunde zugestellte Schriftstücke betreffe (Anlage
B2). Die nicht rechtzeitige Zahlung der Widerspruchsgebühr sei deshalb, ohne
dass es darauf ankäme, unter keinem Gesichtspunkt zu entschuldigen.
21 Mit Beschluss der Kammer vom 12.08.2014 sind die aus dem Rubrum
ersichtlichen Beiladungen erfolgt. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer
Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
22 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten
wird auf die beigezogenen Verwaltungsakte und die Akten des SG Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
23 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Beschluss des Beklagten vom
03.07.2014 ist rechtmäßig.
24 Die Entscheidung erging aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten durch
Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG.
25 Im Verfahren vor dem Berufungsausschuss für Zahnärzte gilt nach § 45 Abs. 1
Zahnärzte-ZV der Widerspruch als zurückgenommen, wenn die Gebühr nach § 46
Zahnärzte-ZV nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet ist. Die Gebühr beläuft
sich auf 200,-- EUR und ist mit Einlegung des Widerspruchs fällig. Entscheidend ist
die Einzahlung der Gebühr, welche vorliegend unstreitig nicht in der gesetzlichen
Frist erfolgt ist.
26 Hier hat bereits der Zulassungsausschuss die Gebühr nach § 46 Abs. 1 Satz 1
Buchstabe d) Zahnärzte-ZV für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens in
Höhe von 200,-- EUR zutreffend ermittelt, den richtigen Gebührengläubiger
benannt und in zutreffender Weise und in unmissverständlicher Form auf die
Folgen einer Nichteinhaltung der Zahlungsfrist hingewiesen. Diese Informationen
sind dem Kläger und seiner Bevollmächtigten auch mit der Zustellung des
Beschlusses des ZA vom 28.02.2014 zugegangen (vgl. die vollständige und
zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung auf S. 20 des Beschlusses). Die
Klägerbevollmächtigte hat auch vorgetragen, dass ihr die Frist bekannt gewesen
ist, wobei ihr Wissen dem Kläger entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen ist
(BGH, Urteil vom 08. Januar 2015 – IX ZR 198/13 –, Rn. 13, juris).
27 Da Wiedereinsetzungsgründe nicht durchgreifen, sind die Voraussetzungen der
Rücknahmefiktion in § 45 Abs. 1 S. 1 Zahnärzte-ZV erfüllt.
28 Die Kammer geht ebenso wie der Beklagte davon aus, dass die Frist des § 45
Abs. 1 S. 1 Zahnärzte-ZV eine Ausschlussfrist im Sinne von § 27 Abs. 5 SGB X ist
und deswegen eine Wiedereinsetzung bereits dem Grunde nach nicht gewährt
werden kann. Die Wiedereinsetzung ist nach dieser Vorschrift unzulässig, wenn
sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Für eine in
diesem Sinne absolut wirkende Ausschlussfrist muss entweder der Ausschluss
ausdrücklich bestimmt sein oder die Auslegung der Bestimmung anhand ihres
Sinnes und Zwecks muss klar ergeben, dass die Regelung „mit der Frist steht und
fällt“ (vgl. grundlegend BSGE 64, 153, 156 f = SozR 1300 § 27 Nr. 4 S. 6 f.; BSGE
72, 80, 82 f. = SozR 3-1300 § 27 Nr. 3 S. 4 f; BSGE 85, 231, 239 = SozR 3-7833 §
6 Nr. 20 S. 126 f.; BSG, Urteil vom 05. Februar 2003 – B 6 KA 27/02 R –, SozR 4-
2500 § 95 Nr. 3, SozR 4-1300 § 27 Nr. 1, Rn. 20).
29 Ein ausdrücklicher Ausschluss der Wiedereinsetzung lässt sich der Regelung in §
45 Abs. 1 S. 1 Zahnärzte-ZV nicht entnehmen. Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 S. 1
Zahnärzte-ZV ist jedoch mit anderen Regelungen vergleichbar, die eine
fristgebundene Mitwirkungshandlung des Rechtsbehelfsführers verlangen und im
Interesse der Verfahrensbeschleunigung nach fruchtlosem Fristablauf die
Rücknahme des Rechtsbehelfs fingieren (vgl. z.B. § 102 Abs. 2 S. 1 SGG). In
derartigen Fällen wird überwiegend angenommen, dass eine Wiedereinsetzung
allenfalls in Fällen höherer Gewalt gewährt werden könnte (vgl. LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 28. August 2015 – L 16 KR 224/15 B –, Rn. 11; LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.10.2012 - L 19 AS 1437/12 B, juris, Rn.
17; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 09. Dezember 2009 – L 3 KA 117/08
–, Rn. 33, juris; Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 102 Rn. 12;
Bienert, NZS 2009, 554, 557; vgl. auch zu § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO BVerwG,
Beschluss vom 25.11.2002 - 8 B 112/02, juris, Rn. 2 m.w.N.; BVerwG -, Urteil vom
15. Januar 1991, Az.: 9 C 96/89, NVwZ-RR 1991, 443).
30 Soweit die Gegenmeinung (Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, 7.
Aufl. 2009, § 45 Rn. 5; Lief in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, Stand Juni 2007,
§ 45 Ärzte-ZV E-45-1) lediglich auf die Entscheidung des BSG vom 05. Februar
2003 ( B 6 KA 27/02 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 3) verweist, vermag dies nicht zu
überzeugen, weil diese Entscheidung eine andere Verfahrensfrist betrifft. Auch der
weitere Hinweis von Schallen (a.a.O.), dass sich aus § 38 (Zahn)Ärzte-ZV kein
Ausschluss einer Wiedereinsetzung ergebe, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Aus dem Regelungszusammenhang und der Stellung der Vorschriften im Gesetz
ergibt sich, dass § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV eine vorrangige Sonderregelung für die
nicht fristgemäße Einzahlung der Widerspruchsgebühr enthält. Insbesondere
ergibt sich auch aus den jeweils einschlägigen Überschriften des Gesetzes, dass §
38 Zahnärzte-ZV das Verfahren vor dem KZA (Abschnitt IX Ziffer 1, Verfahren vor
den Zulassungsausschüssen für Ärzte) regelt, wohingegen § 45 Abs. 1 Zahnärzte-
ZV in einem eigenen Unterabschnitt für das Widerspruchsverfahren (Abschnitt IX,
Ziffer 2) enthalten ist. Dementsprechend verweist die Terminologie in § 38
Zahnärzte-ZV auch ausdrücklich (nur) auf „Anträge“ und nicht wie § 45 Abs. 1
Zahnärzte-ZV auf „Widersprüche“.
31 Dafür, dass der Kläger infolge höherer Gewalt nicht in der Lage gewesen ist, die
Gebühr innerhalb der gesetzten Frist zu zahlen, ist Nichts vorgetragen oder sonst
ersichtlich.
32 Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV ist auch mit höherrangigem Recht
vereinbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 9. Juni 1999,
Az: B 6 KA 76/97 R, SozR 3-5520 § 44 Nr. 1) ist das Verfahren vor dem
Berufungsausschuss kein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 78, 83 ff. SGG,
sondern ein besonderes Verwaltungsverfahren. Die Möglichkeiten, ein solches
Verwaltungsverfahren anders auszugestalten, sind jedoch nicht unbegrenzt.
Vielmehr müssen sich die Sonderregelungen am höherrangigen Recht messen
lassen, insbesondere daran, ob sie den Rechtsschutz in unzumutbarer, aus
Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken oder
unverhältnismäßig erschweren (BSG a.a.O.). Auch wenn bei Sonderregelungen zu
beachten ist, dass die Verfahren der Ausschüsse in Zulassungsangelegenheiten
gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 3 SGB V entsprechend den Grundsätzen des
Vorverfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit zu regeln sind, sind Abweichungen in
Einzelpunkten, soweit diese sachlich gerechtfertigt sind, zulässig (BSG a.a.O. mit
Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Mai 1991, Az.: L 11 KA
46/91, Breithaupt 1992, 174, 175).
33 Mit diesen Vorgaben ist die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Zahnärzte-ZV in der hier
vertretenen Auslegung vereinbar. Eine Verschärfung im Vergleich zu den
Regelungen des SGG über das Vorverfahren liegt vor, weil der Widerspruch
gebührenpflichtig ist und die nicht innerhalb der Zahlungsfrist entrichtete
Widerspruchsgebühr dazu führt, dass der Widerspruch als zurückgenommen gilt.
Dem Personenkreis, der von Entscheidungen in Zulassungsangelegenheiten
betroffen ist - den Vertrags(zahn)ärzten -, ist die Zahlung der Widerspruchsgebühr
in der angegebenen Frist aber möglich und zumutbar. Das ergibt sich schon aus
dem Umstand, dass der Gesetzgeber seit 2002 auch für das gerichtliche Verfahren
im Vertragsarztrecht die grundsätzlich gegebene Gerichtskostenfreiheit
aufgehoben hat (vgl. § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG). Die Gebühr ist vorliegend mit 200,-
- Euro auch so moderat bemessen gewesen, dass keine Anhaltspunkte dafür
bestehen, warum es den Vertrags(zahn)ärzten nicht möglich sein sollte, diesen
Betrag fristgerecht aufzubringen (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen,
Urteil vom 09. Dezember 2009 – L 3 KA 117/08 –, Rn. 32, juris).
34 Vorschriften, die eine Vorschusspflicht des Rechtssuchenden vorsehen, sind mit
Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich auch dann vereinbar,
wenn sie für den Fall der Nichteinzahlung anordnen, dass der entsprechende
Rechtsbehelf als zurückgenommen gilt (so bereits BVerfG, Beschluss vom
12.01.1960, 1 BvL 17/59 = BVerfGE 10, 264, 268 f., vgl. auch BVerfG, Beschluss
vom 14.12.1988, 1 BvR 1578/88, juris, Rn. 7). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür,
dass gerade die besonderen Umstände des § 45 Abs. 1 Satz 1 Zahnärzte-ZV ein
Abweichen von diesen Grundsätzen rechtfertigen. Eine unzumutbare
Beeinträchtigung der Rechtsschutzmöglichkeiten des von § 45 Abs. 1 Satz 1
Zahnärzte-ZV betroffenen Adressatenkreises scheidet schon deswegen aus, weil
sich die Gebühr der Höhe nach in einem Rahmen hält, der die finanziellen
Möglichkeiten dieses Personenkreises nicht übersteigt (SG Aachen, Urteil vom 03.
März 2010 – S 7 KA 2/09 –, Rn. 18, juris).
35 Der Beklagte hat auch zu Recht hilfsweise darauf hingewiesen, dass
Wiedereinsetzungsgründe im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB X nicht vorliegen. Bereits
über die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Beschluss vom 28.02.2014 waren
sowohl der Kläger als auch seine Bevollmächtigte über das Erfordernis der
fristgerechten Einzahlung der Gebühr informiert. Sofern die Bevollmächtigte darauf
abstellt, dass der Kläger das diesbezügliche Erinnerungsschreiben der Kanzlei
vom 04.03.20214 nicht erhalten habe, handelt es sich um nach § 27 Abs. 2 Satz 2
SGB X verspäteten Vortrag, da dieses Argument erstmalig im Klageverfahren
vorgebracht wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger selbst
zweifach, nämlich über die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Beschluss vom
28.02.2014 und über das Erinnerungsschreiben der Kanzlei vom 04.03.2014, über
die erforderliche fristgebundene Einzahlung informiert gewesen ist.
36 Eine Wiedereinsetzung stünde im Übrigen auch entgegen, dass die
Klägerbevollmächtigte im Rahmen ihres anwaltlichen Mandatsverhältnisses und
bei der Wahl des sichersten Weges die Einzahlung der 200,-- EUR auch selbst
hätte vornehmen können. Angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger,
der Höhe des Streitwerts und auch angesichts der Tatsache, dass der
Klägerbevollmächtigten die Unzuverlässigkeit des Klägers in behördlichen
Angelegenheiten bekannt war, hätte es nach Auffassung der Kammer
nahegelegen, dass die Bevollmächtigte die Widerspruchsgebühr selbst einzahlt
und die Gebühr dann im Rahmen der Honorarberechnung beim Kläger geltend
macht. Der Vortrag der Klägerbevollmächtigten, der Kläger habe lediglich ein
weiteres Mal an die Gebühr erinnert werden müssen, erscheint insofern nicht
überzeugend, weil dies im konkreten Fall auch nicht mit Sicherheit zur Einzahlung
der Widerspruchsgebühr geführt hätte.
37 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO,
wonach der unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens trägt. Die
Kostenentscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
beruht zusätzlich auf § 154 Abs. 3 VwGO, wonach dem Beigeladenen Kosten nur
auferlegt werden können, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
Die Beigeladenen haben keinerlei Anträge gestellt und auch keine substantiierten
Schriftsätze eingereicht, weswegen die Übernahme ihrer außergerichtlichen
Kosten durch einen der anderen Beteiligten des Verfahrens nicht angezeigt
erscheint.
38 Gehört – wie im vorliegenden Fall – in einem Rechtszug weder der Kläger noch der
Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen, werden gemäß § 197a Abs.
1 S. 1 SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes GKG
erhoben; die §§ 184 bis 195 SGG finden keine Anwendung, und die §§ 154 bis
162 der VwGO sind entsprechend anzuwenden. Die danach erforderliche
Festsetzung des endgültigen Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die
endgültige Kostenfestsetzung erfolgt von Amts wegen durch Beschluss, sobald
eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das
Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag
des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu
bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand hierfür keine
genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 EUR anzunehmen
(§ 52 Abs. 2 GKG); er darf nicht über 2.500.000,00 EUR angenommen werden (§
52 Abs. 4 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder
einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3
GKG). Im vorliegenden Fall lässt sich die Bedeutung des Verfahrens insgesamt
entsprechend den Ausführungen in der vorläufigen Streitwertfestsetzung mit
60.000 EUR bewerten (12 Quartale à 5.000 EUR; vgl. BSG, Beschluss vom
12.10.2005 - B 6 KA 47/04 B -; BSG, Urteil vom 01.09.2005 - B 6 KA 41/04 R -).