Urteil des SozG Karlsruhe vom 26.08.2016

dyskalkulie, schule, versetzung, nachhilfeunterricht

SG Karlsruhe Entscheidung vom 26.8.2016, S 14 AS 3067/15
Lernförderung, Nachhilfekosten, wesentliches Lernziel, Förderschule, § 28 SGB II
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für Nachhilfe in Mathematik in Höhe von etwa 810,-- Euro.
2 Die Klägerin ist 2001 geboren und bezieht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter
Grundsicherungsleistungen vom Beklagten.
3 Mit Bescheid vom 02.04.2015 bewilligte der Beklagte Leistungen für Bildung und Teilhabe im Zeitraum vom
01.02.2015 bis zum 31.07.2015 als angemessene Lernförderung für das Fach Mathematik. Der Gutschein
gelte für zwei Stunden pro Woche bei einem Stundensatz pro Schulstunde in Höhe von max. 10,-- Euro für
private Nachhilfekräfte und max. 15,-- Euro für gewerbliche Anbieter. Gemäß Abrechnung der Lernförderung
fielen im vorgenannten Zeitraum Kosten in Höhe von insgesamt 810,-- Euro für 54 Unterrichtsstunden an
(Seite 89 der Verwaltungsakte).
4 Mit Schreiben vom 09.07.2015 beantragte die Klägerin erneut Lernförderung bei dem Beklagten ab dem
01.09.2015. Sie leide an einer Lernbehinderung und benötige die Nachhilfe um im Alltag zu Recht zu
kommen. Eine Lerntherapie sei auch ärztlicherseits empfohlen worden. Zur Bekräftigung ihres Antrags fügte
die Klägerin einen Arztbrief des städtischen Klinikums Karlsruhe vom 01.02.2013 bei, aus welchem (unter
anderem) die Diagnose einer Rechenstörung hervorgeht sowie die Empfehlung einer Dyskalkulie-
Lerntherapie.
5 Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23.07.2015 ab. Die Lernschwäche sei nicht
vorübergehend, weswegen eine Förderschule besucht werde. Bei Sonder- und Förderschulen sei die
Versetzung i.d.R. kein wesentliches Lernziel. Ziel sei es Kinder und Jugendliche durch individuelle Hilfen zu
unterstützen und zu begleiten um für sie ein möglichst hohes Maß an schulischer und beruflicher
Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbständiger Lebensgestaltung zu erreichen. Dem Antrag
könne nicht entsprochen werden.
6 Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin im Wesentlichen mit der Notwendigkeit der
Nachhilfe, welche in der Vergangenheit geholfen habe die Noten zu verbessern. Die Klägerin überließ
Zeugnisse der Förderschule, Schuljahr 2014 / 2015 (Leistung Mathematik: befriedigend, Bemerkung:
Versetzt), Schuljahr 2013 / 2014 (Leistung Mathematik: ausreichend, Bemerkung: Versetzt), Schuljahr 2012
/ 2013 (Leistung Mathematik: ausreichend, Bemerkung: Versetzt) und Schuljahr 2011 / 2012 (Leistung
Mathematik: ausreichend, Bemerkung: Versetzt).
7 Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es
liege keine Stellungnahme der Schule vor, dass Versetzungsgefahr bzw. das Nichterreichen des
Schulabschlusses bestehe oder dass eine die vorhandenen schulischen Angebote ergänzende angemessene
Lernförderung geeignet und zusätzlich erforderlich sei um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen
festgelegten Lernziele (Versetzung, Bestehen der Abschlussprüfung) zu erreichen. Vielmehr ergebe sich aus
dem Schulzeugnis, dass im Schulfach Mathematik die Note befriedigend erreicht worden sei. Allein die
Erzielung einer besseren Note begründe keinen Anspruch auf Lernförderung.
8 Hiergegen richtet sich die am 24.09.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobene Klage. Die Klägerin leide an
Dyskalkulie, dies sei ärztlich festgestellt. Dies begründe einen Anspruch auf Förderung im Bereich
Mathematik. Zur Bekräftigung des Begehrens legt die Klägerin Förderpläne für das Schuljahr 2014 / 2015
und für den Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016 sowie das Halbjahreszeugnis für das Schuljahr 2015 / 2016
(Leistung Mathematik 3 - 4) vor. Im Förderplan für das Schuljahr 2014/2015 wird als vorrangiger
Förderbedarf u.a. „Kognition Mathe“ erwähnt. Im Förderplan für den Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016
werden als Ziele „größere Sorgfalt bei schriftlichen Aufgaben, Rechtschreibung, Satzbildung“ sowie „auf
Aufgaben konzentrieren“ benannt. Außerdem überlässt die Klägerin einen Arztbrief des Städtischen
Klinikums Karlsruhe vom 22.06.2016, welcher erneut (u.a.) die Diagnose Dyskalkulie bestätigt, eine positive
Schulsituationsentwicklung sowie einen geplanten Schulwechsel auf die Hauptschule im Sommer 2017
erwähnt.
9 Die Klägerin beantragt,
10 1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 24.07.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.08.2015 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen für Bildung und
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben - hier Nachhilfeunterricht für das Fach Mathematik - für den
Zeitraum 01.09.2015 bis 29.02.2016 zu bewilligen,
11 2. hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, der Klägerin Leistungen für Bildung
und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben - hier Nachhilfeunterricht für das Fach Mathematik - für
den Zeitraum 01.09.2015 bis 29.02.2016 zu bewilligen.
12 Der Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Er hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig. Weder aus dem Förderplan für den Zeitraum Februar
2016 bis Juli 2016 noch aus dem Halbjahreszeugnis gehe hervor, dass die Klägerin auf eine Förderung im
Bereich Mathematik angewiesen sei.
15 Das Gericht hat am 29.06.2016 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt. Die Klägerin
stellt klar, dass die Kostenübernahme für Mathematik-Nachhilfe begehrt werde. Diese habe in der
Vergangenheit eine Nachhilfeschule durchgeführt. Mangels Kostenübernahme der Beklagten sei seit Juli
2015 keine Nachhilfe wahrgenommen worden.
16 Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid
angehört.
17 Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die von
der Beklagte überlassenen Verwaltungsakte, die Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
18 Die als statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid
vom 23.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2015 ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Lernförderung im
Zeitraum 01.09.2015 bis 29.02.2016 gemäß § 28 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Hierüber
konnte das Gericht gemäß § 105 Abs. 1 durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
19 1. Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Bedarfs für Nachhilfekosten für den Zeitraum 01.09.2015 bis
29.02.2016. Konkret werden Kosten für Nachhilfe in Mathematik, durchgeführt durch eine Nachhilfeschule,
begehrt. In der Vergangenheit fielen Nachhilfekosten in Höhe von 810,-- Euro für einen Halbjahreszeitraum
an (vgl. Seite 89 der Verwaltungsakte).
20 Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende
angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die
nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Zu der
Lernförderung können auch die Kosten für Nachhilfeunterricht gehören (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 28 Rn. 140).
21 Nach Auffassung des Gerichts stellen wesentliche Lernziele der Förderschulen neben der Versetzung in die
nächsthöhere Klassenstufe vor allem auch Ziele im Rahmen einer individuellen Fähigkeitsförderung des
einzelnen Förderschülers dar (vgl. Bildungsplan Förderschule Baden-Württemberg, Stand 17.06.2008).
Dementsprechend werden die schulrechtlichen Bestimmungen durch individuelle Lernziele konkretisiert.
Diese Konkretisierung wurde durch die von der Klägerin überlassenen Förderpläne vorgenommen.
22 Ausgehend hiervon kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine
Mathematik-Nachhilfe nicht geeignet und erforderlich war um das wesentliche Lernziel der besuchten
Förderschule zu erreichen. Dies ist für Februar 2016 bereits dem im Februar 2016 geltenden Förderplan zu
entnehmen. Während im Schuljahr 2014/2015 ein vorrangiger Förderbedarf u.a. im Bereich „Kognition
Mathe“ gesehen wurde, sieht dies der Förderplan für den Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016 nicht mehr
vor. Hierin ist allein eine größere Sorgfalt bei schriftlichen Aufgaben (Rechtschreibung und Satzbildung)
sowie die Konzentration auf Aufgaben vermerkt. Wesentliches Lernziel war daher gerade nicht die
vermehrte Förderung im Bereich Mathematik.
23 Ein im hier streitgegenständlichen Zeitraum September 2015 bis Januar 2016 geltender Förderplan existiert
nach Auskunft der Klägerin nicht. Es liegen lediglich ein Förderplan für das Schuljahr 2014/2015 sowie für
den Zeitraum Februar 2016 bis Juli 2016 vor. Jedoch ist aus der Gesamtschau der vorliegenden Förderpläne
sowie Zeugnisse kein über die schulischen Förderungen hinausgehender Förderbedarf für Mathematik
ersichtlich. Im Fach Mathematik wurde die Klägerin im Schuljahr 2013/2014 noch mit einem „Ausreichend“
in Mathematik benotet, im Schuljahr 2014/2015 hatte sie hingegen eine „befriedigende“ Leistung erzielt.
Das Halbjahreszeugnis 2015/2016 weist eine geringfügige Verschlechterung der Mathematik-Leistungen bei
einer 3-4 aus. Die Versetzung war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Trotz der Verschlechterung im ersten
Halbjahr des Schuljahres 2015/2016 sah die Förderschule im Februar 2016 keine individuellen Lernziele im
Bereich Mathematik vor (siehe Förderplan Februar 2016 bis Juli 2016). Erst recht war dies dann im ersten
Halbjahr des Schuljahres 2015/2016 der Fall, da das vorhergehende Schuljahr mit einer besseren, nämlich
befriedigenden Leistung geendet hatte.
24 Zu keinem anderen Ergebnis führen die überlassenen Berichte des städtischen Klinikums. Allein aus der
Erkrankung Dyskalkulie kann kein Anspruch auf Lernförderung gemäß § 28 Abs. 5 SGB II resultieren. Die
Klägerin besucht aufgrund ihrer Dyskalkulie die Förderschule. Diese ist vorrangig zuständig zur
bedarfsgerechten Förderung im Bereich Mathematik. Nur wenn das wesentliche Lernziel allein durch die
Förderung der Schule gefährdet / nicht erreicht wird, kann die Lernförderung im Rahmen des § 28 Abs. 5
SGB II überhaupt eingreifen. Die Förderung durch die Schule im Bereich Mathematik war jedoch im hier
maßgeblichen Zeitraum ausreichend für die Erreichung der durch die Schule individuell festgelegten
wesentlichen Lernziele (siehe oben).
25 Aufgrund vorstehender Ausführungen hat auch der hilfsweise gestellte Antrag keinen Erfolg und die Klage
war vollumfänglich abzuweisen.
26 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.