Urteil des SozG Karlsruhe vom 14.12.2016

asthma bronchiale, innere medizin, gesetzliche vermutung, neues gebäude

SG Karlsruhe Urteil vom 14.12.2016, S 1 U 3686/15
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4302 - obstruktive
Atemwegserkrankungen - arbeitstechnische Voraussetzung - Lötrauch - Bedeutung von MAK-
bzw. Arbeitsplatzgrenzwerten - Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs -
Ausschluss unversicherter Konkurrenzursachen - gesetzliche Vermutung des
Ursachenzusammenhangs - Energieanlagenelektronikerin
Leitsätze
Die Einhaltung von MAK-Werten steht Anerkennung einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung als
Berufskrankheit nicht entgegen.
§ 9 Abs. 3 SGB VII enthält die gesetzliche Vermutung eines Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen
Einwirkungen und einer Listenerkrankung der Anl. 1 zur BKV beim Ausschluss außerberuflicher, unversicherter
Konkurrenzursachen
Tenor
Der Bescheid vom 17. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2015 wird
aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, bei der Klägerin eine „schwergradige chronische obstruktive Lungenerkrankung
mit chronisch respiratorischer Partialinsuffizienz“ als Berufskrankheit der Nummer 4302 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer chronisch obstruktive Lungenerkrankung als
Berufskrankheit (BK) der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
2
Die 1979 geborene Klägerin absolvierte - eigenen Angaben zufolge - von 1996 bis 2000 eine Ausbildung
zum Elektroinstallateur bei der M. B. mbH. Ab dem 31.10.2000 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit am
24.03.2014 war sie, zunächst für ein Jahr im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses, bei der Firma St.
GmbH, W., einem Unternehmen zur Herstellung von Robotersystemen für die Automobil- und
Zweiradindustrie, als Energie-Anlagenelektronikerin beschäftigt. Ihr Aufgabengebiet umfasste die Montage
elektronischer Steuermodule mittels Einbaus von Schaltern, Steckern, Kabeln und Leitungsummantelungen
in vorgefertigte Metallgehäuse. Die Kontakte waren dabei zum Teil im Weichlötverfahren mit Hilfe eines
elektronischen Kolbenlötgerätes zu verlöten. Bis etwa zum Jahr 2011 kam dabei Röhrenlot auf Blei-Zinn-
Basis zum Einsatz; danach verwendete die Firma St. ein Kupfer-Zinnlot und ein Kupfer-Silber-Zinnlot.
Absaugvorrichtungen am Arbeitsplatz der Klägerin waren nicht vorhanden.
3
Wegen Atemwegsbeschwerden befand sich die Klägerin vom 27.03. bis zum 07.04.2014 in stationärer
Behandlung der Klinik für Innere Medizin 4 der X.-Krankenhäuser, K.. Als Gesundheitsstörung
diagnostizierten die Ärzte eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung Gold IV, Gruppe C, sowie eine
pulmonal arterielle Hypertonie, Klasse III (chronische Lungenerkrankung), außerdem eine chronische
Sensibilisierung auf Vogelfedern und -kot (vgl. Entlassungsbericht vom 07.04.2014). Daran schlossen sich
weitere stationäre und ambulante Maßnahmen der Klägerin in der Klinik für Innere Medizin V des
Universitätsklinikums Y. an (vgl. u.a. Entlassungsbericht vom 10.06.2014). Die dortigen Ärzte erachteten
eine Verursachung einer schweren obstruktiven Ventilationsstörung durch berufliche Expositionen
gegenüber Lötzinn und Ölnebeln für möglich (vgl. Arztbrief vom 26.08.2014) und erstatteten deshalb mit
Schreiben vom 22.07.2014 eine Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer BK. Die Klägerin gab hierzu im
Fragebogen vom 11.09.2014 ergänzend u.a. an, vor rund 10 Jahren seien erstmals Atembeschwerden
aufgetreten. Die Ärzte hätten diese Gesundheitsstörungen jedoch unter der Diagnose eines Asthma
bronchiale behandelt. Die Beschwerden seien besonders während der Arbeit und unter Belastung
aufgetreten und zwischenzeitlich permanent vorhanden. Die Lötarbeiten habe sie täglich über mehrere
Stunden je Arbeitsschicht verrichten müssen.
4
Hierzu leitete die Beklagte weitere medizinische (u.a. Auskunft des Allgemeinmediziners Dr. L., Beizug der
Aktenunterlagen der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
Vorerkrankungsverzeichnis und Entlassungsbericht der Klinik B. R. vom November 2014 >) und
arbeitstechnische Ermittlungen (u.a. Auskunft der Firma St.) ein. Ihr Präventionsdienst führte in seiner
Stellungnahme vom 02.10.2014 zusammenfassend aus, die beim Weichlöten aus Blei und Zinn bzw. den
dabei verwendeten Flussmitteln freigesetzten Gefahrstoffe unterschritten auch bei Arbeiten ohne
Absaugvorrichtungen den Grenzwert für eine Gesundheitsgefährdung in Bezug auf eine Lungenerkrankung.
Der Gewerbearzt Dr. S. verneinte deshalb eine BK der Nr. 4302, weil die Klägerin die erforderlichen
arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfülle (vgl. Stellungnahme vom 15.10.2014). Auf Einwände der
Klägerin, der Präventionsdienst der Beklagten sei von einer arbeitstäglichen Schadstoffbelastung von
lediglich 30 Minuten ausgegangen, während sie tatsächlich 50 % ihrer täglichen Arbeitszeit, teilweise auch
samstags, mit Lötarbeiten verbracht habe, führte der Präventionsdienst am 10.12.2014 ergänzend aus, die
von ihm dargestellten Belastungswerte seien repräsentativ für eine Schichtlänge, mithin auch für
Lötarbeiten von bis zu 50 % je Arbeitsschicht. An dieser Auffassung hielt der Präventionsdienst in seiner
weiteren Stellungnahme vom 11.05.2015 fest. Gestützt auf das Ermittlungsergebnis lehnte die Beklagte die
Anerkennung einer BK der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, die Klägerin sei während
ihrer Berufstätigkeit keinen chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen, die
geeignet gewesen seien, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen. Die Belastungen durch
Arbeitsstoffe, insbesondere durch Blei- und Zinnverbindungen in der Raumluft, hätten deutlich unter den
gültigen Grenzwerten bzw. unter der Nachweisgrenze des Analyseverfahrens gelegen. Auch der Verlauf der
Erkrankung spreche gegen eine berufliche Verursachung. Die Klägerin habe selbst angegeben, die
Schadstoffbelastung sei durch räumliche und technische Änderungen in früheren Jahren höher als zuletzt
gewesen. Bei einer Arbeitsplatz bezogenen Erkrankung wäre jedoch ein Beginn der Erkrankung mit
Beschwerden am Arbeitsplatz zu einem Zeitpunkt zu erwarten gewesen, zu dem die Exposition intensiver
gewesen sei. Außerdem bestehe kein Zwang zur Unterlassung der versicherten Tätigkeit, weil durch
technische Maßnahmen (Einsatz von Lötkolben mit integrierter Absaugung) eine weitere
Schadstoffreduzierung möglich sei (Bescheid vom 17.06.2015, Widerspruchsbescheid vom 22.10.2015).
5
Deswegen hat die Klägerin am 13.11.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der sie ihr
Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, nach Auffassung der sie
behandelnden Ärzte sei ihre Lungenerkrankung ursächlich auf berufliche Schadstoffeinwirkungen
zurückzuführen. Wegen ihrer Lungenfunktionsstörung sei ihr gesundheitliches Leistungsvermögen
inzwischen aufgehoben. Zur Stützung ihres Klagebegehrens legt die Klägerin einen Arztbrief des
Universitätsklinikums Y. vom November 2015 sowie das für den Rentenversicherungsträger erstellte
Gutachten des Internisten Dr. Z. vor.
6
Die Kammer hat zunächst zu Beweiszwecken schriftliche Auskünfte der behandelnden Ärzte der Klägerin als
sachverständige Zeugen eingeholt:
7
Der Internist Dr. B. hat bekundet, er habe die Klägerin wegen einer Rechtsherzbelastung behandelt. Eine
chronische Atemwegserkrankung habe er nicht diagnostiziert. Seine Auskunft hat Dr. B. eigene Arztbriefe
beigefügt.
8
Der Internist und Pneumologe Dr. V. hat über eine schwerste obstruktive Atemwegserkrankung mit
sauerstofflichtiger respiratorischer Insuffizienz und pulmonal-arterieller Hypertonie berichtet. Die Ursache
der obstruktiven Ventilationsstörung sei nicht eindeutig bekannt.
9
Prof. Dr. W., Oberärztin der Klinik für Innere Medizin V des Universitätsklinikums Y., hat ausgeführt, die
Klägerin leide an einer schweren chronischen Atemwegsobstruktion mit sehr leisem Atemgeräusch, einer
deutlich eingeschränkten Lungenfunktion mit Werten zwischen 27% und 35 % des Solls und einem
Residualvolumen von 315 % des Solls als Hinweis für eine ausgeprägte Überblähung. Gleichzeitig beständen
eine ausgeprägte Einschränkung der Diffusionskapazität, eine Hypoxämie und begleitend darüber hinaus
eine schwere präkapilläre pulmonale Hypertonie. Das Krankheitsbild der Klägerin sei ungewöhnlich. Ein
lediglich geringer Nikotinabusus sei angesichts des jungen Alters der Klägerin als Ursache der
Lungenerkrankung auszuschließen. Gleiches gelte für die in der Vergangenheit erfolgte Vogelhaltung. Denn
insoweit wäre keine obstruktive, sondern eine restriktive Ventilationsstörung zu erwarten gewesen. Da
überdies eine Therapie mit oralen Steroiden keine Besserung der Lungenfunktion bewirkt habe, komme
weder eine exogen allergische Alveolitis noch ein Asthma bronchiale als Diagnose in Frage. Ihrer Auskunft
hat Prof. Dr. W. weitere Arztunterlagen, u.a. den eigenen Arztbrief vom Februar 2016, beigefügt.
10 Sodann hat im Auftrag des erkennenden Gerichts von Amts wegen der Internist und Facharzt für Lungen-
und Bronchialheilkunde sowie Arbeitsmedizin Dr. P. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet.
Dieser hat als Gesundheitsstörungen eine schwergradige chronisch obstruktive Lungenerkrankung, eine
chronisch respiratorische Partialinsuffizienz mit Sauerstoff-Langzeittherapie und eine schwergradige
pulmonale Hypertonie diagnostiziert. Diese Gesundheitsstörung sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf
berufliche Schadstoffeinwirkungen der Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Energieanlagenelektronikerin
zurückzuführen. Da hierdurch das gesundheitliche Leistungsvermögen insgesamt aufgehoben sei, sei die
Klägerin auch gezwungen gewesen, wegen ihrer Lungenerkrankung die Tätigkeit als Energie-
Anlagenelektronikerin aufzugeben. Der zunächst als Ursache der Lungenerkrankung geäußerte Verdacht
auf eine sogenannte Vogelhalterlunge habe sich im weiteren Verlauf nicht bestätigt. Auch Zigarettenkonsum
und ein genetischer Defekt seien als Ursache sicher auszuschließen. Schließlich seien auch keine Hinweise
für ein allergisches Asthma bronchiale als Ursache der Lungenerkrankung zu objektivieren. Der Verlauf der
Erkrankung spreche nicht gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Arbeitsplatzexposition
und der Erkrankung. Denn die schwergradige Obstruktion und Lungenüberblähung sei bereits bei
Diagnosestellung nicht reversibel gewesen, was für eine dauerhafte, strukturelle Schädigung der Bronchien
bzw. der Lungen spreche. Zwar sei die genaue Intensität der berufsbedingten Schadstoffexposition der
Klägerin nicht bekannt und lasse sich aus verschiedenen Gründen (Umzug der Firma in ein neues Gebäude
im Jahr 2008, fehlende Unterlagen zu den vor 2011 verwendeten Röhrenloten) auch nicht abschließend
klären. Allerdings sei die Festlegung eines gesundheitlich unbedenklichen unteren Grenzwertes aufgrund
unterschiedlicher individueller Empfindlichkeiten für gleiche Schadstoffdosen nicht möglich. Nach
medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen könnten auch toxisch-irritative Schadstoffexpositionen im
Niedrigkonzentrationsbereich eine arbeitsbedingte Atemwegserkrankung verursachen. Die Unterschreitung
von MAK-Werten für einzelne Stoffe stehe der Annahme der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen
Zusammenhangs hier ebenfalls nicht entgegen. Denn beim Weichlöten entstehe als Lötrauch ein sehr
komplexes Gemisch verschiedener inhalativ-toxisch wirkender Gefahrstoffe, die nicht selten zu
Summationseffekten der schädigenden Stoffe führten. Vor dem Hintergrund des ungewöhnlichen
Krankheitsbildes und -verlaufs mit einer für das Alter der Klägerin sehr ausgeprägten Lungenerkrankung
ohne feststellbare konkurrierende, nicht berufsbedingte Ursache erachte er einen ursächlichen
Zusammenhang für hinreichend wahrscheinlich. An dieser Auffassung hat Dr. P. auf Einwände der Beklagten
in einer ergänzenden Stellungnahme festgehalten.
11 Die Klägerin beantragt,
12 den Bescheid vom 17. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2015
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihre Lungenerkrankung als Berufskrankheit der Nr. 4302 der
Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
13 Die Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Sie erachtet die angefochtenen Bescheide unter Vorlage beratungsärztlicher Stellungnahmen des Facharztes
für Arbeitsmedizin Dr. L. für zutreffend.
16 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes ; zur Zulässigkeit des Wahlrechts der Versicherten zwischen einer
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage und einer Anfechtungs- und Feststellungsklage vgl. u.a. BSG vom
15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -, Rdnr. 13 m.w.N. ) zulässig und begründet. Die angefochtenen
Bescheide sind rechtwidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Zu Unrecht
hat es die Beklagte abgelehnt, die Lungenerkrankung der Klägerin als BK der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV
anzuerkennen.
18
1.
Rechtsgrundlage des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs ist § 9 Abs. 1 S. 1 des
Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - . Danach sind BKen Krankheiten, die die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu
bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen
verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem
Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann
BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder
wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung oder die Verschlimmerung
oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Eine der
in § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII definierten Krankheiten nimmt die BKV mit den sogenannten Listenkrankheiten
vor. Hierzu gehören nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende
Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen. Zusätzliche Voraussetzung dieser BK ist, dass die
obstruktive Atemwegserkrankung zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können.
19 Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem
Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Abs. 1 genannten BK ausgesetzt
waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der
versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit
verursacht worden ist (§ 9 Abs. 3 SGB VII).
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, ist für die
Anerkennung einer Listen-BK (Versicherungsfall; § 7 Abs. 1 SGB VII) erforderlich, dass die Verrichtung einer
grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen,
Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen
eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte
Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung
zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit,
nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall
auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK,
wohl aber für eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. u.a. BSG vom 23.04.2015 - B 2 U
10/14 R -, Rdnr. 10 und BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R -, Rdnr .10, jeweils m.w.N. ).
21
2.
Gemessen daran hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Unrecht abgelehnt, die
Gesundheitsstörung der Klägerin auf lungenfachärztlichem Gebiet als BK der Nr. 4302 anzuerkennen. Für
diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien
Darlegungen des Sachverständigen Dr. P. sowie die damit - im Ergebnis - übereinstimmenden glaubhaften
Bekundungen der sachverständigen Zeugin Prof Dr. W.. Danach erfüllt die Klägerin sowohl die
arbeitstechnischen (dazu nachfolgend unter a)) als auch die arbeitsmedizinischen (dazu nachfolgend unter
b)) Voraussetzungen der streitigen BK Nr. 4302. Schließlich war die Klägerin wegen ihrer berufsbedingten
Atemwegserkrankung gezwungen, ihre versicherte Tätigkeit als Energie-Anlagenelektronikerin aufzugeben
(dazu nachfolgend unter c)).
22
a)
Die Klägerin erfüllt - entgegen der Auffassung der Beklagten - zunächst die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der streitigen BK. Denn sie war nach den Darlegungen des Präventionsdienstes der
Beklagten bei ihrer versicherten Tätigkeit als Energie-Anlagenelektronikerin - konkret: beim Verlöten
elektrischer Kontakte im Rahmen des Schaltschrankbaus - schädigenden Einwirkungen aus dem zum Einsatz
gekommenen Röhrenlot in Form freigesetzter Schadstoffe aus Blei und Zinn sowie seinen Verbindungen,
außerdem Schadenstoffen aus den im Röhrenlot enthaltenen Flussmitteln wie Formaldehyd, Acetaldehyd,
Acrylaldehyd und Butyraldehyd ausgesetzt. Dabei ist mit Dr. P. insbesondere das atemwegsschädigende
Potenzial von Weichlot sowohl auf Zinn- als auch auf Bleibasis bekannt. Wesentliches Problem sind dabei die
verwandten Flussmittel - hier nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am
14.12.2016: Kolophonium, ein in Alkohol gelöstes Harz. Dass nach den weiteren Ausführungen des
Präventionsdienstes selbst unter Berücksichtigung der konkreten räumlichen Verhältnisse am Arbeitsplatz,
der fehlenden Absaugvorrichtungen und eines Zeitanteils der Lötvorgänge von bis zu 50 % je Arbeitsschicht
die MAK-Grenzwerte der einzelnen Gefahrstoffe „deutlich unterschritten“ gewesen seien, steht der
Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht entgegen. Denn diese Angaben des
Präventionsdienstes beruhen schon nicht auf konkreten Messungen am Arbeitsplatz der Klägerin, weshalb
der Kammer eine gerichtsfeste Nachprüfung dieser bloßen Behauptung nicht möglich ist. Entsprechende
Schadstoffmessungen lassen sich im Übrigen auch nicht mehr nachholen. Denn bereits im Jahr 2008 wurden
in dem Produktionsgebäude des früheren Arbeitgebers bauliche Veränderungen bzw. ein Umzug
vorgenommen; außerdem sind mangels konkreter Unterlagen beim früheren Arbeitgeber die bis 2011 zum
Einsatz gekommenen Lötmaterialien nicht mehr konkret feststellbar. Zu Recht weist der Sachverständige Dr.
P. ferner darauf hin, dass arbeitsbedingte Atemwegserkrankungen nach medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnissen auch durch toxisch-irritative Schadstoffe im Niedrigkonzentrationsbereich, d.h. auch
unterhalb der Grenzwerte, verursacht werden können und allmählich zu Krankheitssymptomen führen. Dies
ergibt sich auch aus Nr. 2.8 der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“
und Nr. 2 Abs. 6 der Technischen Regeln 406 für biologische Arbeitsstoffe und Gefahrstoffe „Sensibilisierende
Stoffe für die Atemwege“, denen zufolge die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten für Gefahrstoffe nicht
zuverlässig vor deren sensibilisierender Wirkung schützt (vgl. auch Magiera in Betriebliche Prävention 2016,
S. 466, 467). Der Arbeitsplatzgrenzwert gibt nach der Definition in § 2 Abs. 8 S. 2 der
Gefahrstoffverordnung (BGBl. I 2010 S. 1643) allein an, bis zu welcher Konzentration eines Stoffes akute
oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Beschäftigten „im Allgemeinen“ nicht zu
erwarten sind; er schließt daher schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Einzelfall nicht von vorn
herein aus. Überdies gelten die vom Präventionsdienst der Beklagten hergezogenen MAK-Werte nur für
einzelne Stoffe. Dagegen entsteht im Anschluss an die auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Dr. P.
als Lötrauch ein sehr komplexes Gemisch verschiedener inhalativ-toxisch wirkender Gefahrstoffe, aus dem
nicht selten
Summationseffekte
der verschiedenen schädigenden Arbeitsstoffe reduzieren, die zeitgleich
oder zeitversetzt auftreten. Dies räumt im Ergebnis auch der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. L., ein.
Schließlich setzt die hier streitige BK Nr. 4302 im Tatbestand zu ihrer Anerkennung keine konkrete
Belastungsdosis voraus. Auch das Merkblatt zu dieser BK (vgl. Bekanntmachung des damaligen
Bundesministeriums für Arbeit vom 10.07.1979 in BArbBl. 7/8/1979, S. 74) enthält keine Hinweise für einen
dem entsprechenden medizinischen Konsens. Dort wird zwar unter „I. Gefahrenquellen“ ausgeführt, dass im
Einzelfall Intensität und Dauer der Einwirkung zu berücksichtigen sind, immer aber auch mit der Möglichkeit
einer individuellen Empfindlichkeitssteigerung zu rechnen ist. Vor diesem Hintergrund hegt die Kammer
keine Zweifel, dass die Klägerin die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 4302 erfüllt.
23
b)
Sie leidet darüber hinaus nach den - im Ergebnis - übereinstimmenden Ausführungen des
Sachverständigen Dr. P. wie auch der sachverständigen Zeugin Prof. Dr. W. und Dr. V. an einer schweren
Atemobstruktion mit hochgradiger Einschränkung des FEV 1-Wertes (forciertes Exspirationsvolumen in der
ersten Sekunde) auf 29 % des Sollwertes sowie einer Einschränkung der Vitalkapazität auf 63 % des
Sollwertes; außerdem bestehen eine respiratorische Partialinsuffizienz, d.h. ein erniedrigter
Sauerstoffpartialdruck, und eine schwergradige sekundäre, d.h. als Folge der chronischen Lungenerkrankung
aufgetretene pulmonale Hypertonie. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und unzweifelhaft.
24 Diese Gesundheitsstörungen sind auch - entgegen der Beklagten - mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die
schädigenden Einwirkungen zurückzuführen, denen die Klägerin bei ihrer versicherten Tätigkeit als Energie-
Anlagenelektronikerin ausgesetzt war. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die auch insoweit
überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. P..
25
aa)
Zutreffend führt der gerichtliche Sachverständige aus, dass nach den glaubhaften anamnestischen
Angaben der Klägerin bereits im Jahr 2006 erste Atemwegsbeschwerden aufgetreten waren, die seither im
Wesentlichen unter Einsatz hoher Cortisongaben medikamentös behandelt werden. Dennoch kam es am
Arbeitsplatz und unter Belastung weiterhin zu Atemnotanfällen, die im Frühjahr 2014 deutlich
exazerbierten und zu wiederholten stationären Behandlungen in den X.-Kliniken, K., und dem
Universitätsklinikum Y. wie auch ambulanten Behandlungen führten. Überzeugend hat Dr. P. außerdem
dargelegt, dass außerberufliche Ursachen vorliegend auszuschließen sind: der in den Entlassungsberichten
der X.-Kliniken vom 07.04.2014 und des Universitätsklinikums Y. vom 10.06.2014 zunächst geäußerte
Verdacht auf eine sogenannte Vogelhalterlunge bestätigte sich im weiteren Verlauf der Behandlung nicht.
Denn nach den auch insoweit übereinstimmenden Darlegungen von Dr. P. und Prof. Dr. W. wäre in diesem
Fall keine obstruktive, sondern eine restriktive Ventilationsstörung zu erwarten gewesen. Auch führte die
eingeleitete Therapie mit oralen Steroiden nicht zu einer Besserung der Lungenfunktion - dies selbst nach
Beendigung der vermeintlichen kausalen Exposition, d.h. der Abschaffung der Vögel -, weshalb eine exogen
allergische Alveolitis als Ursache der Lungenerkrankung der Klägerin sicher auszuschließen ist. Die während
des stationären Aufenthaltes in den X.-Kliniken nachgewiesenen gering erhöhten IgG-Antikörper u.a. für
Kanarienvögel, Papagei und Wellensittich besitzen keinen Krankheitswert, sondern belegen nach den
glaubhaften Bekundungen von Prof. Dr. W. und den Darlegungen des Sachverständigen Dr. P. allein, dass die
Klägerin vorübergehend - hier konkret: Ein Jahr lang - Kontakt mit Vögeln hatte. Auch die zu Beginn der
Behandlungsserie stattgefundene bildgebende Diagnostik wie auch das Ergebnis der bronchoalveolären
Lavage belegen keine exogen allergische Alveolitis. Auch hierauf haben Dr. P. und Prof. Dr. W.
übereinstimmend hingewiesen.
26
bb)
Auch ein jahrelanges inhalatives Rauchen als der mit Abstand, d.h. über 90 %, häufigsten Ursache einer
obstruktiven Lungenerkrankung, lag nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht vor. Denn die Klägerin
hat ihren glaubhaften eigenen Angaben zufolge bis Ende des Jahres 2001 nur rund fünf Jahre und nur in
relativ geringem Umfang, d.h. maximal zehn Zigaretten täglich, geraucht. Ein solcher Konsum ist jedoch
nach den - übereinstimmenden - Ausführungen der Dres. P. und V. nicht geeignet, bereits in jungen Jahren
eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung mit einem solch massiven Schaden wie bei der Klägerin
auszulösen.
27
cc)
Weiter bestehen mit Dr. P. aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens keine Anhaltspunkte für
einen genetischen Defekt mit Verminderung des lungenschützenden Alpha-1-Antikrypsins oder für eine
autoimmune Genese. Hierauf hatten bereits die Ärzte der X.- Kliniken, K., im Entlassungsbericht vom
07.04.2014 hingewiesen und einen Alpha-1-Antikrypsinmangel laborchemisch ausgeschlossen.
28
dd)
Auch für ein allergisches Asthma bronchiale als Ursache der Lungenerkrankung ergeben sich mit Dr. P.
keine Hinweise. In diesem Fall wäre zumindest eine teilweise Reversibilität der Einengung der Atemwege
(Obstruktion) zu fordern, die bei der Klägerin jedoch selbst unter hochdosierter Kortison-Therapie nicht
eingetreten war. Auch die nach dem Entlassungsbericht der X.-Kliniken, Karlsruhe, vom April 2014
nachgewiesene fehlende Erhöhung von Stickstoffoxyd (NO) in der Ausatemluft spricht mit Dr. P. gegen das
Vorliegen eines Asthma bronchiale. Schließlich ergeben sich bei der Klägerin weder klinisch noch
laborchemisch Hinweise auf eine einem Asthma zugrundeliegende Allergie; so lag der unspezifische
Allergiemarker IgE z.B. während des Aufenthalts in den X.-Kliniken als auch bei der Untersuchung und
Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. P. mit 27,40 U/ml bzw. 19 kU/l deutlich unterhalb des
Referenzwertes von 100 und waren die während des Heilverfahrens in der Klinik B. R. im Herbst 2014
bestimmten spezifischen Antikörper-Werte für die wichtigsten ubiquitären Allergene wie Pollen,
Hausstaubmilben, Schimmelpilze, Katzen- und Hundeschuppen sämtlich negativ.
29
ee)
Auch eine familiär bedingte Disposition für das Auftreten einer chronisch obstruktive Lungenerkrankung
erachtet die Kammer aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht für erwiesen. Soweit die
Klägerin gegenüber den Ärzten des Universitätsklinikums Y. angegeben hatte, dass Verwandte von ihr
(Tanten) unter Asthma bronchiale litten (vgl. Arztbrief vom 22.04.2016), führt dies schon deshalb zu keinem
anderen Ergebnis, weil zum einen die Klägerin gerade nicht an einem Asthma bronchiale leidet (vgl. insoweit
oben unter dd)), zum anderen nach ihren anamnestischen Angaben gegenüber Dr. P. die Mutter und die
Schwester der Klägerin jeweils gesund sind. Der mit 47 Jahren sehr jung an Lungenkrebs verstorbene Vater
der Klägerin war demgegenüber Raucher und im Braunkohletagebau tätig. Ein möglicherweise schädigendes
Passivrauchen auf Seiten der Klägerin kann deshalb allenfalls für eine sehr kurze Zeit stattgefunden haben
und führte auch nicht zu Atemwegsbeschwerden. Denn vor dem erstmaligen Auftreten von Luftnot etwa im
Jahr 2006 hat die Klägerin ihren glaubhaften anamnestischen Angaben gegenüber Dr. P. zufolge, abgesehen
von gelegentlichen Bronchitiden, nie Lungenprobleme gehabt (vgl. dazu nachfolgend auch unter ff)).
30
ff)
Schließlich enthält auch das vom Beklagten im Verwaltungsverfahren von der Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See beigezogene Vorerkrankungsverzeichnis keinen Hinweis auf eine
außerberufliche Krankheitsursache; vielmehr sind dort für die Zeit von November 1996 bis zum Beginn der
Arbeitsunfähigkeit am 24.03.2014 lediglich fünf jeweils kurzzeitige (2 bis 4, in einem Einzelfall auch 10 Tage)
andauernde Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen akuter Infekte der oberen Luftwege bzw. der Bronchien
vermerkt.
31
gg)
Lassen sich damit Anhaltspunkte für eine Verursachung der schwergradigen
Lungenfunktionserkrankung der Klägerin außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht feststellen, wird bei -
wie hier - Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 3 SGB VII ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen den Einwirkungen infolge der versicherten Tätigkeit und einer
Gesundheitsstörung im Sinne einer Listenerkrankung der BKV vermutet.
32 Diese Vermutung wird durch den Verlauf der Krankheit der Klägerin nicht widerlegt, wie der
Sachverständige Dr. P. auch insoweit zutreffend dargelegt hat. Denn - entgegen den Bekundungen der
sachverständigen Zeugin Prof. Dr. W. - ist es selbst nach Aufgabe der versicherten Tätigkeit im März 2014 zu
keiner signifikanten Verbesserung der Lungenfunktion gekommen; vielmehr zeigen die seither bei
verschiedenen Untersuchungen, Heilbehandlungen und Begutachtungen erhobenen
Lungenfunktionsparameter nur geringe Schwankungen. Dies belegt, dass die schwergradige Obstruktion
und Lungenüberblähung bereits im Zeitpunkt der Diagnosestellung im März 2014 nicht mehr reversibel war.
Dies spricht mit Dr. P. für eine dauerhafte, strukturelle Schädigung der Bronchien bzw. der Lunge. Unter
Auswertung medizinisch-wissenschaftlicher Fachliteratur weist der Sachverständige überdies darauf hin,
dass eine durch chemisch-irritativ und toxisch wirkende Stoffe verursachte allmähliche strukturelle und nicht
reversible Schädigung der Lunge und der Bronchien nicht ungewöhnlich ist. Auch der Umstand, dass die aus
der schwergradigen Lungenerkrankung resultierende Symptomatik erst zu einem Zeitpunkt aufgetreten ist,
als mit Blick auf die Verwendung anderer Lotsubstanzen seit 2012 eine im Vergleich zu früher niedrigere
Schadstoff-Exposition vorlag, spricht nicht gegen einen Kausalzusammenhang zwischen berufsbedingten
Schadstoffexpositionen und der Lungenerkrankung. Insbesondere ist - dies räumt auch der Beratungsarzt
der Beklagten, Dr. L., ein - nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen ein direkter Arbeitsbezug der
Beschwerden bei einer chronischen Lungenerkrankung nicht zwingend. Denn - hierauf weist Dr. P.
zutreffend hin - selbst bei einer schweren chronisch obstruktive Lungenerkrankung können lange keine oder
nur geringe klinisch fassbare Symptome bestehen und erst spät, oft erst mit dem Auftreten von
Folgekomplikationen (im Fall der Klägerin dem Auftreten einer Hypoxämie und einer dadurch bedingten
sekundären pulmonalen Hypertonie) relativ rasch zu einer dramatischen klinischen Verschlechterung führen.
Überdies spricht auch der Umstand, dass seit dem Ende der beruflichen Schadstoffexposition im März 2014
keine weitere Verschlechterung der Lungenfunktion eingetreten ist, mit Dr. P. für die Wahrscheinlichkeit
eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Lungenerkrankung und beruflichen Expositionen.
33
c)
Schließlich war die Klägerin wegen der Folgen ihrer berufsbedingten Lungenerkrankung auch gezwungen,
mit Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit am 24.03.2014 die schädigende Tätigkeit als
Energieanlagenelektronikerin zu unterlassen. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer außer den auch
insoweit überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. P. bereits aus dem Arztbrief des
Universitätsklinikums Y. vom 04.11.2015, dem zufolge die Klägerin „später keinerlei beruflicher
Schadstoffexposition ausgesetzt sein (sollte)“. Aus dem für den Rentenversicherungsträger erstellten
Gutachten des Internisten Dr. Z. ergibt sich überdies, dass eine wesentliche Besserung der
lungenfunktionellen Befunde eher nicht zu erwarten ist und selbst für körperlich leichte Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes ein gesundheitliches Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden bestand,
weshalb die Klägerin derzeit - befristet bis März 2017 - Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung
erhält. Bestätigt wird der Unterlassungszwang außerdem durch die glaubhaften Bekundungen der
sachverständigen Zeugin Prof. Dr. W., denen zufolge die Klägerin keinerlei beruflichen Schadstoffbelastungen
ausgesetzt werden darf.
34
3.
Anders ist auch nicht aufgrund der beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. L. zu entscheiden. Denn
dessen Ausführungen erachtet die Kammer aufgrund der überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen
Dr. P. in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme als widerlegt. Überdies hat Dr. P. -
anders als Dr. L. - die Klägerin persönlich untersucht und begutachtet, weshalb das Gericht seinen
Darlegungen einen höheren Beweiswert zumisst.
35
4.
Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und war dem Begehren der
Klägerin in vollem Umfang stattzugeben.
36 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.