Urteil des SozG Karlsruhe vom 16.10.2015

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SG Karlsruhe Urteil vom 16.10.2015, S 1 U 2199/14
Gesetzliche Unfallversicherung - BK 2108 - arbeitsmedizinische Voraussetzung -
ursächlicher Zusammenhang - Konsensempfehlungen - Konstellation B5 - Kfz-
Mechaniker
Leitsätze
Bei der Befundkonstellation B5 iSd weiterhin maßgebenden Konsensempfehlungen
ist der ursächliche Zusammenhang zwischen berufsbedingten Einwirkungen und
Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule nicht wahrscheinlich.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens um die
Feststellung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule als
Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV).
2 Der 1964 geborene Kläger erlernte von September 1981 bis Juli 1984 den Beruf
des Blechschlossers. Anschließend war er für 2 Monate bei einer Firma im
Segelflugzeugbau beschäftigt. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes (von Juli
1985 bis Mai 1989) arbeitete der Kläger von Juni 1989 bis zum Eintritt von
Arbeitsunfähigkeit im März 2011 - mit Unterbrechungen - bei einer Vielzahl
verschiedener Arbeitgeber überwiegend als Kfz-Mechaniker. Seinen Angaben
zufolge musste er dabei auch schwer heben und tragen.
3 Im Zusammenhang mit der Einleitung eines Feststellungsverfahrens zu einem vom
Kläger geltend gemachten Arbeitsunfall vom März 2011 leitete die Beklagte
Ermittlungen zu einer eventuell berufsbedingten Erkrankung der
Lendenwirbelsäule ein. Gestützt auf eine Stellungnahme ihres
Präventionsdienstes und eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. lehnte
sie die Anerkennung von BKen nach den Nrn. 2108 (Lendenwirbelsäule) und 2109
(Halswirbelsäule) der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der Kläger erfülle
zu beiden BKen bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht (Bescheid
vom 19.03.2012). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
4 Am 30.06.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, den Bescheid vom
19.03.2012 zurück zu nehmen und seine Gesundheitsstörungen im Bereich der
Lendenwirbelsäule als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Hierzu trug er
ergänzend vor, er habe im Jahr 2012 während der Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit
einen weiteren Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule erlitten. In Bezug
auf seine Arbeitsbelastungen habe die Beklagte im früheren Verwaltungsverfahren
nicht sämtliche Betriebe ermittelt und berücksichtigt. Auch habe er deutlich mehr
und schwerer gehoben als der Präventionsdienst der Beklagten berücksichtigt
habe. Mit Schreiben vom 11.07.2013, von der Beklagten in der Folgezeit als
Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 19.03.2012 gewertet, wies die
Beklagte den Kläger darauf hin, ihr Präventionsdienst habe in seiner
Stellungnahme vom Dezember 2011 sämtliche Beschäftigungsverhältnisse und
Arbeitsbelastungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ausreichend berücksichtigt.
Danach ergebe sich eine Gesamtbelastungsdosis von lediglich 7,3 x 106 Nh.
Damit erfülle der Kläger bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur
Anerkennung einer BK der Nr. 2108 nicht.
5 Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren trug der Kläger u.a. vor, er leide an
ständigen Beschwerden in allen Abschnitten der Wirbelsäule. Diese führe er auf
seine beruflichen Belastungen als Kfz-Mechaniker zurück. Bei diesen Tätigkeiten
habe er vielfach in gebeugter Haltung und in der Hocke arbeiten und aus
gebeugter Haltung heraus Gegenstände anheben müssen. Die Beklagte zog das
Vorerkrankungsverzeichnis der AOK K. sowie Behandlungsunterlagen des
Chirurgen Dr. Sch. (u.a. Arztbriefe der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Xl
über MRT-Aufnahmen der Lendenwirbelsäule des Klägers vom März 2012 und
vom Juli 2013 sowie MRT-Aufnahmen der Halswirbelsäule des Klägers vom März
und August 2013) bei. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme der
Chirurgin Dr. H. hielt die Beklagte an der Bestandskraft des Bescheides vom
19.03.2012 fest, lehnte dessen Rücknahme ab und wies den Widerspruch des
Klägers zurück: Mit einer Gesamtbelastungsdosis von 7,3 MNh erfülle der Kläger
bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK nicht, da der
Richtwert von 12,5 MNh deutlich unterschritten sei. Unabhängig davon lägen auch
die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung von
Gesundheitsstörungen der Lendenwirbelsäule als Folge der BK Nr. 2108 nicht vor.
Denn mit einem Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 und winzigen Protrusionen
in den übrigen Segmenten (L1 bis L4) bestehe kein für die BK 2108
belastungskonformes Schadensbild. Überdies seien die Veränderungen an der
Halswirbelsäule des Klägers deutlich stärker ausgeprägt als an der
Lendenwirbelsäule. Auch dies spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen berufsbedingten Belastungen und den radiologisch nachgewiesenen
LWS-Veränderungen (Widerspruchsbescheid vom 04.06.2014).
6 Deswegen hat der Kläger am 01.07.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe
erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er erfülle sowohl die
arbeitstechnischen als auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die
Feststellung der streitigen BK. Während seiner 18 ½ jährigen Tätigkeit als Kfz-
Mechaniker habe er ca. 1.800 Fahrzeuge repariert. Dabei habe er oft in gebückter,
kniender oder hockender Haltung arbeiten und dabei schwere Werkzeuge
verwenden müssen. Im Rahmen der Ermittlung der Gesamtbelastungsdosis habe
der Präventionsdienst der Beklagten insbesondere die durch
Unfallinstandsetzungen aufgetretenen Arbeitsbelastungen unberücksichtigt
gelassen. Er habe bereits seit vielen Jahren Probleme mit der unteren
Lendenwirbelsäule und entsprechenden Ausfallzeiten in den Betrieben. Von der
Beklagten geforderte Begleitspondylosen seien für ein belastungskonformes
Schadensbild nicht erforderlich; insoweit bestehe zwischen den Experten gerade
kein Konsens.
7 Die Kammer hat zu Beweiszwecken aus einem Parallelrechtsstreit des Klägers
beim Sozialgericht Karlsruhe (S 4 U xxx/12) die dort erstellten Gutachten der
Orthopäden Dres. C. und M. sowie im Berufungsverfahren vor dem
Landessozialgericht Baden-Württemberg (L 1 U 5330/13) vorgelegten
Arztunterlagen beigezogen. Außerdem hat die Kammer die Allgemeinmedizinerin
F. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat weitere Arztunterlagen
und einen Auszug aus ihrer Patientenkartei beigefügt. Weiter hat das Gericht zu
den arbeitstechnischen Voraussetzungen Auskünfte des Autohauses R. KG, R.,
der Fa. C.-Meisterwerkstatt, K.-N., des Autohauses F. GmbH, Br., und der Fa. Auto-
R., G.-N., eingeholt.
8 Sodann hat im Auftrag des Gerichts der Orthopäde Dr. Ma. ein medizinisches
Sachverständigengutachten erstattet. Dr. Ma. hat an der Lendenwirbelsäule einen
verbleibenden Finger-Boden-Abstand von 10 cm bei der Rumpfbeuge nach vorn
sowie einen auf 10/13 cm eingeschränkten Schober-Index erhoben. Die
Rückbeuge, Seitneige und die Rumpfrotation hätten jeweils im Normbereich
gelegen. Die Nervendehnzeichen nach Lasègue und Bragard seien negativ
gewesen. Bei der segmentalen Untersuchung der Lendenwirbelsäule habe er eine
Hypomobilität im Segment L4/5 objektiviert. Radiologisch zeige sich in diesem
Segment ein Bandscheibenvorfall bei erstgradiger Chondrose; die übrigen
Bandscheibensegmente wiesen keine nennenswerte Chondrose auf. Der
Flüssigkeitsgehalt der Bandscheiben sei zwar etwas reduziert, eine sog. black disc
sei jedoch nicht zu objektivieren. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung und
Begutachtung habe er auch keine Hinweiszeichen auf eine
Nervenwurzelreizerscheinung erhoben. Der Kläger leide an einer Funktionsstörung
der Halswirbelsäule und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der
Lendenwirbelsäule. Die Gesundheitsstörung an der Lendenwirbelsäule sei nicht
mit Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Belastungen verursacht. Dagegen
sprächen bereits die deutlich stärker ausgeprägten Bandscheibenveränderungen
an der Halswirbelsäule. Das Ausmaß der Bandscheibenerkrankung im Bereich der
Lendenwirbelsäule stelle die klassische Manifestation einer schicksalhaften
Genese dar. Der Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. H. stimme er zu. An
diesem Ergebnis hat Dr. Ma. in Kenntnis der Einwendungen des Klägers in einer
ergänzenden Stellungnahme festgehalten.
9 Der Kläger beantragt,
10 den Bescheid vom 11. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Rücknahme des
Bescheides vom 19. März 2012 seine Gesundheitsstörungen an der
Lendenwirbelsäule als Folge einer Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
11 Die Beklagte beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
14 Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der
Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1
Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes ) zulässig, aber unbegründet. Die
angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in
seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat die Beklagte an der
Bestandskraft ihres Bescheides vom 19.03.2012 festgehalten und dessen
Rücknahme abgelehnt, denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig.
16
1.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren
und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei
Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurück zu nehmen und durch einen zutreffenden Verwaltungsakt
zu ersetzen.
17
2.
Hier liegen diese Voraussetzungen nicht vor, denn bei Erlass des Bescheides
vom 19.03.2012 hat die Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch ist
sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich im Nachhinein als unrichtig
erweist.
18 Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB
VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind die Krankheiten,
die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den
Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet
(§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Bezeichnung nimmt die BKV mit den so
genannten Listenkrankheiten vor. Hierzu gehören nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch
langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit
in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
Krankheit ursächlich waren oder sein können.
19 Wie bei einem Arbeitsunfall müssen auch bei einer BK die
anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit
u.a. auch die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die Krankheit
gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG
SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.), während für den ursächlichen
Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die
hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl.
u.a. BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; SozR 4-5671 Anl. 1 Nr.
4104 Nr. 2 und vom 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - sowie LSG Baden-Württemberg
vom 12.09.2006 - L 9 U 393/05 - und vom 17.09.2007 - L 1 U 733/07 -
Juris>). Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn
nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach
der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als
gegen ihn spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang
sprechenden Gründe zumindest deutlich überwiegen (ständige Rechtsprechung,
vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG, USK 96, 98; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und
a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - ).
20
3.
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten sowie bei
Anwendung dieser Maßstäbe hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, die
Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers als Folge einer BK der Nr.
2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen. Denn insoweit ist ein ursächlicher
Zusammenhang mit beruflichen Einwirkungen durch das Heben und Tragen
schwerer Lasten oder durch Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung nicht
wahrscheinlich zu machen. Dies steht auch zur Überzeugung der Kammer - wie
bereits der Beklagten - fest aufgrund der wohlbegründeten, kompetenten und
widerspruchsfreien Darlegungen des Sachverständigen Dr. Ma..
21
a)
Zur Überzeugung der Kammer erfüllt der Kläger bereits nicht die
arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK. Denn nach der
Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten war er während der Dauer
seiner Erwerbstätigkeit insbesondere als Kfz-Mechaniker lediglich einer
Gesamtbelastungsdosis von 7,3 x 106 Nh ausgesetzt. Seinen Ermittlungen hat der
Präventionsdienst die Vorgaben des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD)
zugrunde gelegt. Dieses ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG), der die Kammer folgt, jedenfalls in der aufgrund der Ergebnisse der
Deutschen Wirbelsäulenstudie I modifizierten Form (vgl. hierzu BSG vom
30.10.2007 - B 2 U 4/06 R -, Rn. 25 ) ein geeigneter Maßstab zur
Konkretisierung und Ermittlung der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen
Voraussetzungen der hier streitigen BK (vgl. BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R
-, Rn. 17 m.w.N. und Rn. 20 sowie LSG Baden-Württemberg vom
19.01.2015 - L 8 U 1356/14 - ). Denn es beruht auf Vorgaben,
die ihrerseits wiederum medizinische Erfahrungstatsachen sind, die sich an
epidemiologischen Studien über besonders belastete Berufe orientieren (vgl. BSG
SozR 4-2700 § 9 Nr. 1; BSG vom 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - und vom 10.01.2005
- B 2 U 31/04 R - ). Mit einer Gesamtbelastungsdosis von (nur) 7,3 x
106 Nh erreicht der Kläger indes nicht einmal annähernd den nach dem
modifizierten MDD erforderlichen Richtwert von 12,5 x 106 Nh. Hieran ändern auch
die glaubhaften Bekundungen der vom Gericht ergänzend befragten früheren
Arbeitgeber des Klägers nichts. Denn die von diesen mitgeteilten
Beschäftigungszeiten wie auch die dabei angefallenen beruflichen Hebe- und
Tragbelastungen hat der Präventionsdienst der Beklagten vollständig und
zutreffend mitberücksichtigt.
22
b)
Der Kläger erfüllt überdies auch nicht die arbeitsmedizinischen
Voraussetzungen der streitigen BK. Im Anschluss an die wohlbegründeten,
kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen des Dr. Ma. ist das erkennende
Gericht nach kritischer Würdigung der von dem gerichtlichen Sachverständigen
erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen davon überzeugt, dass die
Veränderungen an der Lendenwirbelsäule des Klägers die klassische
Manifestation einer lumbalen Bandscheibenerkrankung schicksalhafter Genese
darstellen. Zwar leidet der Kläger an einem Bandscheibenvorfall bei erstgradiger
Chondrose im Segment L4/5. Dem gegenüber weisen die übrigen Segmente der
Lendenwirbelsäule keine wesentlichen bandscheibenbedingten Veränderungen
auf. So hat der Radiologe Dr. R. in seinem Arztbrief vom 08.07.2013 keine
relevante Skelettläsion der Lenden- und Sakralwirbelkörper objektiviert. Die
Zwischenwirbelräume waren insgesamt erhalten bei unwesentlichen
Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten L2 bis L4 und L5/S1. Mit Dr. Ma.
sind wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren und insbesondere eine
Begleitspondylose, d.h. vordere und seitliche Randzackenbildungen an den
Wirbelkörpern im nicht von dem Bandscheibenvorfall betroffenen Segment über
wenigstens 2 weitere Segmente hinaus (vgl. hierzu „Medizinische
Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der
Lendenwirbelsäule“ (Konsensempfehlungen) in Trauma und Berufskrankheit, Heft
3 2005, Seite 211 ff., 216 f.), nicht zu objektivieren.
23 Die in Betracht kommenden Fallkonstellationen für eine
Zusammenhangsbeurteilung der BK 2108 sind in den Konsensempfehlungen
abschließend umschrieben. Für sämtliche Befundkonstellationen wird dort
vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer
Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als
Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine
Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1), gilt der Zusammenhang als
wahrscheinlich (vgl. Konsensempfehlungen Seite 217). Liegt hingegen - wie hier -
keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den
Konsensempfehlungen u.a. dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine
Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht
(Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt). Alternativ
müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im
Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black
discs" (= Austrocknung des Gallertkerns der Bandscheiben) vorliegen
(Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt). Als weitere
Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer
besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als „Anhaltspunkt“ das Erreichen
des „Richtwertes für die Lebensdosis“ in weniger als 10 Jahren
(Befundkonstellation "B2", 2. Spiegelstrich - 2. Zusatzkriterium) gilt, oder eines
besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen, wofür als
„Anhaltspunkt“ das Erreichen der Hälfte des „MDD-Tagesdosis-Richtwertes“ durch
hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN, Männer ab 6 kN)
(Befundkonstellation "B2", 3. Spiegelstrich - 3. Zusatzkriterium) verlangt wird (vgl.
Konsensempfehlungen Seite 217).
24 Für das Erkrankungsbild des Klägers käme angesichts des nachgewiesenen
Bandscheibenvorfalls im Segment L4/5 danach zwar grds. die Befundkonstellation
„B2“ der Konsensempfehlungen in Betracht. Jedoch liegt mit dem
Sachverständigen Dr. Ma. keines der zur Bejahung eines ursächlichen
Zusammenhangs mit berufsbedingten Belastungen erforderlichen Zusatzkriterien
vor: Weder finden sich in den Kernspintomogrammaufnahmen der
Lendenwirbelsäule des Klägers Nachweise sog. black discs noch ergibt sich aus
den Bekundungen der vom Gericht gehörten ehemaligen Arbeitgeber des Klägers
ein Anhalt für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe
Belastungsspitzen. Denn die früheren Arbeitgeber haben überwiegend (Firmen R.
KG, C. Meisterwerkstatt und Autohaus F.) Hebe- und Tragebelastungen mit
Gewichten von allenfalls 15 kg in nur geringem zeitlichen Umfang (bis etwa 8mal je
Arbeitsschicht) bestätigt. Die höheren Belastungen während der
Beschäftigungszeiten bei der Fa. Auto-R. erstreckten sich ersichtlich auf die
zweimal jährliche Radwechselsaison und stellten deshalb ebenfalls kein
besonderes Gefährdungspotential i.S.d. Konsensempfehlungen dar.
25
c)
Im Anschluss an die auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Dr. Ma.
leidet der Kläger neben den Veränderungen an der Lendenwirbelsäule auch an
Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule im Sinne ausgeprägter degenerativer
Veränderungen bei flacher linkskonvexer Skoliose und Streckfehlhaltung,
Retrospondylophytenbildungen in den Segmenten C4 bis C6 mit Einengung des
Spinalkanals und multisegmentalen Bandscheibenprotrusionen in den Segmenten
C3 bis C7, schwerpunktmäßig im Segment C5/6. Diese radiologisch
nachgewiesenen Veränderungen sind damit stärker ausgeprägt als die
Bandscheibenveränderungen an der Lendenwirbelsäule. Sie führen nach den von
Dr. Ma. erhobenen klinischen Befunden überdies zu einer deutlichen
Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule in allen Bewegungsebenen.
Diese Veränderungen sind jedoch nicht Folge beruflicher Belastungen,
insbesondere nicht im Sinne einer BK der Nr. 2109, wie die Beklagte durch den
Bescheid vom 19.03.2012 bereits bestandskräftig entschieden hat.
26
d)
Deshalb sind die Veränderungen der Wirbelsäule des Klägers der
Befundkonstellation „B5“ der Konsensempfehlungen zuzuordnen und ist ein
ursächlicher Zusammenhang mit berufsbedingten Belastungen nicht
wahrscheinlich zu machen (vgl. Konsensempfehlungen Seite 218). Hierauf haben
Dr. Ma. und die Beratungsärztin Dr. H. - im Ergebnis - übereinstimmend und
zutreffend hingewiesen.
27
e)
Bestätigt sieht die Kammer dieses Ergebnis durch das im Verfahren S 4 U
xxxx/12 erstellte Gutachten des Orthopäden Dr. C. vom 06.11.2012. Denn diesem
gegenüber hat der Kläger u.a. angegeben, im März 2012 sei „ohne ersichtliche
Ursache an der Lendenwirbelsäule“ ein weiterer (gemeint: zusätzlich zu den
Bandscheibenvorwölbungen an der Halswirbelsäule) Bandscheibenvorfall
aufgetreten; außerdem leide er bereits seit seinem 25. Lebensjahr an
Lendenwirbelsäulenbeschwerden. Zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Jahr 1988/89, war
der Kläger indes noch keinen - wie erforderlich - langjährigen, d.h. wenigstens 10
Jahre andauernden (vgl. hierzu Abschnitt IV des vom Bundesministerium für Arbeit
und Soziales herausgegebenen Merkblatts zur BK Nr. 2108 vom 01.09.2006
sowie BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, Rn. 14
m.w.N. ), beruflichen Belastungen durch schweres Heben und Tragen
ausgesetzt. Weiter hat der Kläger bei der Aufnahmeuntersuchung zu einem
Heilverfahren in den St. Rochus-Kliniken, Bad Schönborn, im Juni 2011 u.a.
angegeben, er leide bereits seit seinem 14. Lebensjahr an rezidivierenden
Beschwerden im Bereich
aller
Abschnitte der Wirbelsäule mit allmählicher
Progredienz seit 20 Jahren. Auch dies spricht gegen die Wahrscheinlichkeit des
ursächlichen Zusammenhangs zwischen den von Dr. Ma. objektivierten
Gesundheitsstörungen an der Lendenwirbelsäule und berufsbedingten
Belastungen.
28
4.
Damit erfüllt der Kläger weder die arbeitstechnischen noch die
arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die von ihm begehrte Feststellung
nicht. Der Bescheid vom 19.03.2012 ist aus eben diesen Gründen rechtmäßig,
weshalb die Beklagte durch die vorliegend angefochtenen Bescheide zu Recht
dessen Rücknahme abgelehnt hat. Daher musste das Begehren des Klägers
erfolglos bleiben.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.