Urteil des SozG Karlsruhe vom 24.02.2011

SozG Karlsruhe: grobe fahrlässigkeit, anrechenbares einkommen, verwaltungsakt, rücknahme, schenker, rückforderung, verfügung, zuwendung, herausgabe, heizung

SG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2011, S 4 AS 276/09
Rücknahme und Erstattung von Grundsicherungsleistungen; zweckbestimmte Einnahmen - Teil-Finanzierung von Bestattungskosten des
Vaters durch nichteheliches Kleinkind
Tenor
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2009
wird aufgehoben, soweit damit die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1.
November 2006 bis zum 31. Oktober 2008 von mehr als 1.403,20 EUR zurückgenommen und zurückgefordert werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid der Beklagten betreffend bewilligte laufende Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Oktober 2008.
2
Die ... geborene Klägerin bezog zusammen mit ihrer 2003 geborenen Tochter seit dem 1. Januar 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Beklagen. Mit Bescheiden vom 7. August 2006, 1. Februar 2007, 29. Mai 2007, 3. August 2007, 12.
Oktober 2007, 30. Januar 2008 und 24. Juli 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Höhe der bezogenen Leistungen war zwischen den Beteiligten nicht
umstritten. Den Leistungsbewilligungen der Beklagten lagen von der Klägerin jeweils vollständig ausgefüllte und unterschriebene
Formblattformularanträge auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor. Darin hatte die Klägerin
unter den Antragsdaten - 22. Juli 2006, 22. Januar 2007, 22. Juli 2007, 18. Januar 2008 und 22. Juli 2008 - jeweils angegeben, in ihren
Einkommens- und Vermögensverhältnissen habe sich nichts geändert. Diese Angabe bezog sich auf den Erstbewilligungsantrag der Klägerin
vom 11. September 2004, in dem die Klägerin ausdrücklich angegeben habe, für sich und die in ihrem Haushalt lebende Tochter jenseits der
Leistungen der Beklagten keine weiteren Einkommens- und Vermögensquellen zu haben.
3
Unter dem 19. September 2008 hörte die Beklagte die Klägerin schriftlich dazu an, dass ihr im Rahmen des automatisierten Datenabgleichs nach
§ 52 SGB II gemeldet worden sei, die Tochter der Klägerin habe im Jahre 2007 Kapitalerträge in Höhe von 104,-- EUR erzielt. Diese Tatsache sei
dem Grundsicherungsträger bisher nicht bekannt gewesen. Im Rahmen der Selbsthilfe seien Einkommen und Vermögen zur Sicherung des
Lebensunterhalts vorrangig einzusetzen. Dementsprechend sei der Leistungsbezieher verpflichtet, Einkünfte und Vermögenswerte vor und
während des Bezugs von laufenden Leistungen nach dem SGB II dem Grundsicherungsträger bekannt zu geben. Daher werde die Klägerin
aufgefordert, ihr Vermögen und das ihrer Tochter, das sie aufgrund der Datenabgleichsmeldung gehabt habe oder habe, lückenlos zu belegen.
4
Daraufhin legte die Klägerin der Beklagten am 30. September 2008 die für ihre Tochter bei der Bank bestehenden Sparverträge offen. Danach
verfügte die Tochter der Klägerin am 25. September 2009 über ein Nettosparvermögen in Höhe von 4.937,98 EUR, bestehend aus 3.000,-- EUR
Festgeld (Kontonummer ), 1.575,38 EUR Sparmonster (Kontonummer ) und ein Jugendsparbuch mit einem Vermögenswert von 362,60 EUR
(Kontonummer ). Zur Erläuterung führte die Klägerin aus, die Sparverträge zugunsten ihrer Tochter seien von Verwandten zur späteren Vorsorge
(z. B. Schulbildung) einmalig angelegt worden. Es werde gebeten, das Versäumnis der Meldepflicht zu entschuldigen. Die Gelder seien nicht als
Vermögen angesehen worden.
5
Auf Aufforderung der Beklagten legte die Klägerin sodann eine weitere Bescheinigung der Bank. vom 22. Oktober 2008 vor. Darin teilte die Bank
folgende Kontostände der Tochter der Klägerin mit:
6
Konto-Nr.
01.03.2006
01.09.2006
01.03.2007
01.09.2007
01.03.2008
12,57 EUR
12,57 EUR
1.744,15 EUR
3.244,15 EUR
3.362,60 EUR
0,00 EUR
0,00 EUR
1.511,16 EUR
1.511,16 EUR
1.575,38 EUR
7
Mit weiterem Schreiben vom 11. November 2008 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme und Rückforderung überzahlter
laufender Leistungen der Grundsicherung wegen Einkommenszuflusses im Zeitraum zwischen dem 1. November 2006 und dem 31. Oktober
2008 in Höhe von 3.581,58 EUR an. Außerdem zog die Beklagte eine weitere Auskunft betreffend der Sparkonten der Tochter bei der Bank ein.
Auf die Anfrage der Beklagten teilte die Bank dieser unter dem 4. November 2008 eine Übersicht über die Konten der Tochter der Klägerin Stand
zum 1. Januar 2005, zum 1. August 2006, zum 1. Januar 2007 und zum 1. Januar 2008 mit. Danach belief sich das Sparvermögen der Tochter
der Klägerin auf folgende Werte:
8
Übersicht per 01.01.2005
Kto.-Nr. .........:
10,00 EUR (H)
Übersicht per 01.08.2006
Kto.-Nr. ...........
12,57 EUR (H)
Übersicht per 01.01.2007
Kto.-Nr. ............
614,15 EUR (H)
Übersicht per 01.01.2008
Kto.-Nr. ....
3.362,60 EUR (H)
Kto.-Nr. ....
1.575,38 EUR (H)
9
Anlässlich eines persönlichen Gespräches der Klägerin mit einer Mitarbeiterin der Beklagten am 27.11.2008 gab die Klägerin an, dass es sich
bei dem ihr jetzt vorgehaltenen Geld um Zuwendungen von Verwandten für ihre Tochter handele. Sie müsse das Geld wieder zurückgeben,
wenn die Beklagte es von ihr zurückfordere. Ihre Verwandtschaft unterstütze ja nicht den Staat.
10 Mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 hob die Beklagte dann ihre Bewilligungsentscheidungen betreffend laufende Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts vom 7. August 2006, 1. Februar 2007, 29. Mai 2007, 3. August 2007, 12. Oktober 2007, 30. Januar 2008 und 24. Juni 2008
für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. August 2007 teilweise und ab dem 1. September 2007 für die Klägerin und ihre Tochter
ganz auf.
11
Leistungen für die Klägerin
Erstattungszeitraum: 01.11.2006 - 31.10.2008
Arbeitslosengeld II (Regelleistung)
601,17 EUR
Mehrbedarfe für Alleinerziehende
215,66 EUR
Leistungen für Unterkunft und Heizung
1.877,62 EUR
Summe Zeitraum:
2.694,45 EUR
Leistungen für die Tochter
Erstattungszeitraum : 01.11.2006 - 31.10.2008
Leistungen für Unterkunft und Heizung
874,14 EUR
Es ergibt sich somit eine Gesamtforderung in Höhe von:
3.568,59 EUR
12 Zur Begründung hieß es, die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Klägerin in ihren Anträgen zur Bewilligung von Leistungen nach dem
SGB II zumindest grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe, indem sie Aufwendungen Dritter zugunsten ihrer Tochter
dem Grundsicherungsträger nicht angezeigt habe.
13 Den dagegen am 23. Dezember 2008 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2009
unter Abhilfe des Betrages von 665,39 EUR für den Zeitraum vom 1. Juni 2008 bis zum 31. August 2008, der nicht zu erstatten sei, als
unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es, die Tochter der Klägerin habe am 27. Oktober 2006 eine Gutschrift in Höhe von insgesamt 1.600,--
EUR (1.500,-- EUR und 100,-- EUR), am 8. Dezember 2006 und am 11. Mai 2007 jeweils weitere Gutschriften in Höhe von 1.500,-- EUR erhalten.
Aufgrund des laufenden Leistungsbezuges nach dem SGB II zu dieser Zeit handele es sich bei diesen Gutschriften um einmalige Einnahmen.
Einmalige Einnahmen seien auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen,
soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt sei. Sei eine einmalige Einnahme in erheblicher Höhe anzurechnen, komme auch ein
vollständiger Leistungsausschluss in Betracht. Der angemessene Zeitraum sei nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzen. Er solle
grundsätzlich aber so kurz wie möglich gehalten werden. Seien Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden, sei die
Anrechnung in der Regel ab dem auf den Zufluss folgenden Monat vorzunehmen. Die Anrechnung der am 27. Oktober 2006 zugeflossenen
1.600,-- EUR erfolge somit ab dem 1. November 2006 in monatlichen Teilbeträgen zu 133,33 EUR. Die Anrechnung der am 8. Dezember 2006
zugeflossenen 1.500,-- EUR erfolge nach dem 1. Januar 2007 in monatlichen Teilbeträgen zu 125,-- EUR, während die Anrechnung der am 11.
Mai 2007 zugeflossenen weiteren 1.500,-- EUR ab dem 1. Juni 2007 in monatlichen Teilbeträgen zu 125,-- EUR erfolge. Diese
Einkommensanrechnung führe zu folgender Überzahlung:
14
Monat
zusätzlich
anzurechnen
Überzahlung b. 1.
Überzahlung b. 2.
zusammen
Nov 06
133,33 EUR
98,33 EUR
35,00 EUR
133,33 EUR
Dez 06
133,33 EUR
98,33 EUR
35,00 EUR
133,33 EUR
Jan 07
258,33 EUR
98,33 EUR
35,00 EUR
133,33 EUR
Feb 07
258,33 EUR
90,58 EUR
42,75 EUR
133,33 EUR
Mrz 07
258,33 EUR
59,45 EUR
73,88 EUR
133,33 EUR
Apr 07
258,33 EUR
59,45 EUR
73,88 EUR
133,33 EUR
Mai 07
258,33 EUR
59,45 EUR
73,88 EUR
133,33 EUR
Jun 07
383,33 EUR
184,45 EUR
73,88 EUR
258,33 EUR
Jul 07
383,33 EUR
184,45 EUR
73,88 EUR
258,33 EUR
Aug 07
383,33 EUR
184,45 EUR
73,88 EUR
258,33 EUR
Sep 07
383,33 EUR
124,75 EUR
22,09 EUR
146,84 EUR
Okt 07
383,33 EUR
116,31 EUR
20,60 EUR
136,91 EUR
Nov 07
250,00 EUR
116,31 EUR
20,60 EUR
136,91 EUR
Dez 07
250,00 EUR
116,31 EUR
20,60 EUR
136,91 EUR
Jan 08
125,00 EUR
116,31 EUR
20,60 EUR
136,91 EUR
Feb 08
125,00 EUR
116,31 EUR
20,60 EUR
136,91 EUR
Mrz 08
125,00 EUR
102,94 EUR
18,23 EUR
121,17 EUR
Apr 08
125,00 EUR
102,94 EUR
18,23 EUR
121,17 EUR
Mai 08
125,00 EUR
102,94 EUR
18,23 EUR
121,17 EUR
Insgesamt
2.132,39 EUR
770,81 EUR
2.903,20 EUR
15 Zur Begründung hieß es weiter, auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie in ihren Anträgen zumindest grob fahrlässig
falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe. Im Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Mai 2005 seien für die Klägerin selbst
2.132,29 EUR und für ihre Tochter 770,81 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Diese Beträge seien zu erstatten.
16 Am 21. Januar 2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erheben lassen.
17 Die Klägerin trägt vor, bei der ersten Zuwendung vom 27. Oktober 2006 zugunsten ihrer Tochter handele es sich um ein Geschenk des Ex-
Ehemanns der Klägerin, Herrn … an ihre Tochter. Das Geschenk in Höhe von 1.500,-- EUR sei so gedacht gewesen, der Tochter der Klägerin mit
Erreichen der Volljährigkeit den Führerscheinerwerb zu finanzieren. Indes sei der Schenker, der Ex-Ehemann der Klägerin, im April 2008
verstorben. Aufgrund des Todes des Verstorbenen habe die Klägerin das Geld abgehoben und an den Sohn des Verstorbenen, Herrn ..., zur
Begleichung der Beerdigungskosten zurückgegeben.
18 Bei den weiteren Gutschriften zugunsten der Tochter der Klägerin vom 8. Dezember 2006 und 11. Mai 2007 handele es sich ebenfalls um
Beträge, die ihrer Tochter von Verwandten als Geschenke zugeflossen seien, so am 20. Februar 2005, zu Ostern 2005, zu Weihnachten 2005,
am 20. Februar 2006, zu Ostern 2006 und zu Weihnachten 2006. Diese Geschenke ihrer Tochter nun wieder wegzunehmen, bedeute für diese
eine unbillige Härte. Selbst wenn man dieses Geld als Einkommen qualifiziere, besagten die Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg, dass der
nach Ablauf eines Bedarfsabschnitts (Monat) nicht verbrauchte Teil dieser Einkünfte dem Vermögen zuwachse. Eine Verrechnung dieses
Vermögens auf mehrere Monate sei unzulässig. Da das dann verbleibende Vermögen der Tochter der Klägerin unter den gesetzlichen
Freibeträgen liege, sei es geschütztes Vermögen.
19 Die Klägerin beantragt,
20
den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2009 aufzuheben.
21 Die Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23 Sie ist weiter der Auffassung, die der Tochter der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zugeflossenen Geldleistungen seien als
Einkommen anzusehen. Schenkungen als einmalige Einnahmen seien aufgrund der mit ihnen verbundenen Wertsteigerung bereits
vorhandenen Vermögens als Einkommen zu betrachten. Allein zweckbestimmte Einnahmen seien hiervon auszunehmen. Bei den vorliegenden
Geldzuflüssen seien Zweckbestimmungen aber nicht erkennbar. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der verstorbene Ex-Mann der Klägerin
mit der Überweisung von 1.500,-- EUR auf das Sparkonto der Tochter der Klägerin eine Zweckbestimmung getroffen habe. Jedenfalls aber sind
die Schenkungsbeträge jeweils als bereite Mittel auf den Konten der Tochter der Klägerin zur Verfügung gestanden. Damit habe auch jederzeit
auf sie zurückgegriffen werden können. Deshalb könne auch dem Vortrag der Klägerseite, der nicht verbrauchte Teil der Geldzuflüsse müsse mit
Ablauf des Zuflussmonats dem Vermögen zugerechnet werden, nicht gefolgt werden.
24 In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Zeugen zur Frage der Finanzierung der Beerdigung seines Vaters vernommen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
25 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakten und den Inhalt der
Prozessakte (S 4 AS 276/09) verwiesen.
Entscheidungsgründe
26 Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
27 Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2009 ist teilweise insoweit
rechtswidrig, als von der Klägerin mit im Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Oktober 2008 bewilligte laufende Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von mehr als 1.403,20 EUR zurückgefordert werden. Insoweit ist die Klägerin auch in ihren Rechten
verletzt. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen gewesen.
28 Die Beklagte stützt sich bei ihrem Forderungsbegehren in Sachen des vorgenannten Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 18. Dezember
2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2009
materiell-rechtlich
bereits erbrachte Leistungen dann zurückgefordert werden, wenn der der Leistungserbringung zugrunde liegende Verwaltungsakt aufgehoben
worden ist. Denn der die Leistungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin konkretisierende Verwaltungsakt ist unmittelbar der Rechtsgrund
für die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt und damit für das Behaltendürfen der Leistungen gewesen. Damit eine Rückforderung der
Leistungen geltend gemacht werden kann, muss zunächst die Rechtsgrundlage für die Leistungsgewährung in rechtswirksamer Weise beseitigt
werden.
29 Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat
(begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nach dessen Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
oder die Vergangenheit unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat
und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen
ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht
mehr oder nur noch unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der
Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X aber nicht berufen, soweit
30
1. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht hat, oder
2. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor,
wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
31 Nur in den Fällen von § 45 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen.
32 In Verfahren der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II gilt darüber hinaus gemäß § 40 SGB II für die Aufhebung von
Verwaltungsakten § 330 SGB III. § 330 Abs. 2 SGB III bestimmt: Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die
Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die Beklagte hat also eine gebundene Entscheidung zu treffen; ein pflichtgemäßes Ermessen ist ihr nicht eröffnet.
33 An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, hat der angefochtene Verwaltungsakt im Hinblick auf die zurückgenommene und zurückgeforderten
laufenden Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Oktober 2008 nur in Höhe von 1.403,20 EUR
Bestand. Soweit die Beklagte darüber hinaus 1.500,-- EUR mehr von der Klägerin zurückfordert (Gesamtrückforderungssumme 2.903,20 EUR) ist
der Bescheid hingegen aufzuheben gewesen.
34 Zutreffend hat die Beklagte der Tochter der Klägerin die am 8. Dezember 2006 und am 11. Mai 2007 zugeflossenen Beträge in Höhe von
insgesamt ca. 3.000,-- EUR auf die der Klägerin und ihrer Tochter im Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Oktober 2008 gezahlten
Grundsicherungsleistungen angerechnet. Denn bei den vorgenannten Geldflüssen handelt es sich um anrechenbares Einkommen im Sinne von
§ 11 Abs. 1 SGB II. Auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen (§ 136 Abs. 2 SGG).
35 Anders verhält es sich mit der Gutschrift von 1.500,-- EUR, die die Tochter der Klägerin am 27. Oktober 2006 vom Ex-Ehemann der Klägerin
erhalten hat. Auch bei dieser Einnahme handelt es sich zwar um Einkommen. Dieses Einkommen ist jedoch nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II bei
der Gewährung von laufenden Leistungen nach dem SGB II nicht zu berücksichtigen. § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II bestimmt, dass Einnahmen
soweit nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach
dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt
wären.
36 Ob es sich bei der Zuwendung des Ex-Ehemanns der Klägerin an die gemeinsame 2003 geborene Tochter vom 27. Oktober 2006 wirklich von
vornherein um eine solche zweckbestimmte Leistung gehandelt hat - Zuwendung zum späteren Führerscheinerwerb - kann das Gericht
dahingestellt sein lassen. Denn jedenfalls mit der Rückzahlung dieses Geldes an den Sohn des Schenkers zur Tilgung der Bestattungs- und
Grabsteinkosten für den Schenker im April 2008 steht für das Gericht fest, dass die im Oktober 2006 erlangten Leistungen die Lage der
Hilfeempfänger nicht so günstig beeinflusst hat, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Das Gericht stützt sich
dabei auf den Rechtsgedanken des § 528 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der bestimmt, dass der Schenker, bei der Nachvollziehung der
Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm, seinen Verwandten, seinem Ehegatten, seinem
Lebenspartner oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, das Recht
hat, vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung zu
fordern. Die Herausgabe des Geschenkes ist nur ausgeschlossen, wenn der Schenker seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder durch grobe
Fahrlässigkeit herbeigeführt hat oder wenn zur Zeit des Eintritts seiner Bedürftigkeit seit der Leistung des geschenkten Gegenstands 10 Jahre
verstrichen sind (§ 529 Abs. 1 BGB).
37 Diesen Gedanken überträgt das Gericht auf einen verarmt gestorbenen Schenker, dessen - auch nach sozialhilferechtlichen Maßstäben -
angemessenen Bestattungs- und Urnengrabkosten nicht anders als durch Rückforderung des Geschenks mitfinanziert werden können. Der
Zeuge hat dem Gericht während der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass er von der Klägerin die Geldzuwendung seines Vaters
an die gemeinsame Tochter seines Vaters und der Klägerin vom 27. Oktober 2006 zur teilweisen Deckung der Bestattungs- und Grabsteinkosten
seines im April 2008 verstorbenen Vaters erhalten hat. Auch wenn der Zeuge dem Gericht keine Rechnungsdokumente oder
Überweisungsnachweise hat vorlegen können, hält das Gericht seine allein entscheidende Aussage, von der Klägerin im Herbst 2008 auf
Nachfrage die 1.500 EUR in bar zur Mitfinanzierung der Urnenbestattung und des Urnengrabs des Vaters erhalten zu haben, für glaubhaft.
Angesichts der sonstigen lebensnah und authentisch geschilderten Einkommens- und Vermögensverhältnisse - verarmt gestorbener Vater, Erbe
ausgeschlagen, monatliches Einkommen des Zeugen 2008 nur ca. 1.400 EUR - und des gesamten Lebenszuschnitts der Beteiligten hält das
Gericht die „Barabwicklung“ der Bestattungsformalitäten durch den Zeugen für wahr. Damit ist die der Tochter der Klägerin zunächst im Oktober
2006 zugeflossene Einnahme während des streitgegenständlichen Bewilligungszeitraums - November 2006 bis Oktober 2008 - mit rechtlichem
Grund (§§ 528, 529 BGB analog) wieder entronnen. Folglich hat sie die Lage der bedürftigen Hilfeempfänger - der Klägerin und ihrer Tochter -
während des streitgegenständlichen Zeitraums auch nicht so günstig im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II beeinflussen können, dass daneben
Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären.
38 Die von dem Zeugen ... und seinem Bruder für Urnenbestattung und Grabstein zugunsten des Vaters aufgewandten Kosten von 4.000,- bis
5.000,- EUR hält das Gericht auch unter Beachtung des Sparsamkeitsgebots bei der Beerdigung mittelloser Personen für noch angemessen. Der
Beklagten ist insoweit die ihre bekannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sozialhilferechtlichen Angemessenheit von Bestattungs-
und Grab(pflege-)kosten (vgl. Bundessozialgericht, BSG, Urteil vom 18. März 2008, B 8/9b SO 9/06 R, BSGE 100, 131-138 und JURIS) in
Erinnerung zu rufen.
39 Soweit die Beklagte ferner geltend macht, der Zeuge hätte sich wegen der Finanzierung der Bestattung seines Vaters nach § 74 SGB XII an den
zuständigen Sozialhilfeträger wenden können, rechtfertigt auch dieser Hinweis keine andere Entscheidung. Zum einen kommt vorhandenen
bereiten Mittel, die aus jedenfalls sittlich gebotener Pflicht zur Verfügung gestellt werden, wie hier die 1.500 EUR, die die Klägerin dem Zeugen
als Bestattungsbeitrag „zurückgegeben“ hat, Vorrang vor dem Einsatz von steuerfinanzierter Sozialhilfe zu. Zum anderen vermag das Gericht
auch den Argumentationszweck der Beklagten nicht recht zu verstehen, geht es ihr doch allein um die ihr - nunmehr vom Gericht versagte -
Anrechnung der 1.500 EUR bei der Ermittlung des der Klägerin und ihrer Tochter im streitgegenständlichen Zeitraum von November 2006 bis
Oktober 2008 zur Verfügung stehenden Einkommens. Eine solche Anrechnung aber wäre nachgerade kontraindiziert, führte sie - wie von der
Beklagten angeregt oder vermutet - zur Sozialhilfebedürftigkeit der Beteiligten im Hinblick auf angemessene Bestattungs- und Grabkosten im
Sinne von § 74 SGB XII. Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält aber Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines
Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder
von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (Nachranggrundsatz).
40 Dementsprechend hat das Gericht den angefochtenen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid in Höhe von 1.500,-- EUR aufzuheben gehabt.
Im Übrigen (in Höhe von 1.403,20 EUR) ist die Rückforderung zu Recht erfolgt; insoweit hat der angefochtene Bescheid Bestand zu haben und
ist die Klage in der Sache abzuweisen gewesen.
41 Die am etwa hälftigen Klagerfolg der Klägerin orientierte Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.