Urteil des SozG Hildesheim vom 23.07.2009

SozG Hildesheim: vag, einkünfte aus erwerbstätigkeit, private krankenversicherung, zuschuss, beitrag, versicherungsnehmer, erlass, insolvenz, firma, versicherungsschutz

Sozialgericht Hildesheim
Beschluss vom 23.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 43 AS 730/09 ER
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe des Zuschusses zur privaten
Krankenversicherung gem. § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1969 geborene Antragsteller war bis zur Insolvenz seiner Firma als Selbstständiger tätig und privat
krankenversichert. Für diesen Versicherungsschutz fällt nach dem Versicherungsschein der E. vom 24. März 2009
ein monatlicher Beitrag von 289,81 Euro an, für die private Pflegeversicherung ein Betrag von 23,88 Euro
(Gesamtbetrag: 313,69 Euro). Nach eigenen Angaben und vorgelegten Kontoauszügen des Antragstellers wird
tatsächlich ein monatlicher Betrag in Höhe von 203,40 Euro (KV) bzw. 23,88 Euro (PV) erhoben. Im Basistarif bietet
die Versicherung dem Antragsteller einen monatlichen Beitrag in Höhe von 569,63 Euro an (vgl. Schreiben der E. vom
24. April 2009).
Auf den Leistungsantrag des Antragstellers vom 24. Februar 2009 gewährte ihm die vom Antragsgegner
herangezogene Stadt F. Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 24. Februar bis zum 31. August 2009
unter Berücksichtigung von Bruttoeinkommen in Höhe von 500,00 Euro je Monat und eines monatlichen Zuschusses
nach § 26 SGB II in Höhe von 147,33 Euro. Da der Antragsteller ab März 2009 keine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit
mehr hatte, wurden ihm mit Änderungsbescheid vom 27. März 2009 für den Zeitraum von März bis August 2009
Leistungen nach dem SGB II in monatlicher Höhe von 940,14 EUR bewilligt. Hierbei berücksichtigte der
Antragsgegner die dem Antragsteller zustehende Regelleistung, Kosten der Unterkunft in Höhe von 393,44 Euro und
Heizkosten in Höhe von 55,00 Euro abzgl. eines Energiekostenanteils für die Warmwassergewinnung von 6,63 Euro
sowie einen monatlichen Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II in Höhe von 147,33 Euro. Auf den Zuschuss nach § 26
Abs. 2 Nr. 1 SGB II (KV) entfiel hierbei ein Betrag in Höhe von 129,54 Euro je Monat, auf denjenigen nach § 26 Abs. 2
Nr. 2 SGB II (PV) ein Betrag in Höhe von 17,79 Euro.
Diese Bewilligungsentscheidungen griff der Antragsteller mit Widersprüchen vom 17. und 20. April 2009 mit der
Begründung an, er müsse für seinen privaten Krankenversicherungsschutz einen monatlichen Betrag in Höhe von
313,69 Euro leisten, so dass ein nicht gedeckter Bedarf in Höhe von 166,36 Euro je Monat bestehe.
Am 30. April 2009 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
gestellt, zunächst gerichtet gegen die Stadt F ... Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2009 ist der Antrag gegen den
zuständigen Antragsgegner gerichtet worden.
Im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens hat der Antragsgegner die Widersprüche gegen die Bewilligungsbescheide
vom 27. März 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2009 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt,
dass der Anspruch des Antragstellers auf Gewährung eines Zuschlags zu seinen Beiträgen zur privaten
Krankenversicherung gem. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 12 Abs. 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) auf
den Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt sei, mithin auf einen Betrag in Höhe von 147,33
Euro je Monat. Hiergegen hat der Antragsteller beim Sozialgericht Hildesheim Klage erhoben (Az.: S 43 AS 980/09),
über die noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller führt aus, dass er seit der jüngsten Gesundheitsreform als Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht
in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln und die Beiträge für die private Krankenversicherung nicht auf Dauer
aus den Regelleistungen erbringen könne. Angesichts eines bestehenden Barvermögens von über 1.600 Euro bei
Antragstellung Ende Februar 2009 trägt er zur Eilbedürftigkeit der Sache vor, dass er im Rahmen der Insolvenz seiner
Firma Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 300 Euro zu begleichen hatte und mit einer Barabhebung von 800 Euro
zunächst Kosten für Bewerbungen und Vorstellungsgespräche verauslagt habe. In naher Zukunft stünden zudem
mehrere dringende Arzttermine (Tetanus-Auffrischungsimpfung und Fertigung einer Zahnkrone) bevor. Es sei ihm
nicht zuzumuten, den nicht gedeckten Teil der Krankenversicherungsbeiträge auf Dauer aus der Regelleistung zu
bestreiten und wegen der angespannten finanziellen Situation auf ärztliche Behandlungen zu verzichten.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
den Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten für die Krankenversicherung des Antragstellers ab sofort zu
übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
den Antrag abzulehnen.
Er ist von der Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung überzeugt und verweist auf die Begründung des
Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2009. Zudem sei die Sache nicht eilbedürftig, da der Antragsteller den
Verbrauch seines bisherigen Vermögens nicht glaubhaft gemacht habe und er auf die von ihm angeführten
medizinischen Leistungen nicht dringend angewiesen sei. Zudem habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht,
dass der Verlust des Versicherungsschutzes nach § 193 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) unmittelbar bevorstehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte, der beigezogenen Leistungsakte und des
Widerspruchsvorgangs verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer solchen
Regelungsanordnung ist das Vorliegen eines die Eilbedürftigkeit der Entscheidung rechtfertigenden
Anordnungsgrundes sowie das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs aus dem materiellen Leistungsrecht. Sowohl
der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund müssen gem. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs.
2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden.
Der Antrag ist auch vor Klageerhebung zulässig, § 86b Abs. 3 SGG.
Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, da trotz der
Begrenzung des Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II der Verlust des (privaten) Krankenversicherungsschutzes
in absehbarer Zeit nicht zu befürchten ist.
Dem Antragsteller steht nach der bestehenden Gesetzeslage kein Anspruch auf Gewährung eines höheren
Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung, eingeführt durch das
Gesetz vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378, 442; zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 15. Dezember
2008, BGBl. I S. 2426) zu, da der Zuschuss nach § 12 Abs. 1c S. 6 VAG auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen
Krankenversicherung für Arbeitslosengeld II - Bezieher begrenzt ist.
Nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld II § 12 Abs. 1c S. 5 und 6 VAG, wenn sie in der
gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und für den Fall der
Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind. Der Antragsteller ist als Bezieher
von Arbeitslosengeld II, der unmittelbar vor dem Leistungsbezug privat krankenversichert war, gem. § 5 Abs. 5a
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreit und - soweit
ersichtlich - nicht gem. § 10 Abs. 1 SGB V familienversichert.
Der Antragsteller kann keinen höheren Zuschuss nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 12 Abs. 1c S. 5 und 6 VAG
als gewährt beanspruchen.
§ 12 VAG betrifft die "substitutive" Krankenversicherung, also diejenige (private) Versicherung, die den im
gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann, vgl.
§ 12 Abs. 1 VAG. § 12 Abs. 1c VAG enthält gesetzliche Anforderungen des Beitrags für den von allen
Privatversicherern anzubietenden Basistarif (vgl. § 12 Abs. 1a VAG). Der nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbare
§ 12 Abs. 1c S. 5 VAG bezieht sich auf Personen, bei denen Hilfebedürftigkeit allein aufgrund der Höhe der Beiträge
eintritt. Hier beteiligt sich der Träger nach dem SGB II auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit
dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. § 12 Abs. 1c S. 6 VAG bezieht sich demgegenüber auf Personen, bei
denen - wie hier - unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit besteht. Während nach § 12
Abs. 1c S. 6, 1. HS VAG Satz 4 der Norm entsprechend gilt und sich dadurch der Beitrag (für den Basistarif) für die
Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte vermindert, sieht § 12 Abs. 1c S. 6, 2. HS VAG vor, dass der zuständige
Träger der Grundsicherungsleistung nur denjenigen Betrag zahlt, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist. Die Höhe des Betrages, der für einen Bezieher von
Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist, berechnet sich nach § 232a Abs.1 S.1 Nr.
2 SGB V i. V. m. § 18 SGB IV und §§ 246, 243 SGB V und beträgt 129,54 EUR. Insoweit hat der Antragsgegner in
der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2009 fehlerhaft einen Betrag in Höhe von 147,33 Euro als
Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung angeben; in diesem Betrag ist nämlich der Regelzuschuss zu
den Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II in Höhe von 17,79 Euro enthalten (129,54 Euro
Krankenversicherung und 17,79 EUR Pflegeversicherung).
Das Gericht sieht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zumindest für die Dauer vorübergehender
Hilfebedürftigkeit keine schwerwiegenden, ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht anders abwendbaren
Nachteile, die dem Antragsteller in absehbarer Zeit drohen könnten (Anordnungsgrund).
Hintergrund ist das für private Krankenversicherer geltende absolute Kündigungsverbot im Sinne des §§ 206 Abs. 1
Satz 1, 193 Abs. 3 und 5 VVG (Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang im Basistarif) und die Vorschrift des §
193 Abs. 6 VVG, die das Ruhen der Versicherungsleistungen betrifft (Sätze 1 bis 4) und in Satz 5 für Hilfebedürftige
nach dem SGB II eine Sonderregelung enthält, nach der das Ruhen der Leistungen endet, wenn der
Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II wird. Nach der
gesetzgeberischen Vorgabe hat danach der privat versicherte Hilfebedürftige die über den Beitrag für einen Bezieher
von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Belastung selbst zu tragen, jedoch
ohne ein (weiteres) Ruhen der Versicherungsleistungen bei Beitragsrückständen befürchten zu müssen, vgl. § 193
Abs. 6 S. 5 VVG. Der Versicherungsnehmer hat als Schaden die Verzugszinsen zu tragen, § 193 S. 8 VVG. Im
Ergebnis wird durch diese Regelung das finanzielle Ausfallrisiko bei Hilfebedürftigkeit den Privatversicherern
übertragen, ohne dass zunächst der Versicherungsschutz des Hilfebedürftigen entfällt. Diese gesetzgeberische
Entscheidung ist unter Berücksichtigung des Sozialstaatsgebots des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wegen
beachtlicher Gemeinwohlinteressen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, Az.: 1
BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08, Rn. 180 ff. - zitiert nach JURIS).
Bei erwerbstätigen Hilfebedürftigen, deren Bedarf nach dem SGB II nicht durch ihr Einkommen gedeckt ist, besteht
weiterhin die Möglichkeit, den Anteil der nicht übernommenen Versicherungsbeiträge als Absetzposition nach § 11
Abs. 2 S. 1 Nr. 3a SGB II geltend zu machen.
Soweit der Antragsteller demnach nach einfacher Gesetzeslage verpflichtet ist, die über den Zuschuss nach § 26
Abs. 2 Nr. 1 SGB II hinausgehenden Belastungen selbst zu tragen, sind verfassungsrechtliche Fragen über die
Zulässigkeit der Begrenzung des Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ggf. im Hauptsacheverfahren (Az.: S 43
AS 980/09) zu klären, etwa im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, der in
Rechtsprechung und Literatur bereits bei der bis Ende 2008 geltenden Fassung des § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II erörtert
und im Ergebnis verneint wurde (vgl. SG Berlin Beschluss vom 22. November 2005, Az.: S 96 AS 9757/05 ER;
Radüge, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 26 SGB II Rn. 31).
Letztlich greift der Einwand des Antragstellers, es sei unzumutbar, dass er im Krankheitsfall die Behandlungskosten
zunächst selbst zu begleichen habe, nicht durch, da Privatversicherer Versicherungsleistungen regelmäßig innerhalb
von wenigen Wochen nach Anzeige erbringen und die angefallenen Kosten nach Leistungserbringung ausgeglichen
werden können. In besonderen Notsituationen, die hier derzeit nicht ersichtlich sind, hat der Leistungsträger nach dem
SGB II ggf. ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II (unabweisbarer Bedarf) zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.