Urteil des SozG Hildesheim vom 27.01.2006

SozG Hildesheim: (520), gesetzliche vermutung, gebühr, vertreter, vertretung, widerspruchsverfahren, inhaber, rechtseinheit

Sozialgericht Hildesheim
Urteil vom 27.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 12 SF 45/05
1. Der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 14. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15. September 2005 wird abgeändert. 2. Die den Widerspruchsführern im Verfahren 503 - (520) - 24402BG0001678 –
W. 1035/05 entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten werden festgesetzt auf 858,40 Euro. 3. Die
Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger des streitigen Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Widerspruchsverfahren.
Die aus dem Libanon stammenden Kläger standen bis zum 31. Dezember 2004 im Bezug von laufenden Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem BSHG.
1.
Am 30. August 2004 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
Diese entsprach dem Antrag mit Bescheid vom 20. Dezember 2004, mit welchem sie Leistungen ab dem 1. Januar
2005 gewährte. Unzutreffend wurde hierbei Einkommen in Form von Kindergeld berücksichtigt, welches seitens der
Agentur für Arbeit jedoch nicht gewährt wurde. Die Kläger legten mit Anwaltsschriftsatz vom 17. Januar 2005
Widerspruch ein, mit welchem sie die Gewährung höherer Leistungen begehrten und darauf hinwiesen, dass zu
Unrecht Kindergeld als Einkommen angerechnet wurde. Die Beklagte entsprach dem Widerspruchsbegehren mit
Abhilfebescheid vom 22. Februar 2005.
2.
Mit anwaltlicher Kostenrechnung vom 2. Februar 2005 beantragten die Kläger sinngemäß die Festsetzung der
folgenden Gebühren:
Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten § 14, Nr. 2500 VV 720,00 EUR - Gebührenerhöhung Nr. 1008
VV um 2,0 wegen 10 Auftraggebern - Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV 20,00 EUR Zwischensumme netto
740,00 EUR 16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV 118,40 EUR zu zahlender Betrag 858,40 EUR
Sie gingen von einer Geschäftsgebühr nach Ziffer 2500 VV RVG in Höhe von 240,00 Euro netto aus, welche gemäß
Ziffer 2008 VV RVG auf das Dreifache erhöht wurde.
Die Beklagte setzte mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 14. April 2005 die folgenden Gebühren fest: Mittelgebühr
2500 VV 240,00 EUR Post und Telekommunikation 7002 VV 20,00 EUR Zwischensumme: 260,00 EUR 16 % MwSt:
41,60 EUR insgesamt: 301,60EUR
Nach ihrem Dafürhalten sei nur eine einfache Gebühr festzusetzen.
Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein und vertraten die Auffassung, dass eine Gebührenerhöhung nach Ziffer
1008 VV RVG eingetreten sei. Auch wenn dem Rechtsanwalt durch zusätzliche Auftraggeber keine weitere Belastung
entstanden sei, so sei die Gebührenerhöhung dennoch eingetreten. Es handele sich bei der Gebührenerhöhung um
einen typisierten Tatbestand, der eine Prüfung der Arbeitsleistung und der Verantwortung des Rechtsanwaltes im
Einzelfall nicht erlaube. Für die Beklagte ergaben sich hieraus keine abweichenden Erkenntnisse, sodass sie den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2005 als unbegründet zurückwies. Eine
Bedarfsgemeinschaft werde gemäß § 38 SGB II nur durch eine Person vertreten. Es handele sich um eine
Rechtseinheit, nicht aber um eine Personenmehrheit. Nur eine Person, nämlich der Vertreter der
Bedarfsgemeinschaft, habe einen Anspruch auf Erstattung der im Verfahren entstandenen Kosten. Die weiteren
Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft seien nicht als weitere Auftraggeber anzusehen. Eine Gebührenerhöhung nach
Ziffer 1008 VV RVG könne nur berücksichtigt werden, wenn der Bevollmächtigte mehrere Bedarfsgemeinschaften
vertrete. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Hiergegen richtet sich die am 18. Oktober 2005 beim Sozialgericht Hildesheim eingegangene Klage, mit welcher die
Kläger ihr Festsetzungsbegehren weiter verfolgen. Der Anspruch auf Gebührenerhöhung bestehe unabhängig davon,
ob mehrere Auftraggeber den Anwalt tatsächlich jeweils individuell beauftragen oder ob sie dies durch einen
gemeinsamen Vertreter täten. Die Vertretungsregelung des § 38 SGB II schränke den Anspruch auf
Gebührenerhöhung nicht ein. Inhaber des Sozialleistungsanspruches seien stets natürliche Personen. Diese Personen
seien auch Individualauftraggeber des Rechtsanwaltes.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.
September 2005 zu verpflichten, die Kosten der Kläger im Widerspruchsverfahren, die mit Kostennote vom 2. Februar
2005 geltend gemacht, zu übernehmen
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die von ihr bereits im Widerspruchsbescheid genannten Gründe.
Darüber hinaus führt sie aus, dass Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes der Ziffer 1008 VV RVG sei, dass die
mit der Vertretung mehrere Auftraggeber verbundene Mehrarbeit angemessen vergütet werde. Bei der Vertretung einer
Bedarfsgemeinschaft entstünde jedoch nur ein Aufwand für einen Auftraggeber.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der
gerichtlichen Entscheidungsfindung zu Grunde gelegen hat.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 54 SGG statthaft und gemäß §§ 87 ff. SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen
zulässig. Die Klage ist auch begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Festsetzung einer 3,0-fachen Gebühr
nach Ziffern 2500, 1008 VV RVG.
Gemäß § 63 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Widerspruch erfolgreich war, dem Widerspruchsführer die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Vorliegend war der Widerspruch
erfolgreich, sodass dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten sind.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfanges und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der
Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Nach
Ziffer 2500 VV RVG steht für die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen
Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, ein Gebührenrahmen von 40,00 Euro bis 520,00 Euro zur Verfügung.
Die Mittelgebühr beträgt 280,00 Euro. Nach Ziffer 2500 Satz 2 VV RVG besteht jedoch eine Gebührenbegrenzung.
Hiernach kann eine Gebühr von mehr als 240,00 Euro nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder
schwierig war. Dies ist hier unstreitig nicht der Fall, so dass eine Gebühr von 240,00 Euro als Ausgangspunkt
zugrunde zu legen ist. Nach Ziffer 1008 VV RVG erhöht sich die Geschäftsgebühr für jede weitere Person um 0,3.
Nach Absatz 3 können jedoch mehrere Erhöhungen einen Gebührensatz von 2,0 nicht übersteigen, sodass die
Gesamtgebühr maximal 3,0 beträgt (SG Hildesheim, Beschluss vom 7. Oktober 2005, Az.: 12 SF 31/05).
Vorliegend ist die Gebührenerhöhung durch die Vertretung von zehn Auftraggebern eingetreten. Die Mitglieder einer
Bedarfsgemeinschaft sind Individualauftraggeber im Sinne einer Auftraggebermehrheit nach Ziffer 1008 VV RVG. Die
Bedarfsgemeinschaft ist kein Einzelauftraggeber. Denn eine Personenmehrheit kann nur dann als Einzelauftraggeber
angesehen werden, wenn sich die Personen kraft eigener Disposition zu einer Gesellschaft zusammenschließen. Nur
wer sich selbst eine Rechtseinheit nach außen verschafft, muss sich auch als Einheit behandeln lassen. Diese
Voraussetzungen sind im Falle der Bedarfsgemeinschaft nicht gegeben. Eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2
und Abs. 3 SGB II kann aus einem oder mehreren Mitgliedern bestehen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört dabei
mindestens eine erwerbsfähige hilfebedürftige Person. Zu der Bedarfsgemeinschaft zählen nur die in § 7 Abs. 3 SGB
II ausdrücklichen genannten Personen, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem Haushalt leben. Von
jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wird erwartet, dass es unabhängig von etwaigen Unterhaltsansprüchen nach
dem BGB und davon, ob die Person selbst anspruchsberechtigt nach dem SGB II, sein Einkommen und Vermögen
zur Deckung des Gesamtbedarfes aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eingesetzt wird. (Juris PK, § 7 Rdnr. 25).
Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass mit dem Bestehen der Bedarfsgemeinschaft ein neues
Rechtssubjekt geschaffen wurde (Eicher/Spellbrink, § 7 Rdz. 21). Denn Inhaber des Sozialleistungsanspruches
bleiben immer die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft; es existiert kein Anspruch der Bedarfsgemeinschaft
als solcher. (Löns/Herold/Tews, § 7 Rdnr. 5). Wenn jedoch Einzelansprüche der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
bestehen, so sind diese auch als Einzelauftraggeber des Rechtsanwaltes anzusehen.
Anders könnte dies nur zu sehen sein, wenn der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft nach § 38 SGB II die Ansprüche
der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft als Verfahrensstandschafter im eigenen Namen geltend machen
würde. Nur in diesem Falle könnte der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft – nicht etwa die Bedarfsgemeinschaft als
solche – Alleinauftraggeber des Rechtsanwaltes sein. (In diesem Sinne: Gerold/Schmidt Ziffer 1008 VV RVG Rdz.
39). Einer derart weitgehenden Auslegung des § 38 SGB II folgt das Gericht jedoch nicht. Denn aus § 38 SGB II lässt
sich nur die gesetzliche Vermutung begründen, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen
für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu beantragen und entgegenzunehmen. Die gesetzliche Vermutung besteht
aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und der Verwaltungsökonomie. (Juris PK § 7 Rdz. 26). Aus einer jederzeit
widerlegbaren Vermutung folgt jedoch keine Verpflichtung zur Begründung einer Verfahrensstandschaft. Denn es
bleibt den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft unbenommen, ihre Interessen gegenüber dem Leistungsträger selbst
wahrzunehmen.
Aus diesen Feststellungen folgt jedoch nicht automatisch, dass im Falle einer Bedarfsgemeinschaft die Zahl der
Mitglieder stets die Zahl der Auftraggeber entspricht. Dies ist nur der Fall, wenn – wie hier – aus dem Begehren
ersichtlich wird, dass ein Anspruch auch für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft begehrt wird. Wenn ein einzelnes
Mitlied einer Bedarfsgemeinschaft ausschließlich einen Individualanspruch verfolgt, so handelt es sich auch nur um
einen Einzelauftraggeber. Diese Ausnahme ist jedoch vorliegend nicht gegeben.
Hiernach hatte die Klage vollumfänglich Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.