Urteil des SozG Heilbronn vom 20.05.2010

SozG Heilbronn: wichtiger grund, arbeitsunfähigkeit, grobe fahrlässigkeit, besondere härte, fristlose kündigung, anzeige, probezeit, hauptsache, kenntnisnahme, zivilprozessordnung

SG Heilbronn Beschluß vom 20.5.2010, S 7 AL 571/10
Prozesskostenhilfe - keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache - Arbeitslosengeld - Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe - fristlose Kündigung in
der Probezeit - keine unverzügliche Anzeige der Arbeitsunfähigkeit
Leitsätze
1. Verstößt der Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit ohne wichtigen Grund in erheblicher Weise gegen seine Pflicht aus § 5 Abs. 1 S. 1 EntgFG zur
unverzüglichen Anzeige der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber, so bietet die Klage gegen eine von der Agentur für Arbeit nach § 144
Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III festgestellte Sperrzeit keine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinreichende Aussicht auf Erfolg.
2. Ein durch arbeitsvertragswidriges Verhalten gegebener Anlass zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ist in diesem Rahmen jedenfalls
dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber von der Arbeitsunfähigkeit des Klägers erst vier Tage nach Niederlegung der Arbeit erfährt und dafür kein
wichtiger Grund erkennbar ist.
3. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III für dieses Verhalten liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer gesundheitlich nicht
so erheblich beeinträchtigt ist, dass er trotz Arbeitsunfähigkeit ohne fremde Hilfe innerhalb von zwei Tagen mehrfach ein Krankenhaus aufsuchen
konnte. In diesem Fall ist ihm zumindest zuzumuten, den Arbeitgeber telefonisch über die eingetretene Arbeitsunfähigkeit zu unterrichten.
Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage wegen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, wenn der Kläger Anlass für die Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat, indem er dem Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit erst vier Tage nach Niederlegung der Arbeit
angezeigt hatte.
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1
Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag
Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig
erscheint.
2
Der Antrag war bereits deshalb abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
3
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit der Feststellung einer Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
III).
4
Der Kläger war bei der Fa. W. GmbH beschäftigt und im Rahmen dessen am 10.09.2009 (Donnerstag) auf einer Baustelle eingesetzt. Nach
eigenem Vortrag verließ er diese gegen 11.50 Uhr (vor Ende der regulären Arbeitszeit), da er erhebliche Schmerzen hatte, um selbstständig ein
Krankenhaus aufzusuchen. Eine Mitteilung an den Arbeitgeber erfolgte nicht. Am Folgetag, an dem der Kläger offenbar zunächst beabsichtigte,
wieder zur Arbeit zu gehen, suchte er erneut selbstständig ein Krankenhaus auf. Er blieb der Arbeit fern und teilte dies dem Arbeitgeber auch an
diesem Tag (Freitag) nicht mit. Stattdessen warf er am selben Tag, allerdings nach Geschäftsschluss des Arbeitgebers, eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in dessen Briefkasten, die der Arbeitgeber am darauf folgenden Montag (14.09.2009) zur Kenntnis nahm.
5
Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt fristlos innerhalb der Probezeit mit Schreiben vom 14.09.2009 zum
18.09.2009.
6
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2009 eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 1 SGB III
von 12 Wochen fest. Der dagegen eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg.
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Nach Einschätzung der Rechtmäßigkeit der Sperrzeitfeststellung in der im Rahmen der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag
erforderlichen Prüfungstiefe (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A., § 73a Rn. 7 f.) ist davon auszugehen, dass die
Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
8
Der Kläger dürfte durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch
zumindest grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben.
9
Nach eigenem Vortrag hat der Kläger erheblich gegen die Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber zur unverzüglichen Anzeige der
Arbeitsunfähigkeit (§ 5 Abs. 1 S. 1 EntgFG) verstoßen. Weder am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit noch am Folgetag teilte der Kläger dem
Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit mit. Der Arbeitgeber erfuhr erst am darauf folgenden Montag (4 Tage nach Niederlegung der Arbeit) durch
Kenntnisnahme der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, warum der Kläger ab Donnerstag Mittag nicht mehr arbeitete. Ein wichtiger Grund für
dieses Verhalten ist nicht zu erkennen. Dagegen spricht insbesondere, dass der Kläger trotz seiner Arbeitsunfähigkeit sämtliche Fahrten zum
Krankenhaus allein bewältigen konnte. Demgegenüber wäre dem Kläger ein Anruf beim Arbeitgeber, jedenfalls spätestens am Freitag Morgen,
ohne weiteres zuzumuten gewesen (vgl. zum Ganzen: Bayerisches LSG, Urt. v. 15.11.2001, L 9 AL 347/00).
10 Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe richtet sich nach § 144 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 SGB III und beträgt 12 Wochen.
Eine besondere Härte, die eine Sperrzeitverkürzung auf 6 Wochen nach § 144 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 b) SGB III nach sich ziehen würde, ist nicht
ersichtlich. Der Kläger konnte leicht voraussehen, dass sein Verhalten zur Kündigung führen kann. Angesichts der wohl als allgemein bekannt
vorauszusetzenden Pflicht zur Inkenntnissetzung des Arbeitgebers von der Arbeitsunfähigkeit dürfte zumindest grobe Fahrlässigkeit
anzunehmen sein.