Urteil des SozG Hannover vom 08.04.2008

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Sozialgericht Hannover
Urteil vom 08.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 14 RA 105/04
1. Der Bescheid der Beklagten vom 03.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2004 wird
aufgehoben. 2. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene H. ihre Tätigkeit als Kooperationspartnerin für die Klägerin
nicht im Rahmen einer Beschäftigung ausgeübt hat. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die
notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens, dass
die bei ihr als Kooperationspartnerin tätige H. (Beigeladene) im Rahmen eines abhängigen und damit dem Grunde
nach sozialversicherungspflichtigem Beschäftigungsverhältnisses tätig sei.
Die Klägerin betreibt eine Party- und Informationshotline, in der Telefongespräche unterhaltender Art geführt werden.
Zu diesem Zweck hat die Klägerin mit mehreren Personen, insbesondere der Beigeladenen, Kooperationsverträge
geschlossen. Danach erhält der Kooperationspartner eine Vergütung für jedes aktive Telefonat mit Nutzern der Hotline
entsprechend der Gesprächsdauer. Zu den Vertragsbestimmungen im Einzelnen wird auf den am 30. Mai 2001
geschlossenen Vertrag verwiesen. Im Oktober 2001 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Feststellung
ihres sozialversicherungsrechtlichen Status und gab in dem ihr zu diesem Zwecke übersandten Fragebogen an, nur
für die Klägerin tätig zu sein, ihre Preise nicht frei gestalten zu können und regelmäßige Anwesenheitszeiten einhalten
zu müssen. Die Beklagte stellte aufgrund der Angaben der Beigeladenen nach vorausgegangener Anhörung mit
Bescheid vom 3. Februar 2003 fest, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit für die Klägerin im Rahmen einer
Beschäftigung ausübe. Hiergegen erhob die Klägerin am 3. März 2003 Widerspruch, den die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2004 zurückwies.
Mit ihrer am 26. Februar 2004 vor dem Sozialgericht Hannover erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die
Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses der Beigeladenen. Sie ist der Ansicht, sie sei nicht Arbeitgeberin der
Kooperationspartner sondern betreibe als Dienstleistungsunternehmen lediglich die Vermittlung von Gesprächen
zwischen interessierten Kunden und den als Kooperationspartnern tätigen telefonwilligen Damen. Dabei stelle sie
selbst nur die technische Infrastruktur zur Verfügung. Die Kooperationspartner seien hinsichtlich der Auswahl, des
Inhalts und der Dauer des Gesprächs vollständig frei. So könnten sich diese mittels der ihnen zugewiesenen Pin-
bzw. Zugangsnummer von jedem Telefon oder Internetanschluss in das System der Klägerin einwählen und seien
insoweit ortsungebunden. Lediglich auf besonderen Wunsch der Kooperationspartner stünden
sondervergütungspflichtige Telefonplätze im Unternehmen zur Verfügung, die für bestimmte Zeiten verbindlich
reserviert werden könnten. Eine Eingliederung in den Betriebsablauf sei damit nicht verbunden. Ferner bestünde
gegenüber dem Kooperationspartner keinerlei Weisungsbefugnis oder Kontrollmöglichkeit. Ebenso wenig seien feste
Arbeitszeiten einzuhalten. Jeder Kooperationspartner entscheide vielmehr von Fall zu Fall selbst, ob, wann und wie
lange er telefoniere. Arbeitnehmertypische Ansprüche, zum Beispiel auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder
Urlaubsentgelt bestünden nicht und die Tätigkeit könne jederzeit von beiden Seiten ohne Einhaltung einer Frist
unterbrochen oder beendet werden. Im Übrigen erfolge die Bereitstellung der Telefonleitung nicht kostenfrei, vielmehr
hätten die Kooperationspartner hierfür eine monatliche Kostenpauschale zu entrichten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 03. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004
aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene H. ihre Tätigkeit als Kooperationspartnerin der Klägerin nicht im
Rahmen eines dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte hält die getroffene Entscheidung für rechtmäßig. Sie weist darauf hin, dass die Kooperationspartner kein
eigenes Kapital einzusetzen hätten, gegenüber den Anrufern anonym bleiben und ihre Preise nicht frei gestalten
könnten. Auch wenn keine festen Telefonzeiten einzuhalten seien, so seien die Kooperationspartner im Hinblick auf
die Leitungskapazität der Klägerin von dieser abhängig und hätten Anwesenheitszeiten in den Räumlichkeiten der
Klägerin mit dieser abzustimmen.
Die Kammer hat zu dem Verfahren mit Beschluss vom 22. März 2004 die Kooperationspartnerin H. beigeladen.
In der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2008 hat die Kammer die Beigeladene und die zu dem Parallelverfahren S
14 RA 315/05 beigeladene I. persönlich angehört sowie die Zeugen J. und K. vernommen. Hinsichtlich der
Einzelheiten des Beweisergebnisses wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die
Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch begründet. Der Bescheid der
Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass
die Beigeladene ihre Tätigkeit als Kooperationspartnerin für die Klägerin im Rahmen einer abhängigen und damit dem
Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeübt hat.
Gemäß § 7 a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) können die Beteiligten eine Entscheidung der Beklagten
beantragen, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV besteht. Dabei zielt das
Anfrageverfahren lediglich darauf ab, für Arbeitgeber und Annehmer in objektiven Zweifelsfällen Rechtssicherheit
darüber zu schaffen, ob eine selbstständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt (vgl. z. B. Bayrisches
Landessozialgericht, Urteil vom 7. Dezember 2004 = L 5 KR 163/03; Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.
Oktober 2007 = L 5 KR 267/07). Rechtsgrundlage für die Abgrenzung zwischen einer sozialversicherungspflichtigen
abhängigen Beschäftigung und einer selbstständigen Tätigkeit ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die
nicht selbstständiger Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtssprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich
abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb
eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des
Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene
Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene
Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das
Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere
den Ausschlag (BSG Urteil vom 22. Juni 2005 = B 12 KR 28/03 in SozRecht 4-2400 § 7 Nr. 5 mit zahlreichen weiteren
Nachweisen; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai
1996 = 1 BVR 21/96 in SozRecht 3-2400, § 11 Nr. 7).
Die damit vorzunehmende Gesamtabwägung aller wesentlichen Einzelumstände führt vorliegend nicht zum Ergebnis
der Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag
ist nicht als Dienstvertrag ausgestaltet. Danach wird die Vergütung für das aktive Telefonat anhand des auf den
Abrechnungsmonat bezogenen Gesprächsdurchschnittes sekundengenau berechnet. Die Abrechnung wird seitens der
Klägerin nach Ablauf eines jeden Monats anhand der dort gespeicherten Telefondaten erstellt und der Beigeladenen
zugesandt. Die Bereitstellung der Telefonleitungen im bundesweiten Leitungsnetz erfolgt nicht kostenfrei. Der
Beigeladenen wird hierfür vielmehr eine monatliche Pacht zur Höhe von seinerzeit DM 75,00 berechnet. Lediglich in
den ersten vier Wochen der Tätigkeit entfällt die Berechnung einer Bereitstellungspauschale. Das Vertragsverhältnis
beginnt gemäß § 4 des Vertrages mit der Freischaltung der entsprechenden Rufnummer und kann jederzeit von jeder
Partei gekündigt werden, insbesondere dann, wenn der monatliche Gesprächsdurchschnitt unter drei Minuten pro
Gespräch sinkt. Gemäß § 5 des Vertrages hat der Kooperationspartner keine Ausschließlichkeit. In § 7 des Vertrages
ist geregelt, dass der Firma eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Kooperationspartner aufgrund des Vertrages nicht
zustehe und der Kooperationspartner keine Weisungsbefugnis gegenüber den Arbeitnehmern der Firma hat.
Zwar hat die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, dass sie jeweils von den Moderatoren
Anweisungen hinsichtlich des Gespräches erhalten habe, so z.B. hinsichtlich ihres Alters, Aussehens oder
bestimmter Vorlieben des Anrufers. Allerdings hat sie ebenso wie die in dem Parallelverfahren Beigeladene L. erklärt,
dass sie auch die Möglichkeit gehabt habe, diese Anweisungen nicht auszuführen. An der Möglichkeit, ein nicht
gewünschtes Telefonat entweder nicht anzunehmen oder durch Auflegen zu beenden, ist sie seitens der Klägerin
nicht gehindert worden. In einem derartigen Fall hätte sie lediglich keine Umsätze erzielt. Auch die Befürchtung der
Beigeladenen, von Mitarbeitern der Klägerin abgehört zu werden, um auf diese Weise überprüfen zu können, ob
Anweisungen der Moderatoren Folge geleistet werde, vermag eine Weisungsgebundenheit im Sinne einer abhängigen
Beschäftigung nicht zu begründen. Denn arbeitsrechtliche Konsequenzen wären mit einem derartigen Verhalten nicht
verbunden gewesen. Weder von den Beteiligten, noch seitens der Beigeladenen oder der Zeugen ist dargelegt worden,
dass die Kooperationspartner im Falle eines derartigen Nichtbefolgens von Kundenwünschen mit Konsequenzen, wie
z. B. Reduzierung des Entgeltes, Abmahnung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses hätten rechnen müssen.
Auch der Umstand, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit zumindest zu Beginn in den Räumlichkeiten der Klägerin
ausgeübt hat, vermag nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu führen. Zwar ist die
Beigeladene verpflichtet gewesen, die jeweiligen Telefonkabinen bei der Klägerin im Voraus zu reservieren und für
nicht eingehaltene Reservierungen eine Pauschale zu entrichten. Dies ist hingegen dadurch bedingt, dass in dem
Unternehmen der Klägerin lediglich eine begrenzte Anzahl von Telefonkabinen zur Verfügung stehen, die auch
anderweitig genutzt werden. Ohne vorherige Reservierung kann angesichts der Anzahl der von der Klägerin
beschäftigen Kooperationspartner eine Verwaltung der Kabinen nicht erfolgen. Die Vereinbarung fester Arbeitszeiten
ist damit hingegen nicht verbunden. Es entspricht vielmehr den üblichen Gepflogenheiten, z.B. im Hotel- und
Gaststättengewerbe, dass jemand, der für bestimmte Tätigkeiten auf die Bereitstellung von Räumlichkeiten
angewiesen ist, diese im Voraus zu buchen, für die Nutzung ein Entgelt und bei Nichtnutzung eine Pauschale zu
entrichten hat. Damit ist der hier zu entscheidende Sachverhalt mit dem seitens des BSG im Urteil vom 10. August
2000 (Aktenzeichen B 12 KR 21/98 R = BSGE 87, 53 = SozRecht 3-2400, § 7 Nr. 15) entschiedenen Fall nicht
vergleichbar. Denn der dortige Beigeladene war zur Ausübung seiner Arbeit auf das BTX-Dialogsystem angewiesen,
welches ihm seitens der dortigen Klägerin kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde. Da er ohne dieses System seine
Arbeitstätigkeit nicht verrichten konnte, war er außerhalb der zuvor abgesprochenen Arbeitszeiten nicht in der Lage,
seine Tätigkeit zu verrichten. Demgegenüber ist die Beigeladene Roselieb nicht gehindert gewesen, neben ihrer
Tätigkeit in den Räumlichkeiten der Klägerin sich zusätzlich von zu Hause oder einem anderen Telefonanschluss ihrer
Wahl außerhalb der abgesprochenen Zeiten in das System der Klägerin einzuloggen. Weder seitens der Beteiligten
noch seitens der Beigeladenen oder eines der Zeugen ist dargelegt worden, dass jedem Kooperationspartner lediglich
ein bestimmter Telefonrahmen zur Verfügung gestellt werde und darüber hinaus keine Gespräche vermittelt würden.
Schließlich ist die Beigeladene nicht verpflichtet gewesen, ihre Arbeitsleistung persönlich zu erbringen. Hierzu
bestand allenfalls eine moralische Verpflichtung, der Gestalt, dass Kunden, mit denen bereits zuvor Telefonate
geführt worden waren, anhand der Stimme erkennen konnten, ob sie tatsächlich mit der Beigeladenen persönlich
sprechen.
Die Tatsache, dass die Beigelade gegenüber den jeweiligen Anrufern anonym bleibt und nach außen nicht in
Erscheinung tritt, steht einer Einordnung als selbstständige Tätigkeit nicht entgegen. Denn auch die Klägerin selbst
tritt gegenüber den Anrufern nicht in Erscheinung. Es verhält sich nicht so, dass diese gezielt bei der Voice Company
anrufen und von dort eine Rechnung erhalten. Der Anrufer wählt vielmehr eine bestimmte, z.B. in Werbespots
eingeblendete kostenpflichtige Telefonnummer an, die in der Anzeige einer nicht notwendigerweise existierenden
Dame zugeordnet ist. Die Abrechnung der geführten Gespräche erfolgt gegenüber dem jeweiligen Anrufer sodann über
die monatliche Telefonrechnung seines eigenen Telefonanbieters.
Ob die Beigeladene in ihrer Tätigkeit als Selbstständige aus anderen Gründen versicherungspflichtig ist, hat die
Kammer in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Denn Streitgegenstand des Statusfeststellungsverfahrens ist
ausschließlich die Feststellung, ob eine dem Grunde nach versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Ob die
Beigeladene als Selbstständige auf der Grundlage des § 2 Satz 1 Ziffer 9 a als Selbstständige, die auf Dauer und im
Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist oder auf der Grundlage des § 2 Satz 1 Ziffer 6 SGB VI als
Hausgewerbetreibende der Versicherungspflicht unterliegt, wird in einem gesonderten Verfahren zu überprüfen seien.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.