Urteil des SozG Hamburg vom 08.10.2001

SozG Hamburg: berufskrankheit, unfallversicherung, privatrechtliche haftung, arbeitsunfall, asbest, anerkennung, versicherungsschutz, unternehmer, kreis, versicherter

Sozialgericht Hamburg
Urteil vom 08.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 36 U 94/96
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB X), ob die bei der 1943 geborenen Klägerin aufgetretene Asbeststaublungenerkrankung als Berufskrankheit
anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Mit ärztlicher Anzeige über eine Berufskrankheit vom 16. Dezember 1988 sowie ergänzendem Bericht teilten Prof. Dr.
K. und Dr. Kr. vom Allgemeinen Krankenhaus H. mit, dass bei der Klägerin eine Asbestpleuritis nach möglicher
Asbestexposition während deren eigener Tätigkeit in den V.-Werken von 1961 bis 1965 sowie in der Kindheit über die
Mutter festgestellt worden sei. Die Mutter der Klägerin habe in der Spinnerei der Deutschen K.-Werke gearbeitet und
Asbeststaub in den Haaren und der Kleidung mit nach Hause gebracht.
Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, dass sie sich eine Asbestexposition während ihrer eigenen beruflichen
Tätigkeiten nicht vorstellen könne, jedoch seit dem 5. Lebensjahr etwa 25 Jahre lang Kontakt zu Asbest über ihre
Mutter gehabt habe, erklärte die für Teile der beruflichen Tätigkeiten der Klägerin zuständige Berufsgenossenschaft
der Feinmechanik und Elektrotechnik auf Anfrage der Beklagten, dass keine zuverlässigen Ergebnisse zu einer
Asbestexposition mehr zu erbringen seien, eine solche aber unwahrscheinlich sei. Die Erkrankungsursache liege
möglicherweise tatsächlich im Kontakt über die Mutter der Klägerin. Ähnlich gelagerte Fälle insbesondere aus dem
Bereich der Deutschen K.-Werke in Ha. seien schon bekannt geworden.
In seiner Stellungnahme vom 31. August 1989 führte daraufhin der Gewerbearzt Z. aus, dass eine berufliche
Asbestexposition der Klägerin nicht habe festgestellt werden können. Die Erkrankung der Klägerin sei mit großer
Wahrscheinlichkeit auf die häusliche Asbestbelastung über die Mutter zurückzuführen.
Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, sie habe erfahren, dass in der Gewerbeschule G 20, in der sie 1986
Reinigungstätigkeiten ausgeübt habe, Asbest vorgekommen sei, erklärte die für diese Tätigkeit zuständige Bau-
Berufsgenossenschaft Ha. auf Anfrage der Beklagten unter Beifügung einer Stellungnahme ihres Technischen
Aufsichtsdienstes vom 26. Januar 1990 sowie zweier TÜV-Berichte vom 8. Juni 1988 und 29. November 1989, dass
die Asbestfaserkonzentration in der Atemluft in dieser Gewerbeschule an der Nachweisgrenze gelegen habe und
damit so gering gewesen sei, dass eine gesundheitsschädliche Einwirkung ausgeschlossen werden könne.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 1990 die Anerkennung einer Berufskrankheit ab.
Auf den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte darauf hin, dass eine berufliche Asbeststaubeinwirkung nicht
nachgewiesen sei und dass für die möglicherweise vorliegende häusliche Asbeststaubeinwirkung kein Schutz der
gesetzlichen Unfallversicherung bestehe.
Daraufhin nahm die Klägerin ihren Widerspruch mit Schreiben vom 10. Mai 1990 zurück.
Mit Schreiben vom 12. Mai 1993 beantragte die Klägerin über ihren Bevollmächtigten eine Überprüfung des
ablehnenden Bescheides nach § 44 SGB X. Es sei ersichtlich nicht die Anwendung des § 539 Abs. 2 der
Reichsversicherungsordnung (RVO) geprüft worden. Die Klägerin habe unter Versicherungsschutz gestanden, weil sie
wie eine Versicherte tätig gewesen sei. Die Klägerin nahm Bezug auf ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 14. Oktober 1992, Aktenzeichen: L 17 U 87/89, mit dem die Asbestose einer Klägerin als
Berufskrankheit einer wie eine Versicherte tätig gewordenen Person anerkannt worden war, die regelmäßig für ihren
Ehemann dessen asbeststaubbehaftete Arbeitskleidung gereinigt hatte.
Die Klägerin gab an, dass auch ihre Mutter ihre Arbeitskleidung früher selbst habe waschen müssen, wobei sie als
Kind geholfen habe.
Mit Bescheid vom 6. Juli 1995 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung ab und nahm Bezug auf das zwischenzeitlich
ergangene Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Oktober 1993, Aktenzeichen: 2 RU 53/92, mit dem das von der
Klägerin in Bezug genommene Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen aufgehoben worden war. Die
Hilfstätigkeiten der Klägerin als Kind im Haushalt seien überwiegend auf Grund der familiären Gemeinschaft geprägt
gewesen, nicht arbeitnehmerähnlich. Im Übrigen habe eine Exposition gegenüber Asbest auch schon ohne die
behaupteten Hilfstätigkeiten allein durch die Rückkehr der Mutter mit Asbest an Körper und Kleidung bestanden.
Mit ihrem Widerspruch führte die Klägerin aus, dass das Urteil des Bundessozialgerichts ein Fehlurteil sei. Man könne
Familien nicht aufbürden, dass berufsgenossenschaftliche Vorschriften den Arbeitnehmern die Reinigung der
asbestverschmutzten Arbeitskleidung zugewiesen haben. Eine entsprechende Praxis sei verfassungswidrig. Für
Familienangehörige müssten die gleichen Grundsätze gelten wie für die Leibesfrucht.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 1996 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage trägt die Klägerin ergänzend vor, dass sie, seit sie fünf Jahre alt war, für etwa 25
Jahr lang die Wäsche ihrer Mutter, die jene im Erdgeschoss der Wohnung ausgezogen habe, in den Keller getragen
habe, wo ihre Mutter dann jeweils 3-mal wöchentlich die Wäsche gewaschen habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Juli 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.
Februar 1996 zu verurteilen, eine Berufskrankheit der Klägerin anzuerkennen und zu entschädigen, hilfsweise, die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Juli 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar
1996 zu verpflichten, den Bescheid vom 27. März 1990 aufzuheben und ihren Antrag auf Anerkennung ihrer
Asbeststaublungenerkrankung als Berufskrankheit sowie auf Entschädigung unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift
vom 8. Oktober 2001 sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Hauptantrag der Klägerin ist nicht statthaft, weil im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X die
von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Absätze 1, 2 und 4 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht zum Erfolg führen kann. Im Rahmen eines solchen Überprüfungsverfahrens kann
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide, mit denen die Neufeststellung abgelehnt wurde, nur verpflichtet werden,
selbst den unanfechtbar gewordenen ursprünglichen Bescheid, mit dem die begehrte Leistung abgelehnt worden war,
zurückzunehmen und darüber hinaus, den dem ursprünglichen ablehnenden Bescheid zu Grunde liegenden Antrag
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (sog. kombinierte Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 u. 2 SGG). Eine Verurteilung der Beklagten zu der mit dem Hauptantrag
begehrten Leistung unter Anerkennung einer Berufskrankheit könnte auch schon deswegen vom Gericht nicht
ausgesprochen werden, weil insoweit noch weitere tatsächliche Feststellungen notwendig wären.
Der Hilfsantrag der Klägerin ist nach dem zuvor Gesagten hingegen statthaft. Auch die übrigen
Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.
Die Klage ist insoweit jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 1995 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 1996 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihren Bescheid vom 27. März 1990 aufzuheben und den Antrag der Klägerin
auf Anerkennung ihrer Astbeststaublungenerkrankung als Berufskrankheit sowie auf Entschädigung neu zu
bescheiden. Der Bescheid vom 27. März 1990 war und ist rechtmäßig. Die Asbeststaublungenerkrankung der Klägerin
ist keine Berufskrankheit. Sie stand nicht "wie eine Versicherte" unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung, während sie als Kind dem Asbeststaub ausgesetzt war, den ihre Mutter mit nach Hause brachte.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht
unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Zwar ging die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 27. März 1990 noch davon aus, dass zwar keine berufliche
Asbeststaubeinwirkung nachgewiesen wurde, was so auch richtig ist, möglicherweise jedoch insoweit eine
Astbeststaubeinwirkung bestand, als die Mutter der Klägerin Asbeststaub in ihren Haaren und ihrer Kleidung mit nach
Hause brachte. Die erst nach Stellung des Überprüfungsantrages gemachten Angaben der Klägerin, dass ihre Mutter
deren Arbeitskleidung früher selbst habe waschen müssen und sie als Kind dabei dergestalt geholfen habe, dass sie
die Arbeitskleidung regelmäßig in den Keller gebracht habe, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
Deshalb sind jedoch Sozialleistungen nicht zu Unrecht nicht erbracht worden, weil auch unter Zugrundelegung dieses
Sachverhalts ein Unfallversicherungsschutz nicht bestand. Das Recht wurde von der Beklagten richtig angewandt.
Dies beurteilt sich noch nach den Vorschriften der RVO (vgl. §§ 212, 214 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch –
SGB VII-).
Nach § 539 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RVO sind in der Unfallversicherung unter anderem gegen Arbeitsunfall die auf Grund
eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten versichert, wobei als Arbeitsunfall auch eine
Berufskrankheit gilt (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). Die Klägerin war im Zusammenhang mit der Asbeststaubeinwirkung
über ihre Mutter unstreitig nicht als Beschäftigte unfallversichert.
Auch ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO bestand nicht. Danach sind gegen Arbeitsunfall ferner
Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden, was auch bei nur vorübergehender Tätigkeit
gilt.
Die allgemein gehaltene Vorschrift des § 539 Abs. 2 RVO betrifft die Vielfalt des täglichen Lebens in den
verschiedenen Arbeitsbereichen mit einem jeweils sehr unterschiedlichen Umfeld; so ist die Rechtsprechung von einer
starken Kasuistik geprägt; dabei ist die Tätigkeit des Verletzten nicht allein nach der unmittelbar zum Unfall führenden
Verrichtung zu beurteilen, sondern nach dem Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens (Bereiter-
Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Loseblattkommentar, § 2 SGB VII – dessen Absatz 2 die
entsprechende Nachfolgevorschrift des § 539 Abs. 2 RVO darstellt – Rdz. 34.3 mit Nachweisen).
Voraussetzung für die Begründung eines Versicherungsschutzes ist unter anderem eine mehr oder weniger
vorübergehende, ernsthafte, wesentlich dem Unternehmen zu dienen bestimmte Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert,
die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden kann, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt
zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen und unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer
Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist, wobei durch die Tätigkeit ein innerer
Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmer hergestellt werden muss (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdz.
34.4).
Dabei ist immer eine wertende Gesamtbetrachtung anzustellen, wobei die Entgeltlichkeit der Tätigkeit und auch die
Dauer grundsätzlich egal sind (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdz. 34.7 ff. mit Nachweisen).
Bei Gefälligkeitsleistungen unter Verwandten ist festzustellen, ob das Familienmitglied eine Gefälligkeit erweist,
welche nach Art, Umfang, Zeitdauer der Verrichtung sowie der Stärke der tatsächlichen verwandtschaftlichen
Beziehungen Gepräge von den familiären Bindungen erhält oder ob es sich um eine ernstliche Tätigkeit handelt, die
über das hinausgeht, was allgemein in verwandtschaftlichen Vorschriften gefordert wird und die normalerweise von
abhängig Beschäftigten erbracht wird, ob die Handlungstendenz dahin geht, auf Grund der verwandtschaftlichen Nähe
zu helfen und ob die Tätigkeit maßgeblich dadurch geprägt ist (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdz. 34.19 mit
Nachweisen).
Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin, als sie für ihre Mutter täglich deren Wäsche vom Erdgeschoss der
Wohnung in den Keller trug, nicht wie eine Beschäftigte der Arbeitgeberin der Mutter tätig. Vielmehr handelte es sich
um eine innerhalb der Familie selbstverständliche Gefälligkeitsleistung, wobei schon fraglich ist, ob das bloße Tragen
der Wäsche in den Keller eine Tätigkeit darstellt, die normalerweise von abhängig Beschäftigten erbracht wird. Die
Handlungstendenz der Klägerin bei dieser Tätigkeit war jedenfalls in keiner Hinsicht wesentlich auf die Belange des
als unterstützt geltend gemachten Unternehmens gerichtet.
Bei dieser Wertung sieht sich das erkennende Gericht in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts
vom 13. Oktober 1993, Aktenzeichen: 2 RU 53/92.
Noch weniger vermag der Vortrag der Klägerin, dass sie ihre Mutter jeden Tag von der Arbeit abgeholt habe und auf
dem Gelände der Arbeitgeberin der Mutter Asbeststaub ausgesetzt gewesen sei, einen Versicherungsschutz nach §
539 Abs. 2 RVO zu begründen, denn im Zusammenhang mit dem Abholen der Mutter liegt eine fremdwirtschaftliche
Handlungstendenz, d.h. eine Handlung, die wesentlich den Belangen des Unternehmens zu dienen bestimmt ist, erst
recht nicht vor.
Bei dem zitierten Urteil des BSG handelt es sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um ein Fehlurteil,
sondern um eine nach den vom Gesetzgeber vorgegebenen Vorschriften, über die das Gericht sich auch dann nicht
hinwegsetzen darf, wenn es seinem Rechtsempfinden nicht entspricht (vgl. Urteil des BSG vom 30. April 1985,
Aktenzeichen: 2 RU 44/84), folgerichtige Entscheidung.
Hierin liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
(GG), wie ihn die Klägerin offensichtlich sieht.
Zwar hat der Gesetzgeber in Reaktion auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22.
Juni 1977 mit der Einführung des § 555 a RVO die Leibesfrucht, die durch einen Arbeitsunfall der Mutter während der
Schwangerschaft geschädigt worden ist, einem Versicherten gleichgestellt, der einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Es ist jedoch sachgerecht, die Leibesfrucht insoweit anders zu behandeln als bereits geborene Kinder. Die
Einbeziehung der Leibesfrucht, die bereits vor Eintritt der Berufskrankheit seiner Mutter gezeugt war, beruht darauf,
dass diese naturnotwendig an der beruflichen Gefahrenlage der Mutter teilnehmen muss, so dass eine Zurechnung der
versicherten Tätigkeit der Mutter ohne Systembruch als eigene Tätigkeit möglich ist. Eine solche
Zurechnungsmöglichkeit fehlt jedoch bei einem bereits geborenen Kind.
Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 20. Mai 1987, Aktenzeichen: 1 BvR 762/85,
es für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten, dass ein Kind, welches durch eine Berufskrankheit seiner Mutter
geschädigt, aber erst nach Eintritt der Berufskrankheit gezeugt worden ist, von den Leistungen der gesetzlichen
Unfallversicherung ausgeschlossen bleibt. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht darauf
hingewiesen, dass ohne eine an der versicherten Tätigkeit orientierte Grenzziehung der allgemeine Gleichheitssatz
durch neue Ungleichheiten verletzt werden könnte.
Bezöge man weitere Personen in den Versicherungsschutz mit ein, so würde daraus eine dem herkömmlichen und
verfassungsrechtlich unbedenklichen System der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechende – dem
Gesetzgeber vorbehaltene – Ausweitung des Schutzes dieser Versicherung entstehen. Die Ausübung einer
Beschäftigung oder Tätigkeit bleibt wesentliches Strukturelement der gesetzlichen Unfallversicherung.
Würde man geborene Kinder, die über ein Elternteil gegenüber einem Schadstoff exponiert sind, in den Kreis der
versicherten Personen einbeziehen, würde dies zu einer unüberschaubaren Ausdehnung des Kreises potentieller
versicherter Personen führen. So wäre zum Beispiel konsequenterweise ein nicht verwandter Mitbewohner in einer
Wohngemeinschaft oder auch das Personal einer beauftragten Reinigung, die auf diesem Weg z.B. Asbeststaub
gegenüber ausgesetzt wären, in den Kreis der versicherten Personen einzubeziehen.
Dies würde auch dem historischen Ursprung und der Beitragsstruktur der gesetzlichen Unfallversicherung
widersprechen. Durch die Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung wurde die privatrechtliche Haftung der
Unternehmen für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten abgelöst. Dafür zahlen die Unternehmer allein die Beiträge zur
gesetzlichen Unfallversicherung. Ihnen gegenüber wäre es daher nicht zu vertreten, den Kreis potentieller
Versicherter, die Leistungen auf Grund der Finanzierung durch die Unternehmer beziehen könnten, unübersehbar und
von den Unternehmern in keiner Weise beeinflussbar auszudehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.