Urteil des SozG Hamburg vom 25.09.2006

SozG Hamburg: wissenschaft und forschung, versicherungsschutz, südafrika, entsendung, aufenthalt, anerkennung, öffentlich, ausstrahlung, religionsgemeinschaft, dienstvertrag

Sozialgericht Hamburg
Urteil vom 25.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 36 U 15/03
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Der im Jahre 1970 geborene österreichische Kläger ist Religionslehrer und wohnt in Österreich. Er meldete sich im
Sommer 1999 bei den S. Missionaren e.V. (katholische Ordensgesellschaft GESELLSCHAFT DES GÖTTLICHEN
WORTES) in N. für eine freiwillige sozialpraktische Tätigkeit in Südafrika als sogenannter "Missionar auf Zeit". Am
04.03.2001 erlitt der Kläger in Südafrika einen schweren Unfall, als er mit einem Kleinbus auf einer Sandstraße ins
Schleudern geriet und sich mehrmals mit dem Fahrzeug überschlug.
Nach Auskunft der S. Missionare bestand mit dem Kläger kein Arbeitsvertrag. Der Aufenthalt in Südafrika war zeitlich
begrenzt, bis zum Ablauf des Visums am 15. August 2001. Der Kläger sei als Missionar auf Zeit bzw. "Missionar
ohne Ordensgelübde" tätig gewesen und habe sich mündlich verpflichtet, für die S. Missionare sein gesamtes Leben
tätig zu sein. Er habe vom 28.10. bis 31.10.1999 an für die Mission auf Zeit stattfindenden Orientierungstagen im St.
P. Kolleg der S. Missionare in M. teilgenommen. Da man in Deutschland nur dann als guter Missionar ohne
Ordensgelübde tätig sein könne, wenn man in Missionsländern vor Ort die Tätigkeit eines Missionars ausgeübt habe,
habe die Süddeutsche Provinz den Kläger am 03.09.2000 nach B. in Südafrika gesandt, um vor Ort gemeinsam mit
Pfarrer A. G. im Missionsprojekt B. tätig zu sein. Dabei habe der Arbeitsauftrag gelautet: "Herrn Pfarrer A. G. bei
seinen Missionsprojekten durch praktische Tätigkeiten – wegen seiner Ausbildung als Religionslehrer insbesondere –
durch Lehrtätigkeit zu unterstützen". Entsprechend diesem Arbeitsauftrag habe der Kläger in Südafrika vor allen
Dingen Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche unterrichtet. Der
Kläger sei somit zwar ohne Arbeitsvertrag, aber wie ein Beschäftigter mit Arbeitsauftrag nach Südafrika entsandt und
dort tätig geworden. Er habe einen klaren Beschäftigungsauftrag und einen klar definierten Pflichtenkreis an einem
genau bezeichneten Tätigkeitsort zu erledigen gehabt. Leider lägen über den Arbeitsauftrag keine unmittelbaren
schriftlichen Dokumente vor.
Die Beklagte holte über die Internet-Seiten der S. Missionare weitere Auskünfte ein. Daraus ging hervor, dass
Missionare auf Zeit junge Männer und junge Frauen seien, "die sich als Brücke zwischen Menschen verschiedener
Kulturen verstehen. Sie erfahren, dass wir Menschen weltweit voneinander lernen können. Die S. Missionare und die
S. Missionsschwestern ermöglichen diesen befristeten Missionseinsatz in verschiedenen Ländern." Als "weitere
Vereinbarungen" finden sich: "Die Missionsgemeinschaft gewährt im Einsatzland Unterkunft, Verpflegung und
Betreuung. Ein Entgelt zahlt sie nicht, da der Aufenthalt mehr dem jungen Menschen als der Gemeinschaft zugute
kommt. Der junge Mensch selbst trägt die Reise- und Versicherungskosten, vor allem auch das gesundheitliche
Risiko, das mit dem Aufenthalt in tropischen Ländern verbunden ist. Ein befristeter Missionseinsatz versteht sich
auch nicht als Studienreise, sondern will Austausch und das Mitleben junger Christen/innen hier mit den
Christen/innen in der Welt ermöglichen."
Mit Bescheid vom 12.06.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 04.03.2001 als Arbeitsunfall ab.
Sie führte aus, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Person gewesen sei. Weder sei er
Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII der S. Missionare e.V. gewesen, noch komme
Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII als ehrenamtlich Tätiger für eine Körperschaft, Anstalt oder
Stiftung des öffentlichen Rechts oder für eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft in Betracht, noch könne
Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII als "wie Beschäftigter" gewährt werden. Insbesondere entfalle ein
Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII, da gemäß § 4 SGB IV ein Versicherungsschutz in Deutschland nur
dann anzunehmen sei, wenn es sich bei der "Beschäftigung" im Ausland um eine Entsendung im Rahmen eines im
Inland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses handele und die Dauer der Beschäftigung im Ausland im Voraus
zeitlich begrenzt sei. Vorliegend habe kein inländisches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Darüber reiche es aus,
wenn jemand im Inland nur zum Zweck einer vorübergehenden Beschäftigung im Ausland eingestellt werden. Dies
gelte aber nur, wenn sein Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland die Grundlage für
die Einbeziehung in das deutsche Sozialversicherungssystem sei. Da der Kläger seinen Wohnsitz vor seinem
freiwilligen Einsatz als Missionar auf Zeit in Österreich gehabt habe und dort auch einer Beschäftigung nachgegangen
sei, von der er sich lediglich vorübergehend habe beurlauben lassen, habe zu keiner Zeit ein Bezug zum deutschen
Sozialversicherungssystem bestanden. Zudem sei der Kläger auch weiterhin nicht in Deutschland, sondern in der
oberösterreichischen Gebietskrankenkasse versichert gewesen.
Der Kläger legte mit Schreiben vom 21.06.2002 Widerspruch ein. Die Beklagte erließ am 24.10.2002 den
Widerspruchsbescheid.
Der Kläger hat am 13.01.2003 Klage erhoben. Er trägt vor, dass er wie ein Beschäftigter gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII
für die S. Missionare tätig geworden sei. Der Anerkennung des Versicherungsschutzes stehe auch nicht § 4 SGB IV
entgegen, da Sinn der Vorschrift sei, dass dem Arbeitnehmer in der Sozialversicherung keine Nachteile entstünden,
wenn sie im Ausland beschäftigt würden. Sie bestimme daher, dass Personen, die im Rahmen eines im
Geltungsbereichs des SGB bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in eine Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs
entsandt würden, ihren Versicherungsschutz nicht verlören (BSG-Urteil vom 10.08.1999 – B 2 U 30/98 R). Als
Beschäftigung im Inland genüge es vor einer Entsendung eine Einweisung in die zu erfüllenden Aufgabe, um eine
vorhergehende Beschäftigung in diesem Sinne anzunehmen. Zudem habe sich der Kläger verpflichtet, für die S.
Mission sein gesamtes Leben als Missionar auf Zeit tätig zu sein, so dass die konkrete Perspektive der
weitergeführten Beschäftigung gegeben gewesen sei. Zudem werde die Verletzung europäischen Rechts gerügt. Die
Vorschrift des § 4 SGB IV verstoße gegen das Freizügigkeitsgebot der EG-VO 1408/71.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 12.06.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2002 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 04.03.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu
entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Darüber hinaus trägt sie vor, dass die
Ausstrahlungsregelung primär Status erhaltende Funktion und nicht Status begründende Funktion habe. Als Missionar
ohne Ordensgelübde habe der Kläger weder vor seinem Auslandseinsatz den deutschen Rechtsvorschriften noch für
die nachgehende Tätigkeit in Deutschland unter Versicherungsschutz gestanden. Ein Missionar auf Zeit werden nicht
von dem persönlichen Geltungsbereich nach Art. 2 EWG-VO 1408/71 erfasst. Die Verordnung gelte für Arbeitnehmer
und Selbstständige sowie für Studierende, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates seien. Der Begriff des
Arbeitnehmers werde in Art. 1 a) EWG-VO 1408/91 konkretisiert. Der Kläger erfülle keine der genannten
Tatbestandsmerkmale.
Der Kläger legte dem Gericht einen Dienstvertrag für die Dienststelle eines Landesschulrates für Oberösterreich vom
16. Juni 1998 vor. Danach werde das Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen – nur der erste Monat des
Dienstverhältnisses gelte als Probezeit. Nach Angaben des Klägers habe der Dienstvertrag auch nach seinem Unfall
bestanden. Ab Februar 2002 habe er wieder Religionsunterricht aufgrund des Dienstvertrages erteilt.
Außer der Gerichtsakte hat die den Kläger betreffende Verwaltungsakte vorgelegen und war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung der der Entscheidungsfindung ohne mündliche Verhandlung. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und
Entschädigung eines Arbeitsunfalls.
Gemäß § 8 Abs.1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von
Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, 3 und 4 SGB VII begründenden Tätigkeiten
(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu
einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Unstreitig hat der Kläger einen sehr schweren Unfall erlitten, mit
gravierenden Folgeschäden. Der Kläger hat aber zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 4
SGB VII ausgeübt.
1. Der Kläger ist keiner versicherten Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr.1 SGB VII nachgegangen, da er bei den S.
Missionaren e.V. nicht beschäftigt gewesen ist und kein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Der Kläger ist von den S.
Missionaren nach Südafrika als freiwilliger Missionar auf Zeit entsandt worden, aber nicht im Rahmen eines
Arbeitsverhältnisses. 2. Der Kläger kann sich auch nicht auf einen Versicherungsschutz nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 b)
SGB VII berufen. Danach sind Personen versichert, die für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren
Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen
Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder
an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen. Bei den S. Missionaren e.V. handelt es sich aber nicht
um eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft oder deren Einrichtungen – wobei hiermit insbesondere
Organisationseinheiten gemeint sind, die der Religionsgemeinschaft sachlich zuzuordnen sind, wie z.B die
Katholische Junge Gemeinde oder die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands – sondern um eine
vereinsmäßig organisierte selbstständige katholische Ordensgesellschaft mit Vereinscharakter, deren
Aufgabenbereich sich zwar auch teilweise mit dem der katholischen Religionsgemeinschaft deckt, aber eigene
Schwerpunkte aufweist und damit ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellt. So ist nach § 2 Nr. 1 a) der Satzung Zweck
des Vereins u.a. insbesondere: "die Förderung der Wissenschaft und Forschung, insbesondere in Theologie und
Philosophie, Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Ethnologie und Linguistik". Im Gegensatz dazu
bestehen die wesentliche Aufgaben der Kirche in der Verkündung und Lithurgie (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche
Unfallversicherung, Kommentar, § 2 SGB VII Rn. 21.14, m.w.N.)
3. Ein möglicher Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII entfällt aufgrund der fehlenden Ausstrahlung gemäß §
4 SGB IV. Zwar ist der Kläger für die S. Missionare e.V. zum Unfallzeitpunkt wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2
Abs. 2 SGB VII tätig geworden, jedoch ist der Versicherungsschutz auf ihn nicht ausgestrahlt. Nach § 2 Abs. 3 S. 2
SGB VII gelten die Absätze 1 und 2 des § 2 SGB VII abweiched von § 3 Nr. 2 SGB IV für alle Personen, die die in
diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben, soweit diese weder eine Beschäftigung noch eine
selbstständige Tätigkeit voraussetzen; § 4 SGB IV gilt entsprechend. Nach § 4 SGB IV gelten die Vorschriften über
die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, welche eine Beschäftigung voraussetzen, auch für
Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzesbuches bestehenden
Beschäftigungsverhältnisses in eine Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die
Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Da der Kläger
nicht vor Beginn der Entsendung bei den S. Missionaren e.V. beschäftigt oder in anderer Form tätig gewesen ist und
auch nach Beendigung der Entsendung keine Beschäftigung bei den S. Missionaren ausführen wollte, ist ein
Ausstrahlungstatbestand nicht gegeben. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, spricht gegen eine Ausstrahlung auch,
dass die Regelung der Ausstrahlung primär Status erhaltende Funktion (als versicherter Beschäftigter) haben soll und
nicht Status begründende (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 4 SGB IV Rn. 2). Allein die Teilnahme an einer
Informationsveranstaltung über die Tätigkeit eines Missionars auf Zeit reicht für die Annahme einer Tätigkeit,
geschweige denn Beschäftigung für die S. Missionare e.V. nicht aus.
Auch der Ausnahmetatbestand der Ausstrahlung des Unfallversicherungsschutzes, wenn vor der Entsendung keine
Vorbeschäftigung im Inland bestand hat, greift nicht. Denn in diesen Fällen hätte der Betroffene vor der Beschäftigung
wenigstens seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben müssen (BSGE 60, 96 = SozR
2100 § 4 Nr. 3) und es hätte nach Ende der Auslandsbeschäftigung eine Weiterbeschäftigung beim
Entsendearbeitgeber gewährleistet sein müssen. Weder hatte der Kläger vor seiner Entsendung seinen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland inne, noch konnte von einer Weiterbeschäftigung bzw. Tätigkeit im Inland für
die S. Missionare ausgegangen werden. Zwar wollte der Kläger den S. Missionaren während seines gesamten Lebens
als Missionar auf Zeit angehören, dennoch ergibt sich daraus keine konkrete Beschäftigung oder Tätigkeit. Zudem
stand der Kläger noch in einem Dienstverhältnis mit dem Landesschulrat für Oberösterreich. Den sich daraus
ergebenden Dienst als Vertragslehrer in Österreich wollte und hat der Kläger nach der Beendigung seines Aufenthaltes
in Südafrika wieder aufgenommen.
4. Für eine europarechtliche Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 4 SGB IV fehlen Anhaltspunkte. Im Übrigen
wird gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor der Darstellung weitere Entscheidungsgründe abgesehen
und auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in ihren angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.