Urteil des SozG Hamburg vom 12.03.2007

SozG Hamburg: untätigkeitsklage, gebühr, vorverfahren, verwaltungsverfahren, billigkeit, klageart, rechtsgrundlage, vergütung, aufwand, ermessen

Sozialgericht Hamburg
Beschluss vom 12.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 51 AS 501/06
1. Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 3. November
2006 insoweit abgeändert, als die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 141,52 EUR (in
Worten: hunderteinundvierzig 52/100) festgesetzt werden. 2. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Beklagte wendet sich gegen die Festsetzung der von ihr an die Klägerin zu erstattenden Kosten.
Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hat die Klägerin Untätigkeitsklage wegen der Nichtbescheidung ihres Antrages
vom 9. Februar 2005 auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im
Vorverfahren erhoben. Die Beklagte hat während des Klageverfahrens über den Kostenantrag der Klägerin
entschieden. Danach hat der Rechtsstreit eine unstreitige Erledigung gefunden. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2006 hat
sich die Beklagte bereit erklärt, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 15. Juni 2006 hat der Bevollmächtigte der Klägerin die vierfache
Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum Gesetz über die Vergütung der
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in Höhe von 160,00 EUR, zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale
nach Nr. 7002 VV RVG, zuzüglich 16 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV (28,28 EUR), insgesamt 208,80 EUR in
Ansatz gebracht.
Die Beklagte hat sich lediglich zur Erstattung der Gebühren bereit gezeigt, die sich bei Berücksichtigung einer
zweifachen Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 40,00 EUR, zuzüglich 8,00 EUR
Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG ergeben, insgesamt - inklusive 16 % Mehrwertsteuer – 55,68 EUR.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch Beschluss vom 3. November 2006, dem Antrag der Klägerin in
vollem Umfang entsprochen und die zu erstattenden Kosten auf 208,80 EUR festgesetzt. Dabei brachte sie die
vierfache Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 160,00 EUR, zuzüglich der Pauschale nach
Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR sowie 16 % Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV RVG (28,80 EUR) in Ansatz.
Mit ihrer am 6. Dezember 2006 hiergegen erhobenen Erinnerung, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat, trägt
die Beklagte vor, dass bei der Bemessung der Verfahrensgebühr der Rahmen der Nr. 3103 (und nicht der Nr. 3102)
VV RVG Anwendung finde, weil der Untätigkeitsklage eine Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin im
Verwaltungs- und Vorverfahren vorausgegangen sei, so dass sie im sozialgerichtlichen Verfahren einen geringeren
Aufwand gehabt habe. Innerhalb dieses Rahmens sei bei der vorliegenden durchschnittlichen Untätigkeitsklage die
dreifache Mindestgebühr angemessen. Anzusetzen seien daher 60,00 EUR Verfahrensgebühr zuzüglich 12,00 EUR
Auslagenpauschale (20 % der Verfahrensgebühr) sowie 16 % Mehrwertsteuer (12,80 EUR), insgesamt 83,52 EUR.
II. Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet.
Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung ist vorliegend § 197 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 2, 3 und 14 RVG. Danach
setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten
fest. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat einen solchen Antrag gestellt. Nach den zitierten Bestimmungen des RVG
entstehen in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz nicht
anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Diese bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Sein besonderes
Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten – hier der Beklagten – zu ersetzen, ist die
vom Anwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Vorliegend entspricht es nicht der Billigkeit, die zu erstattenden Kosten in Gestalt der Rechtsanwaltsgebühren auf
mehr als 102,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale und 16% Umsatzsteuer festzusetzen.
Die Verfahrensgebühr ist nicht nach dem Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG (40,00 bis 460,00 EUR), sondern
nach dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) zu bemessen. Denn der Tätigkeit des
Bevollmächtigten der Klägerin im gerichtlichen Verfahren ist eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren,
der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen. Der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat für diese den Widerspruch vom 9. Februar 2005 gegen den Bescheid der
Beklagten vom 4. Februar 2005 erhoben und die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung
notwendigen Auslagen beantragt. Insoweit ist es ohne Belang, dass es sich bei dem gerichtlichen Verfahren um eine
Untätigkeitsklage hinsichtlich der Entscheidung über den Kostenerstattungsantrag gehandelt hat und demgemäß das
Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG stellt allein
darauf ab, dass der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin zuvor in einem der dort aufgeführten Verfahren tätig war.
Mit dem reduzierten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die
Tätigkeit in diesen Verfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erleichtert. Hierfür kommt es auf die Frage des
Abschlusses des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ebenso wie auf die Klageart nicht an (ebenso: Sozialgericht
Hamburg, Beschl v. 5. Juli 2006, S 58 AS 329/05; Beschl. v. 25. September 2006, S 52 AS 1626/05; Beschl. v. 11.
Januar 2007, S 59 AS 234/06 und unter ausdrücklicher Aufgabe der bisher anderen Ansicht: Beschl. v. 13. Februar
2007, S 53 AS 2116/06). Der Gedanke des geringeren Aufwands greift auch bei Untätigkeitsklagen: Während ein
Bevollmächtigter, der bereits im Verwaltungs- oder Vorverfahren tätig war, mit dem Sachverhalt vertraut ist und sich
bei Antragstellung bzw. Widerspruchseinlegung die Frist zur Erhebung einer Untätigkeitsklage notiert haben dürfte,
müsste ein erstmalig zwecks Erhebung der Untätigkeitsklage aufgesuchter Rechtsanwalt zunächst im
Mandantengespräch den Sachverhalt klären, sich Unterlagen vorlegen lassen und dann prüfen, ob die Erhebung der
Klage zulässig, begründet und sinnvoll ist.
Ausgehend von dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) mit einer Mittelgebühr in Höhe von 170,00
EUR erscheint eine Gebühr in Höhe der vierfachen Mindestgebühr (80,00 EUR) allerdings unangemessen niedrig. Zu
bewerten ist die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen einer durchschnittlichen Untätigkeitsklage. Die Untätigkeitsklage
zielt darauf ab, den Fortgang des Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens zu erzwingen. Sie ist nur darauf
gerichtet, überhaupt eine Entscheidung des Sozialleistungsträgers herbeizuführen. Die begehrte Sachentscheidung
kann mit ihr nicht erreicht werden. Sie hat daher für den Kläger in aller Regel weniger Bedeutung als die übrigen
Klagearten. Zudem ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit typischerweise gering. Regelmäßig ist bei einer
Untätigkeitsklage daher eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen. Gleichwohl muss die
Untätigkeitsklage im Zusammenhang mit der begehrten Leistung (gleichsam als ihrem "Fernziel") betrachtet werden,
zu deren Durchsetzung sie dient. Aus diesem Grund darf die Gebühr nicht zu niedrig angesetzt werden. Die Gebühr
sollte zudem auch nicht in Bezug auf die Mindestgebühr, sondern im Verhältnis zur Mittelgebühr gebildet werden, um
ein angemessenes Verhältnis zur Bewertung der Untätigkeitsklage bei fehlender vorausgegangener Tätigkeit nach Nr.
3102 VV RVG zu gewährleisten. Bei einer Bemessung der Verfahrensgebühr, die von der Mindest- statt von der
Mittelgebühr ausgeht, ergäbe sich bei der Anwendung der Nr. 3102 VV RVG (Mindestgebühr 40,00 EUR) eine der
Sache nach kaum zu rechtfertigende Verdoppelung gegenüber derjenigen der Nr. 3103 RVG (Mindestgebühr 20,00
EUR). Daher hält das Gericht bei durchschnittlichen Untätigkeitsklagen eine Verfahrensgebühr in Höhe von 60% der
Mittelgebühr des jeweiligen Rahmens für angemessen (vgl. Sozialgericht Hamburg, Beschl v. 13. Februar 2007, S 53
AS 2116/06).
Im Falle der vorliegend anzuwendenden Nr. 3103 VV RVG ergibt sich damit eine angemessene Verfahrensgebühr von
102,00 EUR (60 % der Mittelgebühr in Höhe von 170,00 EUR). Hinzu kommt noch die Auslagenpauschale nach VV
Nr. 7002 deren Ansatz in Höhe des Höchstsatzes von 20,00 EUR regelmäßig nicht unbillig ist. Zu der sich
ergebenden Zwischensumme von 120,00 EUR sind, da der Rechtsstreit und damit die Leistungserbringung durch den
Bevollmächtigten der Klägerin vor dem 1. Januar 2007 geendet hat, noch 16% (statt nunmehr 19%) Mehrwertsteuer,
also 19,52 EUR hinzuzurechnen. Somit ergeben sich festzusetzende Kosten in Höhe von 141,52 EUR.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).