Urteil des SozG Gotha vom 02.06.2008

SozG Gotha: eltern, medizinische rehabilitation, behinderung, schule, eingliederung, besuch, verkehrsmittel, rollstuhl, training, verfügung

Sozialgericht Gotha
Urteil vom 02.06.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gotha S 14 SO 1391/06
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20.04.2006 verurteilt, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines
Kraftfahrzeugs unter Beachtung der Rechtsauffassung der Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Der nunmehr 10 – Jährige Kläger leidet seit Geburt an einer spastischen Diparese bzw. Tetraparese. Der Grad der
Behinderung beträgt 100. Sein Schwerbehindertenausweis hat u.a. die Merkzeichen G, aG, B und er bedarf der
ständigen Begleitung. Danach liegt bei ihm eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im
Straßenverkehr (Merkzeichen G), eine außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen aG) und Hilflosigkeit
(Merkzeichen H) vor. Zudem ist eine ständige Begleitung notwendig (Merkzeichen B). Er erhält Pflegegeld der
Pflegestufe II. Der Kläger besucht die Montessori-Integrationsschule in E.
Am 18.01.2005 beantragten die Eltern des Klägers eine finanzielle Unterstützung zur Beschaffung eines
behindertengerechten Fahrzeuges. Sie haben ein Angebot für die Beschaffung eines "Opel Zafira" mit Kosten in Höhe
von 20.099,- EUR. Zur Begründung führten sie aus, zur gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei
ein KfZ für den Kläger notwendig. Unschädlich sei, dass der Kläger das KfZ nicht selbst bedienen könne. Der Kläger
habe vielfältige Kontakte. Der Weg zur Schule sei zwar über einen Fahrdienst abgesichert. Jedoch müsse der Kläger
z. T. mehrere Stunden warten. Die Herstellung von Sozialkontakten, Treffen mit Freunden, Sport treiben usw. sei
ohne PKW nicht möglich, da die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Behinderung nicht zumutbar und
quasi unmöglich sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.02.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf eine Kraftfahrzeug-Beihilfe ab.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne das Kraftfahrzeug nicht selbst bedienen. Für alle Fahrten, die
dem Kläger eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen sollen, sei die Gewährung einer
Kraftfahrzeug-Beihilfe nur vorgesehen, wenn ein der Teilhabe am Arbeitsleben gleichgewichtiger Grund gegeben sei.
Vorliegend seien die Voraussetzungen nicht gegeben.
Hiergegen legten die Eltern der Klägerin mit Schreiben vom 09.03.2005 Widerspruch ein, der mit
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.04.2006 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung hieß es, die
Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges setze die Notwendigkeit einer ständigen und nicht nur
vereinzelten oder gelegentlichen Benutzung voraus. Fahrten zu Sportvereinen oder zu Besuch von Freunden reichten
hierfür nicht aus. Die Vorstellung, ein KFZ zur Verfügung zu stellen in der Erwartung, dass aus einer Mitbenutzung
des KFZ durch einen Dritten dem Kläger mittelbar ein der Eingliederung dienender Vorteil erwachse, vertrage sich
nicht mit dem Leitgedanken der Eingliederungshilfe zum Hilfsmittel "KFZ". Die ständige Verfügbarkeit eines PKW in
der eigenen Familie möge wünschenswert sein, spiele eingliederungsrechtlich aber keine Rolle.
Mittlerweile haben die Eltern des Klägers zum Preis von 17.150,- EUR einen PKW Opel Zafira beschafft und benutzen
diesen noch.
Am 10.05.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Er trägt vor, er könne am Leben in der
Gemeinschaft nicht teilnehmen, wenn er auf öffentlichen Verkehrsmittel verwiesen werde. Er sei ständig auf ein
Kraftfahrzeug angewiesen. Der Besuch von Erlebnisbädern, Kinos, Freizeitparks, Veranstaltungen usw. sei nur mit
einem PKW möglich. Auch trainiere der Kläger Montags und Freitag im Handicapsportclub E. Er sei in der
Leichtathletik (Rennrollstuhl) sehr erfolgreich. Er sei 2005 Internationaler Deutscher Meister und 2006 Internationaler
Hallenmeister geworden. Er könne zwar mit Hilfe von Gehstützen oder eines Rollators kurze Strecken im Haus gehen,
sei aber auf einen Rollstuhl im Übrigen angewiesen. Für seine sportlichen Aktivitäten benutze er einen sog.
Rennrollstuhl, der nicht zusammenklappbar sei und zusätzlich zum normalen Rollstuhl zum Training mitgeführt
werden müsse. Diesen könne er auch nicht in E. lassen, da er auch zu Hause trainieren müsse.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2005 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.04.2006
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid sowie den Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie aus, sie sei nicht
verpflichtet, jede Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, insbesondere den gelegentlichen Besuch eines
Schwimmbades oder eines Kinos, zu ermöglichen. Urlaubsreisen, Kinobesuche oder Schwimmbadbesuche würden
nicht ständig, sondern nur gelegentlich durchgeführt. Der Fahrbedarf könne anderweitig gedeckt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf
die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 14.02.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 20.04.2006 der Beklagten sind rechtswidrig und
verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung einer Hilfe
zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges (§ 54 SGG).
Rechtliche Anknüpfungspunkte sind die §§ 53, 54 SGB XII in Verbindung mit § 8 der Verordnung nach § 60 SGB XII
(EinglH-VO) in der Fassung der Bekanntmachung vom IdF d. Art. 13 Nr. 4 G v. 27.12.(BGBl. 2003 I 3022).
Der Kläger gehört zu dem Personenkreis, dem gemäß § 53 SGB XII Eingliederungshilfe zu gewähren ist. Dies
bestreitet die Beklagte nicht.
Bei der vom Kläger begehrten Leistung handelt es sich um eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges im Sinne
des § 8 EinglH-VO. Die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs gilt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EinglH-VO als Hilfe
im Sinne des § 54 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX.
Die Beklagte ist nunmehr auch als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Hilfe zur Beschaffung eines
Kraftfahrzeuges sachlich zuständig.
Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung einer Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges liegen hier
vor. Sie wird gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EinglH-VO in angemessenem Umfang gewährt, wenn der
behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilnahme am Arbeitsleben auf die
Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist. Der Sinn und Zweck der Regelung liegt darin, den Behinderten
durch die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und durch Eingliederung in das Arbeitsleben nach Möglichkeit
einem Nichtbehinderten gleichzustellen. Der Bedürftige soll die Hilfen finden, die es ihm ermöglichen, in der
Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben. Der vom Gesetz vorgesehene Schwerpunkt der
Versorgung mit einem Kraftfahrzeug liegt in der Eingliederung in das Arbeitsleben. Zwar sind damit andere Gründe
nicht von vornherein ausgeschlossen, doch müssen sie mindestens vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört auch,
dass die Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich, besteht. Die Notwendigkeit,
ständig ein Kraftfahrzeug zu benutzen, fehlt, wenn die erforderliche Mobilität des behinderten Menschen auf andere
Weise sichergestellt ist. Sofern die Eingliederung durch andere Hilfen, zum Beispiel durch Benutzung eines
Krankenfahrzeuges oder von öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch die Übernahme der Kosten eines Taxis oder
Mietautos erreicht werden kann, ist der behinderte Mensch nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeugs
ständig angewiesen. Für lediglich gelegentliche Fahrten kann die Notwendigkeit der Beschaffung eines (eigenen)
Kraftfahrzeugs nicht bejaht werden (BVerwG, Urteil vom 11. November 1970, BVerwG V C 32.70, BverwGE 36, 256;
Urteil vom 9. Juni 1971, ZfSH 1972, 272; Urteil vom 27. Oktober 1977, BverwGE 55,31; Urteil vom 20. Juli 2000,
BVerwGE 111,328; OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 23. August 1995, - 4 A 72/95 -, FEVS 47, 262;
Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 8 EinglH-VO Rn. 5). "Regelmäßig" bedeutet indes nicht, dass das
Fahrzeug gleichsam täglich benötigt wird oder der Bedarf sich ausnahmslos jede Woche mindestens zweimal stellt
und entsprechend befriedigt wird. Vielmehr kann – wie bei einem Nichtbehinderten – je nach den konkreten
Umständen des Einzelfalles mal ein erhöhter und mal ein geringerer Bedarf gegeben sein, wobei dieser allerdings
nicht nur vereinzelt oder gelegentlich bestehen darf. Bei allem bleibt entscheidend, ob der Behinderte mit Blick auf
das Ziel der Eingliederungshilfe auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen ist (vgl. auch HessVGH, Urt. v. 12.12.1995,
a.a.O.), Die Benutzung eines Kraftfahrzeuges kann für die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bereits dann
regelmäßig notwendig sein, wenn es für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet,
notwendig ist, ein Kraftfahrzeug zu nutzen (OVG Münster, Urt. v. 25.03.1991, NVwZ-RR 1992,82; VGH Kassel, Urt. v.
12.12.1995, FEVS 47,86), wobei maßgeblich auf die Art und Schwere der Behinderung und zum anderen die
gesamten Lebensumstände und -verhältnisse des Behinderten abzustellen ist. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein
Kraftfahrzeug typischerweise ein der Eingliederung eines Behinderten dienendes Hilfsmittel ist (BVerwG, Urt. v.
27.10.1977 – V C 15.77 – BVerwGE 55, 31 ff.). Ist hieran gemessen die erforderliche Mobilität – in zumutbarer Weise
– durch andere Hilfen, zum Beispiel durch die Benutzung eines Behindertenfahrzeuges (Rollstuhl) oder von
öffentlichen Verkehrsmitteln oder in sonstiger Weise (Krankentransport, Taxi, Mietauto) " sichergestellt" , ist der
Behinderte nicht auf die Benutzung eines (eigenen) Kraftfahrzeuges ständig angewiesen (vgl. BVerwG, Urt. v.
20.7.2000, a. a. O.; Urt. v. 11.11.1970, a. a. O. S. 257 f.; Urt. v. 9.6.1971, a. a. O.; OVG NRW, Urt. v. 15.11.1999, a.
a. O.). Insbesondere eine zu 100 % schwerbehinderte Schülerin, die bewegungsunfähig ist, hat dem Grunde nach
einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Kraftfahrzeughilfe (VG Potsdam, Beschluss vom 17.01.2002,
NVwZ-RR 2002,757). Diesen Grundsätzen folgt die Kammer auch für das vorliegende Verfahren. Die Vorschriften der
§§ 53, 54 SGB XII entsprechen inhaltlich denen der §§ 39, 40 BSHG. Sachliche Änderungen sind nicht vorgenommen
worden, so dass die Rechtsprechung zu § 39, 40 BSHG auch für die Neuregelung im SGB XII weiter verwendet
werden kann.
Nach diesen Grundsätzen ist dem Kläger eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges gemäß § 8 EinglH-VO zu
gewähren. Er ist ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Zwar ist es ihm
möglich, mit Hilfe seiner Eltern und eines. Rollstuhls die Wohnung der Eltern zu verlassen und sich in die nähere
Umgebung zu begeben. Für jede Fortbewegung, die den Fahrbereich des Rollstuhls überschreitet, ist jedoch die
Benutzung eines Kraftfahrzeugs notwendig. Dies gilt insbesondere für die Tage, an denen er nicht den Fahrdienst zur
Schule benutzen kann, sowie für Fahrten zur Krankengymnastik, Schwimmbadbesuche sowie Fahrten zu Bekannten
und insbesondere zum Training nach E. Der Kläger kann hierfür nicht auf die Benutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln verwiesen werden. Nach den Angaben der Eltern, denen die Beklagte nicht entgegengetreten ist, ist
es dem Kläger allein schon nicht möglich, seine Termine im Sportverein zeitlich mit der Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel zu bewältigen. Hinzu kommt, dass aufgrund der Behinderung die Benutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln erheblich erschwert ist. Es ist, wie in der mündlichen Verhandlung klar gestellt wurde, neben dem
Rollstuhl für den Kläger noch ein sog. Rennrollstuhl mitzuführen, um den Trainingsort in E. aufzusuchen. Hierbei
wurde seitens der Mutter des Klägers auch dargestellt, dass der Kläger manchmal erst so spät vom Training
zurückkommt, dass der Bahnhof in W. schon geschlossen ist und die Bahnreisenden über den Ostausgang, der über
keinen Fahrstuhl verfügt, den Bahnsteig verlassen müssen. Allein aufgrund der aufgezeigten Umstände kann der
Kläger deshalb nicht zumutbar auf die Bahn als Verkehrsmittel verwiesen werden. Auf Grund der intensiven
Betreuung, der der Kläger ständig bedarf, auch dies ist in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vom Kläger
klargestellt worden, ist auch der Transport durch Taxis für ihn ungeeignet. Auch der Transport durch ein Mietauto ist
nicht praktikabel, da der Kläger für jede Fortbewegung, die über den Nahbereich des Hauses hinausführt, auf ein
Fahrzeug angewiesen ist. Es ist dem Kläger bzw. seinen Eltern nicht zuzumuten, vor jedem Ausflug oder Training
eine Autovermietung aufzusuchen und nach einem passenden Fahrzeug zu suchen, mit welchem der Kläger sowie
der Rollstuhl und Rollator bzw. Rennrollstuhl transportiert werden können. Es ist auch nicht anzunehmen, dass
jederzeit bei Bedarf ein geeigneter Mietwagen zur Verfügung steht.
Soweit von der Beklagten im Widerspruchsbescheid geltend gemacht wird, der ÖPNV der Beklagten wie auch der
Stadt E. sei größtenteils behindertengerecht ausgestattet, die zum Einsatz kommenden Busse und Bahnen seien
überwiegend Niederflurfahrzeuge und auch die Haltestellen seien weitgehend entsprechend ausgebaut, ist dieser
Vortrag nicht geeignet, die vorgenannten Feststellungen in Frage zu stellen. Denn im Hinblick auf die vorgenannten
Erwägungen, die einer Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehen, kommt es auf die
behindertengerechte Beschaffenheit der Busse und Bahnen nicht entscheidend an.
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Kläger ständig mit einem eigenen Kraftfahrzeug transportiert werden
muss, um an den Trainings im Olympiastützpunkt in E. teilnehmen zu können. Dies hat der Kläger wiederum
unbestritten vorgetragen. Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen dürfte ebenfalls ein wesentliches Element der
Eingliederung sein, so dass diesem Umstand bei der Frage des Angewiesenseins auf ein Kraftfahrzeug ein
besonderes Gewicht beizumessen ist. Ob der Kläger bereits im Hinblick hierauf – da insoweit eine anderweitige
Transportmöglichkeit offenbar nicht sichergestellt ist – dauerhaft auf ein eigenes Kraftfahrzeug angewiesen ist, bedarf
hier aus den vorgenannten Gründen keiner weiteren Erörterung. Es aber sicher hiervon auszugehen.
Darüber hinaus ist der Kläger auch im übrigen privaten Bereich auf ein Kraftfahrzeug ständig angewiesen, so dass
auch aus diesem Grunde ein Anspruch auf Gewährung der von ihm geltend gemachten Eingliederungshilfe besteht.
Dabei ist, wie dargestellt, von Folgendem auszugehen: Maßnahmen der Eingliederungshilfe sind nach §§ 53, 54 SGB
XII auch Leistungen zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 SGB IX. D. h. im Vordergrund der
Eingliederungshilfe stehen auch die persönlichen und menschlichen Begegnungen; hierzu gehört auch, dem
Behinderten die Begegnung und den Umgang mit nicht behinderten Personen zu ermöglichen, zu erleichtern oder
diese vorzubereiten sowie die Hilfe zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der
Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen. Die Eingliederungshilfe soll den Behinderten überdies dazu befähigen,
sein Leben selbst zu gestalten und auf Dauer möglichst unabhängig von öffentlicher Hilfe zu leben (vgl. u. a. OVG
NRW, Urt. v. 25.3.1991 – 24 A 1423/88 -). Der Behinderte besitzt insoweit einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in
dem nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erforderlichen und vertretbaren Umfang ( § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB
XII).
Hieran gemessen ist der Zweck der Eingliederungshilfe allein durch den Besuch der Schule noch keinesfalls erfüllt.
Denn die gewünschte Eingliederung kann keinesfalls auf die Schule reduziert werden. Auch behinderte Kinder haben
freie Wochenenden, ausgedehnte Freizeiten und auch für sie ist der Tag nicht um 16.00 Uhr (Rücktransport von der
Schule) zu Ende. Vielmehr machen die Ausführungen der Eltern des Kläger zu seiner Lebenssituation deutlich, dass
die Eltern große Anstrengungen unternehmen, um dem Kläger tatsächlich ein Leben in der Gemeinschaft annähernd in
der Weise zu ermöglichen, wie dies auch bei gleichaltrigen nicht behinderten Menschen der Fall ist. Neben den
Freizeitaktivitäten wie beispielsweise Verwandten- und Bekanntenbesuche, Urlaube, Besuch von kulturellen und
sportlichen Veranstaltungen, Training gehören hierzu u. a. auch Einkäufe (z. B. Kleidung, Lebensmittel) und sonstige
Besorgungen (z. B. Friseur) sowie etwa Fahrten zu Behörden, um es ihm zu ermöglichen, ebenso wie ein
Nichtbehinderter ihre Rechte in persönlicher Vorsprache wahrzunehmen (zu letzterem HessVGH, Urt. v. 12.12.1995 –
9 UE 1339/ 94 – a. a. O.).
Wie bereits ausgeführt, kann der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht (in zumutbarer Weise) auf die
Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Taxis) verwiesen werden. Dies gilt insbesondere für den
außerschulischen, privaten Bereich. Inwieweit der Kläger indes auf einen Behindertenfahrdienst der Beklagten oder
privater Anbieter zurückgreifen kann, lässt sich nach Aktenlage nicht verlässlich feststellen. In Anbetracht dessen,
dass der Kläger aufgrund der Schwere seiner Behinderung bei sämtlichen außerschulischen Aktivitäten und bei allen
anderen Angelegenheiten, die zur Bewältigung des Alltags erforderlich sind, durchgängig auf einen solchen Fahrdienst
angewiesen wäre, muss bezweifelt werden, dass hierdurch die unter Berücksichtigung des Ziels der
Eingliederungshilfe erforderliche Mobilität des Klägers gewährleistet wäre. Auch bedarf es einer Gesamtwürdigung der
konkreten Lebensumstände und -verhältnisse des Klägers unter Berücksichtigung der Schwere seiner Behinderung,
die hier außergewöhnlich schwerwiegend ist. Ebenso wird der Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe verkannt, wenn
im Widerspruchsbescheid die Ablehnung der Eingliederungshilfe darauf gestützt wird, das der ÖPNV genutzt werden
könne, so dass dadurch bereits die Teilnahme des Klägers am Leben in der Gemeinschaft ausreichend ermöglicht
werde. In der Rechtsprechung ist vielmehr anerkannt, dass die Benutzung eines Kraftfahrzeuges für eine Teilnahme
am Leben in der Gemeinschaft regelmäßig erforderlich ist, wenn jede Fortbewegung, die den Fahrbereich eines
Rollstuhls überschreitet, die Notwendigkeit einschließt, ein eigenes Kraftfahrzeug zu nutzen (vgl. u. a. OVG NRW,
Urt. v. 25.3.1991 – 24 A 1423/88 -).
Nach allem bleibt nur mehr anzumerken, dass zur Aufgabe der Eingliederungshilfe auch – wie sich schon aus §§ 53,
54 SGB XII, aber ebenfalls aus § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Nr. 1 SGB IX ergibt – die medizinische Rehabilitation, hier
insbesondere ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der
Behinderung gehört. Die hierdurch bedingten behinderungsbedingten Mobilitätsbedarfe und ihre Deckung können nicht
abgetrennt werden, soweit es jedenfalls die Frage des Angewiesenseins auf ein Kraftfahrzeug und, soweit durch die
Hilfe für die Anschaffung und den Betrieb des Kraftfahrzeuges keine unvertretbaren Mehrkosten entstehen, die Frage
der Kostenübernahme betrifft. Ob der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) daran etwas ändert, erscheint
fraglich, weil das "Angewiesensein" auf ein Kraftfahrzeug nicht davon abhängt, ob der Behinderte beispielsweise
krankenversichert ist oder aber Krankenhilfe vom Sozialhilfeträger bezieht; ebenso wenig kann es davon abhängen,
ob der für die Krankenhilfe zuständige örtliche oder aber der überörtliche Sozialhilfeträger für die KfzHilfe bzw.
Übernahme der Kosten zuständig ist. Aus den zuvor genannten Erwägungen bedarf dieser Aspekt hier indes keiner
vertieften rechtlichen Erörterung und Entscheidung.
Es entspricht auch dem in § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu Ausdruck kommenden Zweck der Eingliederungshilfe, den
behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, wenn dem Kläger durch eine
Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges die oben beschriebenen Ausflüge ermöglicht werden. Es ist davon
auszugehen, dass der Kläger in einer die Menschenwürde beeinträchtigenden Weise seelisch verarmen würde, wenn
seine Möglichkeiten, das Wohnhaus zu verlassen, auf "Spaziergänge" mit dem Krankenfahrzeug (Rollstuhl) im
Nahbereich bzw. auf Kontakte nach der Schule in der Wartezeit auf den Fahrdienst beschränkt wären. Es ist vielmehr
dringend geboten, dem Kläger, weitere zwischenmenschliche Kontakte mit seinen Mitschülern oder Bekannten und
Verwandten auch außerhalb der Schule oder des Elternhauses zu ermöglichen.
Ein Anspruch des Klägers auf eine Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges ist hier auch nicht gemäß § 8 Abs. 3
EinglH-VO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Hilfe in der Regel davon abhängig, dass der Behinderte das
Kraftfahrzeug selbst bedienen kann. In besonderen Fällen kann die Hilfe jedoch auch dann gewährt werden, wenn der
behinderte Mensch das Kraftfahrzeug nicht selbst bedienen kann und durch Dritte gefahren werden muss
(Schellhorn/Schellhorn, a.a.O., § 8 EinglH-VO Rn. 12). Insbesondere für ein Kind ist ein Anspruch auf
Kraftfahrzeughilfe nicht nach § 8 Abs. 3 EinglH-VO ausgeschlossen, wenn sichergestellt ist, dass jederzeit ein
Elternteil zur Verfügung steht, um das Kraftfahrzeug zu führen (VG Potsdam, Beschluss vom 17.01.2002, a.a.O.).
Hiernach ist ein Anspruch des Klägers nicht ausgeschlossen, obwohl er das Kraftfahrzeug nicht selbst bedienen
kann, denn die Eltern stehen jederzeit zur Verfügung, um ihn zu fahren.
Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe sich nach Ablehnung seines Antrages durch die
Beklagte ein Kraftfahrzeug angeschafft und damit seine Notlage selbst behoben. Die Entscheidungsmöglichkeiten des
Sozialhilfeträgers engen sich vielmehr ein, wenn er - wie hier - eine an sich zustehende Hilfe ablehnt. Wenn der
Hilfebedürftige nach Ablehnung sich selbst Hilfe sucht, muss seine Hilfewahl, vorausgesetzt sie hält sich im Rahmen
des Anspruchs nach § 8 Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO, der Hilfeentscheidung der Behörde zugrunde gelegt werden
(BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2000, BVerwG 5 C 43.99, a.a.O.). Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beklagte
bei ihrer Entscheidung auf die Form Geldleistung festgelegt ist, weil die Eltern des Klägers bereits in 2005 ein
Kraftfahrzeug Opel Zafira zum Preis von 17.150,- EUR beschafft haben.
Rechtsfolge des § 8 Abs. 1 Satz 2 EinglH-VO ist ein Anspruch auf Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges "in
angemessenem Umfang". Was angemessen ist, entscheidet der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem
Ermessen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Eingliederungshilfe (VG Potsdam, a.a.O.;
Schellhorn/Schellhorn, a.a.O., § 8 EinglH-VO Rn. 7). Auf die Leistung sind das nach§§ 87, 88 SGB XII einzusetzende
Einkommen und das nach § 90 SGB XII einzusetzende Vermögen des Klägers und ihrer Eltern anzurechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.