Urteil des SozG Gotha vom 02.06.2008

SozG Gotha: ersparnis, grundsatz der gleichbehandlung, kostenbeitrag, einkommensgrenze, haushalt, alter, fürsorge, entstehungsgeschichte, nachrichtendienst, ermessensspielraum

Sozialgericht Gotha
Urteil vom 02.06.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gotha S 14 SO 998/06
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 03.03.2006 verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Berechnung des Eigenanteils der Klägerin an Heimkosten unter
Beachtung der Rechtsauffassung der Gerichts neu zu bescheiden.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die 1940 geborene Klägerin liegt seit 2002 im Wachkoma und wird im Senioren- und Pflegeheim in M.gepflegt. Der
Medizinische Dienst der Krankenversicherung beurteilt sie als erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe III). Die Klägerin
bezieht eine Rente in Höhe von 624,99 EUR. Der 1941 geborene Ehegatte der Klägerin bezieht eine Rente in Höhe
von 1.156,87 EUR und wohnt in einer 2-Zimmer-Wohnung mit 45,5 qm Wohnfläche. Die Kaltmiete beträgt 122,13
EUR, für Heizung- und Warmwasser sind 77,35 EUR angefallen. Sonstige Betriebskosten wurden mit 48,85 EUR
angegeben. Die Warmmiete betrug 248,33 EUR. Nachdem das einsetzbare Vermögen aufgebraucht war, wurde der
Klägerin mit Bescheid vom 03.03.2004 ab dem 01.07.2003 bis auf weiteres Hilfe zur Pflege bewilligt. Es wurde ein
Betrag in Höhe von 527,55 EUR als einzusetzendes Einkommen festgesetzt. Mit Bescheid vom22.11.2004 wurde der
Klägerin weiterhin Hilfe zur Pflege bewilligt und der Betrag des einzusetzenden Einkommens auf 426,- EUR für die
Zeit ab Juli 2003 festgesetzt. Mit Änderungsbescheid des Beklagten vom 11.05.2005 wurde das einzusetzende
Einkommen auf insgesamt auf 1.015,97 EUR festgesetzt. Mit Bescheid vom 29.06.2005 wurde der Klägerin weiterhin
Hilfe zur Pflege bewilligt und der Gesamteigenanteil der Klägerin auf 826,08 EUR festgesetzt. Mit Abhilfebescheid
vom 15.11.2005 wurde der Bescheid vom 29.06.2005 aufgehoben. Mit Bescheid vom 22.11.2005 wurde der Klägerin
ab dem 01.01.2005 bis 30.04.2005 und vom 01.05.2005 bis 30.06.2005 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in
Einrichtungen in Höhe von monatlich 117,23 EUR und Leistungen der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen in Höhe von
1.822,31 EUR monatlich gewährt. Der Eigenanteil wurde auf 814,66 EUR festgesetzt. Mit Bescheid vom 22.11.2005
wurde der Klägerin ab dem 01.07.2005 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen in Höhe von
monatlich 120,26 EUR und Leistungen der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen in Höhe monatlich 1.828,46 EUR gewährt.
Der Eigenanteil wurde auf 805,48 EUR festgesetzt. Die Berechnung wurde wie folgt vorgenommen: "Anlage zum
Bescheid vom 22.11.2005
Ermittlung des Eigenanteils des Hilfesuchenden und der in § 19 SGB XII genannten Personen bei Hilfen nach dem
Dritten und Sechsten bzw. Siebten Kapitel
Name des HS: K., K.
1. Zusammenstellung des Einkommens:
Monatliches bereinigtes Einkommen (§ 82 SGB XII) des HS; hier: 624,69 EUR abzgl. Kontoführungsgebühren mtl.
1,50 EUR 623,19 EUR
Monatliches bereinigtes Einkommen seines nicht getrennt lebenden 1.141,36 EUR Ehegatten (§82 SGB XII); hier:
1.156,87 EUR abzgl.
Hausratversicherung mtl. 15,51 EUR
abzüglich des bei einem weiteren Bedarf ggf. bereits eingesetzten
Einkommens (§ 89 Abs. 1 SGB XII)
maßgebendes Einkommen 1.764,55
1.1 Ermittlung des Garantiebetrages des Ehegatten Eckregelsatz 331,00 EUR
Kosten der Unterkunft 206,86
Garantiebetrag 537,86
2. Kostenbeitrag für Leistungen nach dem Dritten Kapitel - Ermittlung der Häuslichen Ersparnis - gem. § 82 Abs. 4
SGB Xll
2-1 § 82 Abs. 4 S. 1 SGB Xll
2.1.1 Ermittlung des gemeinsamen Bedarfs an HLU außerhalb der Einrichtung
Garantiebetrag des Ehegatten 537,86 EUR
Regelsatz Haushaltsangehöriger 265,00 EUR
Mehrbedarf gem. § 30 SGB XII 45.05
Bedarf an HLU außerhalb der Einrichtung 847,91 EUR
2.1.2 Ermittlung der Häuslichen Ersparnis
Bedarf an HLU außerhalb der Einrichtung 847,91 EUR
./. maßgebendes Einkommen nach 1. 1.764,55 EUR
übersteigendes Einkommen 916,64 EUR 108,11 % liegt das übersteigende Einkommen über dem Bedarf an HLU
(2.1.1) (Häusliche Ersparnis = max. 150 % des RS HA- 265,00 EUR)
Häusliche Ersparnis 286,49 EUR
2-2 § 82 Abs. 4 S.2 SGB XII
2.2.1 Bedarf an HLU des/r Hilfesuchenden in der Einrichtung
Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit 590,05 EUR Barbetrag 86,06 EUR
Bedarf an HLU in der Einrichtung 676,11 EUR
2.2.2 Ermittlung des übersteigenden Einkommens des/r Hilfe- Suchenden
Einkommen des/r Hilfesuchenden (1.) 623,19 EUR./. Häusliche Ersparnis aus 2.1 286,49 EUR
übersteigendes Einkommen 336,70 EUR
2.2.3 Ermittlung des übersteigenden Bedarfs in der Einrichtung
Bedarf in der Einrichtung (2.2.1) 676,11 EUR ,/. Häusliche Ersparnis aus 2.1 X 286,49 EUR
übersteigender Bedarf 389,62 EUR
2.2.4 Ermittlung des darüber hinaus angemessenen Kostenbeitrages
Kostenbeitrag = Ermessensentscheidung 80-100 % des übersteigenden Einkommens (2.2.2); wenn dieser Betrag den
übersteigenden Bedarf (2.2.3) nicht übersteigt; hier: 80 % für sonstige besondere Belastungen, die nicht einzeln
nachgewiesen wurden Kostenbeitrag 269,36 EUR
2.3. Häusliche Ersparnis und Kostenbeitrag gesamt (aus 2.1 +2.2) 555,85 EUR
3. Kostenbeitrag für Leistungen nach dem Sechsten bzw. Siebten Kapitel
3.1 Ermittlung der Einkommensgrenze gem. § 85 SGB XII
Grundbetrag 662,00 EUR
kalte Kosten der Unterkunft (außerhalb der Einrichtung) 148,14 EUR
Kosten der Unterkunft in der Einrichtung) 280,00 EUR
Familienzuschläge - 70% Eckregelsatz 331,00 EUR x 1. 232,00 EUR
Einkommensgrenze 1322,14 EUR
3.2 Ermittlung des übersteigenden Einkommens
maßgebendes Einkommen aus 1. 1.764,55 EUR
./. besondere Belastungen:
- Haftpflichtversicherung Auto mtl. 8,54 EUR - Verkehrrechtsschutzversicherung mtl. 13,23 EUR Hausratversicherung
mtl. - vom Einkommen (1.) abgesetzt -Kfz-Steuer mtl. 6,82 EUR - Antennenanlage mtl. - in Kosten der Unterkunft
(3.1) enthalten
Fahrtkosten zum Besuch Ehefrau 2-mal mtl. (0,22 EUR x 65 km 57,20 EUR x2)
./. Einkommensgrenze 1.322,14 EUR
übersteigendes Einkommen 356,62 EUR
3.3 Ermittlung des Einkommenseinsatzes gem. § 87 Abs. 1 SGB XII
70 % aus dem Betrag nach Nr. 3.2 gem. § 87 Abs. 1 SGB XII 249,63 EUR
Begründung: Ermessensspielraum zwischen 70 und 100 % bei einer Bedarfsgemeinschaft von 2 Personen - weitere
Fahrten zur Ehefrau - für sonstige besondere Belastungen, die nicht einzeln nachgewiesen wurden
3.4 Kostenbeitrag 249,63 EUR
4. Eigenanteil gesamt
Summe aus 2.3 und 3.4 805,48 EUR
5.Kontrolle bzw. Berücksichtigung des Garantiebetrages - Gegenüberstellung des verbleibenden Einkommens mit
dem Garantiebetrag
verbleibendes Einkommen (maßgeb. Einkommen aus 1.) 959,07 EUR 1.764,55 EUR./. Eigenanteil aus 4.) 805,48
EUR
Garantiebetrag des Ehegatten aus 1.1 537,86 EUR
Das verbleibende Einkommen liegt über dem Garantiebetrag"
Mit Schreiben vom 22.12.2005 legte die Bevollmächtigte der Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur
Begründung führte sie aus, dass der Bescheid gegen das Vertrauensschutzgebot verstoße. Zudem verstoße der
Bescheid gegen § 89 SGB XII. Die Berechnung der häuslichen Ersparnis sei rechtswidrig und die Kosten der
Unterkunft seien fehlerhaft ermittelt. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2006 wies der Beklagte den Widerspruch
zurück. Mit dem Inkrafttreten des SGB XII seien rückwirkend zu Recht neue Kostenbeiträge entsprechend der
gesetzlichen Neuregelung erfolgt. Vertrauensschutz sei berücksichtigt worden, aber nicht hier einschlägig. § 89 SGB
XII sei rechtens angewendet worden. Es sei entsprechend der Handhabungsempfehlung des LASF (Landesamt für
Soziales und Familie) vorgegangen worden. Die Sozialhilferichtlinien seien vorliegend nicht angewandt worden.
Aufgrund der systematischen Stellung des § 89 SGB XII im Zweiten Kapitel des Elften Kapitels SGB XII sei die
Anwendung nur auf die in § 19 Abs. 3 SGB XII angesprochenen Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel
beschränkt. Eine Anwendung auch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel sei systemwidrig. Auch im Bezug auf die
Häusliche Ersparnis sei § 82 Abs. 4 SGB XII zutreffend angewandt worden. Dem Beklagten sei zwar ein
Ermessensspielraum eingeräumt, ob er einen Kostenbeitrag erhebt. Im Zuge der Gleichbehandlung habe sich der
Beklagte an der Handlungsempfehlung des LASF orientiert. Entsprechend der Handlungsempfehlungen des LASF sei
der Prozentsatz, um welches das Einkommen den Bedarf übersteige, auf das übersteigende Einkommen
anzuwenden; der Kostenbeitrag dürfe jedoch 150% des Regelsatzes für den Haushaltsangehörigen nicht
überschreiten. Die Angemessenheit sei entsprechend berücksichtigt worden und nur ein Prozentsatz von 80 %
angesetzt worden. Nach Einsatz des Einkommens verblieben dem Ehegatten noch 959,07 EUR. Dieses Einkommen
übersteige den Garantiebetrag um 421,21 EUR, so dass keine Gefahr bestünde, dass der Ehegatte der Klägerin
selbst bedürftig werden könnte. Die Kosten der Unterkunft seien ebenfalls korrekt berücksichtigt worden. Mit der am
31.03.2006 erhoben Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, dass die Ermittlung des Eigenanteils
fehlerhaft sei. § 82 Abs. 4 Satz 2 SGB XII sei fehlerhaft angewendet worden. Schon der Gesetzgeber sei davon
ausgegangen, dass Satz 2 in der Regel nur bei Personen Anwendung finden soll, die alleinstehend seien und in einer
Einrichtung lebten. Auch sei die Ermittlung des Einkommenseinsatzes gem. § 87 Abs. 1 SGB XII fehlerhaft. Die
Klägerin sei in Pflegestufe 3 eingestuft. Es sei deshalb nur ein Einkommenseinsatz in Höhe von 40 % zulässig gem.
§ 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 22.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
03.03.2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Eigenanteil an den Heimkosten der Klägerin neu zu
berechnen und die Klägerin neu zu verbescheiden.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält seine Bescheide für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen. Die die Klägerin
betreffenden Akten des Beklagten (3 Bände) haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22.11.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.03.2006 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat
Anspruch auf Berechnung des Eigenanteils ohne Einsatz der häuslichen Ersparnis, hier nach § 82 Abs. Abs. 4 SGB
XII sowie unter Beachtung der Auslegung der §§ 87 Abs. 1 Satz 3, 88 und 89 SGB XII durch das Gericht. Nach § 82
Abs. 4 SGB XII in der damals gültigen Fassung vom 30.03.2005 (eingef. durch Art. 2 Nr. 4 G. v. 09.12.2004, BGBl. I,
3305; Art. 10 Nr. 5 G. v. 21.03.2005, BGBl. I, 818) bis 06.12.2006 (aufgehoben durch Art. 1 Nr. 13 Buchst. c G v.
2.12.2006, BGBl. I, 2670) kann die Aufbringung der Mittel verlangt werden, soweit eine Person in einer teilstationären
oder stationären Einrichtung lebt, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Darüber
hinaus soll in angemessenem Umfange die Aufbringung der Mittel verlangt werden von Personen, die auf
voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung bedürfen,
solange sie nicht einen Anderen überwiegend unterhalten. Das Gericht geht davon aus, dass diese Vorschrift für
Ehegatten nicht anwendbar ist, es sei denn, es liegt der Fall vor, dass beide Eheleute sich auf Dauer in einer
stationären Einrichtung befinden. Das Einkommen des Ehegatten wurde bereits im Rahmen des § 19 Abs. 1 SGB XII
mitberücksichtigt, so dass er nicht bei der Prüfung des § 82 Abs. 4 SGB XII als Person angesehen werden kann, die
nicht überwiegend unterhalten wird. Es wird von den Ehegatten "aus einem Topf" gewirtschaftet. Ein weiterer Grund
für die Nichtanwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass sie zu ungereimten Ergebnissen führt. Nimmt man z.B. zwei
Ehepaare, die jeweils zusammen das gleiche Gesamteinkommen (Familieneinkommen) haben, so würde bei dem
Ehepaar, bei dem der Ehegatte, der weiter in der ehelichen Wohnung lebt, ein geringes oder gar kein Einkommen hat,
kein Einsatz von Einkommen unter der Einkommensgrenze vorgenommen werden, weil in diesem Fall der Ehegatte
im Heim den zu Hause Verbliebenen überwiegend unterhält. Hat dagegen der Ehegatte, der zu Hause verbleibt, ein
annähernd gleich hohes oder höheres Einkommen als der Ehegatte im Heim, so würde eine Einkommensanrechnung
unter der Einkommensgrenze stattfinden, obwohl das Familieneinkommen genau so hoch ist. Unausgewogen
erscheint dieses Ergebnis auch im Hinblick darauf, dass umso eher eine Einkommensanrechnung unter der
Einkommensgrenze stattfindet, umso höher das Einkommen des die Kosten nicht verursachenden Ehegatten ist. (vgl.
zu dem Ganzen Niemann, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 2006, 35).
Die Kammer folgt der Argumentation des Deutschen Vereins in seinem Gutachten vom 10. Oktober 1985 (G 6-173/85
= Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge - NDV - 1986, 58). Die dortige
Argumentation ist schlüssig und führt nicht zu den von Niemann, a.a.O., Seite 36, benannten und oben bereits
erwähnten ungereimten Ergebnissen (so auch Krahmer in LPK-BSHG, § 85 Rdnr. 15). Dieses Ergebnis wird durch die
Neuregelung "der häuslichen Ersparnis" im § 92a SGB XII, der durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 mit Wirkung vom 7. Dezember 2006 (BGBl. I,
2670) eingeführt worden ist und den Einkommenseinsatz bei Leistungen für Einrichtungen regelt, gestützt. Nach § 92a
Absatz 1 SGB XII kann die Aufbringung der Mittel für die Leistungen in der Einrichtung nach dem Dritten (Hilfe zum
Lebensunterhalt) und Vierten (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) Kapitel von einer Person, die
Leistungen in einer stationären Einrichtung erhält, von dieser und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten aus dem
gemeinsamen Einkommen verlangt werden, soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/2711) begrenzt Abs. 1 die Heranziehung zu den Kosten der
erbrachten Leistungen auf die tatsächlich vorliegenden Einsparungen für den Lebensunterhalt, wenn eine Person in
einer stationären Einrichtung lebt. Die Regelung stellt darüber hinaus ausdrücklich sicher, dass die
Einkommensschonregelung auch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Anwendung
findet. § 92 a Abs. 2 SGB XII bestimmt, dass, wenn - wie hier - eine Person auf voraussichtlich längere Zeit
Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf, die Aufbringung der Mittel über die häusliche Ersparnis des Abs. 1
hinaus in angemessenem Umfang verlangt werden soll. Hierzu ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (aaO), dass
mit der Änderung dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung getragen wird und damit die sich aus dem
bisherigen Recht (§ 82 Abs. 4 SGB XII) ergebende Privilegierung der zu Hause lebenden und überwiegend vom
Heimbewohner unterhaltenen (Ehe-)Partner beseitigt worden ist. Welche Beteiligung an den Kosten der
Heimunterbringung angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Neben der Dauer der
erforderlichen Aufwendungen sind die besonderen Belastungen des Leistungsberechtigten und nach Abs. 3 der
Vorschrift auch die bisherige Lebenssituation des im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partners sowie der im Haushalt
lebenden unverheirateten Kinder zu berücksichtigen; insoweit handelt es sich im Verhältnis zu § 19 Abs. 1 und 2 SGB
XII um eine Spezialnorm. Welcher Selbstbehalt dem im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partner zu belassen ist, richtet
sich ebenfalls nach den Gegebenheiten des Einzelfalles, wobei dem Betroffenen nach dem Willen des Gesetzgebers
(aaO) ein angemessener Betrag oberhalb des sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalts verbleiben soll. Bei
der Prüfung der Frage des Selbstbehalts des im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partners ist dem Sozialhilfeträger vom
Gesetzgeber weiterhin Ermessen eingeräumt worden, was die Träger der Sozialhilfe in die Lage versetzen soll, die
frühere Praxis nach dem BSHG fortzuführen (aaO). In Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze ist § 82 Abs. 4 SGB
XII durch den beklagten im angegriffenen Bescheid fehlerhaft angewandt worden. Eine Anwendung des § 82 Abs. 4
SGB XII auf Ehegatten, die nicht beide stationär untergebracht sind, kommt nicht in Betracht. Hierfür spricht schon
allein, dass mit der Neuregelung in § 92a SGB XII diese Privilegierung durch den Gesetzgeber aufgehoben wurde. Die
Neuregelung der "häuslichen Ersparnis" dürfte nach § 92a SGB XII der Auffassung des Beklagten entsprechen, ist
aber auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht anzuwenden; die Vorschrift ist erst am 07.12.2006 in Kraft
getreten, also nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Darüber hinaus wäre der Bescheid auch unter
Zugrundelegung des § 92a SGB XII rechtswidrig. Zunächst ist aus dem angegriffenen Bescheid in keiner Weise zu
erkennen, ob und wie der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen ausgeübt hat. Der pauschale Hinweis auf die
Verwendung Handlungsempfehlungen des LASF ersetzt nicht eine eigenständige Ermessensprüfung. Im Übrigen hat
der Beklagte in diesem Bescheid seiner Prüfung den - aufgehobenen - § 82 Abs. 4 SGB XII zu Grunde gelegt; die
nunmehr geltende Vorschrift des § 92a SGB XII hat er - ersichtlich - nicht geprüft und damit auch insbesondere nicht
den Gesichtspunkt, dass die bisherige Lebenssituation des im Haushalt Verbliebenen zu berücksichtigen ist. Die
pauschale Berechnung der häuslichen Ersparnis ist nach § 92a SGB XII nicht möglich. Der Beklagte hat im Rahmen
seines Ermessens im Einzelnen die häusliche Ersparnis zu prüfen und dabei die vorherige Lebenssituation der
Klägerin und ihres Ehemannes zu überprüfen. Das Gleiche gilt im Fall des § 88 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII in der bis zum
06.12.2006 gültigen Fassung. Danach kann die Aufbringung der Mittel, auch soweit das Einkommen unter der
Einkommensgrenze liegt, verlangt werden, soweit bei teilstationären und stationären Leistungen Aufwendungen für
den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. Darüber hinaus soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der
Mittel verlangt werden von Personen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Einrichtung bedürfen,
solange sie nicht einen Anderen überwiegend unterhalten. Auch in diesem Fall hält die Kammer einen
Einkommenseinsatz nach § 88 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII a. F. für Ehegatten, die nicht beide stationär oder teilstationär
untergebracht sind, nicht für gerechtfertigt. Niemann, a.a.O., Seite 36 ff hat schlüssig aufgezeigt, dass sich nach dem
Willen des Gesetzgebers an der bisherigen Regelung nach dem BSHG grundsätzlich nichts ändern sollte. Auch
weiterhin gilt vorliegend die Argumentation, dass die hier in Rede stehende Vorschrift vor allem Alleinstehende
betreffen sollte, da diesbezüglich kein Schutzbedürfnis besteht, da sie niemanden zu versorgen haben bzw. ihr
Einkommen nicht auch für andere mit zu berücksichtigen ist. Die oben genannten Argumente gegen einen Einsatz
des Einkommens unter der Einkommensgrenze sind auch für das neue Recht (§ 88 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII in der bis
zum 06.12.2006 geltenden Fassung) zutreffend. In der Neuregelung des § 88 SGB XII wurde die Ziffer 3 des
Absatzes 1 ersatzlos gestrichen. Die Neuregelung ist vorliegend nicht anzuwenden, da auch diese erst mit dem
07.12.2006 in Kraft getreten ist. § 89 SGB XII ist ebenfalls seitens des Beklagten fehlerhaft angewendet worden.
Nach Auffassung der Kommentarliteratur (vgl. nur Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 89 Rdnr. 2) handelt es sich
vorliegend um eine Kollisionsnorm. Aus der systematischen Stellung im Zweiten Abschnitt des Elften Kapitels ergibt
sich, dass § 89 SGB XII nur bei gleichzeitigem Mehrbedarf in Fällen der Hilfe des Fünften und Neunten Kapitels
anzuwenden ist, so auch zum § 87 BSHG, VGH München, Urteil vom 30.07.1998, - 12 B 96.100 -. Dies erlangt
vorliegend Bedeutung, weil bei Gewährung stationärer Leistungen zugleich der darin nicht eingeschlossene
Lebensunterhalt sicherzustellen war. In einem solchem Fall, wie dem Vorliegenden ist es angemessen, zunächst das
Einkommen zur Deckung des Bedarfs im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt heranzuziehen. Dabei ist
entsprechend der Sozialhilferichtlinien des Thüringischen Landkreistages und des Gemeinde- und Städtebundes
Thüringen in der Fassung vom 01.07.2005, zuletzt geändert am 01.07.2007 (SHR 89.01) der Kostenbeitrag nach § 82
Abs. 4 SGB XII einkommensmindernd zu berücksichtigen. Denn auch in diesem Zusammenhang gilt, dass diese
Vorschrift nur für Alleinstehende Berücksichtigung finden sollte wie auch in dem Fall, dass beide Ehepartner stationär
oder teilstationär untergebracht sind. Auch in diesem Fall sollte der nicht stationär oder teilstationär untergebrachte
Ehegatte privilegiert werden. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass der Beklagte entgegen seiner Rechtsansicht,
den Kostenbeitrag nach § 82 Abs. 4 SGB XII einkommensmindernd zu berücksichtigen hatte. In diesem Fall kommt
hinzu, dass der Beklagte die ihm für die Ermessensausübung gesetzten Schranken verletzt hat. Der Beklagte wich
vorliegend von den sonst regelmäßig befolgten Sozialhilferichtlinien ab, obwohl diese sich im Rahmen des Gesetzes
gehalten haben und diese nicht zu rechtswidrigen Ergebnissen geführt haben. Ein Abweichen wurde auch nicht durch
hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Folglich liegt darin allein schon eine Verletzung subjektiven Rechts. Von
dieser Selbstbindung der Verwaltung durfte vorliegend nicht ohne sachliche Gründe abgewichen werden. Solche sind
aber in den angegriffenen Bescheiden nicht erkennbar. Der pauschale Hinweis auf die Handreichung des LASF reicht
hierfür jedenfalls nicht. Letztlich hält die Kammer auch die Anwendung des § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB XII durch den
Beklagten für rechtsfehlerhaft. Zwar ist es in der Rechtsliteratur streitig, ob mit der Bezugnahme in § 87 Abs. 1 Satz 3
SGB XII auf § 64 Abs. 3 SGB XII bzw. § 72 SGB XII der weite Einkommensschutz (Anrechnung des übersteigenden
Einkommens nur i.H.v. maximal 40%) lediglich für die Fälle des Bezugs von Pflegegeld nach § 64 Abs. 3 SGB XII
bzw. Blindengeld nach § 72 Abs. 2 SGB XII gilt oder ob diese Privilegierung für den Bezug von sämtlichen Leistungen
für Schwerstpflegebedürftige bzw. Blinde gelten soll, vgl. Krahmer, ZfF 2007, 226. Die Kammer legt die Vorschrift
dahingehend aus, dass - auch aufgrund der Entstehungsgeschichte (BT-Drucksache 15/1514, S. 66) - § 87 Abs. 1
Satz 3 SGB XII auf den Bezug aller Leistungen der Pflege für Schwerstpflegebedürftige bzw. Blinde, auch für die der
häuslichen und für die der teil- bzw. vollstationären Pflege, anzuwenden ist. Die Vorschrift ist erst aufgrund der
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 16.12.2003, BT-Drucks. 15/2260, Seite 9, dem Absatz 1
angefügt worden. Sie dient erkennbar dem Zweck, die durch die Vereinheitlichung der Einkommensgrenze auf
erheblich niedrigerem Niveau als nach bisheriger Rechtslage belasteten behinderten und pflegebedürftigen Menschen
zu privilegieren und einen teilweisen Ausgleich für die Absenkung der Einkommensgrenzen zu schaffen. Die Regelung
hat nach Ansicht der Kammer zur Folge, dass das Einkommen von schwerstpflegebedürftigen oder blinden Menschen
bzw. ihrer zum Einsatz verpflichteten Angehörigen i.S.d. § 19 Abs. 3, das über der Einkommensgrenze des § 85 SGB
XII liegt, höchstens im Umfang von 40 % herangezogen werden darf. Erfasst sind von Satz 3 des § 87 Abs. 1 SGB
XII die schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs. 3 SGB XII, d.h. die Personen, die die Voraussetzungen
der Pflegestufe III erfüllen. Eine Beschränkung auf die Personen, die Pflegegeld erhalten ist aus dem
Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Nach einer am Wortlaut orientierte Auslegung kommt die Kammer zum
Ergebnis, dass alle Schwerstpflegebedürftigen privilegiert werden. Dies entspricht auch dem Willen des
Gesetzgebers. Der Gesetzgeber wollte, das ist offensichtlich, nur hinsichtlich der Voraussetzungen für die
Privilegierung auf § 64 Abs. 3 SGB XII verweisen, nicht aber um den Personenkreis zusätzlich noch weiter
einzugrenzen. Der Gesetzgeber wollte den § 43 BSHG inhaltsgleich übertragen. Die Entstehungsgeschichte lässt
ebenfalls kein anderes Ergebnis erkennen, vgl. BT-Drucks. 15/1514, Seite 66. Mit § 87 wurde inhaltsgleich der
bisherige § 43 BSHG übertragen. Des Verweises bedurfte es, um den Personenkreis als solches zu definieren, nicht
um Einschränkungen innerhalb des Personenkreises vorzunehmen. Hinsichtlich der Berechnung der Kosten der
Unterkunft ist ebenfalls auf die zuvor dargestellte Problematik des § 82 Abs. 4 SGB XII hinzuweisen. Demzufolge ist
die Berechnung, die den angegriffenen Bescheiden zugrunde liegt fehlerhaft, weil der Beklagte die den angegriffenen
Bescheiden zugrunde liegenden Vorschriften rechtswidrig angewendet hat. Rechtsfolge ist ein Anspruch auf
Neuberechnung des Eigenanteils der Klägerin nach den §§ 84, 87, 88 und 89 SGB XII in der bis zum 06.12.2006
gültigen Fassung. Was angemessen ist, entscheidet der Träger der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen. Die
Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.