Urteil des SozG Gießen vom 11.06.2007

SozG Gießen: wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, anerkennung, hausarzt, bedingung, körperschaden, unfallversicherung, chef, beweislast, rechtsmittelbelehrung

Sozialgericht Gießen
Gerichtsbescheid vom 11.06.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 3 U 226/06
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Anerkennung eines versicherten Unfalles sowie Gewährung von Entschädigungsleistungen hierfür.
Der 1955 geborene Kläger zeigte mit Schreiben vom 08.06.2006 einen Unfall vom 20.03.2001 an, der sich während
seiner bei der Beklagten versicherten Tätigkeit bei Fa. K., R., ereignet haben sollte. Um 7.30 Uhr sei er beim Beladen
des Firmenfahrzeugs gestolpert und mit dem linken Auge gegen ein 3 x 400 cm schmales Brett geschlagen. Am
nächsten Tag sei er zu seinem Hausarzt Dr. M. gegangen, weil ihm sein Rücken auch wehgetan habe. Das Auge
habe sich der Doktor auch angeschaut, habe aber nichts feststellen können. Einen Unfallarzt habe er nicht
aufgesucht. Am 29.03.2006 habe der Augenarzt Dr. Sch. festgestellt, dass die Netzhaut des linken Auges durch den
Schlag stark beschädigt worden sei.
Zur Akte gelangte der Bericht des Dr. S. vom 20.04.2006 mit der Diagnose "Makuladefekt am linken Auge nach
Contusio bulbi".
Durch Bescheid vom 28.04.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines versicherten Unfalles ab, da ein
Zusammenhang der Beschwerden mit einem Ereignis im März 2001 nicht erwiesen sei.
Hierzu äußerte sich der Hausarzt des Klägers, Dr. M., mit Schreiben vom 11.05.2006. Er habe zwar selbst keine
Aufzeichnungen über die Augenuntersuchung, halte den Kläger aber für einen zuverlässigen Menschen, der nicht auf
unberechtigte Krankheitszeiten aus gewesen sei. Auf den fristgerecht auch vom Kläger selbst eingelegten
Widerspruch holte die Beklagte eine schriftliche Stellungnahme des Arbeitgebers vom 14.06.2006 ein, welcher
mitteilte, es sei für diesen Tag kein Arbeitsunfall dokumentiert. Außerdem gelangten der PC-Ausdruck der
Aufzeichnungen des Hausarztes, das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sowie eine weitere schriftliche
Stellungnahme des Klägers zur Akte.
Durch Widerspruchsbescheid vom 14.09.2006 wies die Beklagte danach den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Kläger hat hiergegen am 20.09.2006 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.
Er hat die Bescheinigung über eine arbeitsmedizinische Untersuchung vom 09.01.2001 vorgelegt und trägt vor, noch
zum Zeitpunkt dieser Untersuchung sei er gesund gewesen. Weitere Unfälle am Auge habe er nicht erlitten. Sein
früherer Chef, der den Unfall gesehen habe, sei inzwischen leider verstorben
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung des
Ereignisses vom 20.03.2001 als Versicherungsfall Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die getroffenen Feststellungen für zutreffend.
Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Klägers bei der
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über den Rechtsstreit ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist aufgrund der beigezogenen Unterlagen hinsichtlich des vorliegenden
Streitgegenstandes umfänglich geklärt.
Die Beteiligten sind vorher zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden und haben nichts vorgetragen,
was einer Entscheidung gemäß § 105 SGG entgegenstehen würde.
Die insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht
begründet.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist nicht aufzuheben, denn die Feststellungen der Beklagten sind nicht zu
beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung seiner Gesundheitsstörungen am linken Auge, weil
es nicht gelungen ist nachzuweisen, dass es sich bei dem vom Kläger als hierfür ursächlich angegebenen Ereignis
vom 20.03.2001 um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt hat.
Versicherte haben Anspruch auf Rente, solange die Erwerbsfähigkeit wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles um
wenigstens 20 v. H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - 7. Buch - SGB VII).
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 SGB VII definiert als zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen und sich infolge einer den Versicherungsschutz
begründenden Tätigkeit ereignen.
Voraussetzung für die Entschädigungsleistung ist dabei immer, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem
Unfallereignis und dem festgestellten Körperschaden besteht, d. h. es kann nur ein Körperschaden berücksichtigt
werden, der rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht wurde.
Für diesen rechtlich wesentlichen Zusammenhang muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen.
Wahrscheinlichkeit bedeutet hierbei, dass bei vernünftigem Abwägen aller Umstände die auf die berufliche
Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Die
alleinige Möglichkeit des ursächlichen Zusammenhangs reicht nicht aus. Eine Möglichkeit verdichtet sich zur
Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen
Zusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Ein nur in zeitlicher Hinsicht bestehender Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten von
gesundheitlichen Beeinträchtigungen genügt diesen Anforderungen ebenfalls nicht.
Während jedoch ein ursächlicher Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit dem schädigenden, versicherten
Vorgang nur wahrscheinlich zu sein braucht, müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen selbst (schädigendes
versichertes Ereignis, gesundheitliche Erstschädigung, verbliebene Dauergesundheitsstörung) beweisen sein, d. h. es
muss hierfür eine so hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass darauf die Überzeugung von der Wahrheit und nicht der
bloßen Wahrscheinlichkeit gegründet werden kann (sogenannter Vollbeweis). Insoweit gilt auch im Bereich der
gesetzlichen Unfallversicherung der Grundsatz der objektiven Beweislast.
Vorliegend konnte der Nachweis nicht erbracht werden, dass der Kläger am 20.03.2001 tatsächlich verunfallt ist, so
dass die Beklagte keine Entschädigungspflichten trifft.
Zur Überzeugung des Gerichts ist die bei dem Kläger vorliegenden Makuladegeneration am linken Auge nicht rechtlich
wesentlich auf das Ereignis vom 20.03.2001 zurückführbar, denn es fehlt an dem erforderlichen Vollbeweis des
Unfallereignisses sowie eines ereigniskonformen Erstschadensbildes im Sinne einer zeitnah zum Unfall am
20.03.2001 zweifelsfrei dokumentierten traumatischen Verletzung des linken Auges.
Weder durch den Arbeitgeber noch durch den Hausarzt Dr. M. konnte bestätigt werden, dass der Kläger am
20.03.2001 während der Arbeit im Bereich des linken Auges gegen ein Brett geschlagen ist. Der Arbeitgeber hat auf
Anfrage eindeutig mitgeteilt, dass für den fraglichen Tag kein Arbeitsunfall des Klägers dokumentiert ist. Der als
Zeuge benannte ehemalige Chef ist nach eigener Angabe des Klägers mittlerweile verstorben. Die Aufzeichnungen
des Hausarztes belegen lediglich Behandlungen am 05.03., 13.03. und 26.03.2001 wegen Wirbelsäulenbeschwerden.
Ein Eintrag für den 20.03.2001 findet sich nicht. Für den 20.02.2001 ist eine Behandlung wegen einer Erkältung
dokumentiert, nicht wegen Rückenschmerzen, so dass insoweit eine reine Datumsverwechslung bei der Eintragung
auszuschließen ist.
Das Gericht hält die vom Kläger vorgetragenen Gründe dafür, dass der Unfall nirgends dokumentiert ist, für durchaus
denkbar, gleichwohl ist Voraussetzung für die Prüfung eines Kausalzusammenhanges zwischen der unterstellten
Verletzung und der jetzigen Gesundheitsstörung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zunächst der
Vollbeweis der Anknüpfungstatsachen, hier einer traumatischen Verletzung des linken Auges.
Erst wenn die erforderlichen Anknüpfungstatsachen bewiesen sind, kann die Diskussion des
Ursachenzusammenhanges nach der Theorie der wesentlichen Bedingung einsetzen, hierfür genügt dann eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit des Zusammenhanges.
Ob durch ärztliche Fehleinschätzungen und Unterlassung die entsprechende Beweisführung vereitelt worden ist, kann
das Gericht nicht nachprüfen. Im Übrigen ändert sich hierdurch nichts am grundsätzlichen Beweismaßstab.
Tatsachen, die nicht erwiesen sind, können nicht im Nachhinein durch Vermutungen ersetzt werden, auch wenn die
Nichterweislichkeit der Tatsachen möglicherweise auf dem Unterlassen entsprechender Dokumentationspflichten
beruht.
Dass Dr. Sch. die Makuladegeneration offenbar als eindeutig traumatisch bedingt ansieht, mag sein. Dies sowie der
Vortrag des Klägers, er habe keine weiteren Augenverletzungen erlitten, ist jedoch unerheblich, denn bewiesen werden
muss nicht, wovon eine Gesundheitsstörungen herrührt, sondern dass eine Gesundheitsstörung eindeutig durch einen
Versicherungsfall verursacht worden ist. Dies ist hier nicht möglich.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.