Urteil des SozG Gießen vom 11.12.2007

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Gericht:
SG Gießen 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 6 KN 40/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 43 SGB 6 vom 20.12.2000, §
59 SGB 6 vom 20.12.2000, §
63 Abs 5 SGB 6 vom
20.12.2000, § 77 Abs 1 SGB 6
vom 20.12.2000, § 77 Abs 2 S
1 Nr 3 SGB 6 vom 20.12.2000
Erwerbsminderungsrente bei Ausübung einer
knappschaftlich versicherten Beschäftigung - Bezugszeiten
vor Vollendung des 60. Lebensjahres - Rentenabschlag
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine höhere Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten
Beschäftigung zu gewähren ist.
Dem ... 1953 geborenen Kläger war mit Bescheid vom 06.11.2006 Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich versicherten
Beschäftigung ab dem 01.04.2006 auf der Grundlage eines am 22.03.2006
eingetretenen Leistungsfalles bewilligt worden. Zur Berechnung der Rente wies die
Beklagte darauf hin, dass in der Rente ein Rentenabschlag (verminderter
Zugangsfaktor) enthalten sei. Der Zugangsfaktor betrage 1,0. Er vermindere sich
für jeden Kalendermonat nach dem 31.07.2013 bis zum Ablauf des
Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003. Die
Verminderung betrage für 36 Kalendermonate 0,108. Somit ergebe sich ein
Zugangsfaktor von 0,892. Die persönlichen Entgeltpunkte errechneten sich mit
9,7810. Diese persönlichen Entgeltpunkte wurden der Rentenberechnung
zugrunde gelegt. Hiergegen erhob der Kläger am 24.11.2006 unter Bezugnahme
auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil des 4. Senats vom
16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) Widerspruch, den die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 26.02.2007 zurückwies. Am 28.03.2007 erhob der
Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Vorverfahren Klage. Er hat
sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 06.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.02.2007 abzuändern und ihm unter Berücksichtigung der Entscheidung des
BSG vom 16.05.2006 höhere Rente ohne Abschlag zu gewähren und die
Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides
beantragt,
die Klage abzuweisen und die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des
Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zudem haben
sie der Zulassung der Sprungrevision unter Übergehung der Berufungsinstanz
schriftlich zugestimmt.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht
erhoben.
Das Gericht konnte über die Klage auch ohne mündliche Verhandlung durch Urteil
entscheiden, nachdem sich die Beteiligten zuvor übereinstimmend mit einer
solchen Möglichkeit einverstanden erklärt hatten.
Sachlich ist die Klage jedoch nicht begründet und war abzuweisen. Die Beklagte
gewährt dem Kläger mit Bescheid vom 06.11.2006 zu Recht ab dem 01.04.2006
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Ausübung einer knappschaftlich
versicherten Beschäftigung in gesetzlich zustehender Höhe. Sie hat bei der
Rentengewährung alle für den Kläger maßgeblichen Versicherungszeiten
berücksichtigt. Darüber hinaus hat sie die Vorschrift des § 77 Abs. 2 des VI.
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zutreffend ausgelegt und die Rente unter
Berücksichtigung eines Rentenabschlags durch einen verminderten Zugangsfaktor
festgestellt. Das BSG hat zwar mit seinem Urteil vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R)
entschieden, dass Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschläge nur hinnehmen müssen,
wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen und für
Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr bezogen werden, keine
Abschläge berechnet werden dürfen. Erst in der Zeitspanne vom 60. bis 63.
Lebensjahr seien von Erwerbsminderungsrenten Abschläge zu berechnen und zwar
sowohl für Rentenneuzugänge wie auch für Bestandsrentner, die bereits vor dem
60. Lebensjahr eine Rente bezogen hätten. Dieser Entscheidung schließt sich die
6. Kammer des Sozialgerichts Gießen nicht an. Sie hält die vom 4. Senat des BSG
vorgenommene Auslegung des § 77 Abs. 2 SGB VI nicht für zutreffend. Sie hält
demgegenüber an der Auslegung des § 77 SGB VI fest, wie sie bisher in der
Kommentierung und von den Rentenversicherungsträgern vertreten worden ist
(vgl. Kass. Komm., Sozialversicherungsrecht, 01.09.2006, SGB VI, § 77 Rdnr. 20 ff.;
Deutsche Rentenversicherung, SGB VI, 11. Aufl. 06/05, § 77 Nr. 5, 6). Sie geht
damit konform mit den Entscheidungen des LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil
vom 28.04.2005, L 1 RA 254/04, Hessisches LSG, Urteil vom 24.08.2007, L 5 R
228/06 und Urteil vom 28.08.2007, L 2 R 342/06, Urteile des Sozialgerichts Aachen
vom 09.02.2007, S 8 R 96/06 und vom 20.03.2007, S 13 R 76/06, Urteil des
Sozialgerichts Augsburg vom 23.04.2007, S 3 R 26/07, Urteil des Sozialgerichts
Altenburg vom 22.03.2007, S 14 Kn 64/07 und Urteil des Sozialgerichts
Saarbrücken vom 08.05.2007, S 14 R 82/07).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG.)
Die Kammer hat, nachdem die Beteiligten schriftlich der Sprungrevision unter
Übergehung der Berufungsinstanz zugestimmt haben, die Sprungrevision
zugelassen, weil sie von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewichen
ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.