Urteil des SozG Gießen vom 03.03.1999

SozG Gießen: patient, diskontsatz, verordnung, versorgung, leistungserbringer, beförderung, budget, transport, krankenversicherung, tod

Sozialgericht Gießen
Urteil vom 03.03.1999 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 9 KR 651/98
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2403,43 DM nebst Zinsen in Höhe von 2 % p.a. über dem jeweils
gültigen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 06.01.1998 und 1018,62 DM nebst Zinsen in Höhe von 2 % p.a.
über dem jeweils gültigen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 27.05.1998 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Kostenübernahme für Notarztwageneinsätze.
Die Klägerin betreibt im Auftrag des E-Kreises unter anderem Notarzteinsatzfahrzeuge. Mit der Beklagten besteht eine
Vergütungsvereinbarung gemäß § 9 Abs. 1 Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung. § 4 Abs. 3 der
Vereinbarung hat unter anderem folgenden Inhalt:
"Fehleinsätze werden nicht vergütet. Sie sind von den Leistungserbringern zu dokumentieren und statistisch nach
Verursachern aufzubereiten. Kosten im Zusammenhang mit Fehleinsätzen sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2
Benutzungsentgeltverordnung im Budget enthalten."
Als Fehleinsätze werden definiert: Alle Einsätze, die auf der Fahrt zum Einsatz abgebrochen werden oder falls am
Einsatzort kein Patient aufzufinden ist. Kommt es bei RTW-Einsätzen zu keinem Transport, so ist dieser Einsatz als
Fehleinsatz zu behandeln.
Die Vereinbarung gemäß § 9 Abs. 1 Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung für das Jahr 1997 enthält in § 4
Abs. 3 folgende Vereinbarung:
"Fehleinsätze werden nicht vergütet. Sie sind von den Leistungserbringern zu dokumentieren und statistisch nach
Verursachern aufzubereiten. Kosten im Zusammenhang mit Fehleinsätzen sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2
Benutzungsentgeltverordnung im Budget enthalten."
Im mehreren Fällen waren die Versicherten der Beklagten beim Eintreffen des Notarzteinsatzfahrzeuges bereits
verstorben, so daß der Notarzt nur noch eine Todesfeststellung treffen konnte. Die Beklagte weigerte sich, die Kosten
der Notarzteinsatzfahrzeuge an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte vertrat die Ansicht, es handele sich um
Fehleinsätze, die nicht zu vergüten seien. Die Klägerin hat am 03.04.1998 Klage auf Zahlung von 2403,43 DM und am
06.07.1998 Klage auf Zahlung von 1018,62 DM erhoben. Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Beklagte habe die
Kosten der Einsätze der Notarzteinsatzfahrzeuge zu übernehmen. Es handele sich hierbei nicht um Fehleinsätze im
Sinne der Vereinbarung gemäß § 9 Abs. 1 Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung. In § 2 der Rettungsdienst-
Benutzungsentgeltverordnung sei ausdrücklich geregelt, daß benutzungsentgeltpflichtig alle Einsätze seien, die von
einer zentralen Leitstelle veranlaßt würden. Die nicht vergüteten Einsätze seien von der zentralen Leitstelle veranlaßt
worden. Das Notarzteinsatzfahrzeug habe darüberhinaus lediglich die Aufgabe, den jeweils zuständigen Notarzt von
seinem Bereitschaftsraum zum Notfallort zu befördern, um dort eine entsprechende Hilfestellung erbringen zu können.
Das Notarzteinsatzfahrzeug habe nicht die Aufgabe, Patienten zu befördern. Ein Fehleinsatz sei daher nur
anzunehmen, wenn während der Fahrt zum Einsatzort das Fahrzeug von der zentralen Leitstelle zurückgerufen werde.
Die Kammer hat die Verfahren S-9/KR-651/98 und S-9/KR-1268/98 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2403,43 DM nebst Zinsen in Höhe von 2 % p.a. über dem
jeweils gültigen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 06.01.1998 und 1018,62 DM nebst Zinsen in Höhe von 2
% p.a. über dem jeweils gültigen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab 27.05.1998 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, ein Anspruch auf Vergütung der Einsätze der Notarzteinsatzfahrzeuge bestehe nur
dann, wenn der Notarzt am Einsatzort bei dem Patienten tatsächlich noch eine medizinische Versorgung bzw.
Behandlung durchführe. Sei der Notfallpatient bereits verstorben, so sei kein vergütungsfähiger Notarzteinsatz
gegeben. Regelungsziel des § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung der Benutzungsentgelte sei die Gewährleistung
solcher Leistungen, die dem Leistungsbegriff der gesetzlichen Krankenkasse entsprechen würden. Die vorläufige
Todesfeststellung sei gerade keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Bei den streitgegenständlichen Einsätzen der Notfalleinsatzfahrzeuge seien die Notfallpatienten bereits beim
Eintreffen des Notarztes verstorben gewesen. Lebensrettende bzw. lebenserhaltende Maßnahmen seien objektiv nicht
mehr möglich gewesen. Derartige Einsätze seien im Rahmen des Gesamtbudgets zu finanzieren.
Wegen den weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakten
Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat die Kosten der Einsätze der Notarzteinsatzfahrzeuge zu
erstatten.
Gemäß § 3 der Verordnung zur Regelung der Benutzungsentgelte für Leistungen des Rettungsdienstes
(Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung vom 20.12.1991) sind Kosten des Rettungsdienstes alle Aufwendungen
der Leistungserbringer, die im Zusammenhang mit Leistungen nach § 2 Abs. 1 und 2 entstehen. Dazu gehören auch
die Kosten für Fehleinsätze. Das Gesamtbudget sowie Art und Höhe der Benutzungsentgelte haben die
Leistungserbringer eines Rettungsdienstbereiches mit den jeweiligen Leistungsträgern durch schriftliche Vereinbarung
zu regeln (vgl. § 9 Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung). Entsprechend dieser Vorschrift haben die
Beteiligten Vereinbarungen getroffen. Gemäß § 4 Abs. 3 der Vereinbarung für das Jahr 1997 werden Fehleinsätze
nicht vergütet. Nach § 4 Abs. 3 der Vereinbarung für das Jahr 1998 werden Fehleinsätze ebenfalls nicht vergütet. Als
Fehleinsätze werden definiert: Alle Einsätze, die auf der Fahrt zum Einsatzort abgebrochen werden oder falls am
Einsatzort kein Patient aufzufinden ist. Ist beim Eintreffen des Notarztes der Patient bereits verstorben, so handelt es
sich, wenn ein Notarzteinsatzfahrzeug benutzt wurde, nicht um einen Fehleinsatz in diesem Sinne. Die Fahrt wurde
nicht zum Einsatzort abgebrochen und es ist ein Patient aufzufinden. Der Notarzt muß feststellen, ob er
lebensrettende Maßnahmen einleiten kann bzw. er stellt den Tod fest. Die zwischen den Parteien getroffene
Vereinbarung enthält keine Regelung für den Fall, daß der Patient bereits beim Eintreffen des Notarztes verstorben
ist. Es handelt sich auch nicht um einen Fehleinsatz im Sinne des § 3 der Rettungsdienst-
Benutzungsentgeltverordnung. Gemäß § 2 Rettungsdienst-Benutzungsentgeltverordnung sind Leistungen des
Rettungsdienstes, für die Benutzungsentgelte erhoben werden können,
1. die von einer Zentralen Leitstelle veranlaßten Einsätze von Rettungsmitteln zu einem Einsatzort, 2. alle
Maßnahmen zur medizinischen Versorgung von Notfallpatienten am Notfallort, 3. die medizinisch-fachlich betreute
Beförderung von Notfallpatienten in einem dafür geeigneten Rettungsmittel, 4. in dringenden Fällen der Transport von
lebenswichtigen Medikamenten und Blutkonserven, von Organen für Transplantationen und die zur Versorgung von
Notfallpatienten notwendigen Suchflüge, 5. die medizinisch-fachlich betreute Beförderung im qualifizierten
Krankentransport auf Grund einer entsprechenden ärztlichen Verordnung.
Der Einsatz des Notarzteinsatzwagens wurde von der Zentralen Leitstelle veranlaßt, so daß ein Benutzungsentgelt
entsprechend des § 2 Ziffer 1 bereits angefallen ist. Dabei spielt es keine Rolle, daß beim Eintreffen des
Notarzteinsatzfahrzeuges der Patient bereits verstorben war. Mit Erreichen des Einsatzortes ist die Aufgabe des
Notarzteinsatzfahrzeuges erfüllt. Das Notarzteinsatzfahrzeug hat die Aufgabe, den Notarzt nebst der erforderlichen
medizinischen Geräte zum Notfallort zu transportieren. Es ist daher nicht von Bedeutung, ob der Patient bereits
verstorben ist, denn der Notarzt muß den Patienten untersuchen, um festzustellen, ob noch
Reanimationsmaßnahmen durchgeführt können. Die Beklagte hat folglich der Klägerin die Kosten der Einsätze des
Notarzteinsatzfahrzeuges zu erstatten.
Die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen ergibt sich aus § 7 Abs. 2 der Vereinbarungen für das Jahr 1997 und das
Jahr 1998.
Aus den vorgenannten Gründen war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Zulässigkeit der Berufung aus § 143
SGG.