Urteil des SozG Gießen vom 19.08.2010

SozG Gießen: besuch, anwendungsbereich, eltern, schüler, stadt, beförderungspflicht, schulausbildung, berufsschule, schulpflicht, anschaffungskosten

Sozialgericht Gießen
Beschluss vom 19.08.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 29 AS 981/10 ER
Hessisches Landessozialgericht L 9 AS 568/10 B ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zur Bestandskraft des
Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2010 vorläufig die Kosten des Antragstellers für die Anschaffung von
Schülermonatskarten zum Preis von 48,00 EUR monatlich für das Schuljahr 2010/2011 zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Übernahme von Schülerbeförderungskosten ab
Beginn des Schuljahres 2010/2011.
Der 1993 geborene Antragsteller, gesetzlich vertreten durch seine Mutter als alleinige Inhaberin des Sorgerechts,
besucht zum Schuljahr 2010/2011 die 11. Klasse des Gymnasiums A-Stadt, G-Straße in A-Stadt. Er wohnt
zusammen mit seiner Mutter und seiner 1994 geborenen Schwester in der A-Straße in A-Stadt, Ortsteil O.-W. Die
Entfernung zwischen dem Wohnort und der Schule beträgt auf der kürzesten Route mindestens 8,4 km.
Der Antragsteller und seine Familie stehen im Leistungsbezug der Antragsgegnerin nach dem Sozialgesetzbuch –
Zweites Buch (SGB II). Am 16. Juni 2010 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Übernahme der
Schülerbeförderungskosten für das Schuljahr 2010/2011 in Form der Kosten für Schülermonatskarten.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2010 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Schülerbeförderungskosten ab. Zur
Begründung wurde angeführt, auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar
2010 könne ein Sonderbedarf erst dann angenommen werden, wenn die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen
gewährten Leistungen einschließlich der Leistungen Dritter unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten das
menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleiste. Diese Voraussetzung läge nicht vor.
Hiergegen hat der Antragsteller am 5. Juli 2010 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli
2010 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Antragsteller am 3. August 2010 Klage beim Sozialgericht Gießen
erhoben.
Im Hinblick auf den Beginn des Schuljahres 2010/2011 am 16. August 2010 stellte der Antragsteller sodann am 11.
August 2010 bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Antragsteller ist im Wesentlichen der Auffassung, die Antragsgegnerin müsse die anfallenden Kosten für die
Fahrten zwischen Schule und Wohnort im Schuljahr 2010/2011 in Form von acht Schülermonatskarten zu einem Preis
von 48,00 EUR monatlich ab dem August 2010 übernehmen. Diese zusätzlichen Kosten könnten nicht durch den
gewährten Regelsatz abgedeckt werden. Würde der Mehrbedarf nicht gewährt, würden Kinder von Leistungsbeziehern
nach dem SGB II an dem Besuch von Gymnasien gehindert werden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
vorläufig die Kosten für die Anschaffung von Schülermonatskarten zum Preis von 48,00 EUR pro Monat ab dem
August 2010 zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin ist im Wesentlichen der Auffassung, der begehrte zusätzliche Bedarf für die Anschaffung von
Schülermonatskarten könne nicht im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts berücksichtigt
werden. Auch nach den vom Bundesministerium für Arbeit und der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten
Orientierungshilfen für die Träger der Grundsicherung stellten Fahrtkosten für Schülerfahrkarten keinen besonderen
Bedarf im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 dar. Der Entscheidung des SG Detmold vom 9.
April 2010 könne nicht gefolgt werden, da sie über die Feststellungen des BVerfG zur Sicherstellung des
Existenzminimums hinaus gehe und auch die Förderung der Teilnahmechancen am Bildungserfolg berücksichtige.
Auch nach § 21 Abs. 6 SGB II ergebe sich kein Anspruch des Antragstellers, da bereits keine atypische Lebenslage
vorliege. Der Besuch der gymnasialen Oberstufe sei kein außergewöhnlicher Härtefall, den die Entscheidung des
BVerfG vom 9. Februar 2010 berücksichtigen wollte.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der
Antragsgegnerin Bezug genommen, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat einen hinreichenden Anordnungsanspruch sowie einen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf vorläufige Übernahme der Anschaffungskosten für Schülermonatskarten ab
dem August 2010 gegenüber der Antragsgegnerin.
Ein Anspruch auf Übernahme der Schülebeförderungskosten nach § 161 Hessisches Schulgesetz (HSchulG) besteht
zunächst nicht. Ein solcher Anspruch nach § 161 HSchulG wäre vorrangig gegenüber Leistungen nach dem SGB II (§
5 Abs. 1 SGB II).
Nach § 161 Abs. 1 – 6 HSchulG hat der zuständige Träger der Schülerbeförderung die notwendigen
Beförderungskosten für die in seinem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der allgemein bildenden Schulen
der Grundstufe (Primarstufe) und der Mittelstufe (Sekundarstufe I) und für die Schülerinnen und Schüler, die die
Grundstufe der Berufsschule, das erste Jahr der besonderen Bildungsgänge an der Berufsschule oder einer
Berufsfachschule besuchen, durch deren Besuch die Vollzeitschulpflicht erfüllt werden kann, zu übernehmen. Die
Übernahme der Schülerbeförderungskosten ist damit in § 161 HSchulG lediglich bis zum Abschluss der 10. Klasse
geregelt. Für die weitergehende schulische Ausbildung sieht der Landesgesetzgeber im HSchulG keine
Fördermöglichkeit vor. Der Antragsteller, der die 11. Klasse eines Gymnasiums (Sekundarstufe II) besuchen möchte,
fällt damit nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 161 HSchulG.
Nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung besteht auch kein Anspruch des Antragstellers auf Übernahme der
Schülerbeförderungskosten im Rahmen der Härtefallklausel des § 161 Abs. 7 HSchulG. Nach dieser Vorschrift
können in außergewöhnlichen Härtefällen Eltern oder Schülerinnen und Schülern auch Zuschüsse zu durch den
Schulweg bedingten Beförderungskosten geleistet werden, die der Schulträger nicht als nach Abs. 1 bis 6 notwendig
zu tragen hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts XY. wird der Personenkreis der Schülerinnen und
Schüler ab der Jahrgangsstufe 11 von der Beförderungspflicht des Schulträgers und damit insgesamt vom
Anwendungsbereich des § 161 HSchulG von vornherein nicht umfasst (vgl. Beschluss des VG WS. vom 1. Juni 2006,
Az. 4 E 624/06). Der Gesetzgeber habe die Beförderungspflicht ersichtlich an die gesetzliche Schulpflicht angeknüpft,
die spätestens mit dem Besuch der Jahrgangsstufe 10 erfüllt sei (§§ 59, 60 HSchulG). Eine Ausweitung der
Anwendbarkeit der Vorschrift durch die auf den grundsätzlichen Anwendungsbereich beschränkte Härtefallklausel des
§ 161 Abs. 7 HSchulG komme daher nicht in Betracht.
Einem neben § 161 HSchulG bestehenden Anspruch auf die Übernahme von Schülerbeförderungskosten steht auch
nicht ein abschließender Charakter dieser Vorschrift entgegen. Mit der Beschränkung der Beförderungspflicht auf den
Zeitraum der Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht, d.h. bis einschließlich der Jahrgangsstufe 10, hat der
Landesgesetzgeber keine Aussage über eine darüber hinaus gehende Förderung von Schülerbeförderungskosten
getroffen. Die bestehende Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers im Kultusbereich nach Art. 70 Abs. 1
GG hindert den Bundesgesetzgeber nicht von vornherein, im Rahmen seiner konkurrierenden
Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG für den Bereich der öffentlichen Fürsorge Regelungen zu
treffen, die auch zu einer Übernahme von Kosten aus dem schulischen Bereich führen. Dies wird u.a. auch in § 23
Abs. 3 Nr. 3 SGB II bei der Übernahme der Kosten von Klassenfahrten im Rahmen der (landesrechtlichen)
schulrechtlichen Bestimmungen sowie im ab dem 1. August 2009 geltenden § 24 a SGB II bei der zusätzlichen
Förderung von Schülerinnen und Schülern in Höhe von jährlich 100 Euro deutlich.
Der Antragsteller hat nach der ab dem 3. Juni 2010 geltenden Vorschrift des § 21 Abs. 6 SGB II einen Anspruch auf
Anerkennung eines Mehrbedarfs in Höhe der Anschaffungskosten für die Schülermonatskarten in Höhe von 48,00
EUR monatlich.
Nach § 21 Abs. 6 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein
unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er
insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der
Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
Ausweislich der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 17/1465, S. 10 f.) soll der Anspruch angesichts seiner engen und
strikten Tatbestandsvoraussetzungen auf wenige Fälle begrenzt sein. Ein Anspruch auf Übernahme dieses
individuellen Mehrbedarfs könne nur dann entstehen, wenn es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden,
dauerhaften, längerfristigen, unabweisbaren atypischen oder um einen ausnahmsweise überdurchschnittlichen Bedarf
handele. Für die Beurteilung der Regelmäßigkeit sei auf den Bewilligungszeitraum abzustellen. Die
Gesetzesbegründung nennt als Anwendungsfälle der Härtefallklausel des § 21 Abs. 6 SGB II n. F. beispielhaft die
dauerhafte Notwendigkeit von Hygienemitteln bei bestimmten Erkrankungen, Putz- bzw. Haushaltshilfen für
Rollstuhlfahrer sowie die Übernahme von Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern.
Der Mehrbedarf für die Anschaffung der Schülermonatskarten des Antragstellers ist ein laufender, nicht nur einmaliger
Bedarf. Durch die immer wieder erforderliche Anschaffung der Schülermonatskarten fällt unter Berücksichtigung des
gesamten Bewilligungszeitraums regelmäßig ein Mehrbedarf an.
Es liegt auch ein besonderer Bedarf vor, der nicht typischerweise von Leistungsempfängern aus den Mitteln ihrer
Regelleistung zu decken ist. Zum einen hat der Antragsteller mit Vollendung der 10. Klasse den Anwendungsbereich
der landesrechtlichen Förderung der Schülerbeförderungskosten nach § 161 HSchulG verlassen, zum anderen ist der
Antragsteller dem Grunde nach nicht vom Anwendungsbereich des sog. "Schüler-BAföG" umfasst. Gemäß § 2 Abs. 1
Nr. 1 Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung - Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) wird
Ausbildungsförderung zwar auch für den Besuch von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen (z.B. Haupt-, Real-
und Gesamtschulen, Gymnasien) ab der Klasse 10 geleistet. Nach § 2 Abs. 1a BAföG wird für den Besuch dieser
Ausbildungsstätten eine Ausbildungsförderung jedoch nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern
wohnt. Diese Regelung ist Teil der Bestimmung der förderfähigen Ausbildung im Rahmen der §§ 2 – 7 BAföG und
nicht Teil der persönlichen Voraussetzungen für die Förderung im Sinne der §§ 8 – 10 BAföG. Schüler, die noch bei
ihren Eltern wohnen, unterfallen somit bereits dem Grunde nach nicht dem Anwendungsbereich des BAföG. Innerhalb
der Gruppe von Personen, die eine weiterführende allgemeinbildende Schule besuchen, trifft diese Situation nur auf
die Kinder zu, die noch bei ihren im Sinne des SGB II erwerbsfähigen hilfebedürftigen Eltern wohnen. Insofern liegt
eine besondere Bedarfslage für Kinder aus solchen hilfebedürftigen Familien vor, die eine weiterführende Schulbildung
anstreben, von den sonstigen schul- und ausbildungsbezogenen Fördermöglichkeiten jedoch trotz Hilfebedürftigkeit
ausgeschlossen sind.
Der Mehrbedarf ist auch unabweisbar. Zunächst ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, die mindestens 8,4 km
Entfernung zwischen Wohnort und Schule zweimal täglich auf andere Weise als durch öffentliche Verkehrsmittel, z.B.
zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mittels Fahrgemeinschaften, zurück zu legen.
Der Antragsteller ist auch nicht darauf zu verweisen, mangels Gewährung des Mehrbedarfs seine Schulausbildung
abzubrechen. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber zur Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums. Dies sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen
zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und
politischen Leben unerlässlich sind. Dabei kommt Bildung als Instrument zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehung
und der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben eine Schlüsselrolle zu, da sie eine
besondere Bedeutung sowohl für die persönliche Entwicklung des Einzelnen als auch der Gesellschaft hat (vgl. SG
Detmold, Urteil vom 9. April 2010 - S 12 AS 126/07, sowie die Ausführungen des Landessozialgericht Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 3. Dezember 2007, Az. L 7 AS 666/07 ER zur derzeitigen Chancenungleichheit beim
Zugang zu Bildung abhängig von der Einkommensschicht der Eltern). Bildung ist, gerade bei Jugendlichen und
Heranwachsenden, darüber hinaus ein wesentlicher Faktor bei der Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
in den Arbeitsmarkt. Das Risiko einer künftigen dauerhaften Hilfebedürftigkeit wird durch eine Förderung des
Bildungsstandes wesentlich verringert. Die Fortsetzung der schulischen Ausbildung über die 10. Klasse hinaus dient
daher auch der nachhaltigen Vermeidung einer fortgesetzten Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II. Der Verweis auf
einen Abbruch der Schulausbildung stünde daher in einem Widerspruch zu den Aufgaben und Zielen des SGB II im
Sinne des § 1 Abs. 1 SGB II. Eine anderweitige Bedarfsdeckung im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist nicht
ersichtlich.
Schließlich weicht der Mehrbedarf seiner Höhe nach erheblich vom üblichen Bedarf ab. Mit einem zusätzlichen Bedarf
von 48,00 EUR pro Monat bei einem monatlichen Regelsatz des Antragstellers von derzeit 287,00 EUR stellt dies
einen Anteil von ca. 17 % der gesamten Regelleistung dar. Ausgehend von den Kriterien der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe 1998 wurde dem Posten "Verkehr" lediglich 6 % der Regelleistung nach § 20 SGB II zugeordnet
(vgl. Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 20 Rn. 42). Orientiert man sich an der vom Gesetzgeber
zugemuteten Erheblichkeitsschwelle von 10 % im Sinne der Aufrechnungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB
II, so überschreitet der Betrag von 48,00 EUR bei einem Regelsatz von 287,00 EUR auch diese Grenze deutlich. Die
ersichtlich als Bagatellgrenze eingeführte Einschränkung der "erheblichen Abweichung vom üblichen Bedarf" ist damit
erfüllt.
Dem Anspruch des Antragstellers steht auch nicht das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zur Übernahme von
Schülerbeförderungskosten vom 28. Oktober 2009 entgegen (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R).
In dieser Entscheidung sah das BSG keine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Übernahme
von Schülerbeförderungskosten im Rahmen des SGB II oder nach § 73 SGB XII. Das Urteil bezieht sich jedoch auf
eine Rechtslage, die bereits durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (BVerfG,
Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) dahingehend geändert wurde, als vom BVerfG ein
Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums
unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1 GG geschaffen wurde. Dieser Anspruch besteht seit dem Tag der Entscheidung des BVerfG am 9.
Februar 2010 (zur gegenteiligen Ansicht zunächst BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 4 AS 29/09 R; nunmehr
nochmals klargestellt durch BVerfG, Beschluss vom 24. März 2010 - 1 BvR 395/09; vgl. auch Wenner, SozSich 2010,
188 ff.). Inzwischen hat der Gesetzgeber anstelle des zunächst unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 1 GG herzuleitenden Anspruchs mit Wirkung zum 3. Juni 2010 mit dem "Gesetz zur Abschaffung des
Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung
weiterer Gesetze" vom 27. Mai 2010 (BGBl. Teil I Nr. 26, Seite 671) die Neufassung des § 21 Abs. 6 SGB II
eingeführt. Die Entscheidung des BSG basierte daher nicht auf der aktuellen Rechtslage.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die begehrten Schülerbeförderungskosten fallen seit Schulbeginn des Schuljahres 2010/2011, d.h. dem 15. August
2010, an. Dieser Termin lag unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes. Der Ausgleich der bestehenden Unterdeckung des Antragstellers ist unverzüglich erforderlich, um
eine fortlaufende Verletzung des grundrechtlich geschützten soziokulturellen Existenzminimums des Antragstellers zu
beenden bzw. auszuschließen. Das Abwarten einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren ist dem Antragsteller
nicht zuzumuten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Beschwerde gegen diesen
Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). Die geltend gemachte Leistung belief sich der Höhe nach
nicht auf mindestens 750,00 EUR, so dass nach §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG eine Berufung in der Hauptsache
unzulässig wäre. Zu berücksichtigen war dabei, dass für die Anschaffung von Schülermonatskarten für das Schuljahr
2010/2011 von einem maximalen Gesamtbetrag von 8 x 48,00 EUR = 384,00 EUR auszugehen war.