Urteil des SozG Gießen vom 02.09.2010

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Sozialgericht Gießen
Urteil vom 02.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 16 VS 2/05
Hessisches Landessozialgericht L 4 VE 29/10
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung.
Die Klägerin ist die Witwe des 1949 geborenen und 1983 an den Folgen eines Medulloblastoms des Gehirnstammes
verstorbenen ehemaligen Soldaten auf Zeit (SAZ) A. A ... Dieser war vom 01.10.1968 bis 30.09.1970 beim 1.
Flugabwehrraketenbataillon 23 in L. als Operator am Waffensystem NIKE eingesetzt.
Mit Schreiben vom 01.08.2000 hatte sich die Klägerin an die beigeladene Wehrbereichsverwaltung gewandt und
Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) beantragt, da sie die Erkrankung sowie den Tod ihres
Mannes auf Strahlenbelastung während dessen Dienstzeit bei der Bundeswehr zurückführte. Die Beigeladene leitete
ein Verfahren zur Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung ein und gab außerdem den Vorgang an den für die
konkreten Leistungen zuständigen Beklagten ab.
Die Ermittlungen der Beigeladenen stellten sich gemäß Aktenverfügung vom 02.01.2003 für den Beklagten wie folgt
dar: "Mit der Aktenverfügung vom 12.12.2002 der Wehrbereichsverwaltung Süd, Arbeitsgruppe
Beschädigtenversorgung Strahleneinwirkung, Stuttgart, wird festgestellt, dass Herr A. während seiner Dienstzeit bei
der Bundeswehr vom 20.12.1968 bis 30.09.1970 als Radarbediener (Operator) am Waffensystem NIKE eingesetzt
war. Er hatte in seiner Verwendung als Flugabwehrraketenkanonier (Bediener/Operator) keine Instandsetzungsarbeiten
an den Radargeräten des Waffensystems NIKE durchzuführen. Laut Teilbericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der
Arbeitsplatzverhältnisse Radar, Munster, konnten lediglich Techniker (Instandsetzungspersonal) von
Röntgenstörstrahlung in schädigender Weise betroffen sein. Außerdem war es möglich, dass Bedienungspersonal bei
Wartungsarbeiten und Instandsetzungen am Radargerät zu Hilfsdiensten herangezogen wurde, die jedoch nicht in
unmittelbarer Nähe zu den Störstrahlern durchgeführt wurden. Eine Exposition durch ionisierende Strahlung
radioaktiver Stoffe (Nuklidstrahlung), die über den Grenzwert der allgemeinen Bevölkerung hinausgeht, hat nicht
vorgelegen. Somit war er nach dem derzeitigen Kenntnisstand keinen ionisierenden Strahlen ausgesetzt. Eine
Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG liegt nicht vor."
Durch Bescheid vom 06.01.2003 lehnte der Beklagte danach die Gewährung von Witwenrente ab, da der Tod des
Soldaten nicht infolge einer Wehrdienstbeschädigung eingetreten sei. Hiergegen wurde unter Vorlage eines
Befundberichts der Neurologischen Klinik WV. vom 02.10.2003 fristgerecht Widerspruch eingelegt, welcher durch
Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Die Klägerin hat hiergegen am 01.06.2005 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.
Durch Beschluss vom 01.08.2005 hat das Gericht die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die
Wehrbereichsverwaltung Süd, Stuttgart, zum Verfahren beigeladen.
Zum Verfahren sind zahlreiche Akten, Unterlagen und gutachterliche Stellungnahmen teilweise auch nur
auszugsweise gelangt, u. a. die Kopie des Wehrpasses des SAZ A., die G-Akte in Kopie, ein Auszug aus der
Personalakte, der Teilbericht NIKE der Arbeitsgruppe Radar sowie eine Stellungnahme der Abteilung
Arbeitssicherheit/Technischer Umweltschutz bei der Wehrbereichsverwaltung West vom 29.11.2002.
In einem ersten Erörterungstermin am 18.05.2006 hat sich zwischen den Beteiligten als Konsens ergeben, dass der
Soldat am Feuerleitstand, dem sogenannten LTC, eingesetzt war, und dort keinen Röntgenstörstrahlen ausgesetzt
war, es in den LTC’s aber radioaktive Strahlungsquellen in Form von mit radioaktiven Farben beschrifteten
Bedienschaltern gegeben hat. Nachdem sich dann anschließend eine schriftliche Diskussion über die jeweils
anzusetzende Strahlendosis entwickelt hat, hat das Gericht am 26.07.2007 einen weiteren Termin zur mündlichen
Verhandlung anberaumt. In diesem Termin hat die Klägerseite die Auffassung vertreten, dass für den hier
maßgeblichen Zeitraum mangels anderer Daten zur Ermittlung der Strahlendosis anhand des Berichts der
Radarkommission nur folgende Vorgehensweise verbleiben sollte: Nach S. 138 Ziffer 6 des
Radarkommissionsberichts solle bei fehlenden Nachweisen hinsichtlich der Verwendung radiumhaltiger Leuchtfarben
von der im Teilbericht der AG Radar zum AN-CPN 4 dokumentierten Ortsdosisleistung ausgegangen werden. Da
jedoch hinsichtlich dieses Flugsicherungsradargerätes wiederum keine konkreten Daten hinsichtlich der
Ortsdosisleistungen vorlägen, sei von der Datenlage der Kompassrose FPN 33 auszugehen, gemäß S. 36 des
Berichts der Radarkommission.
Diese Angaben hat das Gericht als Grundlage für eine Anfrage an das Bundesministerium für Verteidigung
genommen, welches mit Datum vom 02.11.2007 zu den aufgeworfenen Fragen ausführlich Stellung genommen hat.
Sodann hat das Gericht ein nuklearmedizinisch-physikalisches Gutachten bei Herrn Prof. Dr. Dr. D., Direktor der
Klinik für Nuklearmedizin der Universität D-Stadt, vom 10.10.2008 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem
Ergebnis gekommen, dass ein Zusammenhang zwischen der realistisch objektivierbaren möglichen
Strahlenexposition des SAZ A. und des Auftretens des Medulloblastoms und damit letztlich des Eintritts von dessen
Tod nicht wahrscheinlich sei im Sinne des sozialen Entschädigungsrechts, weil die realistisch mögliche
Strahlenexposition zu gering gewesen sei.
Die Klägerin hat daraufhin u. a. das Protokoll einer Sitzung des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.12.2008 im
Verfahren S 5 VS 2686/04, einen Artikel in "Die Bundeswehr 3/09" sowie die Ausarbeitung "Biologische Wirkung
ionisierender Strahlen" von Prof. Dr. V.-K. vorgelegt, außerdem einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom
04.10.2008, Leserbriefe, Empfehlungen einiger MdBs zur Radarstrahlenproblematik an den Verteidigungsminister vom
18.09.2008 sowie eine gemeinsame Erklärung des Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter und des
Sonderbeauftragten Radar beim BMVg vom 28.06.2005 sowie eine Ausarbeitung des Prof. Dr. Dr. D. über die
Anwendung ionisierender Strahlen in der Krebstherapie. Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr.
Dr. D. vom 10.05.2010 eingeholt, welcher ausgeführt hat, dass eine realistische Dosisberechnung eine Strahlendosis
des Kleinhirns von maximal 7 mSv ergebe, einen Wert, der nach allen vorliegenden Daten kein erhöhtes Risiko für die
Induktion eines malignen Hirntumors in dieser Lokalisation erkennen lasse.
In der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2010 hat die Klägerin eine Stellungnahme der Prof. Dr. I. Sch.-F. vom
12.08.2010 sowie eine Kopie aus einer Abhandlung der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar
sowie Seite 37 des Berichts der Radarkommission vorgelegt, außerdem hat das Gericht den Sachverständigen Herrn
Prof. Dr. Dr. D. erneut gehört.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Basis, auf der bisher berechnet worden sei, sei unzutreffend. Aufgrund
fehlender konkreter Daten seien sämtliche Dosisberechnungen hochspekulativ und wissenschaftlich nicht belastbar.
Im Übrigen liege die Beweislosigkeit im Verantwortungsbereich des Dienstherrn, diesem sei u. a. Verletzung der
Fürsorgepflicht vorzuwerfen mit der Folge einer Beweislastumkehr. Die Ausführungen des Prof. Dr. Dr. D. seien
unschlüssig angesichts seiner eigenen Ausarbeitung über die Anwendung ionisierender Strahlen in der Krebstherapie
und den dortigen Ausführungen zu freien Radikalen und der indirekten Wirkung von Strahlung.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 06.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04.05.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann,
dem ehemaligen Soldaten auf Zeit A. A., nach dem SVG in Verbindung mit dem BVG in gesetzlichem Umfang zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte sowie die Beigeladene vertreten die Auffassung, es fehle bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin
bereits an einer sogenannten qualifizierenden Erkrankung im Sinne des Berichts der Radarkommission. Im Übrigen
sei eine relevante Strahlenbelastung nicht bewiesen, so dass der Zusammenhang zwischen der wehrdienstlichen
Tätigkeit und dem Auftreten des Hirntumors nicht wahrscheinlich sei.
Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die WDB-Akten, die W-Akten sowie die Akte des
HLSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist nicht aufzuheben, denn er ist nicht rechtswidrig. Zu Recht hat der
Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung abgelehnt, denn das Medulloblastom des Gehirnstammes, an
dessen Folgen der Ehemann der Klägerin verstorben ist, ist nicht Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB).
Gemäß § 80 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sind die Vorschriften des BVG entsprechend anzuwenden,
soweit in dem SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 38 Abs. 1 BVG i.V. mit § 80 Satz 2 SVG hat, wenn
ein Beschädigter an den Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) gestorben ist, die Witwe Anspruch auf
Hinterbliebenenrente. Der Tod gilt im Sinne der Bestimmungen des §§ 36 Abs. 1 und 38 Abs. 1 BVG stets dann als
Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung
rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war.
Eine Wehrdienstbeschädigung ist demnach eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung,
durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen
Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Einer Schädigung im o.g. Sinne stehen sog. mittelbare
Schädigungsfolgen gleich. Mittelbare Schädigungsfolgen sind Gesundheitsstörungen, die durch ein äußeres Ereignis,
das seine Ursache in einem schädigungsbedingten Leiden (Schädigungsfolgen) hat, herbeigeführt worden sind.
Dabei müssen das schädigende Ereignis, die dadurch eingetretene gesundheitliche Schädigung und die darauf
beruhenden Gesundheitsstörungen (Schädigungsfolgen) erwiesen sein, während nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG für die
Frage des ursächlichen Zusammenhangs die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (BSG, Urteil
vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 1; BSG, Urteil vom 19. März 1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60,58).
Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder
nur möglich ist. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen
Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. dass unter
Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den behaupteten
ursächlichen Zusammenhang spricht.
Eine Gesundheitsstörung kann mit Zustimmung des BMAS auch als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt
werden, wenn die nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs
zwischen dem schädigenden Ereignis und der Gesundheitsstörung nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die
Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, sog. "Kannversorgung"
(§ 81 Abs. 6 Satz 2 SVG).
Ist ein Sachverhalt nicht beweisbar oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen, so hat nach dem
im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) die Partei die
Folgen zu tragen, die aus dem nicht festgestellten Sachverhalt bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten
Zusammenhang Rechte für sich herleitet (BSG, Urteil vom 29. März 1963 - 2 RU 75/61 – BSGE 19, 52; BSG, Urteil
vom 31. Oktober 1969 - 2 RU 40/67 - BSGE 30, 121; BSG, Urteil vom 20.Januar 1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110).
Vorliegend ist das Auftreten des Gehirntumors des SAZ A. nicht auf ein zeitlich begrenztes traumatisches
Ereignis(Strahlen-Unfall) während des Wehrdienstes zurückzuführen. Die Klägerin macht vielmehr geltend, ihr
verstorbener Ehemann sei radioaktiver Strahlung ausgesetzt gewesen, aufgrund derer sich das Medulloblastom
entwickelt habe.
Hinsichtlich der Beurteilung nicht traumatisch verursachter Krankheiten, d. h. Krankheiten, die nicht auf einem
konkreten abgrenzbaren Einzelereignis beruhen (Alternativen 1. und 3. des § 81 Abs.1 SVG) bestimmt sich der
versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu
z.B. BSG, Urteil vom 5. Mai 1993, 9/9a RV 25/92, BSG, Urteil vom 26.02.1992, Az. 9a RV 4/91 in SozR 3 - 3200 § 81
Nr. 3 sowie Beschluss vom 11. Oktober 1994, Az.: 9 BV 55/94), welcher die Kammer folgt, nach dem Vorbild des
Berufskrankheitenrechts der Gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn, es handelt sich um besondere
außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten. Die Fälle, in
denen als Schädigungsfolge eine durch allmähliche Einwirkungen des Wehrdienstes/wehrdiensteigentümlicher
Verhältnisse verursachte Erkrankung geltend gemacht wird, teilt das BSG dabei in drei Gruppen ein: a) Die angebliche
Schädigungsfolge ist in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) als Berufskrankheit anerkannt (§ 551 Abs. 1 Satz 2
Reichsversicherungsordnung (RVO), jetzt § 9 Abs. 1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)); b) die
angebliche Schädigungsfolge müsste in der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheit anerkannt werden
können (§ 551 Abs. 2 RVO, jetzt § 9 Abs. 2 SGB VII); c) die angebliche Schädigungsfolge fällt weder unter a) noch
unter b), die angeschuldigten wehrdiensttypischen Belastungen gehen aber auf kriegsähnliche Belastungen zurück,
wie sie in Zivilberufen typischerweise nicht vorkommen.
Diese Regelung erklärt sich daraus, dass Krankheiten regelmäßig nicht auf ein äußeres Ereignis zurückgeführt werden
können, sondern sich aufgrund vielfältiger Einflüsse entwickeln. Als Mitursachen kommen persönliche Lebensweise,
Erbanlagen, Störungen während der Entwicklungsphase, private Unfälle, Umwelteinflüsse und anderes in Frage. Ob
eine Krankheit auf bestimmte Einwirkungen zurückzuführen ist, denen ein Wehrpflichtiger oder Wehrdienstleistender
ausgesetzt war, ist daher in der Regel nicht allein mit Hilfe medizinischer Sachverständiger im Einzelfall feststellbar.
Vielmehr kann nur nach statistischen Grundsätzen festgestellt werden, ob die Erkrankungsgefahr durch solche
Einflüsse erhöht worden ist. Wegen der Vielfalt möglicher Ursachen und der nicht uneingeschränkten
Leistungsfähigkeit auch der medizinischen Wissenschaft kann dies nur allgemein entschieden werden. Eine solche
allgemeine Antwort hat der Gesetzgeber für das Gebiet des Berufskrankheitenrechts mit der BKV gegeben. Darin sind
die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Berufskrankheiten eingeflossen, wonach
bestimmte Tätigkeiten im Arbeitsleben in auffallender Weise mit Erkrankungen verbunden sind (vgl. Bayerisches
LSG, Urteil vom 27. Juni 2006, L 15 VS 12/98, BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 3).
Berufskrankheiten sind dort nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, welche die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und
die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Von dieser
Verordnungsermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Gebrauch
gemacht.
In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 2402 bezeichnet worden: "Erkrankungen durch ionisierende Strahlen". Diese ist
somit für die von der Klägerin geltend gemachten Strahlenschäden des Verstorbenen einschlägig, es ist ein Fall der
Gruppe Lit. a entsprechend der Rechtsprechung des BSG gegeben.
Vorliegend kann die Krebserkrankung des SAZ A. allerdings zur Überzeugung des Gerichts nicht entsprechend Ziffer
2402 der Anlage 1 zur BKV als Berufskrankheit anerkannt werden, weil der Zusammenhang zwischen der realistisch
anzunehmenden Dosis ionisierender Strahlen, denen der Soldat während seines Dienstes ausgesetzt war, und der
Entstehung des Gehirntumors nicht wahrscheinlich gemacht werden konnte, somit die haftungsausfüllende Kausalität
nicht erfüllt ist.
Für die Anerkennung einer Berufskrankheit bzw. die entsprechende Anerkennung einer solchen
Wehrdienstbeschädigung müssen grundsätzlich folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Die krankmachende Exposition muss im Vollbeweis gesichert sein (haftungsbegründende Kausalität). 2. Die
Krankheit selbst muss im Vollbeweis gesichert sein. 3. Der Zusammenhang zwischen Exposition und Krankheit muss
wahrscheinlich sein in dem Sinne, dass mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht
(haftungsausfüllende Kausalität).
Vorliegend konnte nicht durch konkrete Unterlagen im Vollbeweis gesichert werden, dass der Soldat während des
Wehrdienstes ionisierenden Strahlen ausgesetzt war. Nach dem Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 ist
jedoch davon auszugehen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin Kontakt zu radioaktiver Farbe an den
Bedienelementen seines LTCs hatte, die haftungsbegründende Kausalität kann demnach auch ohne Vollbeweis
unterstellt werden.
Der Bericht der Radarkommission beschreibt zum einen die Gefahrenquellen bei Betrieb und Wartung früherer
Radargeräte, bewertet die Erkenntnisse über die Intensität möglicher Expositionen und Risiken und gibt zum anderen
auf dieser Basis Kriterien für die Beurteilung und Anerkennung von Versorgungsansprüchen. Diese Verfahrensregeln
sind aufgrund des Erlasses des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 20.10.2003 (Az.
xxxxx) im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen bei der Geltendmachung lange zurückliegender Schädigungen durch
den Betrieb von Radargeräten der Bundeswehr zu beachten. Wörtlich heißt es darin: " Da infolge der besonderen
Sachlage die Exposition im Einzelfall nicht mehr ermittelbar ist, unterstellt das BMVg, soweit die von ihm aufgrund
des Arbeitsergebnisses der Radarkommission aufgestellten und vom Verteidigungsministerium gebilligten
Voraussetzungen vorliegen, die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Strahlenexposition
und bösartiger Erkrankung. Die Frage der Kannversorgung stellt sich deshalb in diesen Fällen nicht." Die
entsprechende Expertenkommission war durch den Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages eingesetzt
worden, weil von Seiten der Bundeswehr in der Zeit bis 1975 (Phase 1) Beobachtungen und Dokumentationen der
Strahlenbelastungen unterlassen wurden und potentielle Strahlenopfer nicht zu entschädigen waren, denn sie hatten
die objektive Beweislast für die Schädigung zu tragen, was in der Regel nicht gelang. Deshalb ist in diesem Bereich
nach dem Bericht der Radarkommission von einer abgestuften Beweiserleichterung auszugehen.
Die von der Radarkommission getroffenen und für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Feststellungen sind im
Wesentlichen folgende:
1. In der Bundeswehr lässt sich der Umgang mit Störstrahlern in Radar-Waffensystemen historisch in drei Phasen
gliedern, nämlich a) in die Phase 1 (1958 bis 1975), die dadurch gekennzeichnet ist, dass Messwerte, welche die
nachträgliche Ermittlung der Exposition gestatten würden, nicht vorliegen und, gemessen an heutigen Maßstäben,
kein adäquater Strahlenschutz bestand, b) in die Phase 2 (1975 bis 1985), die eine sog. Übergangsperiode darstellte,
in der nach alarmierenden Messungen am Radargerät SGR-103 der Marine nach und nach an wichtigen
Waffensystemen der Bundeswehr systematische Messungen durchgeführt wurden und entsprechende
Strahlenschutzmaßnahmen installiert wurden, c) in die Phase 3 (ab 1985), in welcher vom Vorhandensein eines
adäquate Strahlenschutzes ausgegangen werden kann. (vgl. Kommissionsbericht S. 130 f.)
2. Entgegen der früheren Auffassung des BMA im Rundschreiben vom 13.05.2002 solle aufgrund der
epidemiologischen Unsicherheiten und wissenschaftlichen Zweifel darauf verzichtet werden, bestimmte maligne
Tumore generell von einer Anerkennung auszuschließen, mit Ausnahme der Chronisch-Lymphatischen Leukämie. Im
Hinblick auf die weiter zu prüfende Kannversorgung seien zudem auch die ebenfalls dieselben Krankheitsbilder
auslösenden natürlichen Strahlungsfaktoren sowie eine generelle Verursachungswahrscheinlichkeit aufgrund
epidemiologischer Risikodaten zu berücksichtigen (vgl. Kommissionsbericht S. 128, 129 sowie S. 80 zu Non-Hodgkin-
Erkrankungen).
3. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft könne bezüglich Hochfrequenzstrahlung nur die Wärmewirkung als
möglicher Schädigungsmechanismus als hinreichend gesichert angesehen werden (vgl. Kommissionsbericht S. 132,
133).
4. Über synergistische Effekte zwischen ionisierender und nicht ionisierender Strahlung unterhalb der thermischen
Wirkungsschwelle seien keine aussagefähigen Erkenntnisse vorhanden (Kommissionsbericht S. 105).
Bezogen auf das vorliegende Verfahren bedeutet dies, dass das Einwirken ionisierender Strahlen, wie es für die
Anerkennung einer BK-Ziffer 2402 zu fordern ist, grundsätzlich unterstellt werden kann, da der Soldat A. in der Phase
1 seine Dienstzeit absolvierte (SAZ von 01.10.1968 bis 30.09.1970). Inzident geht auch die Stellungnahme des BMVg
vom 02.11.2007 von einer Exposition gegenüber Ra-226-haltiger Leuchtfarbe aus.
Ziffer 1 der Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit ("Die krankmachende Exposition muss im
Vollbeweis gesichert sein") ist demnach erfüllt.
Auch die Krankheit selbst, hier: Medulloblastom des Gehirnstammes ist entsprechend der zweiten o.g.
Voraussetzung zur Anerkennung einer Berufskrankheit gesichert.
Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Exposition und Krankheit zur Überzeugung des Gerichts nicht
wahrscheinlich in dem Sinne, dass mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, so dass letztlich eine
Anerkennung als Berufskrankheit/WDB ausscheidet. Dies folgt daraus, dass weder durch die Ermittlungen des
Gerichts noch durch das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Dr. D. der Nachweis erbracht werden konnte, dass
der verstorbene Ehemann der Klägerin einer ionisierenden Strahlung in einem Umfang/einer Dosis ausgesetzt
gewesen war, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Auftreten des Gehirntumors
wahrscheinlich erscheinen lässt, so dass die haftungsausfüllende Kausalität zu verneinen ist.
Eine Exposition gegenüber sog. Röntgenstörstrahlen ist bei dem Soldaten nach übereinstimmender Ansicht aller
Beteiligter auszuschließen, vgl. Aussage des Klägervertreters im Sitzungsprotokoll vom 18.05.2006 sowie dessen
Schriftsatz vom 04.12.2009. Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Prof. Dr. Dr. D., welchem die Kammer folgt, ist
bei dem Verstorbenen unter Berücksichtigung der drei denkbaren Expositionspfade, nämlich 1) der Belastung durch
inkorporierte Radium-haltige Leuchtfarbe 2) der Belastung durch Gammastrahlen, die von Leuchtziffern der
Bedienkonsole ausgehen, und 3) der Belastung durch Gammastrahlen aus Elektronenröhren, die u.a. radioaktive
Substanzen enthalten haben, für den insgesamt 21-monatigen Einsatz als Operator von einer realistischen
Strahlenbelastung von insgesamt maximal 7 mSv auszugehen.
Zu Punkt 1 hat der Sachverständige im Einzelnen dargelegt, dass sich nach den Angaben der Radarkommission mit
maximal je 50 kBq aufgenommenem Ra-226 (Bericht der Radarkommission S. 37) eine effektive Dosis von 124 mSv
und nach den im Bundesanzeiger publizierten Werten eine effektive Dosis von 273 mSv ergebe, was eine Organdosis
für das Gehirn von 7,7 mSv bedeute, weil die Dosis für das Gehirn, die für eine mögliche Induktion eines
Medulloblastoms relevant sei, um einen Faktor 35 kleiner als die effektive Dosis sei. Der Grund für diesen großen
Unterschied liege in dem Pathomechanismus der Anreicherung und in der Strahlenart. Ra-226 werde bevorzugt in der
Knochenoberfläche eingelagert und angereichert. Der wesentliche Anteil der Strahlung, die von Ra-226 und seinen
Zerfalls-Folgeprodukten ausgehe, seien extrem kurzreichweitige Alphastrahlen, die Gewebe, das sehr nahe (wenige
Mikro-Meter) dem Depositionsort liege, stark bestrahlen. Weiter entfernt liegendes Gewebe werde nur durch die
Gammastrahlung, deren Anteil gering sei, bestrahlt und beeinträchtigt. Die effektive Dosis des Anteils an
Gammastrahlung für das Gehirn betrage danach nur 3,5 mSv.
Die Exposition des Kleinhirns aus der eigentlichen Gammastrahlung der radioaktiven Leuchtfarbe der Instrumente
(Punkt 2) ergebe realistisch eine Dosis von 1 mSv. Unter Annahme der höheren Angaben der Klägerseite werde ein
Wert von 5.2 mSv berechnet im gemittelten Abstand von 30 cm von der Instrumentenkonsole. Unter dieser Annahme
befinde sich allerdings die Nase des Operators während einer mehrstündigen Schicht permanent im Abstand von nur
15 cm vor der Konsole; diese Annahme sei wenig plausibel, werde aber vom Sachverständigen akzeptiert. Die
Gammastrahlung müsse, um das Kleinhirn zu bestrahlen, 10 bis 15 cm Weichteilgewebe des Gesichts und Kopfes
mit wasserähnlichen Absorptionseigenschaften durchdringen, wodurch die Strahlung um mehr als einen Faktor 2
abgeschwächt werde. Dadurch ergebe sich eine Gamma-Exposition von ca. 2.5 mSv. Sollten die Hände einer höheren
Exposition ausgesetzt gewesen sein, sei dies ohne Relevanz für die Dosis des Kleinhirns. Insofern entbehre die
Annahme der Klägerseite, dass bei der Einwirkung einer Strahlung auf irgendein Körperteil freie Radikale entstünden,
die über Blut und Lymphe an jeder Stelle des Körpers zur Induktion und Promotion von Krebs führen könnten,
jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, weil andernfalls das Konzept gewichteter Organdosen, aus der eine effektive
Äquivalentdosis berechnet werde, ohne Sinn wäre. Dieses Konzept könne aber auch nur dann vernünftig sein, wenn
freie Radikale, die in einer Zelle entstehen, nicht zu anderen Organen transportiert werden. Der Name "Radikale"
bedeute, dass diese chemischen Verbindungen, geladen als Ionen oder auch ungeladen, chemisch sehr aggressiv
seien, weshalb sie nach sehr kurzer Zeit mit ihrer Umgebung reagierten.
Zu Punkt 3 hat der Sachverständige erläutert, dass das Risiko einer Exposition mit Gammastrahlen aus dem
Radioaktivitäts-Inventar von Elektronenröhren von der Radarkommission als sehr gering eingeschätzt werde, (vgl.
Bericht S. 35). Das Risiko, dass durch radioaktive Elektronenröhren ein nennenswertes Strahlenrisiko bewirkt wurde,
werde von der Kommission als so gering erachtet, dass sie es nicht weiter untersucht habe. Trotzdem werde im
Gutachten zugunsten der Klägerin unter Berücksichtigung möglicher "ungünstiger" Umstände ein Wert von 1 mSv in
Ansatz gebracht.
Zum speziellen Risiko der Induktion eines malignen Hirntumors bei dem Verstorbenen und der insoweit vorhandenen
Datenlage hat der Sachverständige ausgeführt: "Die Inzidenz für das Auftreten irgendeines Tumors betrug in den USA
in der weißen Bevölkerung Anfang 1980 pro Jahr 322 für Frauen und 412 für Männer, die Mortalität 136 bzw. 211. Die
entsprechenden Zahlen für Tumore des Gehirns und des übrigen Nervensystems zusammengenommen waren
Inzidenz 5,2 bzw. 7,5, Mortalität 3,4 bzw. 5,0. Somit war die Wahrscheinlichkeit für Männer, an irgendeinem Tumor zu
erkranken, 60-mal so hoch wie die, an einem Hirntumor zu erkranken. Entsprechend war die Wahrscheinlichkeit an
irgendeinem Tumor zu sterben, 40-mal so hoch wie die, an einem Hirntumor zu sterben. In der Life Span Study (LSS)
wurde untersucht, wie viele (zusätzliche) Tumoren zu erwarten sind, wenn 10000 Menschen im Alter von 30 Jahren
mit einer Dosis von 1 Gy bestrahlt wurden, und wenn diese Menschen bis zum Alter von 70 Jahren nachbeobachtet
werden (LSS, 15). Für alle Tumoren beträgt das absolute zusätzliche Risiko (EAR) 52 (mit einem 90%
Vertrauensbereich von 43 bis 60), für Hirntumoren 0,51 (90%-Vertrauensbereich 0,17 bis 0,95). Das relative
zusätzliche Risiko (ERR) beträgt für alle Tumoren 0,47, für Hirntumoren 0,59 (LSS, 17). Dabei wird für die häufiger
nachgewiesenen gutartigen Hirntumoren (Meningeome) und bösartige Hirntumoren (wie Gliome oder Medulloblastom)
nicht weiter differenziert. Diese Zahlen besagen folgendes: (1) Das Risiko, durch ionisierende Strahlung irgendeinen
Tumor zu erleiden, ist etwa 100 fach höher als das Risiko, einen Hirntumor zu entwickeln (EAR). (2) Im Vergleich zu
dem natürlichen Tumorrisiko wird durch ionisierende Strahlung ein Hirntumor mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit
induziert als ein anderer Tumor (0,59 im Vergleich zu 0,47). Wenn also die Inzidenz für alle Tumoren 60-fach höher ist
als für einen Hirntumor, wird durch ionisierende Strahlung irgendein Tumor etwa 50 mal häufiger induziert als ein
Hirntumor."
Die mittlere Strahlenexposition liege in Deutschland bei 2,5 bis 3 mSv pro Jahr (mSv/a). Im Verlauf von 50
Lebensjahren sei somit jeder Mensch in Deutschland einer natürlichen Strahlenexposition von 120 bis 150 mSv
ausgesetzt (mit einer Schwankungsbreite von 50 bis 300 mSv). Demnach bedeute eine Bestrahlung mit 1 Sv im Alter
von 30 Jahren ein zusätzliches Risiko von 5%, deswegen im späteren Leben bis zu einem Alter von 70 Jahren an
irgendeinem Tumor zu erkranken. Eine kumulierte Dosis von 120 mSv durch natürliche Strahlenexposition bedeute
demnach ein Erkrankungsrisiko für Krebs von 0.7%, von 10.000 Menschen würden demnach 70 an Krebs erkranken.
Die natürliche jährliche Strahlenexposition liege in Deutschland zwischen 1 mSv (Norddeutschland) und 5 bis 6 mSv
(Schwarzwald, Fichtelgebirge). Vergleiche man die Strahlenexposition von zwei 50-jährigen Menschen aus
Norddeutschland und dem Fichtelgebirge, die seit Geburt über 50 Jahre hinweg 1 bzw. 6 mSv/a exponiert waren,
ergebe sich ein Unterschied der kumulierten Strahlendosis von 250 mSv. Trotz dieser großen Schwankungsbreite sei
es auch mit subtilen statistischen Methoden nicht möglich, eine höhere Krebsinzidenz für Menschen, die im
Fichtelgebirge lebten, im Vergleich zu in Norddeutschland Lebenden nachzuweisen. Insbesondere ergäben
epidemiologische Studien in diesen Bevölkerungsgruppen keinen wissenschaftlich belastbaren Zusammenhang
zwischen der Höhe der Strahlendosis und dem Risiko, an einem Tumor zu erkranken.
Weiter hat Prof. Dr. Dr. D. ausgeführt: "Unterhalb einer Dosis von 500 mGy konnte in der LSS die Induktion eines
malignen Hirntumors nicht nachgewiesen werden. Somit gibt es keinen vernünftigen Grund für die Annahme, dass
eine Exposition mit einer 70-fach niedrigeren Dosis das Medulloblastom verursacht haben könnte. Dementsprechend
empfiehlt die RK (Kapitel 9.3.2, S. 137), Knochenkrebs als Folge einer Radium-Inkorporation als "spezifische
qualifizierende Erkrankung" anzuerkennen, ggf. auch Lungenkrebs. Die Induktion eines Hirntumors wird zu Recht nicht
in Betracht gezogen."
Das Gericht hält in Ansicht dieser Ausführungen die Schlussfolgerung des Sachverständigen für nachvollziehbar,
dass die Gesamtstrahlenbelastung von 7 mSv nach der vorhandenen Studien- und Datenlage kein erhöhtes Risiko für
die Induktion eines malignen Hirntumors bei dem Ehemann der Klägerin erkennen lasse, die wehrdienstliche
Exposition somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Ursache für die Erkrankung in Betracht zu ziehen ist,
weil es letztlich keine belastbaren Daten gibt, nach denen eine signifikante Risikoerhöhung für die Entstehung eines
malignen Gehirntumors aufgrund der bei dem Verstorbenen realistischen Strahlendosis belegt werden kann.
Auch die Voraussetzungen für eine sogenannte Kannversorgung liegen nicht vor. Nach § 81 Abs. 6 S. 2 SVG kann
eine Gesundheitsstörung als Folge einer WDB anerkannt werden, wenn die zur Anerkennung dieser
Gesundheitsstörung als Folge einer WDB erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die
Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Im vorliegenden Fall
scheitert die Anerkennung des Medulloblastoms des Gehirnstammes des Verstorbenen als WDB aber gemäß § 81
Abs. 1 SVG nicht an einer Ungewissheit über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen
Wissenschaft, sondern an dem fehlenden Nachweis der entsprechenden schädigenden Einwirkung. Im Übrigen wurde
das allgemeine Risiko, an dieser Art von Krebs zu erkranken, durch die objektivierbare, geringe Dosis der
schädigenden dienstlichen Einwirkung nicht gegenüber dem allgemeinen Lebensrisiko aufgrund der natürlichen
Umgebungsstrahlung individuell erheblich erhöht, wie das Gutachten des Prof. Dr. Dr. D. schlüssig dargelegt hat, vgl.
hierzu auch Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2008, Nr. 142 Abs. 4.
Sofern die Klägerseite kritisiert, der Sachverständige habe wesentlich zu niedrige Belastungsdosen zugrunde gelegt,
ist auf die entsprechenden Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. Dr. D. zu verweisen, wonach insbesondere die
Berechnungen nach Golde realitätsfern sind, vgl. S. 7, 8 des Gutachtens. Im Übrigen verweist der Sachverständige
zutreffend auf die unterschiedliche Strahlensensibilität der einzelnen Gewebe, aufgrund dessen der Verstorbene –
unterstellt, er hätte tatsächlich wesentlich höhere Strahlendosen aufgenommen – mit erheblich höherer
Wahrscheinlichkeit an einem anderen Tumor, etwa an einem Lungenkrebs oder Knochentumor hätte erkranken
müssen, ebenso wären erheblich mehr Vergleichserkrankungen im Umfeld der übrigen Bediener zu erwarten.
Soweit die Klägerseite fordert, dass eine Entschädigung bereits dann einsetzen sollte, wenn überhaupt eine
Strahlenexposition feststeht, kann sich das Gericht dem nicht anschließen, denn aufgrund der Tatsache, dass
Tumore generell auch in der "normalen" Bevölkerung ohne Bezug zu militärischen Radargeräten auftreten und eine
Entschädigung nach dem SVG nur in Betracht kommt, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen
Zusammenhanges im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG gegeben ist, hätte die Rechtsauffassung der Klägerseite eine
einseitige, durch das Gesetz nicht gerechtfertigte Risikoverteilung zu Lasten des Beklagten/Beigeladenen zur Folge.
Nachdem vorliegend nach Auffassung des Gerichts belastbare Daten vorhanden waren, scheidet eine
Beweislastumkehr oder etwa eine Anwendung des § 15 VerwVf-KOV aus, außerdem beinhaltet die Anwendung des
Berichts der Radarkommission für die Soldaten der Phase 1 bereits eine Beweiserleichterung.
Auch eine Vergleichbarkeit des vorliegenden Falles mit dem der Entscheidung des HLSG vom 29.04.2009, Az. L 4
VS 1/05 zugrunde liegenden Sachverhalt ist nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben, denn dort handelte es sich
zum einen nicht um einen Bediener/Operator, sondern um einen Generatormechaniker und
Hochfrequenzfunktechniker, der im Unterschied zu dem Verstorbenen auch mit Wartungsarbeiten betraut und
Röntgenstörstrahlen ausgesetzt war. Außerdem stand dort die Anerkennung einer Leukämieerkrankung im Streit,
weshalb der Senat die Entscheidung ausdrücklich auf die Vorschrift über die sog. Kannversorgung stützen konnte,
entsprechend der Anhaltspunkt 2008, Nr. 122 Nr. 6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143
SGG.