Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 08.12.2008

SozG Gelsenkirchen: wider besseres wissen, innere medizin, pflegebedürftigkeit, klagerücknahme, anfechtungsklage, pflegeheim, blindheit, mehrbelastung, pflegepersonal, subjektiv

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 3 KN 34/08 P
Datum:
08.12.2008
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 KN 34/08 P
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 2 KN 9/09 P
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Sozialgericht Gelsenkirchen Az.: S 3 KN 34/08 P Verkündet am
08.12.2008 Im Namen des Volkes Urteil h Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten. Die Kägerin trägt wegen rechtsmissbräuchlicher
Prozessführung anteilige Gerichtskosten in Höhe von 750 EUR sowie
die Hälfte der Pauschgebühr der Beklagten.
Tatbestand:
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Die Klägerin wehrt sich gegen die Einstufung in die Pflegestufe III für Leistungen der
vollstationären Pflege ab 01.09.2007 und begehrt die Beibehaltung der bisherigen
Pflegestufe II.
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Die 1923 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der
Pflegebedürftigkeit versichert. Sie leidet unter Blindheit, Diabetes, Parkinson und
Depression und erhielt von der Beklagten seit 2004 Leistungen bei häuslicher Pflege
entsprechend der Pflegestufe II. Nach einem stationären Krankenhausaufenthalt wegen
eines Hirninfarkts wurde die Klägerin ab 17.09.2007 in einer vollstationären
Pflegeeinrichtung untergebracht. Die Beklagte gewährte der Klägerin ohne weitere
Begutachtung Leistungen der vollstationären Pflege entsprechend der bisherigen
Einstufung in die Pflegestufe II.
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Am 01.02.2007 stellte die Betreuerin der Klägerin (Tochter) einen Antrag auf eine
erneute Begutachtung der Pflegebedürftigkeit aufgrund einer Veränderung des
Gesundheitszustandzustandes und des damit verbundenen Pflegebedarfs. Zur
Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte ein Gutachten des Sozialmedizinischen
Dienstes (SMD) ein. In einem aufgrund einer Untersuchung der Klägerin in der
stationären Pflegeeinrichtung erstellten Gutachten vom 30.11.2007 gelangte die
untersuchende Fachärztin für Innere Medizin Gu zu der Feststellung, dass im Bereich
der Grundpflege ein Hilfebedarf von im Tagesdurchschnitt 245 Minuten und bei der
hauswirtschaftlichen Versorgung ein Hilfebedarf von im Tagesdurchschnitt 60 Minuten
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bestehe. Die Gutachtern führte aus, dass die Klägerin wegen Blindheit praktisch bei der
gesamten Grundpflege Hilfe benötige. Sie könne vereinzelt noch mithelfen, tue dies
wegen ihrer Antriebslosigkeit jedoch nicht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Pflegestufe III lägen seit September 2007 vor.
Unter Bezugnahme auf das vorbezeichnete Gutachten bewilligte die Beklagte der
Klägerin ab September 2007 Leistungen für vollstationäre Pflege nach der Pflegestufe III
(Bescheid vom 10.12.2007). Hiergegen erhob die Betreuerin der Klägerin am
21.12.2007 Widerspruch. Sie machte geltend, dass die Pflegezeitbemessung zur
Bestimmung der Pflegebedürftigkeit nicht richtig angesetzt worden sei. Der
Pflegeaufwand sei viel geringer und man habe ihr keine Möglichkeit gegeben, an der
Begutachtung teilzunehmen. Nach Auswertung der beigezogenen Pflegedokumentation
des Seniorenzentrums in Gladbeck gelangte Dr. T vom SMD zu dem Ergebnis, dass die
Klägerin einer sehr zeitaufwendigen aktivierenden Pflege bedürfe und zweifellos in die
Pflegestufe III einzuordnen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2008 wies der
Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mangels Beschwer als
unzulässig zurück. Die Klägerin habe einen Antrag auf Zuordnung in eine höhere
Pflegestufe gestellt. Diesem Leistungsbegehren sei im vollem Umfange entsprochen
worden, so dass eine Beschwer nicht vorläge.
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Mit ihrer am 02.06.2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur
Begründung führt die Betreuerin der Klägerin aus, dass die Zuordnung in die
Pflegestufe III falsch sei, da die Klägerin in einem geringeren Umfang pflegebedürftig
sei. die Klägerin habe den Antrag nur auf massiven Druck der Heimleitung gestellt. Die
Gutachterin und das Heim versuchten wider besseres Wissen, die Einstufung in die
Pflegestufe III durchzusetzen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2007 und den Widerspruchsbescheid vom
15.05.2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung weiterhin für rechtmäßig und verweist auf den Inhalt ihres
Widerspruchbescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unzulässig. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht
beschwert.
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Die Klage ist als reine Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Klägerin begehrt die Aufhebung der
Bewilligung vom 10.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15.05.2008
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über Leistungen für vollstationäre Pflege in der Pflegestufe III.
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist eine Anfechtungsklage nur dann zulässig, wenn der
Kläger durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert ist. Die Beschwer eines
Klägers ist subjektiv bzw. formell zu ermitteln. Ein Kläger ist beschwert, wenn die
angefochtene Entscheidung ihm etwas versagt, was er beantragt hatte (SG
Gelsenkirchen Urteil vom 26.08.2003, Az: S 3 KN 11/03 Pflegestufe I; Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl., vor § 143 Rdn. 6).
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Die Klägerin hat eine Neubegutachtung wegen eines veränderten Pflegebedarfs
beantragt. Dieser Antrag kann denknotwendig nur als Antrag auf Höherstufung in der
sozialen Pflegeversicherung verstanden werden, da ansonsten eine Nachbegutachtung
sinnlos und überflüssig wäre. Aus dem Antrag geht hervor, dass die Klägerin einen
erhöhten Pflegebedarf geltend macht und damit eine Eingruppierung in eine höhere
Pflegestufe begehrt. Diesem Antrag ist entsprochen worden, so dass eine Beschwer der
Klägerin nicht gegeben sein kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193, 192 SGG.
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Trotz der Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage hat sich die Klägerin nicht
entschließen können, das Verfahren durch Klagerücknahme zu beenden. Dabei muss
die Klägerin dass Handeln der für sie tätigen Betreuerin und des von dieser
beauftragten Rechtsanwalts gegen sich gelten lassen. Im Hinblick auf dieses Verhalten
hat es die Kammer nach entsprechender Belehrung des Bevollmächtigten der Klägerin
für erforderlich angesehen, ihr Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 SGG
aufzuerlegen. Hiernach kann das Gericht einem Beteiligten Kosten auferlegen, die unter
anderem dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt,
obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder
Verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei
Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Da dem Antrag des Klägerin
entsprochen worden ist, wäre bei sachgemäßer und verständiger Würdigung der
Rechtslage hier nur eine Beendigung des Rechtsstreits durch Klagerücknahme in
Betracht gekommen. Der Klägerin ist auch dargelegt worden, dass ihre Vorwürfe gegen
die Gutachterin und das Pflegeheim unberechtigt sind, da deren Vorgehensweise durch
die gesetzlichen Bestimmungen in den §§ 18 Abs. 4 Satz 2 und 87a Abs. 2 SGB XI
gedeckt ist. Danach kann das Heim eine Abklärung der zutreffenden Pflegestufe durch
den MDK verlangen und dieser soll bei der Begutachtung das Pflegepersonal befragen.
Eine Anwesenheit der Betreuerin bei der Begutachtung ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Vielmehr versucht die Betreuerin in einer moralisch höchst bedenklichen Weise, der
Klägerin die dieser nach ärztlicher Beurteilung zustehenden und vom Pflegeheim auch
erbrachten Hilfeleistungen vorzuenthalten, um die mit dem höheren Pflegesatz
verbundene finanzielle Mehrbelastung des Vermögens ihrer Mutter zu vermeiden.
Solche Motive können die Fortführung einer unzulässigen Klage nicht rechtfertigen. Die
Fortführung des unzulässigen Rechtsstreits kann daher nur als missbräuchlich im Sinne
des § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG angesehen werden.
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Die Klägerin war daher zum Ausgleich an den Gerichtshaltungskosten des Landes zu
beteiligen, wobei die Kammer den festgesetzten Betrag von 750,00 Euro in Ansehung
aller "Systemkosten" , die mit diesem Verfahren, insbesondere der Durchführung des
Kammertermins und der Absetzung eines Urteils in Zusammenhang stehen, als
angemessen erachtet. Darüber hinaus sind der Beklagten aus der Notwendigkeit, dass
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Verfahren streitig zu entscheiden, weitergehende Kosten gemäß § 184 Abs. 2 SGG in
Höhe von 75,00 Euro entstanden, die bei verständigem Handeln der Klägerin
vermeidbar gewesen wären und daher der Beklagten durch die Klägerin zu erstatten
sind.
Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG.
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