Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 13.06.2003

SozG Gelsenkirchen (kläger, sgg, tätigkeit, somatoforme schmerzstörung, arzt, rente, kostenvorschuss, berufsunfähigkeit, psychiatrie, ausbildung)

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 6 KN 347/01
Datum:
13.06.2003
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 6 KN 347/01
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch
auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise Rente für Bergleute
wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau hat.
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Der am 00.00.1970 geborene Kläger wurde im September 1986 im deutschen
Steinkohlenbergbau angelegt und war dort zunächst als Jungbergmann tätig. Danach
folgten u. a. Tätigkeiten als Maschinist 1, Lagerarbeiter 1, Magazin- und
Schrottplatzarbeiter, bevor er in der Zeit vom 01.08.1998 bis zum 01.02.2000 als
Maschinist 2 (Lohngruppe 08) tätig wurde. Seit dem 00.02.2000 ist der Kläger
arbeitsunfähig krank und kehrte zum 00.06.2000 aus dem Steinkohlenbergbau ab.
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Am 03.08.2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente
wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung durch
den Sozialmedizinischen Dienst (SMD). In einem aufgrund einer ambulanten
Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 15.02.2000 erhob die Ärztin für
Sozialmedizin Frau A die folgenden - vorläufigen - Diagnosen:
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Neigung zu abszedierenden Hautentzündungen. Dringender Verdacht auf
Somatisierungsstörung bei depressiver Entwicklung. Sporadisch auftretende per anale
Blutabgänge, abklärungsbedürftig. Zusammenfassend hielt Frau A vor abschließender
Leistungsbeurteilung die Einholung eines nervenärztlichen Zusatzgutachtens für
erforderlich.
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Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. N am 22.03.2001 ein nervenärztliches Zusatzgutachten. Dr. N erhob im Rahmen
seiner Untersuchung des Klägers die folgenden Diagnosen:
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Hypochondrisches, hysteriformes Verhaltensmuster mit Versagenshaltung, bei einfach
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strukturierter Primärpersönlichkeit. Rentenbegehren. Kein Hinweis auf eine
Polyneuropathie. In seiner Leistungsbeurteilung vertrat er die Auffassung, dass der
Kläger noch in der Lage sei, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in
wechselnder Körperhaltung mit einfacher geistiger Anstrengung vollschichtig und
regelmäßig zu verrichten.
In einer abschließenden Stellungnahme vom 03.04.2001 äußerte Frau A die Ansicht,
dass sich keine nennenswerte Beeinträchtigung habe feststellen lassen und der Kläger
vor diesem Hintergrund seine zuletzt verrichtete Tätigkeit wieder ausüben könne.
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Gestützt auf die vorbeschriebenen medizinischen Feststellungen lehnte die Beklagte
den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 08.05.2001 ab und vertrat dort die
Auffassung, dass er seinen knappschaftlichen Hauptberuf als Maschinist 2 noch
ausüben könne. Hiergegen erhob der Kläger am 31.05.2001 Widerspruch, den er mit
einer Bescheinigung des Arztes für Orthopädie Dr. X vom 03.09.2001 begründete. Mit
Bescheid vom 26.11.2001 wurde der Widerspruch des Klägers vom
Widerspruchsausschuss der Beklagten zurückgewiesen.
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Mit seiner am 14.12.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er
vertritt die Auffassung, aufgrund der bei ihm vorliegenden Erkrankungen weder seinen
knappschaftlichen Hauptberuf als Maschinist 2 noch irgendwelche zumutbaren
Verweisungstätigkeiten vollschichtig und regelmäßig ausüben zu können.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.05.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.11.2001 zu verurteilen, bei ihm für die Zeit ab dem
03.08.2000 einen Zustand der Berufsunfähigkeit, hilfsweise verminderter Berufsfähigkeit
im Bergbau anzunehmen und entsprechende Leistungen nach weiterer Maßgabe der
gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, weiter hilfsweise, den Arzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. L und den Arzt für Orthopädie Dr. Q nach § 109 SGG gutachtlich zu
hören.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
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Das Gericht hat von dem Arzt für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Herrn
Dr. X1, von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Herrn Dr. T und von dem Arzt für
Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Herr Prof. Dr. Q1 Befundberichte über
den Gesundheitszustand des Klägers eingeholt. Auf den Inhalt der Berichte vom
22.03.2002, 28.03.2002 und vom 30.04.2002 wird Bezug genommen.
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Das Gericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-
psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Herrn Dr. P. Der Sachverständige Dr. P hat in seinem aufgrund einer ambulanten
Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 21.01.2003 die folgenden
Diagnosen erhoben:
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Somatoforme Schmerzstörung. Depressive Persönlichkeitsstruktur. Sekundärer
Alkoholabusus. In seiner Leistungsbeurteilung ist der Sachverständige Dr. P zu der
Ansicht gelangt, dass der Kläger noch in der Lage sei, körperlich leichte bis
mittelschwere Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 25 kg im Gehen,
Stehen und/oder Sitzen in geschlossenen Räumen wie auch im Freien unter
Witterungsschutz unter Meidung von dauernden Zwangshaltungen, ständigen
Einwirkungen durch Hitze, Nässe, Zugluft, Arbeiten in Nachtschicht sowie unter weiterer
Meidung von besonderem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten) vollschichtig und
regelmäßig zu verrichten. Der Kläger sei darüber hinaus in der Lage, durchschnittlichen
Anforderungen an Verantwortungsbewusstsein, Übersicht, Konzentrationsvermögen
und Aufmerksamkeit gerecht zu werden, müsse jedoch darauf achten, im Rahmen einer
Kfz-Nutzung auf Alkoholkonsum zu verzichten.
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Am 06.03.2003 hat der Kläger schriftsätzlich einen Antrag nach § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt und als Sachverständige den Arzt für Orthopädie
Dr. Q und den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L benannt. Mit Verfügung vom
07.03.2003 hat das Gericht einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.700,00 EUR
angefordert und dem Kläger eine Frist bis zum 16.04.2003 zur Erfüllung dieser Auflage
gesetzt. Am 15.04.2003 hat der Kläger einen Betrag von 1.700,00 EUR bei der OJK
Hamm eingezahlt. Dabei hat er jedoch Angaben zum Verwendungszweck nicht
gemacht, so dass sich die OJK Hamm außerstande gesehen hat, den Kostenvorschuss
zu verbuchen. Mit Schreiben vom 16.04.2003 hat die OJK Hamm den Kläger auf den
vorbeschriebenen Sachverhalt hingewiesen. Unter dem 24.04.2003 hat der Kläger die
entsprechenden Angaben nachgeholt, so dass der Kostenvorschuss von der OJK
Hamm am 28.04.2003 verbucht worden ist.
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Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im übrigen auf den Inhalt der
Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die
vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist weder nach den Haupt- noch nach den Hilfsanträgen begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte nämlich keinen Anspruch auf Gewährung von Rente
wegen Berufsunfähigkeit. Darüber hinaus ist der Versicherungsfall der verminderten
Berufsfähigkeit im Bergbau ebenfalls nicht eingetreten. Vor diesem Hintergrund ist der
angefochtene Bescheid der Beklagten vom 08.05.20001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.11.2001 nicht rechtswidrig, und der Kläger wird durch
ihn nicht beschwert, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.
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Der erhobene Anspruch bestimmt sich nach den Vorschriften des 6. Buches des
Sozialgesetzbuchs vom 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) in der Fassung
vom 27.06.2000 (BGBl. I S. 910) (= SGB VI a. F.), weil der geltend gemachte Anspruch -
unterstellt, er bestünde - vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) (=SGB VI n. F.)
zum 01.01.2001 entstanden wäre (vgl. hierzu § 300 Abs. 2 SGB VI n. F.). Denn der
Kläger begehrt die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Rente für
Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau unter Zugrundelegung eines
Versicherungsfalls vom 00.08.2000.
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Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI a. F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit
wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich,
geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und
gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten,
nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst sämtliche
Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter
Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen
Berufs und den besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können.
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Ausgangspunkt ist dementsprechend bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit der
bisherige Beruf des Versicherten. Darunter ist im allgemeinen diejenige der
Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, d.h. mit
dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis
zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist dies die letzte
versicherungspflichtige Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn sie die qualitativ Höchste
darstellt (vgl. BSG, Urteile vom 22.03.1988 - Az.: 8/5a RKN 9/86, SozR 2200 § 1246 Nr.
158, vom 22.10.1996 - Az.: 13 RJ 35/96, SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 55 und vom
18.02.1998 - Az.: B 5 RJ 34/97 R, SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 61 m.w.N.).
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Kann der bisherige Beruf nicht mehr ausgeübt werden, hängt der Rentenanspruch
davon ab, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die sozial zumutbar ist und
gesundheitlich wie fachlich noch bewältigt werden kann. Dabei richtet sich die soziale
Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur
Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind
ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität
eines Berufs haben, gebildet worden. Entsprechend diesem Mehrstufenschema werden
die Arbeiterberufe durch Gruppen mit den Leitberufen des Vorarbeiters mit
Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des
Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2
Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer
Regelausbildungszeit von 3 Monaten bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters
charakterisiert (vgl. hierzu BSG, a.a.O.).
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Die nach diesem Schema vorzunehmende Einordnung sowohl des bisherigen Berufs
als auch der zumutbaren Verweisungstätigkeiten erfolgt aber nicht ausschließlich nach
der Dauer der absolvierten oder der förmlichen Ausbildung. Entscheidend ist die
Qualität der verrichteten oder zu verrichtenden Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von
Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild
an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI a. F. genannten Merkmale (Dauer und
Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der
bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. BSG, Urteile vom 08.10.1992 - Az.: 13
RJ 49/91, SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 27 und vom 24.04.1996 - Az.: 5 RJ 24/94). Davon
ausgehend darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf grundsätzlich
(nur) auf die nächst niedrigere Stufe verwiesen werden (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom
25.07.2001 - Az.: B 8 KN 14/00 R m.w.N.).
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Gemessen an den vorbeschriebenen Kriterien dürfte der zuletzt als Maschinist 2 und in
Lohngruppe 08 eingestufte Kläger als Facharbeiter anzusehen sein. Zweifelhaft ist
jedoch, ob der Kläger, der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Lage ist,
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seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinist 2 nach wie vor auszuüben, tatsächlich
aus gesundheitlichen Gründen aus dem Steinkohlenbergbau abgekehrt ist und sich
angesichts dieses Tatbestandes noch auf einen entsprechenden Facharbeiterschutz
berufen kann. Die Kammer musste diese Frage jedoch nicht weiter verfolgen. Selbst
wenn nämlich der Kläger nach wie vor Berufsschutz als Facharbeiter in Anspruch
nehmen könnte, müsste er sich unter Zugrundelegung des bereits oben beschriebenen
Mehrstufenschemas auf Facharbeiterberufe wie auch auf Tätigkeiten, die vom Leitbild
des Angelernten geprägt sind, verweisen lassen. Für den Kläger bedeutet dies, dass er
sich vorliegend auf die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelhandel
verweisen lassen müsste. Denn die Entlohnung des Auslieferungsfahrers erfolgt
regelmäßig nach Lohngruppen, die durch den Leitberuf des Angelernten
gekennzeichnet sind (vgl. u. a. Lohngruppe V des Lohnrahmenabkommens vom
25.05.2000 zwischen den in der Tarifgemeinschaft des Großhandels, Außenhandels
und der Dienstleistungen in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossenen Verbänden
einerseits und der deutschen Angestelltengewerkschaft, Landesverband Nordrhein-
Westfalen sowie der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen im deutschen
Gewerkschaftsbund, Landesbezirksleitung Nordrhein-Westfalen andererseits; vgl. ferner
Lohngruppe 5 des Lohngruppenplanes für die gewerblichen Arbeitnehmer des Groß-
und Außenhandels in Baden-Württemberg vom 01.04.1995). Vor dem Hintergrund, dass
der vorgenannte Vollzeitberuf eines Auslieferungsfahrers im Arzneimittelgroßhandel von
Tarifverträgen erfasst wird, kann von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes trotz
eines möglicherweise ungünstigen Verhältnisses zwischen offenen Stellen und
Stellenbewerbern nicht ausgegangen werden (vergleiche hierzu BSG SozR 2200 §
1246 Nrn. 22, 30, 139).
Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger mit dem ihm verbliebenen
Restleistungsvermögen in der Lage ist, die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers im
Arzneimittelgroßhandel vollschichtig und regelmäßig zu verrichten. Die Tätigkeit besteht
darin, dass der Auslieferungsfahrer die von ihm anzuliefernde Ware tourengerecht
verlädt, im Stadtbereich je Arbeitstag etwa 35 bis 40, auf Landtouren etwa 30 bis 35
Apotheken anfährt, die bestellten Arzneimittel ausliefert, ggfls. Retouren, Leergut und
Cartonagen zurücknimmt, nach der Belieferung des letzten Kunden zu seinem Betrieb
zurückfährt, die Rückgüter an die richtigen Stellen weiterleitet und die nächste Tour
vorbereitet. Die Versandeinheiten wiegen in der Regel bis zu 7 kg, gelegentlich bis 15
kg und allenfalls in seltenen Ausnahmefällen auch mehr als 15 kg (vgl. hierzu die
Auskünfte mehrerer pharmazeutischer Großhandlungen, insbesondere des
pharmazeutischen Großhandels (Q2) vom 31.10.1997, 12.06.1998 und 19.06.1998
sowie der Bundesverbände verschiedener Branchen des Groß- und Außenhandels,
eingeholt in dem Verfahren LSG NRW L 18 KN 20/94 sowie die dortige Vernehmung
des Geschäftsführers der B-Expressdienst und Pharmatransporte GmbH, S X2, als
sachverständigen Zeugen).
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Dass der Kläger zur Ausübung dieser Tätigkeit in der Lage ist, ergibt sich aus den
Feststellungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren wie auch aus den Ausführungen
des Sachverständigen Dr. P in seinem Gutachten vom 21.01.2003. Danach ist der
Kläger noch in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Heben und
Tragen von Lasten bis zu 25 kg im Gehen, Stehen und/oder Sitzen vollschichtig und
regelmäßig unter weiterer Berücksichtigung der bereits im Tatbestand skizzierten
Leistungseinschränkungen zu verrichten. Auch der Umstand, dass der Kläger nach den
Feststellungen des Sachverständigen darauf achten sollte, dass es zu keinem
Alkoholkonsum im Zusammenhang mit der Nutzung eines Fahrzeugs kommt, hindert die
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Kammer nicht daran, den Kläger auf eine Fahr- und Steuertätigkeit zu verweisen. Vor
dem Hintergrund, dass der Kläger nämlich noch in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum
bewusst zu steuern, kann es ihm - wie jedem anderen Arbeitnehmer auch - zugemutet
werden, auf den Genuss alkoholischer Getränke im Zusammenhang mit seiner
Berufsausübung zu verzichten.
Schließlich spricht auch nicht der Umstand, dass der Kläger keine Akkord- und
Fließbandarbeiten mehr ausüben sollte, gegen die Verrichtung einer Tätigkeit als
Auslieferungsfahrer. Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass es gelegentlich bei
außergewöhnlichen Verkehrs- oder Witterungsverhältnissen zu einem gewissen
Zeitdruck kommen kann. In der Regel ist der Auslieferungsfahrer im
Arzneimittelgroßhandel einem solchen Zeitdruck jedoch nicht ausgesetzt. Denn die
Touren werden von den jeweiligen Arbeitgebern getestet und so geplant, dass die
Vorschriften der Straßenverkehrsordnung eingehalten werden können (vgl. hierzu LSG
NRW, Urteil vom 02.03.1999 - Az.: L 18 KN 20/94).
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Nachdem der Kläger unter Berücksichtigung des von Frau A und dem
Sachverständigen Dr. P attestierten Restleistungsvermögens in der Lage ist, seinen
knappschaftlichen Hauptberuf als Maschinist 2 auszuüben, kam im übrigen die
Gewährung einer Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau (§
45 Abs. 2 SGB VI) nicht in Betracht.
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Der vom Kläger gestellte Hilfsbeweisantrag auf Anhörung der Ärzte Dres. Q und L war
abzulehnen. Nach § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag nach § 109 Abs. 1
SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert
werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht,
das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht
worden ist. Im SGG ist nicht bestimmt, welche Folgen die verspätete Einzahlung eines
verlangten Kostenvorschusses nach Ablauf der hierfür gesetzten Frist hat. Vor diesem
Hintergrund sind sachlich ähnliche Regelungen im zivilprozessualen Verfahren
heranzuziehen, wie beispielsweise § 379 ZPO, der zumindest seinem Rechtsgedanken
nach auch im sozialgerichtlichen Verfahren über die Vorschrift des § 202 SGG
anzuwenden ist (hierzu BSG, Urteil vom 23.07.1965 - Az.: 1 RA 243/63). Gleichwohl
macht die verspätete Einzahlung eines Kostenvorschusses die Beweisanordnung nicht
per se hinfällig. Vielmehr sind die angeordneten Beweise zu erheben, wenn dies ohne
eine weitere Verzögerung des Verfahrens möglich ist. Daraus folgt, dass ein Kläger
nicht schon durch eine verspätete Vorschusszahlung und die Unmöglichkeit, das
Gutachten bis zum Termin beizubringen, seiner Rechte aus § 109 Abs. 1 S. 1 SGG
verlustig geht. Er kann - wie hier geschehen - seinen Antrag auf Anhörung des Arztes in
der mündlichen Verhandlung wiederholen; dieser Antrag ist dann am Maßstab des §
109 Abs. 2 SGG zu überprüfen (BSG a.a.O.). Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen
Maßstabes ergibt sich, dass eine Verzögerung durch Einholung der Gutachten der Dres.
Q und L bereits deshalb eingetreten wäre, weil der Rechtsstreit entscheidungsreif war
und das Gericht nach Eingang des Gutachtens des Sachverständigen Dr. P dem Kläger
gegenüber zu erkennen gegeben hat, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht
beabsichtigt seien.
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Darüber hinaus ist die vom Gericht gesetzte Frist (16.04.2003) zur Einzahlung des
angeforderten Kostenvorschusses in Höhe von 1.7000,00 EUR auch aus grober
Nachlässigkeit nicht eingehalten worden. Denn der Kläger hat es verabsäumt, für die
OJK Hamm notwendige Angaben zum Verwendungszweck zu unterbreiten. Damit
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konnte jedoch der Kostenvorschuss nicht fristgerecht verbucht werden und ist nicht
derart in den Machtbereich der Landeskasse gelangt, dass eine - nach Maßgabe
gesetzlicher Vorschriften - uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit bestanden hat.
Eine Entschädigung der von ihm benannten Ärzte hätte nämlich ohne einen
zuordnungsfähigen Kostenvorschuss nicht erfolgen können. Diesen Anforderungen
musste sich der Kläger - bzw. der von ihm beauftragte Prozessbevollmächtigte -
bewusst sein, zumal Angaben zum Verwendungszweck im Zahlungsverkehr zu den
üblichen Gepflogenheiten gehören. Hinzu kommt, dass die notwendigen Angaben erst
am 24.04.2003 nachgeholt worden sind, so dass der Kostenvorschuss schließlich unter
dem 28.04.2003 hat verbucht werden können. Auch der Umstand, dass es sich hierbei
um ein sogenanntes "Büroversehen" im Bereich des Prozessbevollmächtigten
gehandelt haben mag, kann den Kläger nicht entlasten, weil dieser sich insoweit ein
Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bzw. der für ihn tätigen Mitarbeiter wird
zurechnen lassen müssen (§ 202 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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