Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 22.09.2008

SozG Gelsenkirchen: vergütung, gebühr, widerspruchsverfahren, auflage, vorverfahren, behörde, ermessen, sozialhilfe, vergleich, schwellenwert

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 12 AY 32/08
Datum:
22.09.2008
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 12 AY 32/08
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 00.00.00 und der
Widerspruchsbescheid vom 00.00.00 werden abgeändert. Die Beklagte
wird verurteilt, an die Kläger 240,38 EUR zu erstatten abzüglich der
bereits gezahlten 156,00 EUR. Die weitergehende Klage wird
abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen
Kosten der Kläger zu einem Drittel. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zu erstattenden
Aufwendungen für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren.
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Die Kläger sind geduldete Roma aus dem Kosovo und erhielten von der Beklagten
Leistungen nach § 3 AsylbLG. Ihr Rechtsanwalt hat sich spezialisiert auf die Betreuung
von Leistungsempfängern nach den AsylbLG. Nach der grundlegenden Entscheidung
des Bundessozialgerichts vom 08.02.3007 (B 9b AY 2/06 R) machte er für eine Vielzahl
seiner Mandanten aus dem ehemaligen Jugoslawien Ansprüche auf höhere Leistungen
nach § 2 AsylbLG geltend. In dem Berufungsverfahren L 20 B 89/07 (S 2 AY 59/07 SG
Gelsenkirchen) teilte der Anwalt dem Landessozialgericht am 28.02.2008 mit, dass er im
Jahr 2007 insgesamt 92 Widersprüche betreffs § 2 AsylbLG bei der Beklagten eingelegt
habe. Für die Kläger dieses Verfahrens legte er unter dem 00.00.00 Widerspruch ein
gegen die Nichtgewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG. Der Anwalt begründete
den Widerspruch anschließend mit einem drei Seiten langen Schriftsatz. Die Beklagte
half dem Widerspruch mit Abhilfebescheid vom 00.00.00 ab und zahlte die höheren
Leistungen ab September 2006 nach. Der Bevollmächtigte der Kläger machte mit
Schreiben vom 00.00.00 gegenüber der Beklagten einen Aufwendungsersatzanspruch
seiner Mandanten in Höhe von 395,08 Euro geltend: 240 EUR Geschäftsgebühr (Nr.
2400 VV RVG), 72 EUR für 30 % Erhöhung (Nr. 1008 VV RVG), 20 EUR
Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG,) 63,08 EUR Umsatzsteuer (Nr. 7008
VV RVG).
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Die Beklagte lehnte es mit Schreiben vom 00.00.00 ab, mehr als 156 EUR
(Geschäftsgebühr 136 EUR plus Pauschale von 20 EUR) an den Bevollmächtigten zu
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zahlen. Hier sei zwar von einem durchschnittlichen Umfang der Tätigkeit des Anwaltes
auszugehen, allerdings sei die Tätigkeit für den Anwalt nicht schwierig gewesen. Die
Bedeutung der Angelegenheit und das Haftungsrisiko seien gering und die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger seien unterdurchschnittlich. Die
Kläger legten dagegen mit Schreiben vom 00.00.00 Widerspruch ein, den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.00 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus,
dass nur tatsächlich aufgewendete Kosten zu erstatten seien. Bisher sei aber keine an
seine Mandanten gerichtete Honorarrechnung des bevollmächtigten Anwalts vorgelegt
worden. Dieser Widerspruchsbescheid war nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehen.
Mit der am 00.00.00 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihren Anspruch auf höheren
Aufwendungsersatz für das Widerspruchsverfahren weiter. Nach Ansicht der Kläger
steht ihrem Bevollmächtigten unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten
Umstände die Mittelgebühr zu. Am 00.00.00 haben sie eine an sie gerichtete Rechnung
ihres Bevollmächtigten vom gleichen Tag vorgelegt. Die Rechnung entspricht der an die
Beklagte im Schreiben vom 00.00.00 gerichteten Forderung.
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Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 00.00.00 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 00.00.00 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen Aufwendungsersatz in
Höhe von 395,08 EUR abzüglich der bereits erhaltenen 156 EUR zu zahlen.
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Die Beklagte hat im Hinblick auf die im Klageverfahren vorgelegte Anwaltsrechnung
einen Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von insgesamt 234,19 EUR anerkannt. Sie
geht dabei von einer Geschäftsgebühr von 136 EUR zuzüglich einer Erhöhung wegen
mehrerer Auftraggeber aus. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die weitergehende Klage abzuweisen.
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Neben den Gerichtsakten haben der Kammer die die Kläger betreffenden
Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung der
Kammer gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der
Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 00.00.00 und vom 00.00.00 haben sich die Beteiligten mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser
Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
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Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Da der
Widerspruchsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthält, beträgt die Klagefrist
gemäß § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr. In der Sache selbst ist die Klage teilweise begründet.
Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist nicht rechtmäßig. Die Kläger haben
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gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung, der höher liegt als von der
Beklagten anerkannt und niedriger als von den Klägern beansprucht.
Gemäß § 63 Abs. 1 SGB X sind denjenigen, die erfolgreich Widerspruch eingelegt
haben, die zur zweckmäßigen Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu
erstatten. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind gemäß Abs. 2 der
Vorschrift erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
notwendig war. Nach Abs. 3 der Vorschrift setzt die Behörde, die die
Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden
Aufwendungen fest. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines
Rechtsanwalts notwendig war.
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Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in ihren Abhilfebescheiden nicht über ihre
Kostentragungspflicht entschieden und nicht darüber, ob die Zuziehung eines
Rechtsanwalts erforderlich war. Allerdings hat Sie durch den Bescheid vom 00.00.00 mit
Anerkennung einer Honorarforderung von 156 EUR zum Ausdruck gebracht, dass sie
ihre Kostentragungspflicht und die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines
Rechtsanwalts dem Grunde nach anerkennt.
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Notwendige Aufwendungen zur Rechtsverfolgung im Vorverfahren sind bei
Beauftragung eines Rechtsanwalts dessen Honorarforderungen, soweit er sie
tatsächlich gegenüber seinen Mandanten geltend macht und soweit er sie in dieser
Höhe nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geltend machen darf. Der
Vergütungsanspruch eines Anwalts entsteht zwar bereits mit der Vornahme der
anwaltlichen Tätigkeit und wird bereits mit der Auftragserledigung fällig (§ 8 RVG).
Allerdings kann der Anwalt gemäß § 10 RVG die Vergütung nur aufgrund einer dem
Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Die Rechnung ist Voraussetzung für
die außergerichtliche oder gerichtliche Einforderbarkeit der Vergütung (Hartmann,
Kostengesetze, 38. Auflage, 2008, § 10 RVG Rn.1). Wenn der Anwalt dieser
Obliegenheit nicht nachkommt, kann er seinen Anspruch nicht geltend machen. Folglich
muss die Behörde im Falle des § 63 SGB X dem erfolgreichen Widerspruchsführer
keine Anwaltskosten als Aufwendungen erstatten, die der Anwalt mangels Rechnung
nicht gegen seinen Mandanten geltend machen könnte. Der Bevollmächtigte der Kläger
hat inzwischen unter dem 00.00.00 seinen Mandanten eine Rechnung ausgestellt. Er
fordert darin allerdings zu Unrecht ein Honorar von 395,08 EUR. Nach dem RVG steht
dem Bevollmächtigten der beiden Kläger nur eine Vergütung in Höhe von 240,38 EUR
zu.
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Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung des Anwalts nach dem
Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Nach Nr. 2400 VV RVG liegt
die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen
Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, zwischen 40 und 520 EUR. Eine Gebühr
von mehr als 240 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder
schwierig war.
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Die Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 2400 VV bestimmt der Rechtsanwalt nach §
14 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der
Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers sowie
seines besonderen Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG) nach billigem Ermessen. Die
von einem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung ist gegenüber Dritten nicht verbindlich,
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wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Deshalb war die Beklagte bzw. ist das
Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu
prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr ist der Kostenansatz zu
übernehmen. Bei Unbilligkeit ist die die Höhe der Betragsrahmengebühr von der
Behörde bzw. vom Gericht festzusetzen. Im Rahmen des dem Anwalt eingeräumten
"billigen Ermessen" wird von weiten Teilen der Rechtsprechung und Literatur ein
Toleranzrahmen von bis zu 20 v.H. akzeptiert (vgl. u.a. BSG vom 26. Februar 1992 - Az.:
9a RVs 3/90; LSG NW vom 23.04.2007 in L 19 AS 54/06; LSG Thüringen vom 15. Juli
2004 - Az.: L 6 B 25/04 SF und L 6 B 8/05 SF vom 05.04.2005; Madert in
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, a.a.O., § 12 Rdnr. 9; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
Kommentar zum SGG, 8. Aufl., § 197 Rn 7c m.w.N.). Unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls war die von dem Bevollmächtigten der Kläger beantragte
Gebühr von 312 EUR (240 EUR Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG plus 72 EUR
für 30 % Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 RVG. Sie
übersteigt die angemessene Gebühr um mehr als 20 v. H.
Dabei ist vorab festzustellen, dass der in Nr. 2400 genannte "Schwellenwert" von 240
EUR nur maßgeblich ist, wenn die anwaltliche Tätigkeit weder umfangreich noch
schwierig war. Das lässt sich hier nicht sagen. Ansonsten gilt bei nur einem
Auftraggeber die Mittelgebühr, die nach Nr. 2400 VV RVG bei 280 EUR (=
Mindestgebühr von 40 EUR zuzüglich 240 EUR als Hälfte des Unterschieds zwischen
Mindestgebühr und Höchstgebühr) liegt. Bei mehreren Auftraggebern ist eine
Gebührenerhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG vorzunehmen. Da es sich hier um
Betragsrahmengebühren handelt, kommt es entgegen der früheren Ansicht der
Beklagten nicht darauf an, ob der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist.
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Der Bevollmächtigte der Kläger befindet sich in einem Rechtsirrtum, wenn er meint,
dass bei zwei Auftraggebern gemäß Nr. 1008 VV RVG ein Zuschlag von 30 v. H. zu
dem in Nr. 2400 VV RVG genannten "Schwellenwert" von 240 EUR vorzunehmen sei.
Vielmehr bestimmt Nr. 1008 VV RVG, dass sich die bei Betragsrahmengebühren der
Mindest- und der Höchstbetrag der Verfahrensgebühr für jede weitere Person um 30
Prozent erhöht. Folglich beträgt die Mindestverfahrensgebühr bei 2 Auftraggebern 52
EUR statt 40 EUR und die Höchstgebühr beträgt 676 EUR statt 520 EUR.
Dementsprechend errechnet sich bei zwei Auftraggebern eine Mittelgebühr von 364
EUR (= Mindestgebühr von 52 EUR plus 312 EUR als Hälfte des Unterschieds
zwischen Mindestgebühr und Höchstgebühr; vgl. Gerold/Schmidt,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 18. Auflage, 1008 VV, Rdn 241). Statt
einer Mittelgebühr in dieser Höhe steht dem Rechtsanwalt der Kläger dieses Verfahrens
aber nur eine auf die Hälfte gekürzte Mittelgebühr zu ( = 182 EUR).
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Mit der Mittelgebühr wird die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Durchschnittsfall
abgegolten. Ein Durchschnittsfall liegt vor, wenn nach den gemäß § 14 RVG
maßgebenden Kriterien die Angelegenheit als durchschnittlich zu bewerten ist, es sich
also um eine Angelegenheit mit durchschnittlicher Bedeutung für den Auftraggeber,
durchschnittlichem Aufwand, durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem
Vermögensverhältnissen und durchschnittlichem Haftungsrisiko des Anwalts handelt.
Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen
sozialrechtlichen Vorverfahren, bei denen im gerichtlichen Verfahren
Betragsrahmengebühren entstehen, also Verfahren von privilegierten Personen im
Sinne von § 183 SGG Ein Abweichen von der Mittelgebühr ist bei einem
Durchschnittsfall nicht zulässig (BSG, Urteil v. 26.2.1992, 9a RVs 3/90; Urteil v.
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22.3.1984, 11 RA 58/83, SozR 1300 § 63 Nr. 4; BVerwG, Beschl. v. 18.9.2001, 1 WB
28.01, Rpfleger 2002, 98). Schon ein einziger Umstand im Sinne des § 14 RVG kann
ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen. Die Kammer geht mit dem LSG NW
(Urteil vom 23.04.2007 in L 19 AS 54/06) und dem LSG Thüringen (Beschluss vom
05.04.2005 in L 6 B 8/05 SF) davon aus, dass dabei eine Automatik nicht besteht und
eine starre mathematische Berechnungsmethode mit festen Zu- und Abschlägen von
der Mittelgebühr für jeden Umstand nicht geboten ist. Das würde der Ungleichwertigkeit
der einzelnen Umstände nicht gerecht werden. Grundsätzlich kann ein im Einzelfall
besonders ins Gewicht fallendes Kriterium die relevanten übrigen Umstände
kompensierend zurückdrängen. Nach der Überzeugung der Kammer muss sich die
Vergütung des Anwalts vorrangig nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit richten, während den anderen im Gesetz genannten Umständen nur
untergeordnete Bedeutung beizumessen ist. Dabei findet ohnehin ein gewisser
Ausgleich bereits dadurch statt, dass bei schlechten Einkommens- und
Vermögensverhältnissen des Auftragsgebers die Bedeutung der Angelegenheit für den
Auftraggeber regelmäßig umso höher zu bewerten ist.
Im vorliegenden Fall ist von erheblich unterdurchschnittlichen
Einkommensverhältnissen und Vermögensverhältnissen der Kläger auszugehen, da sie
nur Leistungen nach dem AsylbLG beziehen. Im Vergleich zu Verfahren, bei denen es
um die gänzliche Versagung existenzsichernder Leistungen oder um lebenslange
Rente geht, ist das vorliegende Verfahren, bei dem es nur um ein höheres
Leistungsniveau (entsprechend Sozialhilfe statt nach AsylbLG) geht, allerdings eine
Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Nur im Hinblick auf die
schlechten Einkommensverhältnisse der Kläger ist die Bedeutung doch als
durchschnittlich zu werten. Ein besonderes Haftungsrisiko des Anwaltes ist hier nicht
ersichtlich. Der Kammer ist bisher nicht bekannt und es wird auch in diesem Verfahren
nicht vorgetragen, dass Anwälte, die in Verfahren nach dem AsylbLG tätig werden, für
solche Fälle eine zusätzliche Haftpflichtversicherung abschließen müssen. Da die
Leistungen nach dem AsylbLG nicht auf Dauer sondern zeitlich befristet bewilligt
werden, besteht für einen Anwalt keine Gefahr, eventuell für Jahrzehnte zu haften. Die
anwaltliche Tätigkeit ist im vorliegenden Widerspruchsverfahren entgegen der
Rechtsansicht der Beklagten als durchschnittlich schwierig zu werten. Die hier
bedeutsame Rechtsfrage, wann eine rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der
Dauer des Aufenthalts vorliegt, ist nämlich umstritten mit zahlreichen sich
widersprechenden Entscheidungen sowohl der Verwaltungsgerichtsbarkeit wie der
Sozialgerichtsbarkeit.
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Die Tätigkeit des Anwalts der Kläger in diesem Widerspruchsverfahren war aber nicht
umfangreich. Der Anwalt der Kläger hat nämlich daneben eine Vielzahl gleichartiger
Verfahren (allein 92 gegen die Beklagte!) betrieben, so dass er nur auf seine
Ausführungen in den anderen Verfahren zurückgreifen musste. Der auf die Vertretung
von Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG spezialisierte Anwalt konnte sich seine
Arbeit mit standardisierten Schreiben unter Verwendung von Textbausteinen sehr
erleichtern. Er musste sich nicht für jeden Fall in eine neue Materie einarbeiten, sondern
musste lediglich jeweils die individuellen Daten der von ihm schon früher in anderen
Angelegenheiten vertretenen Mandanten in den Musterwiderspruch einarbeiten, den er
nur einmal für alle gleich gearteten Fälle entwerfen musste. Bei einer derart einförmigen
Massenarbeit eines Anwalts hält die Kammer einen Abzug von der Mittelgebühr um 50
Prozent für angemessen. Ein Abzug in diesen Höhe ist gerechtfertigt, wenn man
berücksichtigt, dass der Gesetzgeber in Nr. 1008 VV RVG den Zuschlag zur
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Verfahrensgebühr bei anwaltlicher Tätigkeit in der gleichen Angelegenheit für einen
weiteren Auftraggeber sogar auf 30 Prozent reduziert hat. Und etwa ab dem 15.
Auftraggeber ist eine Gebührenerhöhung nach dem Willen des Gesetzgebers sogar
gänzlich ausgeschlossen, denn bei der Erhöhung darf wegen der in Nr. 1008 VV RVG
vorgeschriebenen Obergrenze das Doppelte des Höchstbetrags der Gebühr nicht
überschritten werden (vgl. Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz,
Kommentar, 18. Auflage, 1008 VV, Rdn 248). Daher hält es die Kammer für
sachgerecht, dass ein Anwalt, der für viele finanzschwache Mandanten Widersprüche
mit gleichem Ziel und gleichen Argumenten einlegt, für jedes dieser Verfahren nur die
Hälfte der sonst angemessenen Verfahrensgebühr erhält.
Das von der Beklagten als Aufwendungsersatz an die Kläger zu erstattende
Anwaltshonorar errechnet sich also wie folgt: 182,00 EUR halbe Verfahrensgebühr Nr.
2400 und 1008 VV RVG 20,00 EUR Telekommunikationspauschale 202,00 EUR
Zwischensumme 38,38 EUR 19 % Umsatzsteuer 240,38 EUR Endsumme
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Prozesserfolg
der Kläger.
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Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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