Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 18.07.2005

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Sozialgericht Gelsenkirchen, S 10 U 69/05
Datum:
18.07.2005
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 10 U 69/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 4 U 69/05
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger beansprucht Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen
einer posttraumatischen Belastungsstörung.
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Der 1966 geborene Kläger ist als Busfahrer bei der C1 beschäftigt. Er erlitt am
00.00.0000 einen Schock, als der von ihm gelenkte Bus den Tod eines Menschen
verursachte. Der Kläger war bis zum 22.08.1993 in ärztlicher Behandlung bei seinem
Hausarzt I1 und bei dem Neurologen N1 und konnte anschließend seinen Beruf als
Busfahrer weiter ausüben. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Das
Verfahren wurde am 00.00.0000 eingestellt nach Zahlung von 1000 DM an den Weißen
Ring.
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Im Rahmen seines Schwerbehindertenverfahrens gab der Kläger am 21.03.2002 an,
dass er unter Schlafstörungen, Unruhe, Schweißausbrüchen und Ängsten leide. Nach
Auskunft der Schwerbehindertenvertretung der C1 könne es sich um eine
posttraumatische Belastungsstörung handeln. Die Neurologin X nahm in einem
Gutachten für das Versorgungsamt vom 27.05.2002 eine posttraumatische
Belastungsstörung mit einem GdB um 40 v. H. an und sah diese Störung auch als
verantwortlich für das Magenschleimhautleiden des Klägers an. Der Gastroenterologe I2
hatte zuvor beim Kläger Helicobacter nachweisen können. Am 07.03.2003 erfolgte eine
einmalige Behandlung des Klägers bei dem Neurologen M, der eine psychoreaktive
Depression diagnostizierte.
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Am 21.08.2003 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Rentenantrag. In einem von
der Beklagten eingeholten Gutachten vom 23.01.2004 verneinte B2 eine
posttraumatische Belastungsstörung, weil die geklagte Symptomatik unspezifisch sei
und der Kläger nicht Opfer einer kriminellen Handlung gewesen sei. Daraufhin lehnte
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die Beklagte mit Bescheid vom 24.06.2004 den Rentenanspruch des Klägers ab. Auf
den Widerspruch des Klägers zog die Beklagte zunächst die Ermittlungsakte der
Staatsanwaltschaft bei und holte ein Aktengutachten von N2 vom 10.01.2005 ein.
Dieser Arzt verneinte ebenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung und die
Beklagte wies den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2005 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.03.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 00.00.0000 Rente entsprechend einer
MdE um 40 v.H. zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf die Begründung ihrer Verwaltungsentscheidung und die dieser
zugrundeliegenden Gutachten.
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Neben den Gerichtsakten haben der Kammer die den Kläger betreffenden
Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung der
Kammer gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der
Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Im Erörterungstermin am 00.00.0000 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser
Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
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Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache
selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist
rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt,
weil das Schockerlebnis bei dem Arbeitsunfall am 00.00.0000 mit Arbeitsfähigkeit ab
23.08.1993 überstanden war. Es hat keine dauernden Gesundheitsschäden
hinterlassen, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers in rentenberechtigendem Grade von
20 v.H. (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) mindern könnten. Insbesondere liegt beim Kläger
keine posttraumatische Belastungsstörung vor.
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Das Gericht sieht gemäß § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab, weil es der zutreffenden Begründung des angefochtenen
Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids folgt.
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Ergänzend sei lediglich noch herausgestellt, dass das für den Kläger günstige
Gutachten aus dem Schwerbehindertenverfahren das Klagebegehren nicht stützen
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kann. Dieses Gutachten genügt in Form und Inhalt keinen wissenschaftlichen
Ansprüchen, da die Verfasserin sich darauf beschränkt hat, die vom Kläger
vorgegebene Diagnose ohne jede Begründung zu übernehmen. Es fehlt jegliche
Auseinandersetzung mit den in der ICD-10 vorgegebenen diagnostischen Kriterien.
Typische Merkmale der posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das
wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (flashbacks) und
das Vermeiden von Aktivitäten, die eine Erinnerung an das Trauma wachrufen können.
Der Kläger hätte also mit Panik auf Busse reagieren und nachts davon träumen müssen.
Der Kläger hat aber nie über flashbacks geklagt und er hat auch das Busfahren nicht
meiden müssen. Schon nach 6 Wochen konnte er seine alte Tätigkeit wieder
aufnehmen.
Auch der (angebliche) Verlauf der Erkrankung über jetzt 12 Jahre spricht gegen eine
posttraumatische Belastungsstörung. Eine posttraumatische Belastungsstörung pflegt
sich nämlich regelmäßig zu bessern und geht nur unter den Voraussetzungen der
andauernden Persönlichkeitsänderung (F62.0) in einen chronischen Verlauf über. Eine
andauernde Persönlichkeitsänderung kommt nach der Definition in der ICD-10 aber nur
nach länger andauernderen lebensbedrohenden Situationen in Betracht (Geiselnahme,
Konzentrationslager) und nicht bereits nach einer kurz andauernden Lebensbedrohung
bei einem Autounfall.
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Die Mangelhaftigkeit des versorgungsärztlichen Gutachtens zeigt sich auch daran, dass
Frau X die beim Kläger bestehende Magenschleimhautentzündung auch auf die von ihr
angenommene posttraumatische Belastungsstörung zurückgeführt hat. Zum einen wird
ein Magenleiden in der ICD-10 nicht als Symptom der posttraumatischen
Belastungsstörung genannt. Zum anderen ist es inzwischen Allgemeinwissen, dass
eine Gastritis nicht psychisch bedingt ist, sondern größtenteils durch Helicobacter pylori
verursacht wird. Solche Bakterien sind vom behandelnden Arzt beim Kläger
nachgewiesen worden.
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Allgemein ist festzustellen, dass Ärzte in den letzten Jahren die Diagnose einer
posttraumatischen Belastungsstörung in geradezu inflationärem Maße stellen, sobald
ein Patient über psychische Beschwerden nach einem belastenden Erlebnis klagt. Bei
dem vorliegenden Urteil handelt es sich bereits um die dritte Entscheidung der
erkennenden Kammer innerhalb von nicht ganz drei Jahren, die das Vorliegen einer
posttraumatischen Belastungsstörung bei einem Fahrer der C1 zum Gegenstand hat.
Auffällig ist sowohl die Häufung dieser Diagnose bei Mitarbeitern dieses Unternehmens
wie auch die Hartnäckigkeit, mit der die vermeintlichen Entschädigungsansprüche vor
Gericht geltend gemacht werden.
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Die Kostenentscheidung der nach alledem unbegründeten Klage beruht auf § 193 SGG.
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