Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 16.10.2008

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Sozialgericht Gelsenkirchen, S 17 KN 51/08 KR
Datum:
16.10.2008
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 17 KN 51/08 KR
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Sozialgericht Gelsenkirchen Az.: S 17 KN 51/08 KR Im Namen des
Volkes Urteil In dem Rechtsstreit Kläger Prozessbevollmächtigter: gegen
Beklagte hat die 17. Kammer des Sozialgerichts Gelsenkirchen auf die
mündliche Verhandlung vom 16.10.2008 durch den Vorsitzenden, für
Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten
sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Erstattung von Krankentransportkosten.
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Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der Beklagten. Am 26.12.2007 erlitt er während eines
Urlaubsaufenthalts in Österreich einen Herzinfarkt mit Herzstillstand und wurde mit dem
Rettungshubschrauber vom Skigebiet Kappel nach Innsbruck ins Hospital ausgeflogen.
Hierfür stellte die Firma T dem Kläger unter dem 31.12.2007 einen Betrag in Höhe von
4.479,00 Euro in Rechnung.
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Auf eine Anfrage der Beklagte hinsichtlich der Erstattungssätze für Sachleistungen teilte
die Tiroler Gebietskrankenkasse unter dem 15.01.2008 zunächst mit, auf die
Kostenrechnung könne keine Erstattung erfolgen. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte
mit Bescheid vom 21.01.2008 die beantragte Kostenerstattung ab. Auf den Widerspruch
des Klägers vom 25.01.2008 erneuerte die Beklagte ihre Anfrage unter Übersendung
der Rechnung vom 31.12.2007. Daraufhin wurde durch die Tiroler Gebietskrankenkasse
ein Erstattungsbetrag in Höhe von 894,93 Euro mitgeteilt. Mit Bescheid vom 25.02.2008
half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers in der vorgenannten Höhe ab.
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In seiner Sitzung vom 21.04.2008 hat der Widerspruchsausschuss der Beklagten den
Widerspruch im übrigen zurückgewiesen. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruhe der
Anspruch auf Sach- und Geldleistungen beim Aufenthalt des Versicherten im Ausland.
Gemäß § 22 Abs. 1a der EWG-Verordnung 1408/71 erhalte der Versicherte bei einem
vorübergehenden Aufenthalt in einem EWG-Mitgliedsstaat Leistungen, wenn sein
Zustand die sofortige ärztliche Betreuung notwendig mache. Die Art und Weise sowie
der Umfang der Leistungsgewährung richte sich ausschließlich nach dem Recht des
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Vertragsstaates. Seien die Leistungen nicht im Wege der nach der VO 1408/71
vorgesehenen Leistungsaushilfe in Anspruch genommen sondern privat beschafft
worden, so komme nach Art. 34 der Verordnung 574/72 eine Kostenerstattung nach den
von dem Träger des Vertragsstaates maßgeblichen Sätzen in Betracht. Die hiernach in
Frage kommenden Erstattungssätze habe der aushelfende Versicherungsträger auf
Verlangen der Krankenkasse bekannt zu geben. Die Begrenzung der erstattungsfähigen
Kosten auf die Sätze des ausländischen Trägers ergebe sich aus der Tatsache, dass
der deutsche gesetzliche Krankenversicherungsträger nur das zu erstatten habe, was er
bei abkommensgemäßem Verhalten, d. h. Inanspruchnahme der Sachleistung durch
den Versicherten, gegenüber dem ausländischen Träger aufzuwenden gehabt hätte.
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien könne eine weitere Kostenerstattung als die von
der Geschäftsstelle vorgenommene nicht erfolgen.
Mit der am 30.04.2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger seinen
Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten in voller Höhe weiter.
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Die vorgenommene Erstattung verstoße gegen EU-Recht und die Grundrechte des
Klägers. Die Erstattungssätze der Tiroler Gebietskrankenkasse seien höher als der von
der Beklagten mitgeteilte Betrag. Unter bestimmten Voraussetzungen würden sogar die
gesamten Kosten eines Hubschraubertransports übernommen. Die Erstattungssätze der
Österreichischen Gebietskrankenkassen bedürften darüber hinaus der Korrektur. Die
Rettung des Klägers sei mit einem Hubschrauber mit zwei Triebwerken erfolgt, während
die von den Österreichischen Gebietskrankenkassen erstatteten Sätze sich an
Helikoptern mit nur jeweils einer Turbine bemessen würden. Nach Art. 34 Abs. 5 der
Verordnung 574/72 habe daher die Beklagte die Erstattung nach den deutschen Sätzen
zu übernehmen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.01.2008 in der Fassung des
Bescheides vom 25.02.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2008
zu verurteilen, ihm die am 26.12.2007 in Österreich durch einen Rettungseinsatz
entstandenen Kosten in voller Höhe zu erstatten und insoweit einen weiteren Betrag von
3.584,07 Euro zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Insbesondere sei auch nicht erkennbar, warum die vorgenommene Erstattung gegen
EU-Recht und das Grundgesetz verstoßen sollte. Die Entscheidung des
Bundesverfassungsgericht vom 06.12.2005 dürfte nicht einschlägig sein. Die Beklagte
habe über den ausländischen Versicherungsträger den Krankenversicherungsschutz
des Klägers insoweit sichergestellt. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus
dem Versuch des Kläger-Bevollmächtigten, eine Diskussion über die Art und
Ausstattung eines Rettungshubschraubers zu führen, insbesondere auch deshalb nicht,
weil es Sache des jeweiligen Unternehmens sei, mit welchen Fahrzeugen oder
Flugmitteln es sich ausstatte. Nicht überzeugen könne auch der Vortrag, die von der
Österreichischen Gebietskrankenkasse angewandten Tarife seien viele Jahre alt und
nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Selbst wenn dies so sei, stehe es der Beklagten
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nicht zu, den österreichischen Versicherungsträger zu einer Überarbeitung seiner Tarife
zu veranlassen. Für eine Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an den
Europäischen Gerichtshof sehe die Beklagte weder eine Notwendigkeit noch eine
Grundlage. Insbesondere sei nicht zu erkennen, dass der Einsatz eines
Retttungshubschraubers mit nur einer Turbine gegen irgendwelche Rechtsvorschriften
verstoße.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen und die Verwaltungsakte der Beklagten, die
ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung
war, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
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Der Kläger wird durch die Bescheide der Beklagten nach erfolgter Teilabhilfe nicht in
seinen Rechten verletzt. Der weitergehende Kostenerstattungsanspruch steht dem
Kläger auch nach Auffassung der Kammer nicht zu. Die Kammer nimmt insoweit
vollinhaltlich auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom
21.04.2008 Bezug (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
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Auch die Kammer vermag in der durch die Beklagte vorgenommenen Erstattung keinen
Verstoß gegen Grundrechte des Klägers oder europarechtliche Vorschriften zu
erkennen. Die Beklagte hat die hier einschlägigen und zu beachtenden
europarechtlichen Vorschriften zutreffend benannt und ausgeführt. Dem Kläger stand
während seines Aufenhalts in Österreich nur ein Sachleistungsanspruch gegen den
aushelfenden österreichischen Krankenversicherungsträger zu. Er hat den
Krankentransport jedoch nicht im Wege der Sachleistung in Anspruch genommen. Auf
die ihm in Rechnung gestellten Kosten des Transports konnte und durfte die Beklagte
daher auch nur die Kosten erstatten, die dem österreichischen Versicherungsträger
angefallen und mit der Beklagten abgerechnet worden wären. Es kommt nicht darauf an,
ob die Erstattungssätze in Österreich ausreichend sind, solange sie von den dortigen
Vertragspartnern der Krankenversicherung akzeptiert werden.
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Die Beklagte ist bei ihrer Erstattung nach Auffassung der Kammer sogar über ihre
eigentlich bestehende Leistungspflicht hinausgegangen. Sowohl nach österreichischen
als auch nach deutschen Grundsätzen ist die Bergung aus unwegsamen Gelände nicht
Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach Bergung, z. B. durch die
Bergwacht, ist nur der Transport von einem zugänglichen Gelände zum
nächstgelegenen geeigneten Krankenhaus durch die Krankenkasse zu gewähren. Die
entsprechenden Transportkosten mit einem Rettungswagen aber wären bei strenger
Anwendung der gesetzlichen Voraussetzungen nicht einmal in der von der Beklagten
erstatteten Höhe angefallen.
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Die Absicherung gegen das Risiko hier nach anfallender höherer Bergungs- und
Transportkosten ist dem privaten Bereich zuzurechnen und ggf. auch durch Abschluss
einer entsprechenden privaten Versicherung sicher zu stellen. Derartige Kosten können
nicht der Solidargemeinschaft der Versicherten anfallen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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